HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2024
25. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Zur Einführung von polizeilichen Vernehmungsinhalten in die Hauptverhandlung

Von RA Dr. Tarig Elobied, Berlin

A. Einleitung

Ein Kollege schilderte folgenden Sachverhalt:[1] Der Zeuge Z wurde in der Hauptverhandlung einvernommen. Nachdem er abgetreten war, wollte der Vorsitzende das Protokoll über die polizeiliche Vernehmung des Zeugen verlesen. Auf die Beanstandung des Verteidigers hin wurde die Anordnung des Vorsitzenden bestätigt. Die einem bunten Potpourri gleichende Begründung lautete wie folgt:

"Der[Zeuge]hat in der Hauptverhandlung umfassend Angaben, die den Gegenstand der früheren Vernehmungen abdecken, gemacht. Durch eine anschließende Verlesung einer Niederschrift über frühere Vernehmungen wird die Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht ersetzt, so dass ein solcher Urkundenbeweis als vernehmungsergänzende Verlesung von § 250 [StPO]nicht untersagt und nach § 249 Abs. 1[StPO]statthaft ist. Eine solche Verlesung kann insbesondere dann angezeigt sein, wenn es darum geht, zur Feststellung der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit der Beweisperson und der Glaubhaftigkeit oder Unglaubhaftigkeit ihrer Bekundungen die Aussagekonstanz durch Einführung früherer Bekundungen in die Hauptverhandlung zu belegen. Hierfür bedarf es in solchen Fällen weder einer zeugenschaftlichen Vernehmung des damaligen Vernehmungsbeamten noch eines Einverständnisses der Verfahrensbeteiligten mit einer Verlesung nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 Nr. 3[StPO]. Selbst die Einführung im Selbstleseverfahren ist zulässig."

Der Beschluss hat zu einer lebhaften Diskussion über die Zulässigkeit des Vorgehens geführt: Das Meinungsspektrum reichte von Ablehnung über teilweises Verständnis bis hin zur Zustimmung. Durfte der Vorsitzenden so vorgehen? Um es vorwegzunehmen: Die Antwort lautet "Jein"!

I. Problemstellung

Zeugen sagen in der Hauptverhandlung idR nicht zum ersten Mal aus. Im Gros der Fälle wurden sie bereits im Ermittlungsverfahren von der Polizei vernommen. Von diesen Vernehmungen gibt es meist ein Protokoll. Sagt ein Zeuge dann nach Monaten oder Jahren in der Hauptverhandlung aus, können die im Protokoll niedergeschriebenen mit den in der Hauptverhandlung gemachten Angaben übereinstimmen. Sie können aber auch davon abweichen, sei es, dass es sich dabei um ein Mehr, ein Weniger oder einen Widerspruch handelt. Dies kann dazu führen, dass die Verfahrensbeteiligten ein Interesse daran haben, die Übereinstimmung oder Abweichung (Aussage[in]konstanz) festzustellen. Auch kann ein Interesse daran bestehen, Lücken in der Beweisführung zu schließen.[2]

Dazu ist es nötig, den Inhalt der polizeilichen Vernehmung in die Hauptverhandlung einzuführen: Der Zeuge kann in der Hauptverhandlung vernommen und – auch unter Nutzung des Vernehmungsbehelfs Vorhalt – befragt werden. Daneben oder anstelle der Einvernahme des Zeugen kommt auch die der Vernehmungsperson als Zeuge vom Hörensagen[3] in Betracht. Schließlich bietet die

Verlesung des über die frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls eine Möglichkeit, die Inhalte einzuführen.

II. Erkenntnisinteresse

Die Frage, ob und wie Vernehmungsinhalte durch Vorhalt oder Vernehmung der Vernehmungsperson als Zeuge vom Hörensagen zulässig in die Hauptverhandlung eingeführt werden dürfen, ist weitgehend geklärt (III.). Die zentrale Frage, die hier behandelt wird, ist, ob und wieweit außerhalb des Anwendungsbereichs des § 251 StPO und – nach h.M. – des § 253 StPO polizeiliche Vernehmungsprotokolle nach dem Grundsatz der Freiheit des Urkundenbeweis[4] verlesen werden dürfen. Diese Frage verursacht in der Praxis eine nicht zu übersehende Unsicherheit, die einerseits auf eine verwirrend kasuistische, unübersichtliche und zu Teilen in sich widersprüchliche Rechtsprechung[5] und andererseits auf eine lakonische und unzutreffende, die Differenzierung der Rspr. verkennende Wiedergabe derselben zurückzuführen ist.[6] Ziel der folgenden Ausführungen ist es daher, das Knäuel der zu dieser Frage vertretenen Auffassungen zu entwirren, die wesentlichen Argumentationsstränge typisierend aufzuzeigen (B.) und diese einer Kritik zu unterziehen (C.).

III. Der Ausgangspunkt: Das herrschende Paradigma

Dabei werden – sofern nicht unbedingt zum Verständnis erforderlich – Fragen zur Zulässigkeit der Verlesung anderer Erklärungen gemäß § 250 S. 2 2. Alt. StPO sowie zur Beweiswürdigung ausgeklammert. Außerdem wird vom derzeit herrschenden Paradigma ausgegangen,[7] das von der späteren Rspr. des RG,[8] der Rspr. des BGH[9] und der h.M. in der Literatur[10] vertreten wird. Dieses ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass § 253 StPO[11] die Einführung von polizeilichen Vernehmungsprotokollen durch den Urkundenbeweis regelt. Einigkeit besteht auch insoweit, als dass sowohl der Vorhalt[12] als auch die Einvernahme der Vernehmungsperson als Zeuge vom Hörensagen[13] in der Hauptverhandlung für zulässig erachtet werden. Demgegenüber steht die frühe Rspr. des RG[14] sowie

einer Mindermeinung in der Literatur,[15] wonach § 253 StPO nicht den Urkundenbeweis, sondern den Vorhalt regele.[16] Nach dieser Ansicht schieden darüber hinaus "[Zeugen-]Aussagen, die zwar im Strafverfahren, aber nicht in der Hauptverhandlung getätigt wurden, [...]als Erkenntnisquelle aus, wenn nicht ausnahmsweise die §§ 251, 253 [...][StPO]ihre Verwendung gestatten".[17] Dieses Verbot umfasse neben der ergänzenden Verlesung auch die Vernehmung von Vernehmungspersonen wie auch den freien bzw. formlosen Vorhalt.[18]

Die Beschränkung auf das herrschende Paradigma ist von einem praktischen Erkenntnisinteresse aus gesehen gerechtfertigt. Zwar gibt es ein sicherlich nicht zu unterschätzendes theoretisches Erkenntnisinteresse daran, ob eher der einen oder der anderen Ansicht zu folgen ist.[19] Angesichts dessen, dass die h.M. ihren Standpunkt bereits vor über 150 Jahren aufgebaut und er sich seitdem fest etabliert hat, ist in praktischer Hinsicht allerdings nicht davon auszugehen, dass es hier zu einem Paradigmenwechsel kommen wird.[20]

B. Der Meinungsstand

Ausgehend vom herrschenden Paradigma wird die Frage, ob und inwieweit außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 251, 253 StPO polizeiliche Vernehmungsprotokolle nach dem Grundsatz der "Freiheit des Urkundenbeweises" verlesen werden dürfen, differenziert beantwortet. Es findet sich die Auffassung, dass insoweit eine Verlesung von Vernehmungsprotokollen stets unzulässig sei (I.). Wiederum andere halten eine solche Verlesung für teilweise zulässig (II.),[21] wobei sich deren Vertreter uneins über die dogmatische Herleitung und darüber sind, in welchem Umfang die Verlesung für zulässig erachtet werden soll. Unter den Stichworten "wahrnehmungsunabhängige Tatsachen" (1.)[22], "zulässige Ergänzung" (2.)[23] und "das Vernehmungsprotokoll als Berichtsurkunden" (3.)[24] kann man drei verschiedene Auffassungen ausmachen. Letztlich finden sich noch Auffassungen, die – zumindest auf den ersten Blick – eine Verlesung immer für zulässig erachten (III.).

I. Keine (ergänzende) Verlesung

Nach einem vereinzelt gebliebenen Judikat der späten Rspr. des RG[25] sowie einer in der Literatur vertretenen Mindermeinung[26] verbiete § 250 StPO einen Rückgriff auf die Verlesung von Vernehmungsprotokollen außerhalb der §§ 251, 253 StPO gänzlich. Dieses Verbot gelte unabhängig davon, ob die Verlesung der Feststellungen zur Glaubwürdigkeit oder der unmittelbaren Sachverhaltsfeststellung dient.[27] Zum einen würde eine Verlesung dem "Kernstück des Wesens des modernen Strafverfahrens", dem Prinzip der Mündlichkeit[28] und Unmittelbarkeit, widersprechen.[29] Zum anderen würde unabhängig vom Zweck der Verlesung ein Inhalt eingeführt werden, der von der Vernehmungsperson "sinnlich erfasst wurde", so dass "§ 250 [S. 1]StPO automatisch wieder ins Spiel" komme[30] und folglich die Vernehmungsperson einzuvernehmen sei. Schließlich stützten die §§ 253, 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO diese Ansicht.[31]

II. Rückgriff auf Protokolle z.T. zulässig

Der Großteil der h.M. sowie der "jüngeren" Rspr. hält in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlicher Begründung eine Verlesung von Vernehmungsprotokollen außerhalb der §§ 251, 253 StPO für zulässig.[32]

1. Die wahrnehmungsunabhängigen Tatsachen

Nach der überwiegenden Rspr.[33] sowie einigen Vertretern aus der Literatur[34] dürfe "zum Nachweis von wahrnehmungsunabhängigen Tatsachen, etwa für die (Un)glaubwürdigkeit des Vernommenen bei einem seiner Aussage widersprechenden Vernehmungsprotokoll"[35] dieses nach dem Grundsatz der "Freiheit des Urkundenbeweises" verlesen werden, ohne gegen §§ 250, 253 StPO zu verstoßen. Einerseits wird behauptet, mit "Beweis einer Tatsache" iSd des § 250 S. 1 StPO seien nur Haupttatsachen ("Beweis in der Sache") gemeint.[36] Hilfstatsachen, die die Glaubwürdigkeit beträfen, seien vom Anwendungsbereich ausgenommen.[37] Andererseits wird behauptet, dass es bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung nicht um die Feststellung von "Wahrnehmungen" iSd § 250 S. 1 StPO gehe. Wahrnehmungen idS seien nur solche, die Gegenstand der früheren Vernehmung des Zeugen gewesen waren.[38] Es gehe bei der Beurteilung der (Un)glaubwürdigkeit aber um die Feststellung eines Widerspruchs oder einer Übereinstimmung zwischen den Angaben bei der Polizei und denen in der Hauptverhandlung.[39] Diese Feststellung sei von der Wahrnehmung des Zeugen unabhängig und § 250 S. 1 StPO stehe einer Verlesung nicht entgegen.[40] So führte bereits das RG aus, "der Beweis der Tatsache, daß[der Zeuge zu][…]Protokoll gewisse Erklärungen abgegeben hatte, beruhte nicht auf seinen Wahrnehmungen über die Tat des Angeklagten, sondern ergab sich aus dem Vorhandensein und Inhalt jenes Protokolls und durfte nach § 249 StPO durch Verlesung geführt werden".[41]

Nach dieser Auffassung kann sowohl die Aussagekonstanz als auch -inkonstanz durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden.[42] Soll mit Hilfe der Verlesung hingegen eine vom Zeugen bei der Polizei geschilderte Tatsache festgestellt werden, kommt eine Verlesung nur nach §§ 251, 253 StPO in Betracht.[43] Bei diesem Ergebnis handelt es sich bei Lichte betrachtet um eine Einschränkung des Rechts der freien Beweiswürdigung. Denn dem Gericht wird die Befugnis genommen, im Rahmen seiner Beweiswürdigung, "an Stelle der unglaubwürdigen Zeugenaussage[in der Hauptverhandlung]die glaubwürdigen Angaben im Protokoll zu setzen".[44]

2. Ergänzende Verlesung

Nach einem anderen in Rspr. und Literatur vertretenen Argumentationsstrang, dem z.T. eine Ablehnung der Differenzierung zwischen wahrnehmungsabhängigen und -unabhängigen Tatsachen zugrunde liegt,[45] ist § 250 S. 2 StPO der Ausgangspunkt für die zulässige Verlesung von Protokollen. Denn nach § 250 S. 2 StPO darf die Vernehmung nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.[46] Wenn die Vernehmung hingegen bloß ergänzt wird, stünde § 250 StPO einer Verlesung nicht entgegen.[47] Allerdings ist – auch innerhalb der Judikate des BGH – umstritten, worauf sich das Begriffspaar "Ergänzung und Ersetzung der Vernehmung" bezieht:[48] Bezieht es sich auf die Vernehmung des Zeugen als einen formalen Akt, dessen Ablauf in §§ 68 ff. StPO normiert ist (1.),[49]

oder darüber hinaus auch auf den Inhalt der Vernehmung (2.).[50]

a. Ergänzung im formalen Sinn

Nach dem formalen Verständnis[51] hieße es in § 250 S. 1 StPO: "Die[Durchführung der]Vernehmung darf nicht[…]ersetzt werden".[52] Wenn es zur Durchführung kommt, stellt eine Verlesung lediglich deren Ergänzung dar. Allerdings ist umstritten, wann dies der Fall ist. Nach einer streng formalistischen Spielart liegt eine Vernehmung bereits dann vor, wenn der Zeuge in der Hauptverhandlung erscheint und sie damit beginnt, "dass der Zeuge über Vornamen, Nachnamen, Geburtsnamen, Alter, Beruf und vollständige Anschrift befragt wird", § 68 Abs. 1 StPO.[53] Dass es weder zum freien Bericht noch zum Verhör kommt, der Zeuge also keine Angaben zur Sache macht, ist unschädlich.[54] Nach einer anderen, an § 69 StPO orientierten formal-normativen Auffassung, liegt eine Vernehmung, die ergänzt werden kann, erst dann vor, "wenn sich das Gericht anhand der erfolgten Angaben einen eigenen Eindruck von der Beweisperson und den Umständen ihrer Wahrnehmung machen konnte".[55] Beide Spielarten stimmen aber darin überein,[56] dass für den Fall, dass im Vergleich zu früheren Aussagen Widersprüche aufgehoben oder nachgewiesen oder Erinnerungslücken behoben werden sollen, die Verlesung nach § 253 StPO nur während der laufenden Vernehmung erfolgen darf.[57] Die Freiheit des Urkundenbeweises bezieht sich nach den Vertretern dieser Ansicht demnach nur auf den Nachweis von Übereinstimmungen zwischen den Angaben des Zeugen in der Hauptverhandlung und denen bei der Polizei.[58] Die Konsequenz dieser Auffassung im Falle von willentlichen Lücken, z.B. in Fällen der schlichten Aussageweigerung oder des Berufens auf ein Auskunftsverweigerungsrecht in der Hauptverhandlung, wäre danach eigentlich, dass der ergänzenden Verlesung zumindest § 250 StPO nicht entgegensteht. Diese wird aber – soweit ersichtlich – nicht gezogen (vgl. dazu unten C. II. 2. B. cc.).

b. Ergänzung im materiellen Sinn

Nach dem materiellen Verständnis[59] heißt es in § 250 S. 1 StPO: "[Der Inhalt der]Vernehmung darf nicht[…] ersetzt werden". Eine zulässige ergänzende Verlesung liegt danach nur dann vor,[60] wenn sie sich auf Umstände bezieht, die der Zeuge bereits in der Hauptverhandlung bekundet hat. Bei einer inhaltlichen Abweichung handelt es sich demgegenüber um eine unzulässige Ersetzung; hier bleibt nur die Verlesung nach § 253 StPO. Allerdings ist umstritten, wann eine inhaltliche Abweichung vorliegt. Nach einer strengen Spielart stellt jedwede inhaltliche Abweichung zwischen dem Inhalt der Angaben im Protokoll und denen in der Hauptverhandlung eine Ersetzung (dieses Inhalts) dar.[61] Nach einer anderen, materiell-normativen Auffassung liegt eine Ersetzung erst dann vor, wenn das Protokoll Sachbereiche betrifft, zu denen der Zeuge in der HV keine Angaben gemacht hat,[62] wobei die Kriterien für die Abgrenzung von dem einen zu dem anderen Sachbereich offenbleiben. Nach beiden Spielarten kann die ergänzende Verlesung außerhalb des § 253 StPO – also nach dem Grundsatz der Freiheit des Urkundenbeweises – nur dem Nachweis von Übereinstimmungen zwischen den Angaben des Zeugen in der Hauptverhandlung und bei der Polizei dienen.

3. Protokoll als Berichtsurkunde

Nach einer weiteren Ansicht[63] dürfe ergänzend zur Vernehmung der Vernehmungsperson das von ihr gefertigte Vernehmungsprotokoll verlesen werden. Nach Mosbacher sei Voraussetzung dafür, dass der Zeuge (dessen Angaben verschriftlicht worden sind) bereits über den Inhalt der Vernehmung vernommen worden ist,[64] wohingegen dies

nach Ansicht des OLG Zweibrückens wohl nicht notwendig sei.[65] Begründet wird die Auffassung wie folgt: Zum einen stelle das Vernehmungsprotokoll in Relation zur Vernehmungsperson lediglich eine Berichtsurkunde i.S.d. § 250 StPO dar, da es Aufzeichnungen der Vernehmungsperson über ihre während der Vernehmung gemachten Wahrnehmungen enthalte.[66] Dann aber stünden weder § 253 StPO als lex specialis für Protokolle noch § 250 StPO einer Verlesung entgegen,[67] soweit die "Berichtsurkunde" der Vernehmungsperson ergänzend zu deren Einvernahme verlesen wird. Zudem sei § 250 StPO teleologisch Ausdruck des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, der durch Rückgriff auf das unmittelbarere Beweismittel die Sachaufklärung fördern wolle. Hat die Vernehmungsperson keine (vollständige) Erinnerung an die Vernehmung, würde die Nichtverlesung die Sachaufklärung verhindern und Sinn und Zweck des § 250 StPO geradezu in ihr Gegenteil verkehren.[68] Schließlich habe der BGH diese Art der Verlesung bereits für zulässig erklärt und dieser Ansicht sei daher zu folgen.[69]

III. Ergänzende Verlesung schriftlicher Protokolle immer zulässig?

Einige Kommentierungen zu § 250 StPO können schließlich so interpretiert werden, dass die Verlesung schriftlicher Protokolle ergänzend zu der persönlichen Vernehmung des Zeugen stets zulässig sei.[70] Es ist fraglich, ob damit der generellen Zulässigkeit das Wort geredet werden soll. Denn entweder wird direkt oder indirekt auf BGHSt 20, 160 (161 f.) verwiesen, um dies zu begründen. Nach dieser Entscheidung steht zwar § 250 StPO nicht entgegen, dass "neben der Vernehmung der in Betracht kommenden Person als Zeuge eine frühere protokollarisch[…]festgehaltene Äußerung dieser Person im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird". Allerdings führt der BGH dann weiter aus, dass "das Gesetz[…]insofern in § 253 StPO […]eine besondere Vorkehrung für die Verwendung von Protokollen getroffen [hat], deren Verlesung zum Zweck des Urkundenbeweises es erst (als letzten Ausweg) zulässt."[71] Die "Autorität", auf die sich die Autoren zur Stützung ihrer Auffassung berufen, geht also bei der Verlesung von Protokollen davon aus, dass deren Verlesung auch am Maßstab des § 253 StPO zu messen ist.[72] Insofern wird hier davon ausgegangen, dass es sich um eine missglückte Formulierung handelt und die Autoren die – allerdings inkonsistente Rspr. – des BGH rezipieren wollten; andernfalls blieben die Autoren einer Begründung für ihre Ansicht schuldig.[73]

C. Kritik

Die Frage, welche der vorgestellten Argumentationsstränge am überzeugendsten ist, lässt sich durch die Frage ersetzen, ob es einen Rechtssatz gibt, der die Verlesung von Vernehmungsprotokollen grds. untersagt.

I. Verlesung ist unzulässig

Das bejahen die Vertreter der Auffassung (B. I.), wonach § 250 StPO nicht mehr ausdrücken möchte, als dass ein Rückgriff auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nicht statthaft sei, sofern die dort benutzten Beweismittel dem erkennenden Gericht selbst zugänglich sind.[74] Zuzugeben ist der Auffassung zwar, dass eine Verlesung die Prinzipien der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit tangiert. Wenn man aus diesen Prinzipien jene These allerdings deduktiv ableitet, wird das Auslegungsproblem vorab dadurch geklärt, dass diese Prinzipien absolut gesetzt werden. Es ist aber gerade die durch Auslegung zu beantwortende Frage, ob das "rechtspolitisch[!]begründete Unmittelbarkeitsprinzip, das ohnehin Ausnahmen ausdrücklich zuläßt[…]eine begründbare sinnvolle Ausnahme findet".[75] Der Verweis der Vertreter dieser Auffassung auf § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO ist nur überzeugend, wenn man bereits die zu beweisende These teilt, da § 256 Abs. 1 StPO lediglich eine (Unter-) Ausnahmevorschrift zu § 250 StPO darstellt.[76] Ist § 250 StPO schon nicht einschlägig –

z.B. weil man davon ausgeht, dass § 250 StPO sich nur auf ersetzende Verlesungen bezieht –, dann steht § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO auch einer ergänzenden Verlesung nicht entgegen. Wenn man aus § 253 StPO vor dem Hintergrund der Annahme, § 250 StPO setzte das Unmittelbarkeitsprinzip absolut, wiederum den Schluss ziehen will, es handele sich um eine abschließende Regelung für die Verlesung von Protokollen,[77] so wird dem entgegengehalten, dass § 250 StPO das Unmittelbarkeitsprinzip eben nicht absolut setzte und § 253 StPO nicht abschließend regele, wann Vernehmungsprotokolle verlesbar seien.[78] Die Begründung ist also zirkulär, weil sie die zu beweisende These – das Unmittelbarkeitsprinzip gilt absolut – bereits stillschweigend als Prämisse bei dem Verständnis der §§ 253, 256 StPO voraussetzt. Ob das Unmittelbarkeitsprinzip tatsächlich absolut oder doch insoweit gilt, als dass es den Rückgriff neben der Einvernahme ausschließt, ist eine Frage der "externen Kritik" und wird weiter unten behandelt (III.).

II. Verlesung ist (teilweise) zulässig

Die Vertreter der Auffassungen, die eine Verlesung von polizeilichen Vernehmungsprotokollen für (teilweise) zulässig erachten, gehen daher davon aus, dass es keinen Rechtssatz gibt, der die Verlesung von Vernehmungsprotokollen grds. untersagt. Aber auch diesen Auffassungen können Argumente entgegenhalten werden.

1. Die Berichtsurkunde

Dies trifft zunächst für die Ansicht zu, die dem Vernehmungsprotokoll in Bezug zur Vernehmungsperson diesen Charakter absprechen will (B. II. 3.). Denn es lässt sich einwenden, dass das Vernehmungsprotokoll ein solches auch dann bleibt, wenn es in Relation zur Vernehmungsperson als eine Berichtsurkunde aufgefasst wird.[79] Was das teleologische Argument betrifft, ist es ambivalent. Denn die Verlesung einer solchen Urkunde kann die materielle Sachaufklärung gleichermaßen fördern wie auch konterkarieren. Es besteht die Gefahr, dass das Protokoll den Inhalt der Vernehmung nur unvollständig oder inhaltlich falsch widerspiegelt, weil, so der BGH, "eine Verhörsperson ihre[des Zeugen]Erklärungen mißverstanden oder durch die Wahl eigener Formulierungen entstellt hätte".[80] Ist dies der Fall, streitet die Sachaufklärung gerade gegen die Verlesung. Dass dies Probleme in der Beweiswürdigung zeitigen kann, sieht Mosbacher zwar, klammert diese aber bei der Frage nach der Zulässigkeit der Verlesung aus.[81] Der Rekurs auf die Rspr. ist größtenteils nicht weiterführend. Soweit Mosbacher auf die Rspr. des BGH abstellt,[82] handelt es sich teilweise nur um obiter dicta,[83] so dass ein Präjudiz und damit ein Bezugspunkt für eine etwaige Bindung der Instanzgericht an die Rspr. der Obergerichte nicht vorliegt.[84] Außerdem bleibt unklar, ob den Entscheidungen nicht vielmehr die – von Mosbacher abgelehnte[85] – Differenzierung zwischen wahrnehmungsabhängigen und -unabhängigen Tatsachen zu Grunde liegt,[86] wonach § 250 S. 1 StPO einer Verlesung ohnehin nicht im Wege steht. Der von Mosbacher angeführte Beschluss vom OLG Hamm betrifft wiederum nicht die Verlesung eines Vernehmungsprotokolls, sondern die Verlesung einer Postzustellurkunde im Zusammenhang mit der Einvernahme des die Urkunde ausstellenden Postzustellers. Einzig das OLG Frankfurt a.M. scheint seine Auffassung zu stützen.[87] Für seine Begründung führt es ein inhaltliches Argument allerdings nicht an, sondern verweist auf BGHSt 20, 160, 161 f. Dort ging es jedoch um die Zulässigkeit des Urkundenbeweises durch Verlesen der zu Beweiszwecken verfassten schriftlichen Erklärung (§ 250 S. 2 2. Alt. StPO) eines Zeugen im Zusammenhang mit seiner Vernehmung.[88] Hinzu kommt, dass der BGH ebenfalls – und zwar tragend – ausgeführt hat, dass "Verhörspersonen[…]die darüber aufgenommenen Niederschriften zwar vorgehalten werden[können], sie[…]aber nicht, wie hier, zum ergänzenden Urkundenbeweis bei Erinnerungsmängeln benutzt werden[dürfen]".[89] Im Übrigen zeigt die Entscheidung des OLG Zweibrücken, dass das von Mosbacher aus der Aufklärungspflicht folgende Erfordernis, dass der Zeuge bereits vernommen worden sein muss, ausgehebelt werden kann.

2. Die weiteren Auffassungen

Auch die weiteren, namentlich von der Rspr. vertretenen Konzepte der "wahrnehmungsunabhängigen Tatsachen" wie der bloßen "Ergänzung der Vernehmung" weisen Schwächen auf.

a. Die wahrnehmungsunabhängigen Tatsachen

Der Differenzierung zwischen wahrnehmungsabhängigen und -unabhängigen Tatsachen wird entgegengehalten, dass sich § 250 S. 1 StPO auf alle Tatsachen, "also auf Haupttatsachen, Indiztatsachen und Hilfstatsachen, auch solche, die für die Frage des Beweiswerts eines Beweismittels von Bedeutung sind" beziehe.[90] Begründet wird dies damit, dass § 250 S. 1 StPO nicht von Wahrnehmungen über die Tat des Angeklagten, sondern nur allgemein von Wahrnehmungen und Tatsachen spricht, die bewiesen werden müssen. Zum einen, so die Argumentation weiter, enthalte "das Vernehmungsprotokoll[…]Aufzeichnungen der Vernehmungsperson über ihre Wahrnehmungen hinsichtlich der Angaben der Auskunftsperson".[91] Diese Kritik ist berechtigt, weil heute von Wahrnehmungen iSd § 250 StPO nur dann nicht ausgegangen wird, wenn es sich um "ein schriftliches Dokument[handelt], das von einer Person im Rahmen einer von persönlichen Umständen sowie individuellem und subjektivem Erleben vollständig oder zumindest weitestgehend unabhängigen mechanischen Tätigkeit angefertigt worden ist".[92] Dies ist bei Vernehmungen offensichtlich nicht der Fall. Zum anderen ist der Umstand, wie ein Zeuge in der Vergangenheit ausgesagt hat, eine Tatsache, die im Strengbeweisverfahren bewiesen werden muss, wenn sie zur Grundlage des Urteils gemacht werden soll.[93] Dieser Beweis darf dann aber nach § 250 S. 1 StPO nicht durch Verlesung des Protokolls, sondern muss durch die Einvernahme der Vernehmungsperson geführt werden. Außerdem werde über den Umweg der Glaubwürdigkeit schließlich doch der Beweis in der Sache geführt.[94]

b. Zulässige Ergänzung

Was die Differenzierung zwischen Ersetzung und Ergänzung angeht, so wird deren Berechtigung daraus abgeleitet, dass die Prinzipien der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit gegenüber dem Aufklärungsinteresse relativ seien und nicht absolut gesetzt werden dürften.[95] Diese Relativität habe zur Folge, dass ein Rückgriff auf ein mittelbares Beweismittel – hier das Vernehmungsprotokoll – im Interesse der Aufklärung unschädlich sei. Ausgehend von dieser Prämisse,[96] werden folgende Einwände vorgebracht:

aa. Einwände gegen die formale Spielart

Der formalen Spielart wird vorgeworfen, zu sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierungen zu gelangen.[97] Die Kritiker argumentieren, dass es keinen Unterschied mache, ob ein Zeuge Angaben zu einem Tatgeschehen macht, aus denen sich lediglich der Eindruck seiner Person und seiner Wahrnehmungsbedingungen ergibt, oder ob er überhaupt keine Angaben macht. Dass in diesem Fall eine Verlesung unzulässig, in jenem Fall aber zulässig sei, bedeute daher einen Wertungswiderspruch. Zwar hat diese Kritik ihre Berechtigung, doch bezieht sie sich lediglich auf die normativ-formale und nicht die streng formale Spielart.

bb Einwände gegen die materielle Spielart

Der materiellen Spielart wird entgegengehalten, inkonstant zu sein. Denn nur die Einführung eines neuen Umstandes soll – zumindest nach der strengen Spielart – eine Ersetzung sein, die nach § 250 S. 2 StPO nicht durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden darf. Die Inkonsequenz wird darin gesehen, dass nicht nur erstmals in der Hauptverhandlung vom Zeugen bekundete Umstände, sondern auch die Bestätigung dessen, was der Zeuge zuvor bekundet hatte, eine neue Tatsache darstelle, nämlich dass der Zeuge eben dies schon einmal ausgesagt hat.[98] Soweit die materiell-normative Spielart betroffen ist, bleiben die Kriterien unklar, nach denen sich bemisst, ob ein neuer Sachbereich betroffen ist.[99] Ein weiteres Argument gegen diese Auffassung ergibt sich, wenn man die sonstigen Erklärungen in § 250 S. 2 StPO mit in den Blick nimmt. Angenommen ein Zeuge hat einen schriftlichen Bericht[100] zur Akte gereicht und erinnert sich in der Hauptverhandlung nicht mehr oder bekundet im Widerspruch zu seiner schriftlichen Erklärung. In diesem Fall stünde § 250 S. 2 StPO nach dem materiellen Verständnis der Verlesung entgegen und die Erklärung könnte weder nach § 253 StPO (da kein Protokoll) noch nach § 251 StPO (Tatbestandsvoraussetzungen lägen nicht [zwingend]vor[101]) verlesen werden. Da dieses Ergebnis aber – rechtsdogmatisch gesprochen – mit der Aufklärungspflicht bzw. –rechtspolitisch gesprochen – mit dem gewünschten Ergebnis in Widerstreit treten kann, ist der einzige Ausweg eine analoge Anwendung des § 253 StPO.[102]

cc. Formales Verständnis zeitigt angemessenere Ergebnisse

Gesetzt den Fall, man geht davon aus, dass die Verlesung schriftlicher Erklärungen in dieser Konstellation ein angemessenes Ergebnis ist, so lässt sich dies mit einem formalen Verständnis von "ersetzt werden" begründen. Der Zeuge wird in der Hauptverhandlung vernommen, § 68 StPO, und jedwede Verlesung stellt eine grds. zulässige Ergänzung zu seiner Vernehmung dar. Da kein Protokoll vorliegt, ist auch der Anwendungsbereich des § 253 nicht betroffen. Bereits hier zeigt sich, dass ein formales Verständnis einfacher, nämlich ohne Rückgriff auf Analogien (oder normative Abgrenzungen), zu rechtspolitisch erwünschten Ergebnissen führt. Dies zeigt sich weiter, wenn "Aufklärungslücken[…]auftreten, wenn ein Zeuge zwar in der Hauptverhandlung erscheint, seine Angaben aber[…]unvollständig sind".[103] So gilt für die umstrittene Konstellation, in der sich ein Zeuge in der Hauptverhandlung auf sein (umfassendes) Auskunftsverweigerungsrecht beruft,[104] Folgendes: Nach der materiellen Spielart würde es sich bei der Verlesung des Teils des Protokolls, zu denen der Zeuge schweigt, um eine unzulässige ersetzende Verlesung handeln. Wird das Einverständnis nach § 251 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 StPO nicht erteilt, ist die Verlesung unzulässig oder man muss Hilfsüberlegungen anstellen, um die im Einzelfall rechtspolitisch erwünschte Verlesung begründen zu können.[105] Dieses Ergebnis lässt sich wie bei den sonstigen Erklärungen iSd § 250 S. 2 StPO einfacher erzielen, wenn man das Ersetzungsverbot rein formal auffasst. Für ein rein formales Verständnis spricht auch § 68 StPO, nach dem die Vernehmung damit beginnt, dass der Zeuge über seinem Namen etc. befragt wird. Auch § 253 StPO steht diesem Ergebnis nicht entgegen, weil es sich in Fällen der Aussageverweigerung weder um einen Widerspruch noch um eine Erinnerungslücke handelt.

dd. Rechtspolitisches Vorverständnis

Wenn man diese rechtspolitisch erwünschten Ergebnisse als Folge eines formalen Verständnisses von Ersetzung iSd § 250 S. 2 StPO akzeptiert, so muss man zwei Einwände überwinden.

(1.) Dogmatischer Einwand

Ein dogmatischer Einwand könnte aus § 250 StPO selbst folgen, da nach dessen S. 1 (unabhängig von der Aufklärungspflicht) eigentlich die Vernehmungsperson über ihre bei der Vernehmung gemachten Wahrnehmungen einzuvernehmen wäre und deren Vernehmung außerhalb des § 253 StPO nicht nach § 250 S. 2 StPO ersetzt werden dürfte.[106] Dagegen ließe sich einwenden, dass die Differenzierung zwischen unzulässiger Ersetzung und zulässiger Ergänzung in § 250 S. 2 StPO zwangsläufig damit einhergehe, dass die Ergänzung der Vernehmung des Zeugen durch die Ersetzung der Vernehmung der Vernehmungsperson zu erfolgen hat und § 250 S. 1 StPO gleichsam "außer Kraft setzt". Wollte man diese Konsequenz nicht ziehen, so hätte die Differenzierung womöglich keinen Sinn. Einerseits könnte man – was bei der internen Kritik zu unterbleiben hat – diesen Einwand zum Anlass nehmen das der Differenzierung zugrundeliegenden Vorverständnis, die Relativität des Unmittelbarkeitsprinzip, grundsätzlich in Frage zu stellen (vgl. unten III.). Andererseits könnte man aber auch ausgehend von diesem Vorverständnis argumentieren, dass die Differenzierung auch bei konsequenter Anwendung des § 250 S. 1 StPO weiterhin ihre Berechtigung bei den sonstigen Erklärungen iSd § 250 S. 2 StPO hätte.[107] Aber selbst dann spricht der Einwand, § 250 S. 1 StPO stünde einer ergänzenden Verlesung des Protokolls entgegen, nicht gegen die ergänzende Verlesung als solche, sondern nur gegen eine singuläre, sich bloß auf die Auskunftsperson beziehende Ergänzung. Dogmatisch folgerichtig müsste es in diesem Fall zu einer doppelten ergänzenden Verlesung kommen. D.h., dass das Protokoll nur ergänzend zur Vernehmung sowohl des Zeugen als auch der Vernehmungsperson verlesen werden darf, wodurch auch die bspw. von Mosbacher für erforderlich gehaltene vorherige Vernehmung der Vernehmungsperson zu erklären ist.

(2.) Wertungswidersprüche

Dieses Ergebnis könnte einen doppelten Wertungswiderspruch enthalten.[108] Denn welchen sachlichen Grund gibt es zum einen dafür, dass einerseits Protokolle nur nach Maßgabe des § 253 StPO (Widerspruch, Erinnerungslücken) und andererseits nach § 249 StPO (Übereinstimmung, Weigerung) verlesen werden dürfe? Eine Erklärung könnte lauten, dass in jenem Fall der Widerspruch nur behoben und die Erinnerung hervorgerufen werden kann, wenn der Zeuge bei der Verlesung anwesend ist. Weigert sich der Zeuge Angaben zu machen oder soll nur bestätigt werden, was er ohnehin in der Hauptverhandlung bekundet hat, so würde eine Verlesung nach Maßgabe des § 253 StPO – u.a. in seiner Anwesenheit[109] – keinen weiteren Erkenntnisgewinn bringen. Es stellt sich zum anderen die Frage, welchen sachlichen Grund es dafür gibt, im Falle des § 253 auf die Vernehmung der Vernehmungsperson zu verzichten, im Fall der bloßen ergänzenden Verlesung nach § 249 StPO aber zu fordern, dass sowohl Zeuge als auch Vernehmungsperson einzuvernehmen sind. Diesen Wertungswiderspruch muss man m.E. "hinnehmen", zumal er dadurch abgemildert wird, dass § 253 StPO nur subsidiär gilt und die Aufklärungspflicht auch in diesem Falle die Vernehmung der Vernehmungsperson gebieten kann.[110]

3. Zwischenfazit

Trotz aller Schwächen ist der Ansicht, die von einem streng formalen Ersetzungsverbot iSd § 250 StPO ausgeht, innerhalb des Spektrums der Meinungen, die eine Verlesung von Protokollen außerhalb der §§ 251, 253 StPO für zulässig halten, der Vorzug zu geben. Denn sie führt ohne Rückgriff auf Analogien, also einfacher, zu angemessenen Ergebnissen.[111]

III. Unmittelbarkeitsprinzip und Aufklärungspflicht

Es bleibt aber die Frage, ob diesem Verständnis auch der Vorzug gegenüber der Ansicht gebührt, die einen Rückgriff außerhalb der §§ 251, 253 StPO für unzulässig hält (vgl. oben B. I.). Somit kristallisiert sich eine alles entscheidende Frage heraus: Will § 250 StPO das Unmittelbarkeits- und Mündlichkeitsprinzip absolut setzen, indem er den Gebrauch von Protokollen über frühere Vernehmungen verbietet? Oder will § 250 StPO einen Ausgleich zwischen dem Unmittelbarkeits- und Mündlichkeitsprinzip einerseits und dem diesem Prinzip ggf. widersprechenden Interesse an Aufklärung andererseits herstellen und damit den Beweis mit Beweissurrogaten[112] im Interesse der besseren Sachaufklärung nur im Regelfall verhindern?[113]

1. Kein Aufklärungsinteresse bei mangelnder Unmittelbarkeit

Die Befürworter jener Auffassung akzeptieren nur "unmittelbare" Beweismittel und ziehen in Zweifel, dass das Gericht im Interesse einer Aufklärung auf mittelbare Beweismittel, konkret: Vernehmungsprotokolle zurückgreifen dürfe. Diese seinen mangelhaft und dienten nicht der Aufklärung. So wird einerseits die mangelnde Qualität der Vernehmungsprotokolle und andererseits die Abwesenheit des unmittelbaren Eindrucks des Zeugen hervorgehoben.[114] Zuzugeben ist, dass Protokolle inhaltlich mangelhaft sein können und idR nur ein Zerrbild der Aussage des Vernommenen darstellen.[115] Protokolle können aber auch das zuverlässigere Beweismittel sein.[116] Einschränkend ist weiter zu berücksichtigen, dass im Falle der ergänzenden Verlesung der Zeuge idR teilweise Angaben macht, so dass die Verfahrensbeteiligten zumindest einen ersten Eindruck erhalten. Die Frage lautet daher: Reicht diese potentielle Mangelhaftigkeit aus, um einen generellen Vorrang des Unmittelbarkeits- und Mündlichkeitsprinzips vor dem Aufklärungsinteresse zu rechtfertigen?

2. Die dienende Funktion des Unmittelbarkeitsprinzips

Geht man mit der h.M. davon aus, dass das Unmittelbarkeitsprinzip aus der Aufklärungspflicht des Gerichts folgt[117] und damit eine Konkretisierung dieser Pflicht darstellt, dann folgt daraus abstrakt, dass das Unmittelbarkeitsprinzip im Konflikt mit dem Aufklärungsinteresse zurückzutreten hat.[118] Bezogen auf die ergänzende Verlesung sprechen dafür konkret sowohl dogmatische als auch normative Gründe.

Zunächst einmal zeigen die gesetzlichen Verlesungsmöglichkeiten nach den §§ 251, 253, 256 StPO, dass die in § 250 StPO zum Ausdruck kommenden Prinzipien der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit nicht absolut gesetzt sind, sondern im Gegenteil in vielfacher Hinsicht relativiert sind und die StPO einen Ausgleich mit den vom Gesetz vorausgesetzten Aufklärungsmöglichkeiten anstrebt.[119] Insbesondere zeigt sich daran, dass materielle Mängel des Beweismittels deren zulässiger Einführung und Verwertung nicht grds. entgegenstehen, so dass teleologische Gründe gegen eine Absolutsetzung sprechen. Der Wortlaut lässt weiterhin eine Differenzierung zwischen Ersetzung und Ergänzung zu. Systematisch lässt sich ein formales Verständnis zumindest mit den §§ 68 ff. StPO in Einklang bringen, wonach die Vernehmung damit beginnt, dass der Zeuge über seinem Namen etc. befragt wird. Soweit man historisch überhaupt irgendetwas aus den Gesetzesmaterialien zur RStPO folgern möchte,[120] so könnte dem der methodische Rückgriff dadurch entzogen sein, dass nach der Gründung der BRD das Rechtsvereinheitlichungsgesetz vom 12. September 1950 die §§ 250, 253 StPO in – zumindest theoretischer – Kenntnis der Rechtsprechung unangetastet ließ.

Des Weiteren lassen sich durch die ergänzende Verlesung angemessenere Ergebnisse erzielen und zwar sowohl in Fällen der Berufung auf ein Auskunftsverweigerungsrecht als auch in den Fällen, in denen das Risiko besteht, dass es wegen eines mangelhaften Vernehmungsprotokolls zu einem materiell rechtswidrigen Urteil kommt. Würde diese potentielle Mangelhaftigkeit nur dazu führen, dass Angeklagte der materiellen Wahrheit zu wider freigesprochen werden, dann wäre allerdings nicht einzusehen, warum ein solches mangelhaftes Protokoll verlesen werden sollte.

Denn nur die Aufklärung der materiellen Wahrheit stellt ein (straf-) rechtlich relevantes Bewertungskriterium dar.[121] So ist es aber nicht. Gesetzt den Fall, dass im Protokoll wahrheitsgemäß ein entlastender Umstand aufgeführt ist und dieser unter Rekurs auf das absolute gesetzte Unmittelbarkeits- und Mündlichkeitsprinzip nicht verlesen wird, dann kann ein Angeklagter der materiellen Wahrheit zu wider verurteilt werden. In diesem Fall streitet das mit Verfassungsrang ausgestattete Aufklärungsinteresse an der materiellen Wahrheit[122] trotz der Mittelbarkeit des Beweismittels für eine Verlesung. Da man aber nicht weiß, ob und an welcher Stelle im Protokoll sich das Risiko der Mangelhaftigkeit verwirklicht, löst die alleinige Zulassung als Beweismittel das Problem, zu Unrecht verurteilt zu werden, nicht: Es bleibt ein Vabanquespiel. Das Risiko ließe sich allerdings auf der Ebene der Beweiswürdigung dadurch minimieren, dass das ergänzend verlesene Protokoll besonders vorsichtig gewürdigt wird und es ggf. zur Anwendung des Zweifelssatzes kommt.[123] Dies lässt sich mit der o.a. Mangelhaftigkeit des Beweismittels einerseits und mit der mangelnden Möglichkeit der Konfrontation andererseits begründen. Konkret bedeutet dies, dass im Falle von entlastenden Angaben im Protokoll (im Zusammenspiel mit den nicht ausreichenden entlastenden Bekundungen in der HV) es regelmäßig zu einer Überzeugungsbildung kommt, die nur ausnahmsweise entkräftet werden kann. Umgekehrt würde dann gelten, dass es im Falle von belastenden Angaben (im Zusammenspiel mit den nicht ausreichenden belastenden Bekundungen in der HV) regelmäßig nicht zu einer Überzeugungsbildung kommt, sondern nur dann, wenn noch weitere belastende Umstände hinzukommen.[124] Zwar würde mit einer solchen Minimierung des Riskos materiell rechtswidriger Verurteilungen die Steigerung des Risikos materiell rechtswidriger Freisprüche zunehmen. Allerdings "ist es besser, dass zehn Schuldige entkommen, als dass ein Unschuldiger verfolgt wird".[125]

D. Zusammenfassung

Wie eingangs bereits ausgeführt wird innerhalb des herrschenden Paradigmas der freie Vorhalt und die Einvernahme des Vernehmungsbeamten als Zeugen vom Hörensagen in der Hauptverhandlung für zulässig erachtet (A. III. 1.). Die Frage, ob und inwieweit außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 251, 253 StPO Vernehmungsprotokolle verlesen werden dürfen, ist strittig (B.): Sieht man von den unter B III. referierten Äußerungen ab bzw. interpretiert sie wohlwollend als Rezeption der Rspr. des BGH, ergibt sich zusammenfasend folgendes Bild:

In der Literatur werden zwar theoretische Konzepte vertreten, die eine (ergänzende) Verlesung nach dem Grundsatz der Freiheit des Urkundenbeweises sowohl grds. – nämlich in Ergänzung zur Vernehmungsperson – zulassen (B. II. 3.) als auch ausschließen wollen (B. I.). In der Praxis hat sich jedoch die partielle Zulässigkeit der Verlesung durchgesetzt. Begründet wird dies unter Rückgriff einmal auf § 250 S. 1 StPO (B. II. 1., wahrnehmungsunabhängige Tatsachen) und ein andermal auf § 250 S. 2 StPO (B. II. 2; zulässige Ergänzung). Jede dieser Begründungen ist Kritik ausgesetzt (C.). Am "überzeugendsten"[126] ist jedoch die Auffassung, die eine (ggf. doppelte) ergänzende Verlesung zur formal begonnenen Vernehmung nach dem Grundsatz der Freiheit des Urkundenweises für zulässig erachten, wenn die Beweiswürdigung besonders sorgsam durchgeführt und der Zweifelssatz für den Angeklagten spricht (C. III.). Betrifft die Verlesung Erinnerungslücken oder Widersprüche, kommt eine Verlesung nur nach Maßgabe des § 253 StPO in Betracht.[127] Verweigert der Zeuge in der Hauptverhandlung – rechtmäßig oder unrechtmäßig – die Angaben zur Sache, so steht § 250 StPO der Verlesung des Protokolls nicht im Wege. Da es sich bei der Weigerung weder um Erinnerungslücken noch um Widersprüche handelt, kommt die Verlesung grds. nach § 249 StPO ergänzend in Betracht, es sei denn andere Normen, wie z.B. § 252 StPO, stehen der Verlesung entgegen. § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO steht als Ausnahmevorschrift zu § 250 StPO einer ergänzenden Verlesung nicht im Wege: Wurde der Zeuge in der Hauptverhandlung gehört, dann können Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden auch dann verlesen werden, soweit sie eine Vernehmung dieses Zeugen zum Gegenstand haben. Aber auch hier gilt: Ist bei dieser ergänzenden Verlesung der Anwendungsbereich des § 253 StPO eröffnet, dann ist die Verlesung nur nach dessen Maßgabe zulässig. Das heißt, dass die Verlesung nur als letztes Mittel und in Anwesenheit des Zeugen zulässig ist, was u.a. die Einführung im Selbstleseverfahren unmöglich macht.


[1] Es handelt sich um den Kollege Rechtsanwalt Rakow, Berlin/Rostock, der auch das nachfolgende Zitat beigesteuert hat.

[2] Vgl. Norouzi, in: Müller/Schlothauer/Knauer, Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 3. Auflage 2022, § 9 Rn. 165; Sommer, Effektive Strafverteidigung, 4. Auflage, 2020 Rn. 1245.

[3] Cirener/Sander, in: Becker/Erb/Esser/Graalmann-Scheerer/Hilger/Ignor (Hrsg.), Löwe/Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 27. Aufl. 2019; § 250 Rn. 4a.

[4] BGH NJW 1965, 874; Hamm/Pauly, Die Revision in Strafsachen, 8. Auflage 2021, Rn. 1067.

[5] Mosbacher NStZ 2014, 1; Wömpner NStZ 1983, 293.

[6] Gubitz/Bock Jus 2007, 130, 131, Fn. 11; Wömpner NStZ 1983, 293.

[7] Grundlegend: Thomas S. Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, 2. Aufl. 1970, (Preface viii).

[8] Seit RGSt 20, 220, 222; vgl. auch RGSt 38, 432, 433; RGSt 50, 129, 130; RGSt 54, 13, 17; RGSt 61, 9 f.

[9] BGHSt 20, 169 ff.; BGH NJW 2004, 1468, 1469 = HRRS 2004 Nr. 297 ; BGH NStZ-RR 2019, 188 = HRRS 2019 Nr. 516

[10] R. Fischer, in: Heintschel-Heinegg/Bockemühl, KMR Kommentar zur Strafprozessordnung, § 253, Rn. 2; Ganter , in: Graf (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar, Strafprozessordnung, Ed. 1.1.2024, StPO § 253 Rn. 1; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung mit GVG und Nebengesetzen, Komme ntar, 66. Aufl. 2023, StPO § 253, Rn. 1; vgl. zum Streitstand Scheffler, in Heghmanns/Scheffler, Handbuch zum Strafverfahren, Kap. VII, Rn. 706 ff. m.w.N. Nach Göbel, Strafprozess, 8. Auflage 2013, S. 164 müssen auch im Falle des § 253 StPO die Voraussetzungen des § 251 Abs.1 Nr. 1 StPO erfüllt sein.

[11] Für den Praktiker instruktiv Gerst StraFo 2018, 273 ff., insb. 279 zum Paradigmenwechsel.

[12] Vgl. zum Streitstand Diemer, in: Barthe/Gericke (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Aufl. 2023, StPO § 249 Rn. 44 f. und Hanack, FS-Schmidt-Leichner, 83, 84 Fn. 6 m.w.N. Hier ist nur darauf hinzuweisen, dass der Vorhalt danach nicht unbegrenzt zulässig ist. Es bestehen Grenzen sowohl hinsichtlich seines Gegenstandes (vgl. BGH NStZ 2022, 119 = HRRS 2021 Nr. 931 ; OLG Düsseldorf NJW 1988, 217, 218 sowie Kühne, Strafprozessrecht, 9. Auflage, 2015, Rn. 940 und Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 8. Auflage 2015, Rn. 636) als auch seiner Art und Weise, insbesondere dann, wenn es sich um längere oder sehr komplexe Ausführungen handelt (BGH NJW 2011, 3733 = HRRS 2011 Nr. 1154 ). In diesen Fällen soll vom Vorhalt "nur in dem durch die Sachlage gebotenen Umfange und in einer Weise Gebrauch gemacht[werden], die[…]ausschließt," dass die Laien nicht verstünden, dass "nicht der Inhalt der vorgehaltenen Urkunde, sondern allein die durch den Vorhalt herbeigeführte Erklärung des Befragten"[…] "Grundlage für die vom Gericht zutreffende Entscheidung ist" (BGH NJW 1953, 192). Wird der Vorhalt rechtsmissbräuchlich eingesetzt, steht den Verfahrensbeteiligten nach § 238 Abs. 2 StPO die Möglichkeit zu, eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden zu beanstanden (BGH NJW 1953, 192, 293).

[13] Vgl. Cirener/Sander, a.a.O. (Fn. 3), § 250 Rn. 25 ff. und Diemer, a.a.O. (Fn. 12), § 250 Rn. 10 jeweils m.w.N. Zur Beweiswürdigung in diesen Fällen: Bartel, in: Schneider (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2024, StPO § 261 Rn. 293; kritisch zum Beweiswert der Protokolle Eisenberg JZ 1984, 912 ff.

[14] RGSt 1, 409, 413; RG Rspr. 5 (1883), 145, 147; ursprünglich ging das RG davon aus, dass § 252 RStPO (=§ 253 StPO) lediglich den Vorhalt regele. So führte es in RGSt 1, 409, 413 bereits am 7. Mai 1880 aus, dass "es sich[bei der Verlesung nach § 252 RStPO]um einen Akt der Beweisaufnahme[…]überhaupt nicht handelt, sondern gerade die unmittelbare Vernehmung dadurch vorbereitet und in ihren Ergebnissen befördert werden soll"; und a.a.O. 412 wird auf die Protokolle der Reichstagskommission verwiesen, wonach "selbstverständlich die Verlesung nur als Anhalt für die mündliche Verhandlung dienen, nicht dieselbe ersetzen" soll. Im Übrigen sei nach RG a.a.O., 413 ein "freier" Vorhalt nur für "eine vorherige Befragung über seine [des Zeugen]Wissenschaft" zulässig und für die Anwendung des § 252 RStPO auch notwendig" und es sei nach RG Rspr. 5 (1883), 145, 147 "nicht ausgeschlossen, daß[…]der Vorsitzende dem Zeugen Vorhalt darüber macht, daß [nicht wie! Hervorhebung d. Verf.]er früher genaue Wissenschaft von dem Vorgange gehabt, oder in ganz widersprechender Weise ausgesagt habe. Mit Urteil vom 30. Jan. 1890 schwenke das RG dann in RGSt 20, 220, 222 auf die heute h.M. um führte aus, dass § 252 RStPO=§ 253 StPO nicht zu der Annahme berechtige, dass der nach "§ 252 S.t.P.O. zulässigen Verlesung eine andere Bedeutung beizulegen sei, als der Verlesung anderer Schriftstücke" und "das eingeräumte Recht der freie Beweiswürdigung eingeschränkt sein soll" (vgl. auch RGSt 38, 432, 433; RGSt 50, 129, 130). Und weiter: "Die Verlesung nach § 252 StPO[…]macht den Inhalt des Verlesenen zum Gegenstande des Beweisergebnisses". Und spätestens mit Urteil vom 7. November 1919 hat das RG klargestellt, dass "Vorhalte aus polizeilichen Protokollen[…]nicht schlechthin unstatthaft[seien]; sie können insbesondere auch in der Form erfolgen, daß hierzu Teile des Protokolls verlesen werden" (RGSt 54, 13, 17); so auch bspw. RGSt 61, 9 f. Diese Rspr. hat der BGH mit Urteil vom 23. September 1952 übernommen und seitdem in ständiger Rspr. fortgeführt.

[15] Velten, in: Wolter (Hrsg.), Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. V, 5. Aufl. 2016, § 250 Rn. 13 ff. sowie § 253 Rn. 5 f.; Gerst StraFo 2018, 273 ff.; Hanack, a.a.O. (Fn. 12), S. 83, 87 (a.A. ders. JZ 1972, 274); Eb. Schmidt JZ 1964 537, 540.

[16] Velten, a.a.O. (Fn. 15), § 253 Rn. 5.

[17] Velten, a.a.O. (Fn. 15), § 250 Rn. 15.

[18] Velten, a.a.O. (Fn. 15), § 250 Rn. 4, 17, 20

[19] Insb. deshalb, weil beide Auffassungen auf die Beratungen in der Reichstagskommission zurückgehen. Vgl. insb. die Diskussion zu § 214 E-RStPO in Hahn (Hrsg.), Die Gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzten. Dritter Band. Materialien zur Strafprozeßordnung, Zweite Abt., S. 1343 ff.

[20] Schneidewin JR 51, 481, 485 spricht von " einem durch Gewohnheit festgelegten Rechtszustand ;" vgl. zum Paradigmenwechsel auch das grundlegende Werk von Kuhn, a.a.O. (Fn. 7).

[21] Ganter , a.a.O. (Fn. 10), § 250 Rn. 4 ff. ; Diemer , a.a.O. (Fn. 12), § 250 Rn. 2; Kreicker , in: Schneider (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2024 , § 250 Rn. 22; Julius/Engelstätter in: Gercke/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 7. Auflage 2023, § 250 StPO Rn. 4, 8; Knierim in: Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, Wirtschaftsstrafrecht, § 250 StPO, Rn. 5; Kudlich/Schuhr, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier (Hrsg.), StPO-Kommentar, 5. Aufl. 2023, StPO § 250 Rn. 13; Velten, a.a.O. (Fn. 15), § 250 Rn. 17 ff.

[22] Diemer , a.a.O. (Fn. 12), § 250 Rn. 2

[23] Kreicker , a.a.O. (Fn. 21), § 250 Rn. 22 ff.

[24] Mosbacher NStZ 2014, 1, 4 ff., OLG Zweibrücken Beschluss vom 12.9.2016 – 1 Ss 36/16, BeckRS 2016, 16734.

[25] RGSt 33, 128 f.

[26] Grünwald JZ 1966, 489, 493; Schneidewin JR 1951, 481, 483; Schünemann DRiZ 1979, 101, 107; aus der jüngeren Literatur: Gubitz/Bock JuS 2007, 130 ff.; dies. NJW 2008, 958, 961; wohl auch Kölbel NStZ 2005, 220, 221: "Weil sich also außerhalb der engen Sonderfälle des § 253 StPO, in denen dieses Verbot suspendiert ist, die Anhörung der Verhörsperson nicht ersetzen lässt, kann die Befragung der Auskunftsperson ansonsten nur durch den Zeugenbeweis, nicht aber durch das Protokoll ergänzt[!]werden". So wohl auch Kühne, a.a.O. (Fn. 12), Rn. 926 ff. und 935 ff.

[27] RGSt 33, 128 f.; Grünewald JZ 1966, 489, 493.

[28] Vgl. dazu Paul StV 2019, 768; a.A. Hamm, Die Revision in Strafsachen, 7. A. 2010, Rn. 857.

[29] Schneidewin JR 1951, 481, 482; wenn man "Mündlichkeit[…]als Synonym für unvermittelte Kommunikation zwischen mehreren sich von zu Person gegenüberstehenden Individuen" auffasst; Kühne, a.a.O. (Fn. 12), Rn. 710.

[30] Kölbel NStZ 2005, 220, 221; vgl. auch RGSt 33, 128 f.: "Es ist daher der Verdacht nicht abzuweisen, daß die Verlesung der früheren Aussagen des Zeugen noch für erforderlich erachtet worden ist, um seine Erklärungen in der Hauptverhandlung zu unterstützen und glaubwürdiger erscheinen zu lassen".

[31] Gubitz NJW 2008, 958, 961; Kölbel NStZ 2005, 220, 221.

[32] Ganter , a.a.O. (Fn. 10), § 250 Rn. 4.

[33] Ausdrücklich RGSt 61, 9; vgl. auch BGH NStZ-RR 2008, 48 = HRRS 2007 Nr. 968 ; BGH NStZ 2014, 607, 608 = HRRS 2014 Nr. 737 ; BGH, Urteil vom 29.08.2007 – 5 StR 103/07, HRRS 2007 Nr. 881 Rn. 17 ; vgl. auch Mosbacher NStZ 2014, Fn. 5; a.A. RGSt. 33, 128 f.

[34] Diemer , a.a.O. (Fn. 12), § 250 Rn. 2; unklar Kudlich/Schuhr, a.a.O. (Fn. 21), § 250, Rn. 13: "kann auch [!]der Überprüfung der Richtigkeit der Aussage dienen"; Lickleder/Sturm in: Breyer/Endler/Sturm, AnwaltFormulare Strafrecht, Kapitel 5, Rn. 512; Sättele , in: Satzger/Schluckebier/Widmaier (Hrsg.), StPO-Kommentar, 5. Aufl. 2023, StPO §  244 Rn. 187; Peters JZ 1965, 650. Wömpner NStZ 1983, 293, 294; vgl. auch Hanauer, in: Hahn (Fn. 8), Erste Abt., S. 864.

[35] Julius/Engelstätter. a.a.O. (Fn. 21), § 250 StPO Rn. 4.

[36] Vgl. Kuckuck, Zur Zulässigkeit von Vorhalten aus Schriftstücken in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens, 1977, S. 226; Schneidewin JR 1951, 481, 482

[37] Peters JZ 1965, 650: "Die Glaubwürdigkeitsfrage wird von § 250 StPO überhaupt nicht berührt".

[38] Vgl. RGSt 31, 318.

[39] Vgl. Wömpner NStZ 1983, 293, 295, der zwar einen logisch gültigen Schluss präsentiert, aber verkennt, dass die inhaltliche Wahrheit seiner Konklusion davon abhängt, dass die Prämisse (Inhalt des Protokolls=Inhalt der Vernehmung) wahr ist. Ob diese wahr ist, kann und muss im Strengbeweisverfahren bewiesen werden.

[40] Wömpner NStZ 1983, 293, 295.

[41] RGSt 61, 9; vgl. auch RGSt 37, 317, 318: danach verliere "das Protokoll das Wesen eines Zeugenprotokolls und nimmt den Charakter einer Beweisurkunde an", wenn "lediglich festgestellt werden[soll], daß[…]der Zeuge früher bereits eine Aussage[…]gemacht hat;" vgl. zur Beweisurkunde § 60 SGB I.

[42] Vgl. speziell zur Inkonstanz bspw. BGH NStZ 2014, 607 f.

[43] RGSt 61, 9 f.

[44] Koffka ZStW 1972, S. 668, 707; vgl. auch Alsberg, Der Beweisantrag im Strafprozess, 8. Auflage 2022, Teil 2, Kap. 5, Rn. 182; Wömpner NStZ 1983, 293, 295; RGSt 61, 9: "Hiernach handelte es sich bei dieser Verlesung nicht darum, durch sie Beweis über die von St. wahrgenommenen Tatsachen zu erheben, was allerdings nach § 250 StPO unzulässig gewesen sein würde;" dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zu anderen Aussagen des RG, wonach das Recht der freie Beweiswürdigung bei der Verlesung nach § 252 RStPO=§ 253 StPO nicht eingeschränkt sei (RGSt 20, 220, 222, RGSt 38, 432, 433 und RGSt 50, 129, 130).

[45] Cirener/Sander , a.a.O. (Fn. 3), § 250 Rn. 2; Mosbacher NStZ 2014, 1, 2 und bei Fn. 5, wo er sich insb. gegen eine "teilw. ältere Auffassungen [ausspricht], wonach die Glaubwürdigkeit betreffende Tatsachen (wie etwa die Aussagekonstanz) überhaupt nicht von § 250 StPO erfasst werden, so dass zur Feststellung des früheren Aussageinhalts Vernehmungsprotokolle stets verlesen werden" könnten.

[46] Vgl. BGH NStZ-RR 2008, 48: "§ 250 StPO untersagt nämlich nur die Ersetzung der Zeugenaussage[…], dass neben der Vernehmung[…]eine frühere protokollarisch[…]festgehaltene Äußerung dieser Person im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird, verbietet die Vorschrift nicht"; Elbs/Klemke , Einführung in die Praxis der Strafverteidigung, Rn. 978; Hamm/Pauly, a.a.O. (Fn. 4 ), Rn. 1072; unklar Kudlich/Schuhr, a.a.O. (Fn. 21), § 250, Rn. 13: "kann auch[!]der Überprüfung der Richtigkeit der Aussage dienen;" Sättele, a.a.O. (Fn. 40), § 244 Rn. 187; Schlothauer/Weider/Wollschläger , Verteidigung im Revisionsverfahren, 3. Aufl . 2018, Rn 1235.

[47] Was nicht heißt, dass die Verlesung zugleich erlaubt sein muss!

[48] Tondorf/Tondorf, in: Hamm/Leipold, Beck’sches Formularbuch für den Strafverteidiger, 5. Auflage 2010, S. 356 (VII A. 15 Hauptverfahren, Beweisverbote 5. b ff.).

[49] Vgl. BGH NStZ 1982, 342.

[50] BGH NJW 2007, 2341, 2342 (Rn. 20) = HRRS 2007 Nr. 623 .

[51] Vgl. Kreicker, a.a.O. (Fn. 21), § 250 Rn. 34.

[52] Vgl. Artkämper/Sotelsek JURA 2008, 579, 581.

[53] BGH NStZ 1982, 342; BGH NJW 2007, 2195. 2197 =  HRRS 2007 Nr. 583 : "[…]ist aber eine Vernehmung möglich. Der Zeuge muss Angaben zur Person machen; gegebenenfalls muss er gem. §  56 StPO das Bestehen des Auskunftsverweigerungsrechts glaubhaft machen;" BGH NJW 2018, 2809, 2811 (Rn. 18) = HRRS 2018 Nr. 630 ; so wohl auch Julius/Engelstätter , a.a.O. (Fn. 21), § 250 Rn. 8; Martin, in: Krekeler/Löffelmann (Hrsg.), Anwaltkommentar Strafprozessordnung, 2. Auflage, Bonn 2010, § 250 Rn. 5

[54] BGH NStZ 1982, 342; BGH NJW 2007, 2195. 2197; Wömpner NStZ 1983, 293, 294.

[55] Cirener/Sander, a.a.O. (Fn. 3), § 250 Rn. 19; einerseits formal, da nicht auf den Inhalt der Angaben abgestellt wird, andererseits normativ, da die Kriterien, ab wann eine Vernehmung vorliegt, eine wertende Betrachtung erfordern.

[56] Cirener/Sander , a.a.O. (Fn. 3), § 250 Rn. 17.

[57] Cirener/Sander, a.a.O. (Fn. 3), § 250 Rn. 17; Kudlich/Schuhr, a.a.O. (Fn. 21), 250 Rn. 13 i.V.m. § 253 Rn. 6.

[58] Die Relevanz dieser Auffassung zeigt sich erst bei der Anwendung auf andere Erklärungen i.S.d. § 250 S. 2 2. Alt. StPO, da für diese § 253 StPO nicht gilt und somit auch Widersprüche und Ergänzungen in durch die Verlesung eingeführt werden können.

[59] Artkämper/Sotelsek JURA 2008, 579, 581; Cornelius NStZ 2008, 244, 245; Eckstein , in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts Band 8, § 49 Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, Rn. 75; Mitsch JZ 1992, 174, 179; BGH NJW 2007, 2341, 2342 (Rn. 20.) dort im Zusammenhang mit § 251 StPO: "wenn ein Zeuge zwar[…] erscheint, seine Angaben aber,[…]unvollständig sind[…]kann es die in § 244 II StPO normierte Pflicht zu umfassender Sachaufklärung ebenfalls erfordern, die fehlenden Teile einer Aussage in der Hauptverhandlung gem. § 251 StPO zu ,ersetzen‘." So auch Pauly, in: Radtke/Hohmann, Strafprozessordnung, 2011, § 250 Rn. 21.

[60] Kreicker, a.a.O. (Fn. 21), § 250 Rn. 31 ff.

[61] BGH NStZ 2016, 428 = HRRS 2016 Nr. 58 ; Kreicker, a.a.O. (Fn. 21), § 250 Rn. 31 ff.

[62] Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 10. Aufl. 2017, Rn. 2082 hält eine ergänzende Verlesung nach § 250 StPO für unzulässig, wenn das Protokoll Sachbereiche betrifft, zu denen der Zeuge in der HV keine Angaben gemacht hat; BGH NStZ 2016, 428: "Sachverhaltskomplex".

[63] Mosbacher NStZ 2014, 1, 4 ff. sowie Mosbacher, in: Becker/Erb/Esser/Graalmann-Scheerer/Hilger/Ignor (Hrsg.), Löwe/Rosenberg, Die Strafprozessordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, Großkommentar, 27. Aufl. 2019; § 253 Rn. 10; ihm ausdrücklich folgend OLG Zweibrücken Beschluss vom 12.9.2016 – 1 Ss 36/16, BeckRS 2016, 16734; OLG Frankfurt /Main StV 1996, 202; unklar BGH Beschl. v. 24.1.2012 – 4 StR 493/11, HRRS 2012 Nr. 271 ; wohl auch Kloke NStZ 2019, 374, 378.

[64] Mosbacher NStZ 2014, 1, 8: "Allerdings dürfte es untunlich sein, schriftliche Angaben von Zeugen in die Hauptverhandlung einzuführen, bevor der Zeuge vernommen wurde" und "hat die Vernehmung[…]stattgefunden[…]ist[…]eine ergänzende Verlesung […]zulässig."

[65] Dem liegt meine Interpretation von OLG Zweibrücken Beschluss vom 12.9.2016 – 1 Ss 36/16, BeckRS 2016, 16734 zugrunde.

[66] Mosbacher NStZ 2014, 1, 4 ff.

[67] Ein Vorläufer dieser Idee findet sich bereits bei RGSt 37, 317, 318, wonach "das Protokoll das Wesen eines Zeugenprotokolls" verlieren und "den Charakter einer Beweisurkunde an[-nehmen]" könne.

[68] Mosbacher NStZ 2014, 1, 5.

[69] Mosbacher NStZ 2014, 1, 6.

[70] Ganter , a.a.O. (Fn. 10), Rn. 4 und Soiné , in: Soiné, Strafprozessordnung, 144. Lieferung, 12/2023, § 250 StPO stellen auf BGH NJW 2004, 1468 f. ab, der wie Paulus, in: Heintschel-Heinegg/Bockemühl, KMR Kommentar zur Strafprozessordnung, § 250 Rn. 9 f. dann auf BGHSt 20, 160 rekurriert; unklar auch Sommer, a.a.O. (Fn. 2), Rn. 1245: "spricht nichts[!]dagegen[…]sein[…] Vernehmungsprotokoll im Urkundenbeweis einzuführen."

[71] BGH NJW 1965, 874.

[72] Dies gilt auch für solche Entscheidungen wie BGH NStZ-RR 2008, 48, die bspw. ausführen, "dass neben der Vernehmung[...]eine frühere protokollarisch[...] im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird, verbietet[...][§ 250 StPO] nicht. Es ist vielmehr von dem[...]Grundsatz auszugehen, dass das Gesetz den Urkundenbeweis zulässt, wo es ihn nicht ausdrücklich untersagt." Denn die Entscheidung verweist auf BGHSt 20, 160, 161 und damit darauf, dass "das Gesetz […]insofern in § 253 StPO[…]eine besondere Vorkehrung für die Verwendung von Protokollen getroffen" hat.

[73] BGH NStZ-RR 2008, 48 mit Verweis auf BGHSt 20, 160.

[74] Vgl. Schneidewin JR 1951, 481, 482 f.: "Richtig sein kann allein die Auslegung, daß der Urkundenbeweis seines Mangels an Zuverlässigkeit wegen, mag er nun allein oder neben anderen Beweismitteln stehen, schlechthin unzulässig ist. Das Wort ,ersetzen‘ dient nur einer sprachlich gefälligen Einkleidung für das Verbot des Urkundenbeweises, ohne daß das Verbot an dieser Stelle eingeschränkt werden soll;" RGSt 33, 128 f: "Ein Zurückgehen auf die Ergebnisse der Voruntersuchung ist nicht statthaft, insofern die dort benußten Beweismittel dem erkennenden Gerichte selbst zugänglich gemacht werden können".

[75] Sax JZ 1967, 229, 230.

[76] Krüger, in: Schneider (Hrsg.), Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2024, § 256 Rn. 1; vgl auch BT-Drs. 15/1508, S. 26: "Durch die Änderung soll vermieden werden, dass jeder Angehörige einer Strafverfolgungsbehörde, insbesondere ein Polizeibeamter, dessen Tätigkeit auch nur zu einer Indiztatsache im Prozess beiträgt, als Zeuge aussagen muss. Ausdrücklich nicht verlesen werden können jedoch Vernehmungsprotokolle; soweit eine Verlesung derartiger Protokolle nach anderen Vorschriften möglich ist, bleibt dies unberührt."

[77] Gubitz/Bock JuS 2007, 130, 130; Kölbel NStZ 2005, 220; Kuckuck, a.a.O. (Fn. 42), S. 225; Löhr, Der Grundsatz der Unmittelbarkeit im deutschen Strafprozess, 1972, S. 127 f.; Oetker JW 1925, 2474; Peters JZ 1965, 649; vgl. auch Mosbacher NStZ 2014, 1, 4.

[78] Cirener/Sander , a.a.O. (Fn. 3), § 250 Rn. 18a; Kudlich/Schuhr, a.a.O. (Fn. 21), § 253, Rn. 1; Wömpner NStZ 1983, 293, 296.

[79] Vgl. Eckstein , a.a.O. (Fn. 59), Rn. 148; Wömpner NStZ 1983, 293, 296 spricht von Doppelnatur.

[80] BGH NJW 1961, 327; vgl. Eisenberg JZ 1984, 912 ff.

[81] Mosbacher NStZ 2014, 1, 6; vgl. auch unten III. 2.

[82] Mosbacher NStZ 2014, 1, in Fn. 24.

[83] BGH NStZ 1995, 609; BGH StV 1990, 533.

[84] Vgl. Schlüchter, Mittlerfunktion der Präjudizien, S. 83 ff.

[85] Lehnt er die Prämisse dieser Auffassung ab, kann er sie nicht schlüssig in seine Argumentation einbauen.

[86] Dafür spricht bspw. die ebenfalls von Mosbacher angeführte Entscheidung BGH 4 StR 493/11, wonach das Vernehmungsprotokoll zwar " zum Zwecke der Feststellung der inhaltlichen Übereinstimmung der Angaben der Zeugen KHK S. und KHK B. mit diesem Protokoll verlesen worden" seien, diese Verlesung aber "lediglich[sic!]der Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen KHK S. gedient hat" und "der in § 250 StPO niedergelegte Grundsatz der Unmittelbarkeit[daher]nicht verletzt" sei.

[87] OLG Frankfurt /Main StV 1996, 202; das OLG Zweibrücken bezieht sich mit Beschluss vom 12.9.2016 – 1 Ss 36/16, BeckRS 2016, 16734 ohne weitere Begründung auf Mosbachers Auffassung.

[88] BGH NJW 1965, 874 ff.; diese mangelnde Differenzierung kritisieren auch Gubitz/Bock JuS 2007, 130, 131 a.E.

[89] BGH NStZ 2013, 479 = HRRS 2013 Nr. 427 ; vgl. BGH Urt. v. 2. 3. 1983 – 2 StR 744/82 bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984, 14, 17 (Nr. 17); vgl. Schmitt, a.a.O. (Fn. 10), § 250 Rn. 12 a.E.

[90] Cirener/Sander , a.a.O. (Fn. 3), § 250 Rn. 2; Mosbacher NStZ 2014, 1, 2 und bei Fn. 5, wo er sich insb. gegen eine "teilw. ältere Auffassungen [ausspricht], wonach die Glaubwürdigkeit betreffende Tatsachen (wie etwa die Aussagekonstanz) überhaupt nicht von § 250 StPO erfasst werden, so dass zur Feststellung des früheren Aussageinhalts Vernehmungsprotokolle stets verlesen werden" könnten.

[91] Kölbel NStZ 2005, 220, 221; Mosbacher NStZ 2014, 1, 4; vgl. bereits RGSt 67, 253, 254.

[92] Kreicker, a.a.O. (Fn. 21), § 250 Rn. 11.

[93] RGSt 67, 253, 254; Kölbel NStZ 2005, 220, 221.

[94] Kuckuck, a.a.O. (Fn. 42), S. 226.

[95] In RGSt 71, 10 f. wird auf die "Natur" des in § 250 StPO geregelten Grundsatzes abgestellt; vgl. auch BGH NJW 1965, 874, 875 und BGH NJW 2018, 2809, 2811: " der in § 250 S. 2 StPO normierte Vorrang des Personalbeweises[schränkt]den grundsätzlich zulässigen ( BGHSt 20, 160[161 f.]= NJW 1965, 1965, 874) Urkundenbeweis nicht weiter als für seine Zielsetzung einer besseren Sachaufklärung erforderlich ein."

[96] Auch hier gilt die bereits oben (C. I.) geäußerte Kritik von Sax JZ 1967, 229, 230: Dadurch, dass die Relativität des Unmittelbarkeitsprinzip vorausgesetzt wird, wird das Auslegungsproblem vorab geklärt.

[97] Kreicker, a.a.O. (Fn. 21), § 250 Rn. 34.

[98] Gubitz NJW 2008, 958, 960.

[99] Vgl. BGH NStZ 2016, 428: "Sachverhaltskomplex".

[100] Vgl. § 163a Abs. 1 S. 2 StPO.

[101] Vgl. Langkeit/Cramer StV 1996, 230, 231; Gatzweiler/Mehle, in: Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle, Strafverteidigung in der Praxis, 4. Auflage 2007, § 9, Rn. 341.

[102] Kreicker, a.a.O. (Fn. 21), § 250 Rn. 37.

[103] BGH NJW 2007, 2341, 2342.

[104] Wird vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, kann allerdings § 252 StPO einer Verlesung entgegenstehen.

[105] Vgl. BGH NJW 2007, 2341, 2342 f.

[106] Vgl. Wömpner NStZ 1983, 293, 296; vgl. zum Verhältnis der §§ 249, 250 und 253 StPO untereinander einerseits Kloke NStZ 2019, 374, 378 und andererseits Schmitt, a.a.O. (Fn. 10), § 253 Rn. 1; Mosbacher, a.a.O. (Fn. 63), § 253 Rn. 1; Diemer , a.a.O. (Fn. 12), § 253 Rn. 1 und Eckstein , a.a.O. (Fn. 59), Rn. 145.

[107] Kritisch zu einer Gleichbehandlung von Protokollen und Erklärungen auch Mosbacher NStZ 2014, 1, 4.

[108] Vgl. auch das Beispiel bei Kreicker, a.a.O. (Fn. 21), § 250 Rn. 34.

[109] OLG Saarbrücken JR 1973, 472.

[110] Kudlich/Schuhr, a.a.O. (Fn. 21), § 253 Rn. 6.

[111] Vgl. Duignan, "Occam’s razor". Encyclopedia Britannica, 27. Mai 2024, https://www.britannica.com/topic/Occams-razor. Letzter Zugriff am 2. Juni 2024.

[112] Cirener/Sander, a.a.O. (Fn. 3), § 250 Rn. 1.

[113] Cirener/Sander, a.a.O. (Fn. 3), § 250 Rn. 1.

[114] Gubitz NJW 2008, 958, 961.

[115] Gubitz NJW 2008, 958, 961.

[116] Vgl. Hamm, a.a.O. (Fn. 28), Rn. 858a.

[117] Vgl. Hamm, a.a.O. (Fn. 28), Rn. 858, 872; Kudlich/Schuhr, a.a.O. (Fn. 21), § 250 Rn. 5; Kühne, a.a.O. (Fn. 12), Rn. 914.

[118] Vgl. Hamm, a.a.O. (Fn. 28), Rn. 858: "Oberster[…]Grundsatz des Strafverfahrens ist die Pflicht des Richters, von Ams wegen die Wahrheit zu erforschen ("Aufklärungspflicht").[…]Dass die Beweisaufnahme regelmäßig eine unmittelbare sein muss, ist nach deutschen Recht […]kein Verfahrensgrundsatz, sondern nur ein Anwendungsfall der Aufklärungspflicht", etwas schwächer Hamm/Pauly, a.a.O. (Fn. 4), Rn. 1069.

[119] Sax JZ 1967, 229, 230 bemängelt bspw., dass das Auslegungsergebnis dadurch entschieden wird, dass man das Unmittelbarkeitsprinzip absolut setzt.

[120] Kritisch Velten, a.a.O. (Fn. 15), § 250 Rn. 1; die Motive, vgl. Hahn, a.a.O. (Fn 8), Erste Abt. S. 194 ff., sind insoweit unergiebig; die Diskussion in der Reichtstagskommission, vgl. Hahn, a.a.O. (Fn. 8), Erste Abt. 863 ff. und a.a.O., Zweite Abt., S. 1343 ff. ergibt kein homogenes Bild; ohnehin bildet Hahns Materialiensammlung nur einen kleinen Teil der Gesetzgebungsgeschichte ab, vgl. Schubert JZ 1978, 98.

[121] Vgl. Metz ZStW 2021, 447, 464.

[122] Vgl. Metz ZStW 2021, 447, 464.

[123] Vgl. BGHSt 49, 112 = HRRS 2004 Nr. 200; vgl. ähnlich zu § 253 StPO Artkämper/Sotelsek JURA 2008, 579, 585.

[124] So zu § 253 StPO Artkämper/Sotelsek JURA 2008, 579, 586: "Dem Urkundenbeweis[…]kommt wegen grundsätzlicher Bedenken gegen seinen Beweiswert nicht die Fähigkeit zu, allein eine zweifelsfreie richterliche Überzeugung zu begründen, die für eine Verurteilung[!]erforderlich ist;" vgl. auch BGH NJW 1966, 211 und auch BGH NStZ 1993, 293, wonach eine unberechtigte Aussageverweigerung bei der richterlichen Überzeugungsbildung zugunsten des Angeklagten verwertet werden darf.

[125] Vgl. zu "Blackstone’s ratio" Halvorsen, Criminal Justice Ethics Volume 23, 2004, Ausgabe 2, 3 ff.

[126] Einschränkend ist zu sagen, dass es Probleme dann gibt, wenn die Vernehmungsperson verstorben ist. Denn dann kann es streng genommen nicht zu einer doppelten ergänzenden Verlesung kommen.

[127] Vgl. dazu instruktiv Gerst StraFo 2018, 273 ff.