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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2009
10. Jahrgang
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Tonio Walter : Der Kern des Strafrechts; Die allgemeine Lehre vom Verbrechen und die Lehre vom Irrtum, 481 Seiten, Mohr Siebeck, Tübingen 2006.
Wenn der Titel eines Buches "Der Kern des Strafrechts" lautet, darf der geneigte strafrechtsinteressierte Leser einiges erwarten und freut sich auf seine Lektüre. Im hiesigen Fall steht hinter diesem Titel die gekürzt veröffentlichte Freiburger Habilitation von Tonio Walter, die von Tiedemann betreut wurde. Sie ist vergleichsweise untypisch für eine Habilitation angelegt, durchmisst sie doch zugleich die allgemeine Lehre vom Verbrechen, "Einzelfragen" wie zum Beispiel die Deliktseinteilungen oder den Vorsatzbegriff im Detail sowie schließlich die Irrtumslehre, die besonders eingehend behandelt wird. So wie Unkonventionalität allgemein kein Sacheinwand ist, verhindert diese Anlage auch hier nicht, dass ein sehr lesenswertes Buch entstanden ist. Nur streift und behandelt die Arbeit damit auch so viele Fragen, dass ein Rezensent von vornherein gezwungen ist, sich bei der Wiedergabe seiner Eindrücke auf einige wesentliche, offenbar auch für Walter besonders wichtige Fragestellungen zu konzentrieren. Die in vielem beachtlichen Positionierungen Walters können hier deshalb bei weitem nicht alle aufgeführt werden (was wiederum dafür spricht, das Buch selbst in die Hand zu nehmen!).
Im ersten Teil seiner Abhandlung (S. 9 bis 214) behandelt Walter die allgemeine Lehre vom Verbrechen, also
den Deliktsaufbau, der für ihn - so das Vorwort im Anschluss an Tiedemann - gemeinsam mit der Irrtumslehre den Kern des Strafrechts ausmacht. Darin positioniert sich Walter insbesondere zum Erfolg, als einem bei jedem Delikt vorhandenen strafrechtlichen Erfordernis (S. 16 ff. - mit beachtlicher Kritik gegen das Tätigkeitsdelikt), zum Handlungsbegriff (S. 25 ff. - Handlung als willensgetragenes Verhalten, das ein materielles Sorgfaltserfordernis verletzt) und zur Bedeutung des Tatbestandes im Vergleich zur Rechtswidrigkeit (S. 51 ff., mit der Maßgabe, dass das Strafrecht sich auf die Verletzung "gesellschaftswesentlicher Regeln" zu beschränken habe, S. 53). Anschließend legt er dar, was für ihn Unrecht (S. 81 ff.) und Schuld (S. 108 ff.) bedeuten. Walter betont gegen die heute dominierende Auffassung im Anschluss an eine Formulierung Bindings (S. 84), dass es ohne Schuld kein Unrecht gebe, da Unrecht ohne Schuld nur ein Naturereignis sein könne; die bisherigen Lehren hätten dies grundlegend verkannt (S. 80 ff., 123 ff. mit einer sehr zustimmungswürdigen Kritik der Lehre von den "speziellen Schuldmerkmalen"). Im Rahmen seiner Schuldbeurteilung setzt er sich kritisch mit der Strafbarkeit der Fahrlässigkeit auseinander (S. 128 ff.), die mit der von Natur aus fehlsamen "condition humaine" mindestens bei der leichten Fahrlässigkeit nicht zu vereinbaren sein soll (siehe aber auch in einem erklärungsbedürftig funktionalistischen Gegensatz S. 162, 311 f.). Im Anschluss an Roxin erkennt Walter ferner schuldunabhängige Strafausschließungsgründe insbesondere in den §§ 33, 35 StGB, für die er in seinem Verbrechensmodell die Kategorie der "Opportunitätsregeln" schafft (S. 134 ff.). Die Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit behandelt Walter sodann, um sich der Möglichkeitstheorie anzuschließen, nach der es eine bewusste Fahrlässigkeit nicht geben kann (S. 171 ff. - Vorsatz als Fahrlässigkeit plus geistiger Vorwegnahme des Erfolges).
Zusammenfassend entwirft Walter am Ende dieses ersten Teiles sein Verbrechensmodell (vgl. S. 196 ff. mit tabellarischem Überblick auf S. 211 ff.). Eine bessere und gerechtere Lösung als sie der status quo eröffne, liege darin, die Kategorien von Unrecht und Schuld zu fusionieren und folgendes, von ihm als das postfinalistische bezeichnete Verbrechensmodell zu verfolgen: Zunächst müsse und könne der Gesetzgeber Tatbestands- und Rechtfertigungsregelungen treffen, die dem Bürger strafrechtliche Verhaltenspflichten aufstellen (Stufe A. Unrecht und Schuld - 1. Tatbestand, 2. Rechtfertigung). Diese müsse der Bürger steuerungsfähig und bewusst missachten, um eine vorsätzliche Straftat zu begehen (Stufe A. Unrecht und Schuld - 3. Unrechtsbewusstsein und Steuerungsfähigkeit), wobei Rücktritt und tätige Reue Schuld und Unrecht ausschließen können sollen. Damit ist im Modell Walters der Vorsatz mit dem Unrechtsbewusstsein zu identifizieren, der klassische subjektive Tatbestand also aufzugeben. Besondere subjektive Unrechtsmerkmale sollen aber weiter im Tatbestand zu prüfen sein (S. 197, 201 ff.). Unter der Stufe B. seien die Opportunitätsregeln zu prüfen, die u.a. den (nicht länger) entschuldigenden Notstand und Fälle der Tatprovokation umfassen sollen. Soweit Opportunitätsregeln auf menschliche Schwäche Rücksicht nehmen, sollen Irrtümer nach dem Modell des § 35 Abs. 2 StGB beachtlich sein. Hinzu komme eine Prozessrechtsstufe (Stufe C.), die vor allem Verfahrenshindernisse umfassen soll.
Der zweite Teil der Abhandlung behandelt "Die Lehre vom Irrtum" (S. 217 ff.). Eingangs greift Walter sprachliche, gegenständliche und systematische Vorfragen der Irrtumslehre auf. Sodann behandelt er die Lehre vom Tatbestandsirrtum im Sinne des § 16 StGB (S. 241 ff.). Dabei werden insbesondere der "Irrtum mit Bezug auf Vorfeldnormen" (S. 253 ff.) und der Irrtum über den Kausalverlauf (S. 276 ff.) kritisch erörtert. Es folgt dann vor allem die Behandlung des Verbotsirrtums gemäß § 17 StGB (S. 302 ff.), bei der Walter insbesondere die oft verfehlte Annahme der Vermeidbarkeit durch die Rechtsprechung gut begründet rügt. Als Teil der Irrtumslehre sieht und behandelt die Arbeit auch die Strafbarkeit des Versuchs, bei der Walter die Geltung des "Umkehrprinzips" gegen Einwände verteidigt (S. 368 ff.). Zentrale Bedeutung haben die beiden letzten Kapitel: Besonders im vorletzten Kapitel bestreitet Walter die Abgrenzbarkeit von Tatbestands- und Verbotsirrtum (S. 389 ff.). Er sieht in ihr bzw. in der ihr zugrunde liegenden Schuldtheorie und in den sie ausprägenden Gesetzen §§ 16 und 17 StGB "den Kern des Strafrechts verfehlt" (S. 403). Er kritisiert § 16 StGB als "zu mild" (S. 407 ff.), weil er gänzlich unfähig sei, auf verschuldete, "hanebüchene" Irrtümer differenzierend zu reagieren, soweit er Straflosigkeit auslöse. Die Regelung des Verbotsirrtums in § 17 StGB sei schließlich aus mehreren Gründen und gerade im Vergleich zu § 16 StGB "zu hart" (S. 410 ff.). Die besseren Abgrenzungsversuche de lege lata, an deren Spitze für ihn offenbar die Lehre seines Lehrers Tiedemann steht (S. 427 f.), seien entweder nicht bestimmt genug oder durch das Gesetz unangemessen begrenzt, das letztlich einer unbegründeten Besserstellung von Wahrnehmungsirrtümern folge.
Folgerichtig schlägt Walter in seinem letzten Kapitel neue Lösungen vor, die zugleich sein Verbrechensmodell zur Umsetzung bringen, in dem keine Trennung zwischen Vorsatz und Unrechtsbewusstsein existiert. Er entwirft eine für den Rechtsanwender - wie er teilweise einräumt (S. 449) - sehr anspruchsvoll differenzierte Neuregelung der §§ 15 ff. StGB. Dabei schlägt er unter anderem - auch dies als Umsetzung von Erkenntnissen aus dem ersten Teil seiner Abhandlung - eine anschlusswürdige Strafrahmenherabsetzung für den dolus eventualis vor. Zum Irrtumsproblem schlägt Walter in seinem neuen § 17 StGB eine einheitliche Irrtumsregelung vor, die an ein Modell Tiedemanns für die EU-Verwaltungssanktionen anknüpft. Es soll nicht mehr länger nach dem Ursprung des Irrtums auf Tatbestands- oder Unrechtsebene oder nach Tat- oder Rechtsirrtum differenziert werden. Vielmehr soll bei der sog. Irrtumsfahrlässigkeit jeder mindestens mittelschwer fahrlässige Irrtum zu einer Strafbarkeit nach dem halbierten Vorsatzstrafrahmen führen (S. 446 ff.). Irrtumsfahrlässigkeit sieht Walter im Gegensatz zur sog. Erfolgsfahrlässigkeit als gegeben an, wenn dem Täter fahrlässig das Bewusstsein fehlt, Unrecht zu tun, obwohl er die äußeren Folgen seines Verhaltens voraussieht, welche die Merkmale eines Straftatbestandes erfüllen (S. 444, vgl. auch S. 173 ff.: der Täter kennt die möglichen Folgen seines Tuns, begreift sie aber aktuell nicht als tatbestandliches Ereignis). Erfolgsfahrlässigkeit meint Fälle, in denen dem Täter die Verursachung tatbestandlicher äußerlicher Folgen aktuell nicht bewusst ist. Damit wird also § 17 StGB de lege ferenda im Gegensatz zur derzeitigen Praxis gelockert, zu den Fällen des § 16 StGB
indes eine nicht unerhebliche Fahrlässigkeitsstrafbarkeit neu geschaffen (dies verteidigend vgl. S. 438 ff., 448 ff.). Mit letzterem greift Walter deliktsbezogen das u.a. von Binding erwogene crimen culpae abgewandelt auf (S. 438 ff.). So könnte etwa der Mord einmal vorsätzlich mit seinem üblichen Strafrahmen begangen werden, zum anderen aber auch irrtumsfahrlässig mit einem geminderten Strafrahmen, wenn der Täter z.B. verkennt, dass auch die Tötung eines Schlafenden Heimtücke begründen kann (S. 444). Für die Erfolgsfahrlässigkeit seien im Übrigen weiter - soweit vorhanden - die besonderen Tatbestände des Besonderen Teils und des Nebenstrafrechts heranzuziehen.
Die Arbeit Walters ist sehr leserfreundlich geschrieben, was angesichts der von ihm veröffentlichten, - ebenfalls empfehlenswerten - Anregungen zu einer leserfreundlichen und effektvollen Textabfassung (Kleine Stilfibel für Juristen, 2002) auch nicht überrascht. Die Schrift ist auch inhaltlich sehr anregend. Sie ist sehr meinungsfreudig, nimmt kein Blatt vor den Mund und zeugt dabei auch "im Umgang mit großen Namen" von einem gerüttelt Maß an Selbstvertrauen und Angriffslust. Dies könnte freilich dazu beitragen, dass etwaige Schwachpunkte der Arbeit Walters gerade von den Betroffenen ebenso deutlich angesprochen werden. Es finden sich zunächst im Einzelnen viele scharfsinnige Erörterungen, für die stellvertretend für viele neben den bereits bemerkten etwa die Kritik an der Jakobsschen Schuld- und vor allem Vorsatzlehre (S. 113 ff.) und an der Legitimation der heutigen Strafbarkeit auch einfacher Fahrlässigkeit (S. 128 ff.) zu nennen sind. Die Arbeit weiß in ihren analytischen Teilen besonders darin zu gefallen, dass sie Schwächen der herrschenden Abgrenzung von § 16 und 17 StGB gerade mit Blick auf Blankette und das Nebenstrafrecht schonungslos benennt (vgl. etwa S. 241 ff., 389 ff.). Dem vernichtenden Urteil der völlig fehlenden Abgrenzbarkeit der §§ 16 und 17 StGB (vgl. zur Abgrenzung nun auch näher LK/Vogel, 12. Aufl. [2006], § 16 Rn. 31 ff., 36 ff.; Gaede, Kommentierung der §§ 16, 17 StGB in: Matt/Renzikowski, StGB, im Erscheinen) vermag sich der Rezensent indes auch vor dem Hintergrund der von Walter zentral vorgeschlagenen aber noch kaum ausreichend abgesicherten Abgrenzung von Irrtums- und Erfolgsfahrlässigkeit doch nicht anzuschließen. Dabei erstaunt besonders, dass Walter, der letztlich die Bedenken an der Vereinbarkeit des § 17 StGB mit dem verfassungsmäßigen Schuldgrundsatz teilt und sogar eine aufhebende Entscheidung des BVerfG prognostiziert (S. 429), die Möglichkeiten einer verfassungskonformen Auslegung nicht selbst explizit auslotet und nur allgemein auf den insoweit mehrdeutig bleibenden Istzustand des geltenden Rechts verweist.
Skeptisch ist auch die neue Verbrechenslehre Walters im Übrigen zu betrachten: Die Fusion von Unrecht und Schuld bei Walter tendiert dazu, Differenzierungsleistungen der bisherigen Unterscheidung gerade auch mit Blick auf die Bewertung schuldlos begangener Handlungen Preis zu geben, an die auch das geltende Recht nicht unbegründet anschließt (vgl. etwa §§ 26, 27, 32, 34/35, 69, 323a StGB). Da auch die bisher ganz herrschende Meinung willensgetragenes, vorsätzliches oder fahrlässiges menschliches Verhalten im Unrecht voraussetzt, trifft die Kritik, die vorherrschenden Verbrechensmodelle würden das Unrecht allein als Naturereignis erfassen, in dieser Härte ihren "Gegner" wohl nicht. Teilt man die These der unmöglichen Abgrenzung von Vorsatz und Unrechtsbewusstsein nicht, ist auch die ermöglichte "Wiedervereinigung" dieser beiden Straftatkonstituenten kein zwingendes Argument für die vorgeschlagene Neuausrichtung. Auch soweit Walter zum Beispiel § 35 StGB als Opportunitätsregel deutet (etwa S. 213), der Rücktritt nun Schuld und Unrecht aufheben können soll (etwa S. 212) erwachsen Zweifel, ob das dem zugrunde Schuld- und Unrechtsverständnis wirklich zu überzeugen vermag. Sicher konnte Walter bei einem so umfassenden Neuentwurf nicht jedes Phänomen in jedem Detail in seinen Sinngebungen untersuchen. Es ist aber zum Beispiel zu bezweifeln, dass die "condition humaine" bei der Fahrlässigkeit zu Recht Unrecht und Schuld begrenzen soll, während die "Nachsicht mit menschlicher Schwäche" im Übrigen nur eine Frage der - den Gesetzgeber nicht bindenden - Opportunität außerhalb des Schuld- und Unrechtszusammenhangs darstellen soll. Die knappe Einordnung von Rücktritt und tätiger Reue als Schuld- und Unrechtsausgleich ohne nähere, überzeugende Diskussion der Sinngebungen von Rücktritt und tätiger Reue (S. 161, 202) wappnet sich ebenfalls nicht gegen Zweifel an der Stimmigkeit der im Einzelnen vorgeschlagenen Lösungen, die sich in der Summe auch gegen das Gesamtkonzept richten.
Hinsichtlich der Neuregelung der Irrtümer ist zu differenzieren. Ein relevanter Vorschlag liegt in der Neuregelung, soweit sie als Ersatz für § 17 StGB dient. Insoweit ist sie eine nähere Überprüfung durchaus wert, die sich um eine praktikabilitätserhöhende Verschlankung bemühen sollte. Dies gilt etwa deshalb, weil sich die Praxis gegen die Kritik an der Überstrenge des § 17 StGB schon lange überwiegend resistent zeigt (vgl. aber nun z.B. auch OLG Stuttgart NJW 2008, 243 ff.). Der Vorschlag könnte wie die bereits berichtete Strafrahmenverschiebung bei Fällen des dolus eventualis einen Vorteil gegenüber der heutigen Rechtslage darstellen. Nach ihr wird über die strenge Vermeidbarkeitsprüfung vieles von dem wieder gekappt, was durch die Grundlagenentscheidung BGHSt GS 2, 194 für das Schuldstrafrecht prinzipiell gewonnen wurde.
Soweit Walter aber die Rechtslage zu § 16 StGB mit der Folge einer Ausweitung der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit ändern will, kann ich mich dem nicht anschließen. Zu Recht ist die Fahrlässigkeitstrafe in § 15 StGB zunächst als Ausnahme behandelt (vgl. trotz der anderen Praxis im Umwelt- und Nebenstrafrecht richtig MünchKomm/Duttge, StGB, Band 1, 2003, § 15 Rn. 30 f.). Wenn § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB auch bei leichtfertigen Irrtümern und einem fehlenden Fahrlässigkeitstatbestand zur Straflosigkeit führt, bleibt ein im Einzelfall diskutables Unrecht doch immer ein Fahrlässiges. Es muss auch bei der sog. Irrtumsfahrlässigkeit nicht deshalb geradezu automatisch bestraft werden, weil der Vorsatz knapp aber letztlich eben doch nicht zu begründen war. Die gewünschte regelmäßige Freistellung von Wahrnehmungsfehlern korrigiert diese Logik allein nicht. Schnell müsste auch der Ruf nach der Bestrafung der mittelschweren und schweren Erfolgsfahrlässigkeit laut werden, hängt doch das Maß an Fahrlässigkeit nicht notwendig daran, ob unbewusste oder bewusste Fahrlässigkeit (nach Walter
im Wesentlichen die sog. Irrtumsfahrlässigkeit) vorliegt. Maßvoller ist hier der von Walter letztlich abgelehnte Vorschlag zugunsten einer Bestrafung leichtfertiger Tatbestandsirrtümer bei Verbrechen von Hörnle ZStW 112 (2000), 356 ff., wenn man ihn auf den Tatbestand des § 177 StGB beschränkt. Bei § 177 StGB erlangt die sog. Irrtumsfahrlässigkeit eine spezifische Bedeutung, und hier ist ein hohes Unrecht auch im Fahrlässigkeitsfall anzuerkennen. Der Vorschlag Walters würde hingegen eine beschränkte fahrlässige Sachbeschädigung und eine beschränkte fahrlässige Untreue schaffen, obgleich zum Beispiel bei der Untreue der Versuch straflos ist. Das überzeugt auch deshalb nicht, weil die bei Walter eingrenzend gedachte Abgrenzung zwischen mittelschwerer und leichter Fahrlässigkeit ebenfalls noch sehr klärungsbedürftig ist. Sie wird Betroffene kaum vor strafrechtlichen Ermittlungsverfahren in Fällen schützen, die sich am Ende als straflos erweisen mögen. Wenn Walter maßgebliche Bestimmtheitsprobleme seiner praktisch nicht erprobten Abgrenzung von Irrtumsfahrlässigkeit und Erfolgsfahrlässigkeit verneint, indem er insbesondere auf die geringere Bestimmtheit anderer Vorschläge verweist (S. 448), ist ihm einzuwenden, dass sein "Gegner" hier weniger andere und vielleicht weniger bestimmte Theorien sind. Er tritt vielmehr gegen das bisherige Gesetz an, soweit dieses beim Tatbestandsirrtum - zu dem es zweifelsfreie und sehr umfangreiche Fallgruppen gibt - bislang jenseits der BT-Tatbestände klar die Straflosigkeit verbürgt! Wer Strafbarkeit in erheblichem Umfang neu schaffen will, sollte doch höhere Maßstäbe an sich anlegen, als Walter sie in diesem Fall akzeptieren möchte.
Die zuletzt geäußerten Einschätzungen könnten den Eindruck hervorrufen, der Rezensent hätte die Arbeit Walters letztlich eher mit Bedenken als mit Gewinn aufgenommen. Dies aber wäre weit gefehlt! Die ambitionierte Arbeit legt Finger in Wunden, die sich - wie etwa die Rechtslage rund um den § 16 StGB - zunehmend durch kritische Beiträge öffnen. Den aufgeworfenen Problemen wird man sich in Zukunft mit (weiteren) Argumenten stellen müssen. Schon heute wird zum Beispiel de lege lata (!) vorgeschlagen, auf die aktuelle Tatumstandskenntnis unter Umständen auch für die Vorsatzstrafe (!) zu verzichten (vgl. Jakobs ZStW 114[2002], 584 ff. und unabhängig von seiner Lehre z.B. Rinck, Der zweistufige Deliktsaufbau[2000], S. 381 ff.). Selbst die Trennung von Unrecht und Schuld ist nicht gleichsam sakrosankt (vgl. etwa auch die differenzierenden Überlegungen von Pawlik, FS Otto, S. 133 ff. und Renzikowski, in: Matt/Renzikowski aaO, Vor § 13 Rn. 39 f. im Erscheinen). Die sehr gut lesbare Studie Walters ist zu diesen und zu anderen Fragen über den gesamten Straftataufbau hinweg und besonders zu Irrtumsfragen in hohem Maße anregend. Sie befördert das Denken über Schuld und Unrecht beträchtlich, gerade weil sie hinsichtlich des aktuellen Meinungsstandes überaus kundig geschrieben ist und in vielem über ihn hinausgeht. Und sollten tatsächlich noch Fragen zu Unrecht, Schuld und Irrtümern nach Walter offen geblieben sein, dann hat dies gewiss auch etwas beruhigendes, kann sich der interessierte strafrechtliche Leser doch weiterhin auch selbst auf die spannende Suche nach dem "Kern des Strafrechts" begeben.
Wiss. Ass. Dr. Karsten Gaede, Bucerius Law School Hamburg
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