HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 115
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 506/08, Beschluss v. 26.11.2008, HRRS 2009 Nr. 115
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 29. April 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung und wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht mehr an.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Der Angeklagte lernte im August 2006 während einer Feier eines Freundes die damals 20 Jahre alte Nebenklägerin kennen. Sie ist leicht intelligenzgemindert und hat nur ein geringes Selbstwertgefühl. Ihre Kritikfähigkeit ist gemindert und ihre Fähigkeit, die Gedanken und die Gefühlswelt der sie umgebenden Menschen zu begreifen, herabgesetzt. Die junge Frau lieh dem Angeklagten mehrfach Geld. Dieser hielt während mehrerer Treffen mit ihr die gegebenen Versprechen, das Geld zurückzuzahlen, nicht ein. Der Angeklagte veranlasste die Nebenklägerin entgegen deren geäußertem Unwillen bei einem seiner Besuche zur Vornahme des Oralverkehrs. Davon erzählte sie der Zeugin R. und auch davon, dass sie sich in den Angeklagten "verguckt" habe und nicht wisse, wie sie sich ihm gegenüber verhalten solle (UA S. 14). Während eines weiteren Besuches führte der Angeklagte bei der Nebenklägerin gegen deren Willen den Analverkehr aus.
b) Der Angeklagte gab auch am Tattag, dem 10. Dezember 2006, gegenüber der Nebenklägerin vor, seine sich inzwischen auf 150 Euro belaufenden Schulden zurückzahlen zu wollen. Er wartete indes nicht die vereinbarte Besuchszeit ab, sondern überraschte die wegen Alkoholkonsums in der Nacht zuvor noch verschlafene Nebenklägerin bereits um 10.00 Uhr. "Der Angeklagte folgte der Nebenklägerin in ihr Schlafzimmer, setzte sich neben sie aufs Bett und betastete ihre Brüste und ihre Scheide unter der Schlafbekleidung, obwohl sie ihm sagte, er solle damit aufhören, da sie das nicht wolle.
Sie versuchte vergeblich, ihn mit beiden Händen von sich fernzuhalten und aufzustehen. Darauf drückte er sie kraftvoll aufs Bett nieder, entkleidete sie und betastete sie am ganzen Körper" (UA S. 6).
Nach einer gemeinsamen Rauchpause auf der Wohnzimmercouch stand der Angeklagte auf, ließ seine Hose herunter und legte seinen Penis in die Hand der Nebenklägerin, deren eigene Hand er mit seiner Hand führte.
Die Nebenklägerin verweigerte den vom Angeklagten verlangten Handverkehr und den nachfolgend geforderten Oralverkehr. Er strich mit seinem Penis an ihrem Gesicht entlang, "drückte sie unversehens kraftvoll zurück, nahm ihre Beine nach oben und führte eine leere Whiskyflasche ... in ihre Scheide ein, wo er sie hin und her bewegte" (UA S. 7). Er drückte ihre Beine auseinander und vollzog an ihr den Geschlechtsverkehr.
c) Das Landgericht stützt seine Feststellungen auf die als glaubhaft erachteten Aussagen der Nebenklägerin und hält die Einlassung des Angeklagten - freiwilliger vaginaler Geschlechtsverkehr - für widerlegt.
2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der beiden als Vergewaltigung ausgeurteilten Taten hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Die Begründung der Reihenfolge dieser beiden Taten beruht auf widersprüchlichen Erwägungen (vgl. BGH NJW 2007, 384, 387; insoweit nicht in BGHSt 51, 144 abgedruckt).
Das Landgericht folgt insoweit der Tatschilderung, wie sie die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung bekundet hat (Penetration Flasche, vaginaler Geschlechtsverkehr). Während ihrer polizeilichen Zeugenvernehmung hatte die Nebenklägerin die Vorgänge in umgekehrter Reihenfolge (vaginaler Geschlechtsverkehr; Penetration Flasche) berichtet. Das Landgericht hat "aber ein derart geringfügiges Abweichen von ihrer ursprünglichen Schilderung für unerheblich" gehalten "und nicht für eine Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit der Zeugin" (UA S. 10). Nach Auffassung des referierten Glaubhaftigkeitsgutachtens seien leichte Inkonsistenzen in der Handlungsabfolge mit gedächtnispsychologischen Phänomenen zu erklären. Danach hat das Landgericht in der Sache die von der Nebenklägerin während der polizeilichen Vernehmung geschilderte Reihenfolge der Taten als die glaubhaftere Version angesehen, seinem Urteil aber - dem widersprechend - den in der Hauptverhandlung bekundeten Tatablauf zugrunde gelegt. Die Reihenfolge der Vornahme der Tathandlungen war indes wesentlich. Dies gilt insbesondere, weil auch die Plausibilität der geschilderten Gewalteinwirkungen im Zusammenhang mit dem sexuellen Geschehen hätte bewertet werden müssen.
Dem Landgericht war es deshalb untersagt, hierzu aufgetretene Widersprüche dem nicht maßgeblichen Randgeschehen zuzuordnen (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung, widersprüchliche 1).
b) Auch der Schuldspruch wegen sexueller Nötigung hat keinen Bestand. Die Aufhebung der Feststellungen ist auch insoweit wegen der erforderlichen neuen Aufklärung und Bewertung der hauptsächlichen Tatvorwürfe geboten. Die Bewertung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin ist insofern untrennbar und deshalb insgesamt neu vorzunehmen.
3. Für die neu durchzuführende Hauptverhandlung bemerkt der Senat:
a) Der neue Tatrichter wird die Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung der maßgeblichen Indizien (vgl. BGHSt 44, 153, 158 f.; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 3) zu bestimmen haben. Dabei wird auch auf den Umstand abzustellen sein, dass die Nebenklägerin den ersten Oralverkehr mit dem Angeklagten gegenüber der Zeugin R. zunächst ersichtlich als freiwillig vollzogen bewertet hat; die Tathandlungen des Angeklagten hatte sie gegenüber Offenbarungszeugen nicht als unter Einsatz von Gewalt erzwungen, sondern als gegen ihren Willen vorgenommen geschildert.
b) Das bisher erstattete Glaubhaftigkeitsgutachten, das der Strafkammer lediglich "nachvollziehbar erscheint" (UA S. 12), ist nach dessen Darstellung durch das Landgericht nicht geeignet, die Aussage der Nebenklägerin wesentlich zu stützen (vgl. BGHSt 45, 164, 178 f.). Die allgemein gehaltenen, die Einschätzung des Vaters der Nebenklägerin nicht aufgreifenden Darlegungen und die Wertung, es sei "wahrscheinlich, dass die Angaben der Nebenklägerin über die in Frage stehenden Handlungen grundsätzlich auf einem realen Erlebnishintergrund beruhen" (UA S. 12), leisten keinen Beitrag zur Klärung der hier maßgeblichen, eher schwierig zu beurteilenden Frage, ob der vom Angeklagten eingeräumte vaginale Geschlechtsverkehr unter Gewaltanwendung durchgeführt und von ihm die Flasche gewaltsam in die Vagina der Nebenklägerin eingeführt worden ist.
c) Der neue Tatrichter wird bei seiner Subsumtion darauf Bedacht zu nehmen haben, dass Gewalt gegen eine Person im Sinne der §§ 177, 178 StGB eine nicht ganz unerhebliche, gegen den Körper des Opfers gerichtete Einwirkung voraussetzt, die von diesem nicht nur als seelischer, sondern auch als körperlicher Zwang empfunden wird und die einen psychisch determinierten Prozess in Gang setzt; ein besonderer Kraftaufwand ist nicht erforderlich (BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 4 m.w.N.). Nach den bisherigen Feststellungen hat der Angeklagte bei den beweiswürdigend zu seinen Lasten mit verwerteten nicht angeklagten Sexualhandlungen keine Gewalt angewandt. Es ist offen geblieben, ob und welche Gewalt nötig war, um den von der Nebenklägerin im Rahmen der Beweiswürdigung mitgeteilten "nach ihren Kräften geleisteten Widerstand" zu überwinden (UA S. 6).
d) Der bisher festgestellte sehr geringe Widerstand der Nebenklägerin und deren eher allgemein bekundeter Abwehrwille ("in Ruhe lassen" UA S. 7) werden eine genauere Feststellung des inneren Tatbestandes erfordern (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 8 m.w.N.; Fischer, StGB 55. Aufl. § 177 Rdn. 51, 52, 54).
e) Sollte festgestellt werden, dass die Einführung der Flasche unter fortwirkender, zur Durchführung des vaginalen Geschlechtsverkehrs angewandter Gewalt ausgeführt worden ist, wäre die Annahme von Tateinheit naheliegend (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 356; Fischer aaO Vor § 52 Rdn. 28).
Bei nicht erwiesener Gewalt wäre zu prüfen, ob in dem Einführen der Flasche wegen des hohen Verletzungsrisikos eines dagegen gerichteten Widerstandes zugleich die Drohung zu sehen ist, das Opfer zu verletzen, falls es die Penetration nicht erduldet. Das Einführen der Flasche in die Vagina der Nebenklägerin könnte unter diesem Gesichtspunkt als Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 StGB, bzw. - abhängig von dem Maß der konkludent angedrohten körperlichen Beeinträchtigung (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8 und 13) - als Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1 Nr. 2 Abs. 2 Nr. 1 StGB strafbar sein. Eine Anwendung des § 240 Abs. 4 Nr. 1 StGB schiede jedenfalls aus, weil das Gesetz insoweit das Erdulden einer sexuellen Handlung nicht erfasst (Fischer aaO § 240 Rdn. 59 m.w.N.).
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 115
Bearbeiter: Karsten Gaede