HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2009
10. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

91. BGH 4 StR 252/08 – Urteil vom 13. November 2008 (LG Schwerin)

BGHSt; Abgrenzung der Verantwortlichkeiten für einen Gebäudeeinsturz bei arbeitsteiliger Erledigung der Bauleistungen durch verschiedene Gewerke (Unterlassung; Fahrlässigkeit; Sorgfaltspflichtverletzung; Vertrauensgrundsatz; sekundäre Verkehrssicherungspflichten; Pflicht zur wechselseitigen Information am Bau).

§ 222 StGB; § 229 StGB; § 13 StGB

1. Zur Abgrenzung der Verantwortlichkeiten für einen Gebäudeeinsturz bei arbeitsteiliger Erledigung der Bauleistungen durch verschiedene Gewerke. (BGHSt)

2. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen hat jeder, der Gefahrenquellen schafft oder unterhält, die nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Vorkehrungen zum Schutz anderer Personen zu treffen (st. Rspr.; BGHZ 103, 338, 340; BGHR BGB § 823 Abs. 1 Verkehrssicherungspflicht 18). Diese Sicherungspflicht wird indes nicht bereits durch jede bloß theoretische Möglichkeit einer Gefährdung ausgelöst. Sie beschränkt sich auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren. (Bearbeiter)

3. Haftungsbegründend wirkt die Nichtabwendung einer Gefahr erst dann, wenn sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (st. Rspr.; vgl. BGHR BGB § 823 Abs. 1 Verkehrssicherungspflicht 31). Diese in der zivilrechtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind maßgebend auch für die Bestimmung der strafrechtlichen Anforderungen an die im Einzelfall gebotene Sorgfaltspflicht. Ausgangspunkt dafür ist jeweils das Maß der Gefahr mit der Folge, dass die Sorgfaltsanforderungen umso höher sind, je größer bei erkennbarer Gefährlichkeit einer Handlung die Schadenswahrscheinlichkeit und Schadensintensität sind. (Bearbeiter)

4. Übernimmt jemand, den Abbruch eines Gebäudes (Gebäudeteiles), so ist er verpflichtet, Dritte vor den durch den Abbruch drohenden Gefahren zu schützen und die hierzu erforderlichen Vorkehrungen zu treffen. Diese Pflicht besteht grundsätzlich nicht nur gegenüber Außenstehenden, etwa befugten Besuchern der Baustelle, sondern auch gegenüber den an dem Bau tätigen Arbeitnehmern. (Bearbeiter)

5. Nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen sind mehrere Personen (oder Firmen), die an einer gefahrenträchtigen Baumaßnahme beteiligt sind, untereinander verpflichtet, sich in zumutbarer Weise gegenseitig zu informieren und abzustimmen, um vermeidbare Risiken für Dritte auszuschalten. Insbesondere dann, wenn erkennbar Sicherungsmaßnahmen erforderlich sind, die vor Beginn der eigentlichen gefahrträchtigen Handlung durchgeführt werden müssen, muss sich der für die Gefahrenquelle Verantwortliche im Rahmen des ihm Zumutbaren vergewissern, dass der für die notwendige Sicherung Verantwortliche seine Aufgabe erfüllt hat, und darf nicht blindlings darauf vertrauen, dass dies auch zutrifft. (Bearbeiter)

6. Für die Begründung von Sorgfaltspflichten genügt regelmäßig bereits die tatsächliche Übernahme eines entsprechenden Pflichtenkreises (vgl. BGHSt 47, 224, 229). (Bearbeiter)

7. Bei der horizontalen Aufteilung einzelner Verantwortungsbereiche im Rahmen eines einheitlichen Arbeitsvorgangs werden die Sorgfaltspflichten durch den Vertrauensgrundsatz beschränkt (vgl. BGH (Z) NJW 1999, 1779, 1780). (Bearbeiter)


Entscheidung

93. BGH 4 StR 328/08 – Urteil vom 20. November 2008 (LG Konstanz)

Fahrlässige Tötung durch illegale Autorennen und Beschleunigungstests; Abgrenzung zwischen Selbst- und einverständlicher Fremdgefährdung bei Fahrlässigkeitsdelikten (Tatherrschaft; restriktiver Täterbegriff;

Sorgfaltspflichtverletzung: Verstoß gegen Sondernormen; Schutzzweckzusammenhang; Vorhersehbarkeit bzw. Erkennbarkeit); rechtfertigende Wirkung einer Einwilligung bei gefährlichem Handeln im Straßenverkehr; Beihilfe zur Gefährdung des Straßenverkehrs (Vorsatz; Hilfeleisten).

§ 222 StGB; § 228 StGB; § 229 StGB; § 216 StGB; § 315c StGB; § 27 StGB; § 15 StGB

1. Die Abgrenzung zwischen Selbst- und einverständlicher Fremdgefährdung richtet sich bei Fahrlässigkeitsdelikten nach der Herrschaft über den Geschehensablauf. (BGHSt)

2. Zur rechtfertigenden Wirkung einer Einwilligung bei gefährlichem Handeln im Straßenverkehr. (BGHSt)

3. Liegt die Tatherrschaft über die Gefährdungs- bzw. Schädigungshandlung nicht allein beim Gefährdeten bzw. Geschädigten, sondern zumindest auch bei dem sich hieran Beteiligenden, begeht dieser eine eigene Tat und kann nicht aus Gründen der Akzessorietät wegen fehlender Haupttat des Geschädigten straffrei sein (vgl. BGHSt 19, 135, 139; 49, 34, 39; 166, 169; auch zu den gegenteiligen Ansichten in Rechtsprechung und Schrifttum BGH NJW 2003, 2326, 2327). Die Abgrenzung zwischen der Selbst- und der Fremdgefährdung nach der Herrschaft über den Geschehensablauf, kann auch beim fahrlässigen Delikt weitgehend nach den für Vorsatzdelikte zur Tatherrschaft entwickelten objektiven Kriterien erfolgen. Bei der Prüfung, wer die Gefährdungsherrschaft innehat, kommt dem unmittelbar zum Erfolgseintritt führenden Geschehen besondere Bedeutung zu. (Bearbeiter)

4. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs macht sich, sofern er nicht kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Tötende oder Verletzende, grundsätzlich nicht strafbar, wer das zu einer Selbsttötung oder Selbstverletzung führende eigenverantwortliche Handeln des Selbstschädigers vorsätzlich oder fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert (BGHSt 32, 262, 263 f.; 46, 279, 288; BGH NJW 2003, 2326, 2327). Straffrei ist ein solches Handeln regelmäßig auch dann, wenn es nicht auf die Selbsttötung oder -verletzung gerichtet war, sich aber ein entsprechendes, vom Opfer bewusst eingegangenes Risiko realisiert hat (BGHSt 32, 262, 264 f.; 46, 279, 288; BGH NJW 2003, 2326, 2327; einschränkend bei deliktischer Handlung des Täters und einsichtigem Motiv für die Selbstgefährdung: BGHSt 39, 322, 325). (Bearbeiter)

5. Eine der Selbstgefährdung gleichzustellende Fremdgefährdung bzw. -schädigung liegt jedenfalls dann nicht vor, weil es bei einem tödlichen illegalen Autorennen weitgehend vom Zufall abhing, wer im konkreten Fall Fahrer und wer Beifahrer war. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Situation beim Schadenseintritt. Ob diese Grundsätze in gleicher Weise Geltung hätten, wenn die an einem riskanten Unternehmen Beteiligten ein in etwa gleiches Maß an Tatherrschaft besessen hätten (hier die beiden Fahrer der am Rennen beteiligten Fahrzeuge im Verhältnis untereinander), lässt der Senat offen. (Bearbeiter) 6. Auch bei gefährlichem Handeln im Straßenverkehr ist bei einer Einwilligung in die (vorsätzliche) Körperverletzung die Grenze zur Sittenwidrigkeit jedenfalls dann überschritten, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht werde. (Bearbeiter)

7. Eine rechtfertigende Wirkung der Einwilligung in riskantes Verkehrsverhalten scheidet auch bei gefährlichem Handeln im Straßenverkehr nur für diejenigen Tatbestände grundsätzlich aus, die zumindest auch dem Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs im Allgemeinen dienen (§§ 315 b, 315 c StGB). Bezweckt eine Vorschrift dagegen ausschließlich den Schutz von Individualrechtsgütern (wie §§ 222, 229 StGB), so verliert die Einwilligung ihre (insoweit) rechtfertigende Wirkung nur dort, wo die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten ist. (Bearbeiter)

8. Fahrlässig handelt ein Täter, der eine objektive Pflichtverletzung begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte, und wenn gerade die Pflichtverletzung objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat. Die Einzelheiten des durch das pflichtwidrige Verhalten in Gang gesetzten Kausalverlaufs brauchen dagegen nicht vorhersehbar zu sein (st. Rspr.; vgl. BGHSt 49, 166, 174 m.w.N.). (Bearbeiter)

9. Ausreichend und erforderlich für eine Beihilfehandlung ist, dass die Handlung die Haupttat zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung erleichtert oder gefördert hat (BGH NStZ 2008, 284 m.w.N.). (Bearbeiter)

10. Das Maß des tatsächlich verwirklichten Unrechts ist bei § 315 c StGB kein Umstand der Tat, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört und daher – zur Begründung des Schuldspruchs wegen Beihilfe – vom Gehilfenvorsatz umfasst sein muss. Daher ist unerheblich, ob dem Gehilfen, wäre ihm der tatsächlich eingetretene Erfolg der Haupttat bewusst gewesen, dieser letztlich unerwünscht war (vgl. BGH NJW 2007, 384, 390). (Bearbeiter)


Entscheidung

61. BGH 3 StR 403/08 - Urteil vom 13. November 2008 (LG Düsseldorf)

Verabredung, ein Verbrechen zu begehen (Tatentschluss; Tatgeneigtheit); Aufklärungspflicht; Erörterungsmangel; Vermittlung eines Vertrages über den Erwerb vom Kriegswaffen (Kampfflugzeug; Demilitarisierung); lückenhafte Beweiswürdigung (Indiztatsache).

§ 30 StGB; § 261 StPO; § 22a Abs. 1 Nr. 7 KWKG; § 4a Abs. 1 KWKG

1. Eine Verabredung, ein Verbrechen zu begehen, im Sinne von § 30 Abs. 2 StGB setzt den Entschluss von mindestens zwei Personen voraus, jeweils als Mittäter ein bestimmtes Verbrechen zu begehen. Hierfür ist zwar nicht die Festlegung aller Einzelheiten der in Aussicht genommenen Tat erforderlich; vielmehr reicht es aus, wenn diese in ihren wesentlichen Grundzügen konkretisiert ist. Notwendig ist jedoch, dass der Täter unbedingt

zur Begehung einer Straftat entschlossen ist; eine bloße Tatgeneigtheit genügt nicht.

2. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht überwinden kann, so ist dies vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen, denn die Würdigung der Beweise ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen stellt.

3. Die fehlende Erwähnung einer Indiztatsache in einem bestimmten Beweiszusammenhang begründet nur dann eine revisionsrechtlich relevante Lücke, wenn sie nach ihrer Beweisbedeutung zwingend ausdrücklich zu erörtern war.


Entscheidung

69. BGH 1 StR 327/08 – Urteil vom 4. Dezember 2008 (LG Freiburg)

Überspannte Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung bei Tötungsdelikten (Unterstellung von Tatvarianten nach dem Zweifelsgrundsatz; rein spekulative Annahmen); niedrige Beweggründe beim Mord (natürliche Handlungseinheit); unberechtigte Annahme eines Beweisantrages ins Blaue hinein.

§ 212 StGB; § 211 StGB; § 261 StPO; § 52 StGB; § 244 Abs. 3 StPO

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Menschen, wie etwa deren Leben, einer additiven Betrachtungsweise, wie sie der natürlichen Handlungseinheit zu Grunde liegt, nur ausnahmsweise zugänglich. Greift daher der Täter einzelne Menschen nacheinander an, um jeden von ihnen in seiner Individualität zu beeinträchtigen, so besteht sowohl bei natürlicher als auch bei rechtsethisch wertender Betrachtungsweise selbst bei einheitlichem Tatentschluss und engem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang regelmäßig kein Anlass, diese Vorgänge rechtlich als eine Tat zusammenzufassen. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen eines außergewöhnlichen engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs willkürlich und gekünstelt erschiene, wie etwa bei zeitgleich und wechselweise erfolgenden Angriffen auf mehrere Opfer (vgl. zuletzt BGH, Beschl. vom 6. Juni 2008 - 2 StR 189/08 m.w.N.).

2. Zwar hat der Tatrichter bei der Prüfung dieses Mordmerkmals einen Beurteilungsspielraum, den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann. Rechtsfehlerhaft ist es jedoch, wenn die Prüfung dieses Mordmerkmals unterblieben ist, obwohl es nach den Umständen nahe lag. Bei Motiven wie Hass, denen eine Bewertung als niedrig - also als nach allgemeiner Anschauung verachtenswert und auf tiefster Stufe stehend - für sich allein nicht zukommt, kommt es darauf an, ob sie ihrerseits auf niedriger Gesinnung beruhen (st. Rspr.).

3. Einem Beweisbegehren muss nicht oder nur nach Maßgabe der Aufklärungspflicht nachgegangen werden, wenn die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und ohne begründete Vermutung für ihre Richtigkeit aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellt wurde, so dass es sich in Wahrheit nur um einen nicht ernst gemeinten, zum Schein gestellten Beweisantrag handelt. Ob ein Beweisantrag nur zum Schein gestellt ist, ist aus der Sicht eines „verständigen“ Antragstellers auf der Grundlage der von ihm selbst nicht in Frage gestellten Tatsachen zu beurteilen (st. Rspr., vgl. zuletzt zusammenfassend BGH StraFo 2008, 246 m.w.N.).


Entscheidung

89. BGH 4 StR 233/08 - Beschluss vom 8. Oktober 2008 (LG Frankfurt)

Rücktritt bei mehraktiven Versuchsgeschehen (unbeendeter Versuch; fehlgeschlagener Versuch: tragfähige Beweiswürdigung bei möglichen gegenteiligen Schlüssen; Freiwilligkeit; natürliche Handlungseinheit bei mehreren Tötungsversuchen); gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (benutztes Fahrzeug kein Tatobjekt).

§ 212 StGB; § 22 StGB; § 24 StGB; § 52 StGB; § 315b StGB

1. Bei einem mehraktigen Geschehen ist der Rücktritt hinsichtlich des ersten Tatabschnitts dann ausgeschlossen, wenn dieser als ein bereits fehlgeschlagener Versuch zu erachten ist (vgl. BGHSt 34, 53, 55; 41, 368, 369; 44, 91, 94). Von einem solchen, auch durch spätere Handlungen nicht mehr rücktrittsfähigen fehlgeschlagenen Versuch ist - bei aktivem Tun - jedoch nur dann auszugehen, wenn der Täter nach dem Misslingen des vorgestellten Tatablaufs zu der Annahme gelangt, er könne die Tat nicht mehr ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten oder anderen bereitliegenden Mitteln vollenden, so dass ein erneutes Ansetzen notwendig sei, um zum gewünschten Ziel zu gelangen (BGHSt 41, 368, 369 m.w.N.).

2. Auch mehrere Einzelakte, die auf die Tötung eines Menschen gerichtet sind, können – wenn sie von einem fortbestehenden Tötungsvorsatz verbunden sind – in einem derart unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, dass das gesamte Handeln des Angeklagten in diesen Handlungsabschnitten auch für einen Dritten als einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint (vgl. BGH NStZ 2005, 263; 2007, 399, jew. m. w. N.).

3. Die Gefährdung des vom Täter geführten, ihm aber nicht gehörenden Fahrzeugs scheidet aus dem Schutzbereich des § 315b StGB aus (vgl. BGHSt 27, 40).

II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

99. BGH 4 StR 485/08 – Beschluss vom 18. November 2008 (LG Saarbrücken)

Mangelnde Feststellungen für einen „Kontoeröffnungsbetrug“ (Betrug mit EC-Karten und Schecks; Vermögensschaden: schadensgleiche konkrete Vermögensgefährdung, POZ-System und POS-System).

§ 263 StGB; § 266b StGB

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar ein vollendeter Betrug schon dann vorliegen, wenn der Täter unter Vorlage eines gefälschten Personalausweises und Täuschung über seine Zahlungswilligkeit bei einer Bank ein Konto eröffnet und ihm – antragsgemäß – eine EC-Karte (Eurocheque-Karte) und Schecks ausgehändigt werden (vgl. BGHSt 47, 160, 167 m.w.N.). Jedoch betreffen diese Entscheidungen Fälle, in denen die Kartenzahlung oder die Einlösung des Schecks von der Bank garantiert wurde oder eine Rückgabe der Lastschrift nicht möglich war (BGH aaO S. 164 f.).

2. Diese Rechtsprechung ist jedoch insoweit nicht mehr aufrechtzuerhalten, als der garantierte Scheckverkehr in seiner gebräuchlichen Form zum 31. Dezember 2001 aufgegeben wurde und EC-Karten in Zahlungssystemen wie dem POZ-System eingesetzt werden, in denen die kartenausgebende Bank regelmäßig keine Garantie für die Zahlung übernimmt. Ein etwaiger Schaden durch die Kartenbenutzung tritt in diesen Fällen nicht bei der Bank, sondern beim jeweiligen Geschäftspartner ein (BGHSt 47, 160, 171).


Entscheidung

105. BGH 5 StR 344/08 - Beschluss vom 13. November 2008 (LG Berlin)

Sicherungsbetrug nach verjährter Untreue (mitbestrafte Nachtat; Strafzumessung); Strafzumessung beim Versuch.

§ 263 StGB; § 266 StGB; § 22 StGB; § 23 Abs. 2 StGB; § 46 StGB

1. Die Straflosigkeit von Sicherungsbetrugshandlungen folgt aus ihrem Charakter als mitbestrafter Nachtat. Ist die vorangegangene Vermögensstraftat verjährt, lebt die Strafbarkeit der eigentlich straflosen mitbestraften Nachtat (hier: eines versuchten Prozessbetruges) wieder auf.

2. Ist eine Tat ihrem Charakter nach ein Sicherungsbetrug, kann dies aber ein Strafzumessungsgesichtspunkt sein. Ebenso wie nachfolgende Betrugshandlungen zur Sicherung der Tatbeute sich bei der Ahndung der Haupttat strafschärfend auswirken, kann bei der isolierten Verfolgung des Sicherungsbetrugs zu Gunsten des Täters Berücksichtigung finden, dass der Vermögensschaden bereits durch eine verjährte Straftat vorher eingetreten war.


Entscheidung

22. BGH 2 StR 329/08 - Urteil vom 27. August 2008 (LG Bad Kreuznach)

Hehlerei; Betrug; Konkurrenzen (mitbestrafte Nachtat; Sicherungsbetrug).

§ 259 StGB; § 263 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB

1. Eine mitbestrafte Nachtat ist eine selbständige, den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllende rechtswidrige und schuldhafte Handlung, durch die der Täter den Erfolg der Vortat oder die durch diese erlangte Position sichert, ausnutzt oder verwertet. Sie bleibt straflos, wenn die Bewertung des konkreten Sachverhalts ergibt, dass dieser nachfolgenden, an sich strafbaren Handlung wegen ihres inneren - funktionalen - Zusammenhangs mit der (Vor-)Haupttat kein eigener Unwertgehalt zukommt, so dass auch kein Bedürfnis besteht, sie neben der Haupttat selbständig zu bestrafen.

2. Zwischen einer Hehlerei zum Nachteil des Bestohlenen einerseits und einem (versuchten) Betrug zum Nachteil des Erwerbers des Diebesguts, der hieran wegen § 935 BGB kein Eigentum erlangt, andererseits besteht Tatmehrheit. Der (versuchte) Betrug tritt schon deswegen nicht als mitbestrafte Nachtat zurück, weil sich die Taten gegen Rechtsgüter verschiedener Geschädigter richten.


Entscheidung

17. BGH 2 StR 286/08 - Beschluss vom 22. Oktober 2008 (LG Meiningen)

Gefährliche Körperverletzung (mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich); Täterschaft; Beihilfe.

§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB; § 25 StGB; § 27 StGB

Zwar kann das Zusammenwirken eines Täters mit einem Gehilfen zur Erfüllung des Qualifikationsmerkmals „mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich“ (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) ausreichen. Dies besagt jedoch nicht, dass in diesen Fällen der Gehilfe wegen der gemeinschaftlichen Begehungsweise als Mittäter zu bestrafen wäre. Vielmehr sind auch bei der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB die Tatbeiträge nach den allgemeinen Regeln abzugrenzen. Derjenige, der nur Unterstützungshandlungen für einen anderen ausführt, macht sich lediglich der Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung schuldig.


Entscheidung

102. BGH 4 StR 500/08 - Beschluss vom 25. November 2008 (LG Detmold)

Voraussetzungen der Tateinheit zwischen Betrug und Untreue (Treueverhältnis zum Zeitpunkt der Täuschung).

§ 266 StGB; § 263 StGB

Betrug und Untreue können nur dann tateinheitlich zusammentreffen, wenn der Täter bereits bei Vornahme

der Täuschung in einem Treueverhältnis im Sinne des § 266 StGB zu dem Getäuschten oder zu dem zu Schädigenden stand (vgl. BGHSt 8, 254, 260; BGH GA 1971, 83, 84). Ein solches Treueverhältnis ist nicht schon deshalb gegeben, weil es sich bei Geschädigten um enge Freunde oder langjährige Bekannte der Angeklagten handelt.


Entscheidung

90. BGH 4 StR 235/08 – Urteil vom 30. Oktober 2008 (LG Würzburg)

Körperverletzung mit Todesfolge (spezifischer Gefahrverwirklichungszusammenhang bei Todeseintritt durch Rettungsversuche); Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

§ 227 StGB; § 63 StGB

Der für § 227 StGB erforderliche spezifische Gefahrzusammenhang zwischen Verletzungsgeschehen und Todesfolge fehlt nicht schon dann, wenn zunächst nur eine Verletzung eintritt, die - für sich genommen - nicht lebensbedrohlich erscheint, sondern erst infolge des Hinzutretens besonderer Umstände zum Tode des Verletzten führt. Liegt der tatsächliche Geschehensablauf, der Körperverletzung und Todesfolge miteinander verknüpft, nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dann kann sich im Tod des Opfers jene Gefahr verwirklichen, die bereits der Körperverletzungshandlung anhaftete (vgl. BGHSt 31, 96, 100).


Entscheidung

87. BGH 4 StR 195/08 - Beschluss vom 4. November 2008 (LG Bochum)

Schwerer Parteiverrat (dieselbe Rechtssache; tatbestandliche Handlungseinheit); Beihilfe zum Betrug (keine Beihilfe nach Beendigung; Konkurrenzen); keine einheitliche Gesamtgeldstrafe.

§ 356 StGB; § 263 StGB; § 27 StGB; § 52 StGB; § 41 StGB

1. Ausschlaggebend für die Frage, ob ein Tätigwerden „dieselbe Rechtssache“ im Sinne des Parteiverratstatbestandes betrifft und es sich nur um eine Tat handelt, ist der sachlich-rechtliche Inhalt der durch das Mandat anvertrauten Interessen. Den maßgeblichen Anknüpfungspunkt hierfür bildet das dem Täter anvertraute materielle Rechtsverhältnis in seinem gesamten tatsächlichen und rechtlichen Gehalt. Dient der Täter in derselben Sache mehrfach pflichtwidrig derselben Partei, so liegt danach auch dann eine tatbestandliche Handlungseinheit vor, wenn der Täter in mehreren, zeitlich gestreckten Akten handelt.

2. Die Frage, ob Tatmehrheit oder Tateinheit vorliegt, ist für jeden Täter und Teilnehmer voneinander unabhängig und selbständig zu prüfen (vgl. BGHR StGB § 27 Abs. 1 Konkurrenzen 1). Danach ist der Gehilfe, der durch eine Handlung (oder Unterlassung) mehrere rechtlich selbständige Haupttaten fördert, nur einer Beihilfe im Rechtssinne schuldig.

3. Das Gesetz lässt eine einheitliche Geldstrafe als zusätzliche Sanktion für mehrere abgeurteilte Straftaten nicht zu. Vielmehr ist, wenn neben der jeweiligen Einzelfreiheitsstrafe eine Geldstrafe verhängt werden soll, dies für jede Tat gesondert zu entscheiden; aus mehreren Einzelstrafen ist sodann eine Gesamtgeldstrafe zu bilden (BGHR StGB § 41 Geldstrafe 2).


Entscheidung

56. BGH 3 StR 334/08 - Beschluss vom 30. Oktober 2008 (LG Mönchengladbach)

Gefährliche Körperverletzung (mittels eines hinterlistigen Überfalls); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB; § 64 StGB

1. Ein Überfall ist hinterlistig im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB, wenn der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht berechneten Weise vorgeht, um dadurch dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Täter dem Opfer mit vorgetäuschter Friedfertigkeit entgegentritt oder sich vor dem Opfer verbirgt und ihm auflauert oder sich anschleicht.

2. Hingegen genügt es nicht, wenn er für den Angriff auf das Opfer das Moment der Überraschung ausnutzt, etwa indem er plötzlich von hinten angreift.


Entscheidung

115. BGH 5 StR 506/08 – Beschluss vom 26. November 2008 (LG Potsdam)

Rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung beim Vorwurf der Vergewaltigung (widersprüchliche Erwägungen; Begriff der Gewalt); Nötigung (Drohung).

§ 177 Abs. 2 StGB; § 261 StPO

Gewalt gegen eine Person im Sinne der §§ 177, 178 StGB setzt eine nicht ganz unerhebliche, gegen den Körper des Opfers gerichtete Einwirkung voraus, die von diesem nicht nur als seelischer, sondern auch als körperlicher Zwang empfunden wird und die einen psychisch determinierten Prozess in Gang setzt; ein besonderer Kraftaufwand ist nicht erforderlich (BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 4 m.w.N.).


Entscheidung

34. BGH 2 StR 385/08 - Beschluss vom 1. Oktober 2008 (LG Frankfurt am Main)

Sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person (Körperkontakt; Widerstandsunfähigkeit).

§ 179 StGB a.F.

Die Feststellung der Widerstandsunfähigkeit im Sinne von § 179 Abs. 1 StGB ist eine normative Entscheidung, hinsichtlich derer sich der Tatrichter nicht ohne eigene Würdigung einem Sachverständigen anschließen darf. Die Feststellung, der Geschädigte sei „mittelschwer geistig behindert“, reicht für die Widerstandsunfähigkeit nicht aus; erst recht nicht der Umstand, dass das Opfer nicht lesen oder rechnen kann (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 172 f.; 2005, 232, 233; BGHR StGB § 179 Abs. 1 Widerstandsunfähigkeit).