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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2009
10. Jahrgang
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Von Rechtsanwalt Dr. Carsten Wegner, Berlin *
Die Entscheidung des BGH vom 28.10.2008 lenkt den Blick auf einen Bereich des Wirtschaftsstrafrechts, dem in der alltäglichen Praxis der Strafverfolgungsbehörden und der spezialisierter Verteidiger enorme Bedeutung zukommt, [1] der in der Gesetzgebungspraxis allerdings immer nur als Annex zum dominieren Insolvenz- oder Zivilrecht wahrgenommen wird. So finden sich z.B. in den Materialien zur einschneidenden Jahrhundertreform des Konkursrechts, die zum 1.1.1999 zur Einführung der Insolvenzordnung führte, keine Hinweise auf das Strafrecht; insbesondere die Frage, ob die insolvenzrechtlichen Krisenmerkmale der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit verbindlich durch das Insolvenzrecht vorgegeben sind, blieb ungeklärt. [2] Auch im Rahmen der aktuellen Reformdiskussion zum MoMiG [3] wurden kein strafrechtlicher Sachverstand hinzugezogen, wie etwa zutreffend von Bittmann [4] beklagt wird. Diese stiefmütterliche Behandlung sowie die vorbezeichnete Entscheidung des BGH sollen Anlass sein, auf einige aktuelle praxisrelevante Punkte im Insolvenzstrafrecht hinzuweisen. [5]
Mit der zum 1.1.1999 in Kraft getretenen Insolvenzordnung (InsO) hat der 24. Abschnitt des StGB die Überschrift "Insolvenzstraftaten" erhalten. Obwohl eine Reform des Konkursstrafrechts ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien nicht beabsichtigt war, hat die InsO weder das kernstrafrechtliche Insolvenzstrafrecht der §§ 283 ff. StGB noch das Insolvenzstrafrecht i.w.S. unberührt gelassen. Da die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgrund der seinerzeit neu geschaffenen Definitionen in (§§ 17 - 19 InsO) früher und leichter gegeben sind, als es zuvor für ein Konkurs-
verfahren der Fall war, könnte z.B. die objektive Strafbarkeitsbedingung des § 283 Abs. 6 StGB eher und häufiger erfüllt sein und somit zu einer Vorverlagerung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit führen. Darüber hinaus bestand die Gefahr, dass mit den gegenüber dem bisherigen Verständnis weitergehenden Legaldefinitionen der Insolvenzgründe in §§ 17 ff. InsO eine Ausweitung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit verbunden ist; dies betraf insbesondere die seinerzeit in den einzelnen gesellschaftsrechtlichen Gesetzen geregelten Tatbestände der Insolvenzverschleppung.
In der Rechtsprechung des BGH entspann sich zu dieser - unter dem Stichwort "Akzessorietät der insolvenzrechtlichen Krisenmerkmale - geführten Diskussion auf den ersten Blick ein Streit zwischen dem 1. und 5. Strafsenat des BGH. [6] Denn während der 5. Strafsenat in einem die Jahre 1999/2000 betreffenden Verfahren darauf hinwies, dass Zahlungsunfähigkeit nach der Rechtsprechung des BGH "das nach außen in Erscheinung tretende, auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, voraussichtlich dauernde Unvermögen des Unternehmens, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im Wesentlichen zu begleichen (BGHR GmbHG § 64 Abs. 1 Zahlungsunfähigkeit 1)" bedeute und damit ausdrücklich auf die zur Konkursordnung entwickelte Definition abstellte, erachtet der 1. Strafsenat ausdrücklich die Legaldefinitionen in §§ 17 ff. InsO auch für das Strafrecht für maßgeblich. [7] So sei nach § 17 Abs. 2 InsO derjenige Schuldner zahlungsunfähig, der nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Auf die Merkmale der "Dauer" und der "Wesentlichkeit" habe der Gesetzgeber der InsO bei der Umschreibung der Zahlungsunfähigkeit bewusst verzichtet, um der unter Geltung des alten Rechts (§ 102 KO) verbreiteten Neigung zu begegnen, den Begriff der Zahlungsunfähigkeit stark einzuengen und damit eine über Wochen oder sogar Monate fortbestehende Illiquidität zur rechtlich unerheblichen Zahlungsstockung zu erklären.
Ohne auf die Widersprüche zwischen den beiden Entscheidungen einzugehen oder diese gar ausdrücklich hervorzuheben, hat sich mit der hier zu besprechenden Entscheidung vom 28.10.2008 nunmehr auch der 5. Strafsenat dieser insolvenzakzessorischen Lösung angeschlossen (" Die Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO (vgl. dazu BGHR GmbHG § 64 Abs. 1 Zahlungsunfähigkeit 2) ist hier ausreichend - auch mit Blick auf das Geständnis des sachkundigen Angeklagten - durch die vom Landgericht angeführten "wirtschaftskriminalistischen Beweisanzeichen" (vgl. dazu …) für den Zeitraum ab Ende Juli 2001 belegt. "). Ob dem ein anderer Strafsenat des BGH noch einmal entgegentreten wird, scheint zweifelhaft.
Bewegung in die in den letzten Jahren sich mehr und mehr verfestigende Diskussion zu den insolvenzrechtlichen Krisenmerkmalen ist durch die aktuelle Krise auf dem Finanzmarkt gekommen, die zu erheblichen Wertverlusten insbesondere bei Aktien und Immobilien geführt hat. Dies hätte bei Unternehmen, die von diesen Verlusten besonders stark betroffen sind, zu einer bilanziellen Überschuldung i.S.v. § 19 InsO und somit auch zu insolvenzstrafrechtlichen Risiken führen können. Denn hätten diese Verluste nicht durch sonstige Vermögenswerte ausgeglichen werden können, waren die Geschäftsführer bzw. Vorstände nach dem bis zum 17.10.2008 geltenden Recht verpflichtet gewesen, unverzüglich, spätestens aber innerhalb von drei Wochen nach Eintritt dieser (rechnerischen) Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. Bei einem Unterlassen hätten auch sanktionsrechtliche Risiken gedroht.
Einer solchen insolvenzstrafrechtlichen Bewertung hätten auch nicht entgegengehalten werden können, dass für das Unternehmen eine positive Fortführungsprognose gestellt werden konnte und sich eine Besserung ("Turnaround") bereits in wenigen Monaten abzeichnete. Denn mit der Insolvenzrechtsreform des Jahres 1999 hatte sich der Gesetzgeber von dem bis dato praktizierten Überschuldungsbegriff [8] verabschiedet. Auch der BGH (Z) [9] weist daher in seiner inzwischen gesicherten Rechtsprechung darauf hin, dass für das neue Recht der zur Konkursordnung ergangenen Rechtsprechung des BGH zum sog. zweistufigen Überschuldungsbegriff "die Grundlage entzogen (ist)". Aus dem Aufbau der Norm des § 19 Abs. 2 InsO "folgt ohne weiteres, dass die Überschuldungsprüfung nach Liquidationswerten in Satz 1 den Regelfall und die nach Fortführungswerten in Satz 2, der eine positive Fortbestehensprognose voraussetzt, den Ausnahmefall darstellt". [10]
Nach dem - aufgrund der aktuellen Finanzkrise neu gebildeten - Willen des Gesetzgebers sollen Unternehmen demgegenüber künftig nicht mehr nach den o.a. strengen Regeln verpflichtet sein, sofort einen Insolvenzantrag zu stellen. Seit dem 18.10.2008 sieht § 19 InsO i.d.F. des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes [11] nunmehr wieder vor, dass eine Überschuldung (nur) vorliegt, "wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich" [12] . Die strenge Normstruktur, wie sie etwa in BGH ZIP 06, 2171 zum Ausdruck gekommen ist, ist damit hinfällig. Das prognostische Element (Fortführungsprognose) und das exekutorische Element (Bewertung des Schuldnervermögens nach Liquidationswerten) stehen künftig wieder gleichwertig nebeneinander. Dies führt dazu, dass eine - auch strafrechtlich relevante - Überschuldung dann nicht gegeben ist, wenn nach überwiegender Wahrscheinlichkeit die Finanzkraft des Unter-
nehmens mittelfristig zur Fortführung ausreicht. [13] In strafrechtlicher Hinsicht wird es sogar schon ausreichen müssen, dass eine solche Wahrscheinlichkeit nicht sicher ausgeschlossen werden kann.
Bemerkenswert an dieser gesetzgeberischen "Rolle rückwärts" ist nicht nur die Tatsache als solche, sondern vielmehr deren Begründung. Man wolle das "ökonomisch völlig unbefriedigende Ergebnis" vermeiden, dass auch Unternehmen, bei denen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie weiter erfolgreich am Markt operieren können, zwingend ein Insolvenzverfahren zu durchlaufen haben. Dieses Dilemma besteht jedoch - was verkannt wird - nicht erst seit der Finanzkrise des Jahres 2008; es wird auch absehbar wieder deutlicher in den Blick treten, denn in Art. 7 des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes ist geregelt, dass der zwischen dem 1.1.1999 und 31.10.2008 geltende und gerade erst abgelöste Überschuldungsbegriff ab dem 1.1.2011 wieder zu beachten ist. Alte Streitfragen und Probleme stellen sich dann wieder neu.
Nicht geregelt hat der Gesetzgeber die Frage, ob die beschuldigtenfreundlichen Maßstäbe des reformierten § 19 InsO auch auf solche Fälle anzuwenden sind, die zeitlich an sich unter dem alten - strengeren - Recht gelaufen und nun zeitlich nachgelagert in einem Ermittlungsverfahren aufzubereiten sind. Diese Frage ist nicht nur von dogmatischem Interesse; sie ist vor allem für diejenigen Betroffenen von erheblichem praktischem Interesse, die bislang - unzweifelhaft - gegen die sie verpflichtende Regelung verstoßen haben, einen Insolvenzantrag zu stellen, deren Handlungspflicht über die positive Fortführungsprognose seit dem 18.10.2008 aber entfallen ist. Sollte durch die Neuregelung - was nahe liegt - rückwirkend die an sich bereits einmal begründete insolvenzstrafrechtliche Strafbarkeit entfallen, so stellt sich zudem für die Strafverfolgungsbehörden die äußerst praxisrelevante Frage, welchen Wert in mühevoller Arbeit erstellte Gutachten der Wirtschaftsreferenten der Staatsanwaltschaft für anhängige Altfälle haben, in denen dem Aspekt der Fortführungsprognose nicht die (heute) notwendige Bedeutung beigemessen wurde. Es bedarf nicht viel Phantasie vorherzusagen, dass Verfahren, in den allein auf das Krisenmerkmal der Überschuldung abgestellt wird, in den kommenden Monaten vermehrt Lösungen nach den Opportunitätsgrundsätzen der §§ 153 ff. StPO zugeführt werden.
Aber selbst für die Fälle, in denen "nur" der Vorwurf der Insolvenzverschleppung wegen Zahlungsunfähigkeit im Raum steht, muss die Frage gestattet sein, welche Legitimation ein staatlicher Strafanspruch hat, über den - und sei es auch aus gesamtwirtschaftlichen Gründen - in einer für die meisten Abgeordneten inhaltlich kaum nachzuvollziehenden Nacht- und Nebelaktion disponiert wird und der bei einigen Betroffenen möglicherweise den Eindruck entstehen lässt: "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen." Auch dies sollte in den Blick genommen werden, wenn in den kommenden Monaten entschieden werden muss über Unternehmer, die in der wirtschaftlichen Krise vielleicht ihre Jahresabschlüsse um einige Monate verspätet aufgestellt oder Lohnzahlungen nicht um den sozialversicherungsrechtlichen Anteil gekürzt an ihre Arbeitnehmer ausgezahlt haben.
Hinzuweisen ist im Zusammenhang mit dem aktuellen Reformvorhaben durch das FMStG auf einen auf den ersten Blick etwas unscheinbaren Nebensatz, der allerdings eine immer wieder anzutreffende Kontroverse in der ermittlungsbehördlichen Praxis betrifft. Denn zwar ist unbestritten, dass sich die Frage einer vermögensrechtlichen Überschuldung i.S.v. § 19 InsO nur durch die Gegenüberstellung von sämtlichen Aktiva und Passiva zu einem bestimmten Stichtag beantworten lässt und deshalb regelmäßig eine spezielle Überschuldungsbilanz zu erstellen (sog. Überschuldungsstatus) [14] ist. In der strafrechtlichen Verfolgungspraxis wird allerdings vielfach in Abrede gestellt, dass in die vermögensrechtliche Betrachtung nicht nur die allgemein anerkannten stillen Reserven einzubeziehen sind, sondern auch ein "Firmenwert" sowie ein sog. "good will"; hiervon geht nun ganz ausdrücklich selbst der Gesetzgeber aus. [15]
Stellungnahmen der Verteidigung sollten diesen Bereich - in geeigneten Fällen - nicht scheuen, aufzugreifen. Denn wie schwer sich Ermittlungsbehörden mit komplexen Bewertungsfragen tun, wird deutlich an der Kritik Bittmanns [16] an den geplanten Änderungen im Zusammenhang mit dem Bilanzmodernisierungsgesetz (BilMOG).
Aus dem Bereich der zivilgerichtlichen Rechtsprechung zu den insolvenzrechtlichen Krisenbegriffen ist eine jüngere Entscheidung des BGH [17] hervorzuheben, in der darauf hingewiesen wird, dass im Hinblick auf die gravierenden Sanktionen - Strafbarkeit einer, ggf. auch nur fahrlässigen, Insolvenzverschleppung sowie zivilrechtliche Schadensersatzpflicht - und die Unsicherheit prognostischer Einschätzungen dem Vorstand oder Geschäftsführer bei der Feststellung der Überschuldung "ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzubilligen (ist)". Keinesfalls dürfe die Vermögenssituation des Unternehmens aus der Rückschau beurteilt werden, sondern es ist auf die Erkenntnismöglichkeiten des verantwortlichen Funktionsträgers in der konkreten Situation abzustellen.
Die Grenzen unternehmerischer Sorgfalt werden demgegenüber sehr deutlich aufgezeigt in einer aktuellen -
zivilrechtlichen - Entscheidung des OLG Oldenburg. [18] B ei Anzeichen einer wirtschaftlichen und finanziellen Krise einer GmbH habe ihr Geschäftsführer die Pflicht, sich durch Aufstellung eines Vermögensstatuts einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen und notfalls unter fachkundiger Prüfung zu entscheiden, ob eine positive Fortbestehungsprognose besteht. Verstoße er gegen diese Pflicht und habe er deswegen keine Kenntnis von der Überschuldung, handele er bezüglich der Unterlassung der Insolvenzantragspflicht mit bedingtem Vorsatz .
Anknüpfend an diese allgemeinen Grundlagen zum Insolvenzstrafrecht gewinnt ein weiteres gesetzliches Reformvorhaben an Interesse: das MoMiG. [19] Mit diesem seit dem 1.11.2008 in Kraft befindlichem Gesetz wurde in § 15a Abs. 1 InsO die Handlungspflicht zur Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtsformübergreifend normiert; gleichzeitig wurden alle einzelgesetzlichen Regelungen zur Insolvenzverschleppung gestrichen. Verpflichtet sind künftig "die Mitglieder des Vertretungsorgans". Im Fall der Führungslosigkeit (vgl. § 10 Abs. 2 S. 2 InsO) einer GmbH ist ferner jeder Gesellschafter, im Fall der Führungslosigkeit einer AG oder einer Genossenschaft auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Stellung des Antrags verpflichtet, es sei denn, diese Person oder dieses hat von der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis (§ 15a Abs. 3 InsO). Anknüpfend daran sanktionieren § 15a Abs. 4 und 5 InsO die Insolvenzverschleppung, so dass künftig unter bestimmten Voraussetzungen auch solche Personen in den Fokus der Ermittlungsbehörden gelangen können, die bislang nicht als tauglicher Täter einer Insolvenzverschleppung in Betracht gekommen sind.
Bestraft wird nach § 15a Abs. 4 und 5 InsO, wer einen Insolvenzantrag "nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig" stellt, so dass künftig auch Formfehler sanktioniert werden können. Ob dem allerdings tatsächlich eine praktische Relevanz zukommen wird, bleibt abzuwarten. Bedeutung gewinnen wird diese geänderte - und erweiterte - Legaldefinition tauglicher Tathandlungen aber sicherlich im Zusammenhang mit den gesellschaftsrechtlichen Sperrgründen (näher dazu Ziff. 8).
Die aktuelle Entscheidung des BGH vom 28.10.2008 betrifft die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Verantwortlicher verpflichtet ist, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Soweit das Gericht entschieden hat, dass der Liquidator nicht nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG [20] strafbar ist, wenn er nach Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse die Stellung eines Insolvenzantrags unterlässt, obwohl der in Liquidation befindlichen Gesellschaft mittlerweile neue Vermögenswerte zugefallen sind, die allerdings nicht ausreichen, die Insolvenzlage zu beseitigen, betrifft dies - abweichend vom insolvenzrechtlichen Normalfall - keine verschlechterte, sondern eine verbesserte Vermögenssituation des Insolvenzschuldners. Daran anknüpfend ist die streng am Wortlaut der Norm ausgerichtete Argumentation des BGH überzeugend, wonach nur dann eine Strafbarkeit entsteht, wenn Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit eintritt und der Liquidator die Stellung eines Insolvenzantrags unterlässt, nicht aber dann, wenn eine solche Antragspflicht allein aus vermögensrechtlichen Gründen wieder auflebt. [21] Zweifelhaft ist demgegenüber, ob die verfahrensrechtlichen Instrumente der InsO es angezeigt sein lassen, den Schuldner auch dann noch unter Strafbewehrung zur Antragstellung anzuhalten, wenn bereits ein Gläubiger einen entsprechenden Antrag gestellt hat. [22]
Weitere einschneidende Änderungen ergeben sich für eine Phase, die erst an die wirtschaftliche Krise bzw. deren insolvenzstrafrechtliche Aufbereitung anknüpft: die Ausschlussgründe in den gesellschaftsrechtlichen Gesetzen (vgl. z.B. § 6 Abs. 2 GmbHG). Schädlich sind künftig folgende Verurteilungen:
Diese Tatbestände treten zu den bislang normierten Ausschlussgründen der §§ 283 bis 283d StGB hinzu und erweitern so dass unternehmerische Risiko für Betroffene nicht unerheblich. Für den Betroffenen wirkt sich demgegenüber aus, dass abweichend von der bisherigen Regelung Verurteilungen wegen Fahrlässigkeit nicht in den Anwendungsbereich der Sperrregelung fallen.
Das sperrende Mindestmaß einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr greift nur für die in § 6 Abs. 2 Nr. 3 lit. e GmbHG angeführten Delikte (§§ 263 ff. StGB); [23]
im Übrigen ist jede Verurteilung ausreichend, ohne dass es auf das Strafmaß ankommt.
Nichts entnommen werden kann den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren, ob Gesamtstrafen, die das Mindestmaß des § 6 Abs. 2 Nr. 3 lit. e GmbHG überscheiten, Sperrwirkung entfalten können. Zwingend ausgeschlossen erscheint eine solche Sperre, wenn sie nur aus einem Zusammentreffen von sperrenden (z.B. §§ 263, 266a StGB) und nicht sperrenden (z.B. § 370 AO) Tatbeständen erreicht wird. Streit ist aber vor allem dann vorprogrammiert, wenn die Einzelstrafen an sich "sperrgeneigter" Tatbestände in der Summe die Mindeststrafe von einem Jahr übersteigen, die Festsetzung des Strafmaßes sich aber im Einzelnen nicht aufzulösen lässt. Erst recht zweifelhaft scheint eine Sperre dann, wenn als (höchste) Einsatzstrafe ein Delikt herangezogen wurde, das nicht in den Anwendungsbereich von Nr. 3 lit. e) fällt (z.B. die Steuerhinterziehung).
Unklar bleibt trotz des mehrjährigen Gesetzgebungsverfahrens auch, warum der Sperrgrund des § 6 Abs. 2 Nr. 3 lit. a GmbHG an das "Unterlassen der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Insolvenzverschleppung)" anknüpft, § 15a Abs. 4 und 5 jedoch sanktioniert, wenn ein Antrag "nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig" gestellt wurde. Hieraus kann - anknüpfend an den Wortlaut der Norm - nur folgen, dass Verurteilungen wegen einer (bloß) verspäteten Insolvenzverschleppung - und mag diese auch noch so lange angedauert haben - keine gesellschaftsrechtliche Inhabilität auslösen kann, sondern nur das (vollständige) Unterlassen des Antrags.
Verfahrenseinstellungen nach § 153a StPO oder §§ 154, 154a StPO lösen keine Sperre aus. Insoweit unterscheiden sich diese Regelungen von denen des z.B. Berliner Korruptionsregisters, das endgültige Einstellung nach § 153a StPO dafür heranzieht, dass der "erforderliche Nachweis des jeweiliges Rechtsverstoßes … als erbracht (gilt)". Eine vergleichbare - verfassungswidrige, da mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung nicht zu vereinbarende - Regelung findet sich auch in dem Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung eines Korruptionsregisters auf Bundesebene. [24] Aus sanktionsrechtlicher Hinsicht ist zu beachten, dass der Katalog tauglicher Anknüpfungstaten im Berliner Korruptionsregister zwar deutlich über das hinausgeht, was üblicherweise als "Korruption" erfasst wird;[25] insolvenzstrafrechtliche Tatbestände werden dort aber gegenwärtig noch nicht herangezogen. Anderes ist auf Bundesebene geplant; dort sollen - sperrende - Daten auch erhoben werden über " Verstöße gegen § 331 Nr. 1 des Handelsgesetzbuchs (Bilanzfälschung), § 64 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, § 92 des Aktiengesetzes (Insolvenzverschleppung)" [26] . Das Insolvenzstrafrecht würde um eine weitere Facette reicher werden.
Ein letzter gesetzgeberischer Akt, auf den an dieser Stelle aus insolvenzstrafrechtlicher Sicht hingewiesen werden soll, betrifft das FoSiG [27] vom 28.10.2008. Das - ehemals so genannten - Gesetz zur Sicherung von Bauforderungen (GSB) [28] ist vor 100 Jahren entstanden und stellte eine Reaktion auf die Erfahrungen der Gründer- und Nachgründerzeit dar. Namentlich Bauhandwerker litten seinerzeit unter unsoliden Verhältnissen auf dem Baumarkt. Sie waren gemäß § 641 Abs. 1 BGB vorleistungspflichtig, jedoch ohne nennenswerte Möglichkeit, ihre Werklohnforderung im Voraus absichern zu lassen. Auch § 648 BGB (Bauhandwerkersicherungshypothek) erwies sich als nicht ausreichend. Verwendete der Bauherr das ihm von Banken oder sonstigen Darlehensgebern zur Verfügung gestellte Geld anderweitig, blieben die Ansprüche der Handwerker vielfach nicht durchsetzbar. Das GSB kompensierte das Fehlen eines gesetzlichen Pfandrechts im Architekten- und Bauvertragsrechts und schaffte einen Ausgleich für den regelmäßig gemäß § 946 BGB erfolgenden Eigentumsverlust am Baumaterial an den Grundstückseigentümer. [29]
Die praktische Bedeutung des GSB bzw. des nunmehr Bauforderungssicherungsgesetz (BauFordSiG) liegt darin, in der Insolvenz des Baugeldempfängers eine deliktische Haftung des Bestellers oder seiner Vertreter zu begründen. §§ 1, 5 GSB a.F. bzw. § 1, 2 BauFordSiG n.F. eröffnen als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB [30] eine Art Durchgriffshaftung, wenn ein Auftragnehmer mit seiner Bauforderung ausfällt. Zwar ist der zivilrechtliche Anspruch dann wertlos, wenn z.B. der GmbH-Geschäftsführer und -Gesellschafter das finanzielle Schicksal des Unternehmens teilt; Erfahrungen in der Praxis zeigen jedoch, dass dies vielfach nicht der Fall ist. Das GSB gibt den betroffenen Bauunternehmen daher ein Druckmittel, ihre an sich gegen ein rechtlich selbständiges Unternehmen gerichtete Forderung durchzusetzen.
Bis zum 31.10.2008 waren neben den beiden Straftatbeständen (§§ 5, 6 GSB) nur noch die §§ 1 bis 3 GSB anwendbar. § 1 GSB verpflichtete den Empfänger von Baugeld, dieses ordnungsgemäß zur Befriedigung solcher Personen zu verwenden, die an der Herstellung des Baues aufgrund eines Werk-, Dienst- oder Liefervertrages beteiligt sind (Abs. 1 S. 1); Verstöße gegen die Baugeldverwendungspflicht wurden durch § 5 GSB sanktioniert. §§ 2, 3 GSB verpflichten denjenigen zur Führung eines Baubuchs, der die Herstellung eines Neu- oder Umbaus unternimmt und entweder Gewerbetreibender ist oder sich für den Neu- oder Umbau Baugeld gewähren lässt; Verstöße gegen die Buchführungspflicht wurden durch § 6 GSB sanktioniert. [31]
Die insolvenzstrafrechtlichen Bezüge des GSB ergaben sich daraus, dass eine Strafbarkeit gemäß § 5 neben der vorsätzlichen pflichtwidrigen Verwendung voraussetzte, dass der Baugeldempfänger seine Zahlungen eingestellt hat oder über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Darüber hinaus mussten die Baugläubiger zum Zeitpunkt dieser sich manifestierenden wirtschaftlichen Krise benachteiligt sein. Von der Systematik her handelt sich bei diesen Merkmalen um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit, wie sie aus §§ 283 ff. StGB bekannt ist. Teilweise wurde im Gesetzgebungsverfahren sogar erörtert, anstelle der §§ 5,6 GSB folgender § 283e StGB-E (Benachteiligung von Baugläubigern) zu schaffen und diesen ins Kernstrafrecht einzuführen:
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer als Empfänger von Baugeld bei Überschuldung oder bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit entgegen § 648b Abs. 1 Satz 1, auch in Verbindung mit Abs. 2 und 3, des Bürgerlichen Gesetzbuchs Baugeld nicht zur Befriedigung seiner Baugeldgläubiger verwendet.
(2) § 283 Abs. 6 gilt entsprechend.
Abweichend vom alten - und neuen (§ 2 BauFordSiG) - Recht war ein Handeln in der wirtschaftlichen Krise vorgesehen, so dass sich sämtliche Probleme und Streitfragen, die im Rahmen der Bankrottdelikte auftreten können, auch hier gestellt hätten stellen. Dieser Entwurf konnte sich aber nicht durchsetzen.
Künftig sind die strafrechtlichen Risiken in § 2 BauFordSiG (nur) durch die begriffliche Erweiterung des Baugeldbegriffs im Vergleich zur bisherigen Regelung in § 5 GSB ausgedehnt. Ob dies zu einer wahrnehmbaren Ausweitung entsprechender Ermittlungsverfahren führt oder ob die Anwendung der Normen auch weiterhin vor allem den Zivilgerichten vorbehalten bleibt, wird abzuwarten sein.
* Der Autor ist für die Kanzlei Krause - Lammer - Wattenberg tätig und Lehrbeauftragter der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
[1] Siehe nur die Zahlen in der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS) bzw. dem Zweiten Periodischen Sicherheitsbericht (2006) - abrufbar unter www.bka.de .
[2] Zur damit einhergehenden Diskussion siehe statt aller: Achenbach, Zivilrechtsakzessorietät der insolvenzstrafrechtlichen Krisenmerkmalse, in: GS Schlüchter (2002), S. 257; Bittmann, Zahlunfähigkeit und Überschuldung nach der Insolvenzordnung, wistra 1998, 321; 1999, 10; Erdmann, Die Krisenbegriffe der Insolvenzstraftatbestände (§§ 283 ff. StGB), (2007); Penzlin, Strafrechtliche Auswirkungen der Insolvenzordnung (2000) jeweils m.w.N.
[3] Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 28.10.2008, BGBl. I, S. 2026.
[4] Leitender Oberstaatsanwalt in Dessau-Roßlau und Herausgeber des Handbuchs Insolvenzstrafrecht (2004).
[5] Siehe auch die Rechtsprechungsübersicht zum Insolvenzstrafrecht von Rönnau NStZ 2003, 525.
[6] Beschluss vom 23.5.2007 - 1 StR 88/07, HRRS 2007 Nr. 603 = wistra 2007, 312; Urteil vom 19.4.2007 - 5 StR 505/06, HRRS 2007 Nr. 560 = wistra 2007, 308.
[7] Kritisch hierzu Wegner wistra 2007, 386.
[8] BGHZ 119, 201, 214.
[11] Gesetz für Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz - FMStG) v. 17.10.2008, BGBl. I, S. 1982.
[12] Näher dazu auch K. Schmidt, Überschuldung und Insolvenzantragspflicht nach dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz, DB 2008, 2467 ff.; Hirte/Knopf/Mock, Überschuldung und Finanzmarktstabilisierungsgesetz, ZInsO 2008, 1217 ff.; Holzer, Die Änderung des Überschuldungsbegriffs durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, ZIP 2008, 2108.
[13] BT-Drucks. 16/10600, S. 21.
[14] BGH HRRS 2005 Nr. 230 = StV 2005, 330.
[15] BT-Drucks. 16/10600, S. 21.
[16] wistra 2008, 441, BilMOG: Bilanzrechtsmodernisierung oder Gesetz zur Erleichterung von Bilanzmanipulationen.
[17] ZIP 2007, 276.
[19] S.o. Fn. 3.
[20] Die Entscheidung lässt sich ohne weiteres auf § 15a InsO übertragen.
[21] Die vom Autor in AchenbachRansiek, Hdb. Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. (2008), VII 2 Rdn. 41 vertretene Gegenansicht wird ausdrücklich aufgehoben.
[22] Näher dazu demnächst Beckemper in einer Anmerkung zu dieser Entscheidung, die in der GmbHR veröffentlicht werden wird. Siehe auch Wegner in: Achenbach/Ransiek, Hdb. Wirtschaftstrafrecht, 2. Aufl. (2008), VII 2 Rdn. 43.
[23] Weyand PStR 2008, 193, 194.
[25] Z.B. §§ 266a, 266, 265b, 264, 261 StGB, § 370 AO, §§ 15, 15a, 16 AÜG, §§ 5, 6 AEntG, §§ 8 bis 11 SchwarzArbBekG.
[26] Dies wäre - da der Entwurf vom 25.6.2008 datiert - anzupassen auf die aktuelle Reform durch das MoMiG.
[27] Gesetz zur Forderung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz), BGBl. I, S. 2022.
[28] RGBl. I (1909), S. 449.
[29] Schulze-Hagen NJW 1986, 2403, 2404; Lemme wistra 1998, 41, 43.
[30] St. Rspr. RGZ 84, 188, 190; BGH BauR 1991, 237, 238; OLG Dresden BauR 2002, 1871.
[31] Näher zu all dem Wegner in: Achenbach/Ransiek, Hdb. Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. (2008), VII 3 Rdn. 7 ff.