HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2024
25. Jahrgang
PDF-Download

Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Schillernde Normativierung: Das Bundesverfassungsgericht und die Beruhensprüfung bei Verstößen gegen § 243 Abs. 4 StPO

Zugl. Anm. zu BVerfG HRRS 2024 Nr. 231

Von RA Dr. Sebastian Seel, Berlin[*]

A. Einleitung

Der im Rahmen dieses Beitrags zu besprechende aktuelle Beschluss des Bundesverfassungsgerichts behandelt im Schwerpunkt eine Frage, die schon Gegenstand früherer verfassungsgerichtlicher Entscheidungen war: Wie ist ein zentraler Begriff des Revisionsrechts, nämlich das Beruhen des Urteils auf einer Gesetzesverletzung (§ 337 Abs. 1 StPO), bei Verstößen gegen die Mitteilungspflicht gemäß § 243 Abs. 4 S. 1, 2 StPO zu verstehen? Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die dem aktuellen Beschluss vorausgegangen sind, haben ein normatives Element in die Beruhensprüfung eingeführt. Der Bundesgerichtshof ist nach einiger Gegenwehr des dritten Strafsenats[1] den verfassungsrichterlichen Vorgaben grundsätzlich gefolgt. Welcher Stellenwert dem normativen Element bei der Beruhensprüfung zukommt, hat das Bundesverfassungsgericht allerdings in seinen bisherigen Entscheidungen nicht eben klar formuliert. In der Literatur ist die Normativierung der Beruhensprüfung ganz überwiegend auf Ablehnung gestoßen.

Im Folgenden werde ich zunächst die Entwicklungen zum normativen Element der Beruhensprüfung in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts herausarbeiten und auf die Rezeption dieser Rechtsprechung durch den Bundesgerichtshof und die strafrechtliche Literatur eingehen. Auf dieser Grundlage soll der aktuelle Beschluss des Bundesverfassungsgerichts analysiert und zugleich diskutiert werden, inwieweit sich die schon zuvor gegen eine Normativierung der Beruhensprüfung erhobenen Einwände auch diesem Beschluss entgegenhalten lassen.

B. Die bisherigen Entwicklungen

I. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung vor dem aktuellen Beschluss

1. Ausführungen zum Beruhen im Absprachenurteil von 2013

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Absprachenurteil aus dem Jahr 2013 mehrere grundsätzliche Aussagen zur Beruhensfrage bei Verstößen gegen die mit dem Verständigungsgesetz eingeführten Transparenz- und Dokumentationsvorschriften getroffen. Die Regelungen zu Absprachen im Strafprozess sind danach "als eine untrennbare Einheit aus Zulassung und inhaltlicher Beschränkung von Verständigungen bei gleichzeitiger Einhegung durch die Mitteilungs-, Belehrungs- und Dokumentationspflichten zu begreifen".[2] Für dieses Konzept seien die Transparenz- und Dokumentationspflichten zentral, weil sie die vom Gesetzgeber intendierte umfassende Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit sicherten und damit der Gefährdung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an den Strafprozess entgegenwirkten.[3] Eine unter Verstoß gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten zustande gekommene Verständigung sei grundsätzlich rechtswidrig. Folge ein Gericht einer solchen Verständigung, sei ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensfehler grundsätzlich nicht auszuschließen, "weil die Verständigung, auf der das Urteil beruht, ihrerseits mit einem Gesetzesverstoß behaftet" sei.[4] Dem stehe nicht entgegen, dass Verstöße gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten nicht als absolute Revisionsgründe geregelt worden seien, weil der Gesetzgeber diesen Pflichten zentrale Bedeutung zugewiesen habe.[5] Auch

wenn eine Verständigung nicht zustande gekommen sei, müsse nach dem Zweck der Absprachenregelungen bei Verstößen gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten grundsätzlich von einem Beruhen des Urteils auf dem Gesetzesverstoß ausgegangen werden, weil sich dann regelmäßig eine informelle Absprache oder darauf abzielende Gespräche als Urteilsgrundlage nicht ausschließen ließen. Anders sei es nur dann, wenn sicher feststehe, dass es keine auf eine Verständigung bezogenen Gespräche gegeben habe.[6] Im Kontrast zu den umfangreichen Ausführungen zum Beruhen ist in dieser Entscheidung die Verbindung zwischen dem Grundrecht auf ein faires Verfahren, der Vorschrift des § 243 Abs. 4 StPO und der Beruhensprüfung nur zu erahnen.[7]

2. Nähere Ausführungen zum normativen Element der Beruhensprüfung in nachfolgenden Kammerbeschlüssen

In zwei im Jahr 2015 veröffentlichten Kammerbeschlüssen hat das Bundesverfassungsgericht seine Position zur Beruhensfrage bei Verstößen gegen § 243 Abs. 4 StPO näher ausgeführt. Beide Beschlüsse benennen beim verfassungsrechtlichen Maßstab das Grundrecht auf ein faires Verfahren und gehen dann sehr ausführlich auf die mit den Transparenz- und Dokumentationspflichten im Verständigungsgesetz bezweckte Kontrolle durch die Öffentlichkeit ein. Die auch in Art. 6 Abs. 1 EMRK normierte Kontrolle durch die Öffentlichkeit sei vom Rechtsstaatsprinzip umfasst und von maßgeblicher Bedeutung für die Demokratie. Im Zusammenhang mit Verständigungen im Strafprozess, denen von vornherein ein Element der Intransparenz anhafte, sichere diese Kontrolle "das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit des Staates, mittels einer wirksamen Strafverfolgung öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten und Gerechtigkeit im Einzelfall sowie eine gleichmäßige Behandlung aller zu garantieren".[8] Die Ausführungen zum Zusammenhang zwischen der öffentlichen Kontrolle und dem Grundrecht auf ein faires Verfahren fallen in beiden Beschlüssen dagegen sehr knapp aus: Die Transparenzvorschriften schützten den Angeklagten vor geheimen Allianzen zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung und wirkten sachfremden Einflussnahmen entgegen. Intransparente Absprachen gefährdeten das Schuldprinzip samt der darin enthaltenen Pflicht zur Wahrheitserforschung und das Recht auf ein faires Verfahren und seien deshalb verboten.[9]

Wie aber sieht nun angesichts dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben die Beruhensprüfung bei Verstößen gegen die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO aus? Prüft ein Revisionsgericht das Beruhen allein hinsichtlich einer Auswirkung des Verstoßes auf das Aussageverhalten des Angeklagten, so verkennt es laut dem Bundesverfassungsgericht den Aspekt der Kontrolle durch die Öffentlichkeit, wobei diese Kontrolle auch dem Schutz des Angeklagten in seinem Grundrecht auf ein faires Verfahren dient.[10] Danach erhält die Beruhensprüfung ein normatives Element. Allerdings bleibt das genaue Verhältnis zwischen klassischer, nach einem Kausalzusammenhang fragender Beruhensprüfung und diesem normativen Element in beiden Kammerbeschlüssen dunkel. Unglücklich erscheint die folgende Formulierung, die sich wortgleich in beiden 2015 veröffentlichten Beschlüssen findet: "Dieser Schutzgehalt des § 243 Abs. 4 StPO, der unabhängig vom Aussageverhalten des Angeklagten Geltung beansprucht, hätte bei der Beruhensprüfung Berücksichtigung finden müssen."[11] Es ist unklar, was "Berücksichtigung finden" in diesem Zusammenhang heißt. Wenn die Kontrolle durch die Öffentlichkeit "unabhängig" von einem Einfluss auf das Aussageverhalten "Geltung beansprucht", dann müsste es eigentlich auch ein rein normatives Beruhen geben können. "Berücksichtigung finden" könnte aber auch meinen, dass das normative Element lediglich ergänzend neben einer herkömmlichen Kausalitätsprüfung heranzuziehen ist, wobei dann das Verhältnis beider Elemente der Beruhensprüfung weiter unklar wäre. Schwammig sind auch die weiteren Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur normativen Seite des Beruhens, wonach "die Beruhensprüfung gegebenenfalls um normative Aspekte anzureichern" ist, "die über eine reine Kausalitätsprüfung hinausgehen".[12] Das liest sich ganz so, als bilde eine reine Kausalitätsprüfung stets den Ausgangspunkt und sei lediglich in einigen Fällen normativ zu ergänzen. Wie das zu den vorangehenden Ausführungen passen soll, wonach der normative Aspekt der Kontrolle durch die Öffentlichkeit "unabhängig vom Aussageverhalten des Angeklagten Geltung beansprucht", erschließt sich nicht.

Jedenfalls soll nicht bei jedem Verstoß gegen § 243 Abs. 4 StPO das Urteil auf diesem Verstoß beruhen. Da Verstöße gegen § 243 Abs. 4 StPO nicht als absolute Revisionsgründe normiert worden seien, könnten die Revisionsgerichte Art und Schwere des Verstoßes bei der Beruhensprüfung berücksichtigen, ebenso den Inhalt des jeweiligen Gesprächs. Lasse sich im konkreten Fall ohne Zweifel ausschließen, dass das Gespräch auf eine gesetzwidrige Absprache gerichtet war, dürfe das Beruhen verneint werden.[13] In einem späteren Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht auch den Umstand, dass der Angeklagte umfassend über ein Verständigungsgespräch informiert war, für berücksichtigungsfähig erklärt, dabei aber mit dem Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, dass eine nichtrichterliche Mitteilung eine richterliche Mitteilung in der Hauptverhandlung grundsätzlich nicht ersetzen könne.[14]

II. Rezeption der bisherigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung

Der Bundesgerichtshof ist dem Bundesverfassungsgericht bei der zumindest teilweisen Normativierung der

Beruhensprüfung grundsätzlich gefolgt.[15] Eine Ausnahme bildet eine kämpferische Entscheidung des dritten Strafsenats aus dem Jahr 2016, die eine Reihe auch in der Literatur erhobener Einwände gegen eine solche Normativierung vorgebracht hat.[16]

In der Literatur sind die verfassungsrichterlichen Ausführungen zum Beruhen bei Verstößen gegen § 243 Abs. 4 StPO auf starke Kritik gestoßen: Das Bundesverfassungsgericht habe die Grenzen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens mit einer umfassenden Auslegung einfachen Rechts überschritten.[17] Die verfassungsrechtliche Grundlage für eine Normativierung der Beruhensprüfung sei unklar.[18] Die grundsätzlichen Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zum Beruhen seien zirkulär.[19] Das Bundesverfassungsgericht habe entgegen der gesetzlichen Differenzierung zwischen relativen und absoluten Revisionsgründen in §§ 337338 StPO einen neuen absoluten Revisionsgrund eingeführt.[20] Damit habe es den gängigen Beruhensbegriff preisgegeben.[21] Dabei könnten normative Erwägungen bei dogmatisch konsequenter Betrachtung nicht relevant werden, wenn schon ein Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensverstoß und Urteil fehle.[22] Zuletzt müsse man angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Verstößen gegen andere Verfahrensnormen wie § 136a StPO, die noch höherrangige Verfassungsgrundsätze schützten, die Beruhensprüfung ebenfalls normativieren. Hier finde aber ganz unstreitig eine klassische Beruhensprüfung statt.[23] Auf diese Einwände wird bei der Diskussion des aktuellen Beschlusses zurückzukommen sein.

C. Der aktuelle Beschluss

I. Argumentative Struktur

Das Bundesverfassungsgericht knüpft in seinem aktuellen Beschluss an seine bisherige Rechtsprechung zum normativen Element der Beruhensprüfung an. Erneut nennt es als rechtlichen Anknüpfungspunkt das Grundrecht auf ein faires Verfahren, um dann ausführlich die Bedeutung der Kontrolle durch die Öffentlichkeit für ganz andere verfassungsrechtlich geschützte Prinzipien und Güter darzulegen: für die Wahrheitserforschungspflicht, das Schuldprinzip und ein verfassungsrechtlich schwer greifbares "Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit des Staates, mittels einer wirksamen Strafverfolgung öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten und Gerechtigkeit im Einzelfall sowie eine gleichmäßige Behandlung aller zu garantieren". Nur in einem Halbsatz weist das Bundesverfassungsgericht im Anschluss darauf hin, dass § 243 Abs. 4 StPO auch einer "Gefährdung" des Prinzips des fairen Verfahrens vorbeugen solle. Auch bei den Ausführungen zum Beruhen wandelt es zunächst auf bekannten Pfaden, wenn es die grundsätzlichen Vorgaben zum Beruhen aus dem Absprachenurteil von 2013 wiederholt und erläutert, bei einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung dürften die Revisionsgerichte die Schwere des Verfahrensverstoßes, die Art der nicht mitgeteilten Gesprächsinhalte und den Informationsstand des Angeklagten berücksichtigen. Mit der Erwägung, das Beruhen könne hinsichtlich des Aspekts der Kontrolle durch die Öffentlichkeit beispielsweise dann ausgeschlossen werden, wenn der Gesprächsinhalt zweifelsfrei feststeht und das Gespräch nicht auf eine gesetzeswidrige Absprache gerichtet war, folgt das Bundesverfassungsgericht ebenfalls noch der Linie seiner früheren Kammerbeschlüsse.

Es folgt eine überraschende Wendung: Der Generalbundesanwalt hatte die Auffassung vertreten, ein Beruhen komme unter normativen Gesichtspunkten nicht in Betracht, weil das Verständigungsgespräch keinen unzulässigen Inhalt gehabt habe. Einer solchen Argumentation erteilt das Bundesverfassungsgericht eine Absage. Die Frage eines unzulässigen Inhalts ist danach "nur ein Gesichtspunkt, der im Rahmen der normativen Gesamtbetrachtung Berücksichtigung finden kann". Bei dieser Gesamtbetrachtung "ist generell in den Blick zu nehmen, ob die nicht mitgeteilten Informationen zu einer nennenswerten Verkürzung der Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit geführt haben könnten." Das Bundesverfassungsgericht beruft sich im Anschluss auf seine allgemeinen Ausführungen aus dem Absprachenurteil zum vom Gesetzgeber mit dem Verständigungsgesetz verfolgten Anliegen einer umfassenden Kontrolle durch die Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit müsse nicht nur die Verständigung als solche, also das Ergebnis, umfassend kontrollieren können, sondern auch den gesamten Weg dorthin ("um die Entwicklung des Verständigungsvorschlags des Gerichts sowie die Motivation der Staatsanwaltschaft und des Beschwerdeführers zur Zustimmung nachvollziehen zu können").

Diese Ausführungen weisen der Kontrolle durch die Öffentlichkeit einen noch höheren Eigenwert zu als die vorangehenden Entscheidungen. Demnach wäre ein Beruhen des Urteils bei einer unzureichenden Mitteilung zu einem Verständigungsgespräch auch dann möglich, wenn dieses Gespräch zweifelsohne nicht auf eine unzulässige Absprache gerichtet war. Denn auch in diesem Fall wird eine umfassende Kontrolle des Prozesses, an dessen Ende eine Verständigung steht (oder auch nicht steht), unterlaufen. Aufschlussreich ist es auch, dass das

Bundesverfassungsgericht im aktuellen Beschluss von einer "normativen Gesamtbetrachtung" bei der Beruhensprüfung spricht. Man könnte also annehmen, die Gewichte hätten sich weiter in Richtung eines rein normativen Beruhensbegriffs in dem Sinne verschoben, dass schon jede erhebliche Beschränkung der Kontrolle durch die Öffentlichkeit unabhängig von einer Auswirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten, aber auch unabhängig vom Inhalt des Verständigungsgesprächs zu einem Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensfehler führt.

Letztlich bekennt das Bundesverfassungsgericht aber in diesem Punkt nicht Farbe. Fast so, als hätte es Angst vor der eigenen Courage bekommen, ergänzt es seine Erwägungen zum normativen Aspekt der Beruhensprüfung um einige Argumente dafür, dass wohl auch bei klassischem Verständnis des Beruhensbegriffs das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht.

II. Diskussion

Auch im aktuellen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist der grundrechtliche Anknüpfungspunkt als solcher klar, nämlich das Grundrecht auf ein faires Verfahren. Erneut unterstreicht das Bundesverfassungsgericht aber die Bedeutung der Kontrolle durch die Öffentlichkeit für andere Verfassungsgüter, während es die Verbindung zwischen dieser Kontrolle und dem Grundrecht auf ein faires Verfahren nur am Rande erwähnt. Dem entspricht es, dass das Gericht auch im aktuellen Beschluss nicht näher begründet, weshalb Verstöße gegen § 243 Abs. 4 StPO und eine darauffolgende Beruhensprüfung ohne Berücksichtigung des Aspekts der Kontrolle durch die Öffentlichkeit grundsätzlich als Verletzung des Angeklagten in seinem Grundrecht auf ein faires Verfahren anzusehen sind. Eine solche Begründung wäre schon aus dem Grund notwendig, dass das Gericht zuvor erläutert, mit der Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 StPO solle einer "Gefährdung des Schuldprinzips, der darin verankerten Wahrheitserforschungspflicht und des dem Rechtsstaatsprinzip innewohnenden Prinzips des fairen Verfahrens durch intransparente, unkontrollierbare ‚Deals‘ vorgebeugt" werden. Eine bloße Gefährdung ist noch keine Grundrechtsverletzung. Damit lässt sich auch dem aktuellen Beschluss entgegenhalten, dass die verfassungsrechtliche Grundlage für die Normativierung der Beruhensprüfung und den darin liegenden weitreichenden Eingriff in die einfachgesetzliche Unterscheidung zwischen relativen und absoluten Revisionsgründen jenseits einer bloßen Benennung des einschlägigen Grundrechts unklar ist.

Solange das Bundesverfassungsgericht den Zusammenhang zwischen mangelhafter Kontrolle durch die Öffentlichkeit, Beruhen und Verletzung des Grundrechts auf ein faires Verfahren nicht näher erläutert, lässt sich auch der Einwand einer zirkulären Argumentation bei der Beruhensfrage nicht entkräften. Dieser Einwand ist berechtigt, solange man von einem klassischen Beruhensverständnis ausgeht, wonach ein Verfahrensverstoß die Beruhensprüfung erst in Gang setzt, das Beruhen sich also nicht mit dem Verfahrensverstoß als solchem begründen lässt. Ein sicherlich mit Blick auf §§ 337, 338 StPO wenig eleganter Ausweg läge in einer konsequenten Normativierung des Beruhensbegriffs bei Grundrechtsverstößen: Ein Urteil, das unter Verletzung eines Verfahrensgrundrechts oder sonstigen Grundrechts zustande gekommen ist, beruht im normativen Sinne auf dieser Grundrechtsverletzung. Denn ein mit einem derart schweren Mangel behaftetes Urteil darf unter dem Rechtsstaatsprinzip und im Interesse des Grundrechtsschutzes keinen Bestand haben. Vor einer solchen konsequenten Normativierung schreckt das Bundesverfassungsgericht aber auch im aktuellen Beschluss zurück. Zwar wagt es dort einen Schritt in Richtung einer noch stärkeren Normativierung der Beruhensprüfung. Die nachgeschobenen Ausführungen zum Beruhen im klassischen Sinne sprechen aber dafür, dass das Gericht sich bei der Reichweite dieser Normativierung selbst nicht sicher war.

Die einfachgesetzliche Unterscheidung zwischen relativen und absoluten Revisionsgründen in §§ 337338 StPO wäre auch bei einer konsequenten Normativierung der Beruhensprüfung preisgegeben. Würde das Bundesverfassungsgericht das normative Element des Beruhens aber präziser und detaillierter auf Grundrechtsschutz und Rechtsstaatsprinzip zurückführen, ließe sich der entsprechenden Kritik immerhin entgegnen, eine Durchbrechung der einfachrechtlichen Systematik der Revisionsgründe erfolge auf einer tragfähigen verfassungsrechtlichen Grundlage. Bei konsequenter Normativierung der Beruhensprüfung im Fall einer Grundrechtsverletzung könnte man zudem das Verhältnis zwischen klassischem und normativem Beruhensverständnis klarer fassen. Danach wäre in einem ersten Schritt zu klären, ob der Verfahrensverstoß möglicherweise kausal für das Urteil war. Auch wenn das nicht der Fall ist, würde ein Urteil dann auf dem Verfahrensverstoß beruhen, wenn in diesem Verstoß zugleich eine Grundrechtsverletzung läge. Kein Beruhen im normativen Sinne wäre bei einer bloßen Grundrechtsgefährdung oder bei ganz geringfügigen Beeinträchtigungen unterhalb eines Grundrechtseingriffs anzunehmen. Dass bei Verstößen gegen andere auch grundrechtsschützende Verfahrensnormen wie § 136a StPO bislang nur eine klassische Beruhensprüfung erfolgt, ist schließlich nicht unbedingt ein Argument gegen ein normatives Beruhensverständnis: Man kann sich durchaus die Frage stellen, weshalb Urteile, die unter schweren Grundrechtsverletzungen bis hin zur Verletzung der Menschenwürde zustande gekommen sind, in einem rechtsstaatlichen System Bestand haben sollen, nur weil dasselbe Ergebnis auch ohne solche Verstöße zustande gekommen wäre.

D. Fazit

Das Bundesverfassungsgericht führt in seinem aktuellen Beschluss die losen Enden der vorangehenden Entscheidungen zum normativen Element der Beruhensprüfung nicht zusammen. Für die revisionsrechtliche Praxis ist der Beschluss daher wenig hilfreich. Insbesondere bleibt unklar, ob nun ein Beruhen des Urteils bei nicht nur unerheblichen Verstößen gegen die Mitteilungspflicht auch dann zu bejahen ist, wenn ein Verständigungsgespräch zweifelsfrei keinen gesetzeswidrigen Inhalt hatte und der Angeklagte umfassend über den Inhalt des Gesprächs informiert wurde. Unklar ist weiter auch das grundsätzliche Verhältnis von klassischer und normativer Beruhensprüfung. Abzuwarten bleibt insbesondere, wie das Bundesverfassungsgericht mit der Beruhensfrage bei Verstößen gegen die Mitteilungspflicht umgehen wird, wenn der Angeklagte bei einem Verständigungsgespräch ohne gesetzeswidrigen Inhalt persönlich anwesend war.


[*] Der Verfasser ist seit 2024 als Rechtsanwalt angestellt bei Schneider Mick Rechtsanwälte in Berlin.

[1] Siehe insbesondere BGH NStZ 2016, 221, 224 ff. = HRRS 2015 Nr. 1125.

[2] BVerfGE 133, 168 Rn. 96 = HRRS 2013 Nr. 222.

[3] Ebd.

[4] BVerfGE 133, 168 Rn. 97.

[5] Ebd.

[6] BVerfGE 133, 168 Rn. 98.

[7] Siehe BVerfGE 133, 168 Rn. 115.

[8] BVerfG NStZ 2015, 170, 171 = HRRS 2015 Nr. 174; BVerfG NStZ 2015, 172, 173 = HRRS 2015 Nr. 176.

[9] BVerfG NStZ 2015, 170, 171; BVerfG NStZ 2015, 172, 173.

[10] BVerfG NStZ 2015, 170, 171; BVerfG NStZ 2015, 172, 173.

[11] BVerfG NStZ 2015, 170, 171; BVerfG NStZ 2015, 172, 173.

[12] BVerfG NStZ 2015, 170, 172; BVerfG NStZ 2015, 172, 174.

[13] BVerfG NStZ 2015, 170, 172; siehe auch BVerfG NJW 2020, 2461, 2464 = HRRS 2020 Nr. 340.

[14] Siehe BVerfG NJW 2020, 2461, 2464.

[15] Siehe nur BGHSt 60, 150, 153 f. = HRRS 2015 Nr. 229; BGH NStZ 2018, 363, 364 = HRRS 2018 Nr. 317; BGH NStZ 2021, 61, 62 = HRRS 2020 Nr. 1277.

[16] Siehe BGH NStZ 2016, 221, 224 ff. = HRRS 2015 Nr. 1125.

[17] MüKo-StPO/Arnoldi, 2. Aufl. (2024), § 243 Rn. 133; LR-StPO/Becker, 27. Aufl. (2020), § 243 Rn. 115; Niemöller NStZ 2015, 489, 494.

[18] LR-StPO/Becker, § 243 Rn. 115; kritisch auch Mosbacher NZWiSt 2013, 201, 206.

[19] Kudlich NStZ 2013, 379, 381; Stuckenberg ZIS 2013, 212, 215; siehe auch KK-StPO/Schneider, 9. Aufl. (2023), § 243 Rn. 127.

[20] MüKo-StPO/Arnoldi, § 243 Rn. 133; Niemöller NStZ 2015, 489, 494; Stuckenberg ZIS 2013, 212, 215; siehe auch Knauer NStZ 2013, 433, 436, der das Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts begrüßt, weil zuvor viele Verstöße gegen die Mitteilungspflicht folgenlos geblieben seien.

[21] MüKo-StPO/Arnoldi, § 243 Rn. 133; Niemöller NStZ 2015, 489, 494; KK-StPO/Schneider, § 243 Rn. 127.

[22] Niemöller NStZ 2015, 489, 494; zustimmend KK-StPO/Schneider, § 243 Rn. 127.

[23] Niemöller NStZ 2015, 489, 494.