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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juli 2024
25. Jahrgang
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1. Ist wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich, ist eine Jugendstrafe zu verhängen, ohne dass es darauf ankommt, ob eine Erziehungsbedürftigkeit oder -fähigkeit festgestellt werden kann. (BGHSt)
2. Nach § 17 Abs. 2 Var. 2 JGG wird Jugendstrafe verhängt, wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Die Schuldschwere ist nach jugendspezifischen Kriterien zu bestimmen. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist die innere Tatseite; dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat kommt nur insofern Bedeutung zu, als hieraus Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und das Maß der persönlichen Schuld gezogen werden können. Entscheidend ist, inwieweit sich die charakterliche Haltung, die Persönlichkeit und die Tatmotivation des jugendlichen oder heranwachsenden Täters in der Tat in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. (Bearbeiter)
3. Ein Erfordernis der Erziehungsbedürftigkeit bei der wegen der Schwere der Schuld erforderlichen Jugendstrafe sieht der Wortlaut des § 17 Abs. 2 JGG nicht vor. Das zwischen den beiden Varianten stehende „oder“ macht vielmehr deutlich, dass mit § 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG (schädliche Neigungen) die sog. „Erziehungsstrafe“ adressiert ist, und mit § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG – als selbständige Alternative dazu – die sog. „Schuldstrafe“. Diese setzt nach dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 JGG gerade nicht voraus, dass ihre Verhängung zu Erziehungszwecken notwendig ist. (Bearbeiter)
4. Aus dem in § 2 Abs. 1 JGG normierten Leitprinzip, nach dem vorrangig alle Rechtsfolgen am Erziehungsgedanken auszurichten sind, sowie aus der Regelung des § 18 Abs. 2 JGG lässt sich eine andere wortgetreue Auslegung des § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG nicht herleiten. Solches ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass bei der Bemessung der Jugendstrafe „die erforderliche erzieherische Einwirkung“ zu ermöglichen ist. Denn daraus kann angesichts des
dargelegten Wortlauts des § 17 Abs. 2 JGG gerade nicht der Schluss gezogen werden, ein Erziehungsbedürfnis und eine -fähigkeit würden auch schon bei der Verhängung vorausgesetzt. (Bearbeiter)
5. § 17 Abs. 2 Var. 2 JGG lässt als Voraussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe genügen, dass „wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.“ Eine besondere Fallgruppe der „Kapitaldelikte“, der „schweren Gewaltdelikte“ oder der „gravierenden Sexualdelikte“ sieht das Gesetz hingegen nicht vor. Es mag zwar zutreffen, dass die Schwere der Schuld insbesondere bei Straftaten gegen das Leben und anderen besonders schweren Straftaten häufiger zu bejahen ist; eine hierauf beschränkte schematische Betrachtung ist jedoch unzulässig. (Bearbeiter)
1. Ein kausaler und finaler Vermögensvorteil im Sinne von § 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (in der Fassung vom 12. Juli 2018) kann sich auch aus der Nichtabführung von Sozialabgaben und der Nichtanmeldung von Lohnsteuer für die Arbeitstätigkeit der eingeschleusten Person im Inland ergeben. Eines unmittelbaren Zusammenhangs mit der Einschleusung bedarf es nicht. (BGHSt)
2. Bei § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG aF handelt es sich nicht um ein echtes Blankettgesetz. Die Norm selbst umschreibt das strafbare Verhalten – Aufenthalt im Bundesgebiet ohne erforderlichen Aufenthaltstitel – und ist für den Normadressaten schon aus sich heraus verständlich. (Bearbeiter)
3. Änderungen in Rechtsvorschriften, die das normative Tatbestandsmerkmal „ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Absatz 1 Satz 1“ aus § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG aF ausfüllen, stellen deshalb keine Rechtsänderung im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB dar. Durch Verweisungen ins Leere entstandene Lücken können daher durch eine ergänzende Auslegung anhand des mutmaßlichen gesetzgeberischen Willens geschlossen werden. (Bearbeiter)
4. Bei der Beurteilung von Fehlverweisungen im strafrechtlichen Kontext ist zwischen (echten) Blanketttatbeständen und Tatbeständen mit normativen Tatbestandsmerkmalen zu unterscheiden. Allein Fehlverweisungen in (echten) Blankettgesetzen führen stets zu einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG und zur (vorübergehenden) Straffreiheit gemäß § 2 Abs. 3 StGB, während Fehlverweisungen in Ausfüllungsnormen normativer Tatbestandsmerkmale im Grundsatz einer Korrektur durch (ergänzende) Auslegung zugänglich sind. (Bearbeiter)
1. Das Dauerdelikt des Waffenbesitzes (§ 52 Abs. 3 Nr. 1 WaffG) erfährt sachlich-rechtlich eine Zäsur, wenn sich der Täter entschließt, mit dieser Waffe ein Verbrechen zu begehen. Dann stellen die Abschnitte vor und nach dieser Tat jeweils eigene selbstständige Handlungen (§ 53 Abs. 1 StGB) dar und sind regelmäßig auch als eigenständige prozessuale Taten im Sinne von § 264 StPO zu qualifizieren.
2. Bei der zum weiterhin uneingeschränkt verbotenen Handeltreiben mit Cannabis bestimmten Menge ist eine konsumnahe und nicht strafbare Freimenge (§ 2 Abs. 3 KCanG) nicht abzuziehen.
3. Beim verbotenen Besitz von Cannabis ist der geänderten Risikobewertung des Gesetzgebers dadurch Rechnung zu tragen, dass die für die verfahrensgegenständliche Umgangsform bestimmte Menge in dem Umfang außer Acht bleibt, in dem ihr Besitz nicht strafbar ist. Bei Abzug der jeweils erlaubten und vom Gesetzgeber als unbedenklich erachteten Freimengen bleibt ein hinreichender, in den Normalstrafrahmen (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG) einzuordnender Strafbarkeitsbereich.
1. Der Senat hält auch nach neuem Recht daran fest, dass eine von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erteilte Entsendebescheinigung A 1 auch die deutschen Organe der Strafrechtspflege bindet. Die Bindungswirkung entfällt grundsätzlich auch bei missbräuchlich oder betrügerisch erwirkte Bescheinigungen andere Mitgliedstaaten.
2. Strafrechtlich entfaltet vor dem Hintergrund des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 Abs. 2 GG) bei verwaltungsakzessorischen Straftatbeständen die Verwaltungsentscheidung, hier in Form der Entsendebescheinigung,
grundsätzlich Tatbestandswirkung. Es kommt allein auf die formelle Wirksamkeit der Entscheidung, nicht auf ihre materielle Rechtmäßigkeit an (vgl. BGHSt 65, 257 Rn. 49 ff.). Da die Tatbestandswirkung auf dem Bestimmtheitsgrundsatz beruht, kann sie strafrechtlich nicht rückwirkend entfallen, unabhängig davon, ob eine solche Rückwirkung verwaltungsrechtlich möglich wäre.
1. Die nicht geringe Menge Cannabis gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG entspricht weiter dem bisherigen Grenzwert für die nicht geringe Menge nach dem Betäubungsmittelgesetz, der bei 7,5 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC) liegt.
2. Das wiederholte Auffüllen eines Betäubungsmittelvorrats führt grundsätzlich nicht zur Verklammerung der Erwerbsakte zu einer Bewertungseinheit. Eine Bewertungseinheit kommt zwar dann in Betracht, wenn die Betäubungsmittel aus verschiedenen Erwerbsvorgängen zu einem einheitlichen Verkaufsvorrat vereint werden, im Sinne einer jedenfalls teilweisen gemeinsamen Veräußerung. Der bloße Umstand, dass bei jedem Neukauf noch Reste der vorangegangenen Lieferung vorhanden waren, die mit den neuerworbenen Betäubungsmitteln vermischt wurden, verbindet jedoch nicht sämtliche Ankäufe zu einer einheitlichen Vorratsmenge. Dies gilt selbst dann, wenn die einzelnen Portionen von einem Lieferanten stammten und dieser sie seinerseits aus einem einheitlichen Vorrat entnommen hatte. Allein der gleichzeitige Besitz mehrerer Betäubungsmittelmengen verbindet die hierauf bezogenen Handlungen nicht zu einer Tat des Handeltreibens.
3. Mehrere Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln können unabhängig vom Vorliegen einer Bewertungseinheit zueinander dann in Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB stehen, wenn ihre tatbestandlichen Ausführungshandlungen sich – teilweise – überschneiden. Da das Vorhalten einer Handelsmenge zum Vertrieb als Teilakt des Handeltreibens anzusehen ist, vermag der gleichzeitige Besitz zweier für den Verkauf bestimmter Vorräte jedenfalls dann Tateinheit in diesem Sinne zu begründen, wenn die Art und Weise der Besitzausübung über eine bloße Gleichzeitigkeit hinausgeht und die Wertung rechtfertigt, dass – etwa wegen eines räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs– die tatsächliche Ausübung des Besitzes über die eine Menge zugleich die Ausübung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die andere darstellt.
1. Die Neuregelung des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz) vom 27. März 2024 sieht sowohl für das Handeltreiben mit Cannabis (in nicht geringer Menge) im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 4 KCanG als auch für den Regel- und den minder schweren Fall des bandenmäßigen Handeltreibens mit Cannabis (in nicht geringer Menge) im Sinne des § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG gegenüber den § 29a Abs. 1 sowie des § 30a Abs. 1 und 3 BtMG geringere Strafrahmen vor und ist deshalb das mildere Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB; dies hat das Revisionsgericht auf die Sachrüge hin zu beachten.
2. Beihilfe kann grundsätzlich auch dadurch geleistet werden, dass der Gehilfe seinerseits die Tatförderung eines (weiteren) Gehilfen unterstützt (sogenannte „Beihilfe zur Beihilfe” oder auch „Kettenbeihilfe“). Voraussetzung hierfür ist aber (allgemeinen Grundsätzen entsprechend), dass der Angeklagte die weitere Tatbestandsverwirklichung nach Kenntniserlangung durch ein strafrechtlich relevantes Verhalten in irgendeiner Weise objektiv fördert. Die bloß einseitige Kenntnisnahme von der Tat eines anderen und deren subjektive Billigung ohne einen die Tatbegehung objektiv fördernden Beitrag reichen grundsätzlich als (auch nur psychische) Beihilfe nicht aus.
3. Allein die mittäterschaftliche Tatbeteiligung eines Angeklagten belegt oder begründet für sich betrachtet keine tatsächliche Verfügungsgewalt im Sinne von § 73 StGB. Einem Tatbeteiligten kann die Gesamtheit des aus der Tat Erlangten mit der Folge einer gesamtschuldnerischen Haftung nur dann zugerechnet werden, wenn sich die Beteiligten einig sind, dass jedem die Mitverfügungsgewalt hierüber zukommen soll, und er diese auch tatsächlich hatte. Dabei genügt es, dass der Tatbeteiligte zumindest faktische oder wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt über den Vermögensgegenstand erlangte. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den betreffenden Vermögensgegenstand nehmen konnte.
1. Der Grenzwert der nicht geringen Menge im Sinne der Vorschrift liegt bei 7,5 g THC. Der Senat sieht weder Anlass noch Möglichkeit, den bislang unter der Geltung des BtMG für Cannabisprodukte anerkannten Grenzwert abweichend festzusetzen.
2. Bei der Prüfung, ob und in welchem Maß sich die Tathandlung auf eine in diesem Sinn nicht geringe Menge bezogen hat, wird – ebenso wie in den weiteren Fällen des straffreien Umgangs mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 12 KCanG) – derjenige Teil der Gesamtmenge, mit dem der jeweilige Umgang straffrei wäre, außer Betracht zu bleiben haben und erst die die Grenze zur Strafbarkeit überschreitende Stoffmenge daraufhin zu untersuchen sein, ob und inwieweit sie ihrem Wirkstoffgehalt nach den Grenzwert von 7,5 g THC erreicht bzw. überstiegen hat.
Dem Umstand, Cannabis sei eine „weiche Droge“, darf aus gesetzessystematischen Gründen keine strafmildernde Wirkung mehr beigemessen werden, weil das KCanG Regelungen allein zu dieser Droge enthält.