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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2024
25. Jahrgang
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1. Die Anordnung einer Funkzellenabfrage nach § 100g Abs. 3 Satz 1 StPO setzt den Verdacht einer besonders schweren Straftat nach § 100g Abs. 2 StPO voraus. Die in § 100g Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StPO enthaltene Verweisung auf § 100g Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO ist so auszulegen, dass diese zugleich die Anordnungsvoraussetzungen des § 100g Abs. 1 Satz 3 StPO erfasst. (BGHSt)
2. Fehlt es bei einer Funkzellenabfrage nach § 100g Abs. 3 Satz 1 StPO an dem Verdacht einer Katalogtat nach § 100g
Abs. 2 StPO, hat dies ein Beweisverwertungsverbot zur Folge. (BGHSt)
3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 100a StPO dürfen mit Blick auf die Grundsätze eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens die aus einer rechtswidrig angeordneten Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse regelmäßig nicht als Beweismittel verwertet werden. Das gilt insbesondere für Fälle, in denen es an einer wesentlichen sachlichen Voraussetzung für die Anordnung der Maßnahme nach § 100a StPO gefehlt hat. Dementsprechend hat es etwa die Unverwertbarkeit zur Folge, wenn der Verdacht einer Katalogtat von vornherein nicht bestanden hat. (Bearbeiter)
4. Diese Grundsätze erlangen mit Blick auf die Vergleichbarkeit der Regelungssystematiken auch im Anwendungsbereich des § 100g StPO und damit bei rechtswidrig erlangten Funkzellendaten Geltung. (Bearbeiter)
Das Gericht kann die selbständige Einziehung des durch oder für eine verjährte Straftat erlangten Ertrages oder dessen Wertes nach § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB im subjektiven Verfahren mit dem Urteil anordnen, durch das es das Verfahren hinsichtlich dieser Tat einstellt; in einem solchen Fall bedarf es nicht des Übergangs in das objektive Verfahren gemäß §§ 435 f. StPO.
1. Genügt ein erkennbar als Beweisantrag vorgebrachtes Beweisbegehren seinem Wortlaut nach nicht den Anforderungen an die notwendige Konkretisierung der Beweistatsache, ist es in sonstiger Weise lückenhaft, ungenau formuliert oder mehrdeutig oder bleibt unklar, welcher einsichtige Prozesszweck mit ihm verfolgt werden soll, und lassen sich die hieraus resultierenden Zweifel nicht ohne weiteres eindeutig aus den gesamten Umständen der Antragstellung ausräumen, so ist der Vorsitzende aufgrund der Aufklärungspflicht, die ein Hinwirken auf eine sachdienliche Antragstellung gebietet, der Fürsorgepflicht sowie der Verfahrensfairness (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) grundsätzlich gehalten, den Antragsteller zunächst auf die Bedenken gegen seinen Antrag hinzuweisen und ihm durch entsprechende Befragung Gelegenheit zu geben, die erforderliche Klarstellung vorzunehmen. Auch wenn dies nicht zum Erfolg führt, bleibt das Gericht verpflichtet, die vom Antragsteller tatsächlich gewollte Beweisbehauptung durch Auslegung zu ermitteln. Diese kann sich nicht nur aus dem Wortlaut des Antrags, sondern aus allen Umständen, die bei einer nach Sinn und Zweck fragenden Auslegung zu berücksichtigen sind, ergeben. Bei mehreren Interpretationsalternativen ist derjenigen der Vorzug zu geben, die zur Beweiserhebung führt.
2. Für die zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung ist eine Tatsache nur dann, wenn ein Zusammentreffen zwischen ihr und der abzuurteilenden Tat nicht besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs nicht geeignet ist, die Entscheidung irgendwie zu beeinflussen, wobei sich das Gericht im Urteil nicht in Widerspruch zu der Ablehnungsbegründung setzen darf.
Eine Durchsuchung im Sinne von § 102 StPO erfordert das Betreten eines geschützten Raums, das der ziel- und zweckgerichteten Suche nach Personen oder Sachen dient und mit einem entsprechenden Augenschein verbunden ist. Das Hineinleuchten mit einer Taschenlampe und Hineinschauen in ein dunkles Zimmer ist insofern keine Durchsuchung, weil bzw. soweit damit kein physisches Eindringen in das Zimmer mit der beschriebenen Zwecksetzung verbunden ist.
Eine eigene Sachkunde des Gerichts betreffend die Diagnose einer psychischen Störung des Angeklagten folgt regelmäßig nicht daraus, dass der rechtsmedizinische Sachverständige den Befund einer chemisch-toxikologischen Untersuchung der tatzeitnahen Blutprobe des Angeklagten bewertet hat. Zur Vermittlung der medizinisch-psychiatrischen Anknüpfungstatsachen im Hinblick auf die Diagnose einer psychischen Störung, deren Schweregrad und deren innerer Beziehung zur Tat wird das Tatgericht vielmehr regelmäßig auf die sachverständige Hilfe eines Psychiaters angewiesen sein.
1. Das Gericht ist dazu verpflichtet, angemessene Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Verfahrensbeteiligten einen Schlussvortrag in der Weise halten können, wie sie ihn für sachdienlich erachten.
2. Es steht nicht im Belieben der Verfahrensbeteiligten, ob und in welchem Umfang eine Vorbereitungszeit für den Schlussvortrag zu gewähren ist. Was dazu erforderlich ist, bestimmt sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls. Danach kann es je nach Umfang und Dauer der Hauptverhandlung sowie dem konkreten Prozessverlauf notwendig sein, zur Ausarbeitung der Schlussvorträge eine angemessene Vorbereitungszeit einzuräumen.
3. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine Vorbereitungszeit für den Schlussvortrag zu gewähren ist, hat das Tatgericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, wenn die Verfahrensbeteiligten eine Vorbereitungszeit verlangen.
1. Die Verpflichtung zur – gegebenenfalls erneuten – Erteilung des letzten Wortes gilt auch dann, wenn die Verteidiger der Mitangeklagten Ausführungen gemacht haben.
2. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob eine Verletzung des Fairnessgrundsatzes oder eine entsprechende Anwendung des § 22 Nr. 5 StPO in Betracht kommt, wenn die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft zuvor als Berichterstatterin an einer später ausgesetzten Hauptverhandlung in der nämlichen Sache mitgewirkt hatte. Unterschied sich die Besetzung der Strafkammer in der ausgesetzten Hauptverhandlung vollständig von der personellen Zusammensetzung des nunmehr entscheidenden Spruchkörpers ist auszuschließen, dass sich ein – mit Blick auf die objektive Verfahrensrolle der Staatsanwaltschaft (vgl. BVerfGE 133, 168, 219) und das Gebot der „Waffengleichheit“ (vgl. BVerfGE 110, 226, 253) bedenkliches – überlegenes Wissen der Sitzungsvertreterin auf das Urteil ausgewirkt haben könnte.
3. Wenn sichere Feststellungen zu Einzelheiten des inneren oder äußeren Geschehens trotz Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel und Beweisanzeichen nicht getroffen werden können, so darf sich das nicht zum Nachteil des Angeklagten auswirken. Es ist vielmehr von der für ihn günstigsten Möglichkeit auszugehen, die nach den gesamten Umständen in Betracht kommt.
Die prozessuale Handlungsfähigkeit setzt voraus, dass ein Angeklagter bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung in der Lage ist, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen. Dies wird allein durch eine Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit nicht notwendig ausgeschlossen. Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht dazu in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen. Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu seinen Lasten.
1. Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO sind bei einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau darzulegen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und – in der Regel durch wörtliche Zitate beziehungsweise eingefügte Abschriften oder Ablichtungen – zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen.
2. Wird beanstandet, das Tatgericht habe zu Unrecht ein Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des Richtervorbehalts nach § 105 Abs. 1 StPO angenommen, weil das Ergebnis der Abwägung zwischen dem staatlichen Interesse an einer Tataufklärung und dem Individualinteresse des Betroffenen an der Wahrung seiner Rechtsgüter den Angeklagten rechtsfehlerhaft begünstige, müssen jedenfalls alle Polizeiberichte und andere Unterlagen vorgelegt werden, die mit der Durchsuchungsmaßnahme im Zusammenhang stehen. Denn nur auf dieser Grundlage kann das Revisionsgericht das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes prüfen, das sich vor allem danach bemisst, ob der Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich oder gar willkürlich begangen wurde. Dies wiederum ist aber für die Frage des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbotes von entscheidender Bedeutung.
3. Einzelne Belastungsindizien, die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, können doch in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung des Tatgerichts begründen.
1. Bei der Prüfung des Vorliegens eines Eingangsmerkmals im Sinne des § 20 StGB bei gesichertem psychiatrischen Befund und der auch normativ geprägten Beurteilung der Erheblichkeit der Einschränkung von Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit handelt es sich um Rechtsfragen. Der Tatrichter hat etwaige Angaben eines Sachverständigen daher zu überprüfen und rechtlich zu bewerten sowie in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen. Gesteigerte Darlegungsanforderungen gelten insofern, wenn die sachverständigen Äußerungen zur Steuerungsfähigkeit nicht ohne weiteres nachvollziehbar sind, Lücken aufweisen oder im Widerspruch zu sonstigen Feststellungen und Bewertungen der Strafkammer stehen.
2. Die Einschätzung des Sachverständigen, dass er einen bestimmten Sachverhalt nicht ausschließen könne, oder für möglich halte, enthebt das Tatgericht nicht von der eigenständigen Prüfung, welche Gründe für und gegen das Vorliegen einer rechtlich relevanten Beeinträchtigung des Angeklagten zur Tatzeit sprechen. Erst wenn dem Tatgericht im Anschluss daran nicht behebbare Zweifel verbleiben, die sich auf Art und Grad des psychischen Ausnahmezustands beziehen, ist die Anwendung des Zweifelssatzes gerechtfertigt.
Kann einem Angeklagten die Gesetzesverletzung, auf die die Verfolgung beschränkt worden ist, nicht nachgewiesen werden, muss das Gericht, um seiner Kognitionspflicht nach § 264 Abs. 1 StPO zu genügen, auch ohne Antrag den ausgeschiedenen Teil wieder einbeziehen. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Beweislage die Beurteilung zulässt, dass im Fall der Wiedereinbeziehung der Angeklagte auch von dem Vorwurf, der den ausgeschiedenen Tatteil betrifft, freizusprechen gewesen wäre; aufgrund einer solchen Beurteilung kann der Tatrichter von der förmlichen Wiedereinbeziehung des ausgeschiedenen Teils absehen.
Angesichts der wissenschaftlich nicht abschließend geklärten Qualifikation von sog. „Super Recognizern“ dürfte hinsichtlich des Beweiswerts von Identifizierungen oder Wiederkennungsleistungen solcher Zeugen davon auszugehen sein, dass insoweit keine anderen Maßstäbe gelten, als bei anderen Zeugen. Das muss jedenfalls gelten, solange ein höherer Beweiswert wissenschaftlich nicht begründet ist.