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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2023
24. Jahrgang
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Die gleichzeitige Verurteilung des Angeklagten zu einer hohen Freiheitsstrafe macht die Erörterung nach § 47 Abs. 1 StGB nicht entbehrlich; die Prüfung ist vielmehr für jede einzelne Tat vorzunehmen.
Allein eine Observation und die deshalb denkbare Möglichkeit eines Einschreitens der Ermittlungsbehörden begründet für sich genommen keinen Strafmilderungsgrund.
1. Die Bemessung der Gesamtstrafe ist aufgrund einer Gesamtschau des Unrechtsgehalts und des Schuldumfangs vorzunehmen. Der Summe der Einzelstrafen kommt geringes Gewicht zu. Maßgeblich ist die angemessene Erhöhung der Einsatzstrafe unter zusammenfassender Würdigung der Person des Täters und seiner Straftaten (§ 54 Abs. 1 Satz 3 StGB). Da eine „Mathematisierung“ der Strafzumessung fremd ist, kann ein Erörterungsmangel nicht allein darin gesehen werden, dass die Einsatzstrafe um ein Mehrfaches erhöht wurde. Allerdings bedarf eine starke Erhöhung der Einsatzstrafe besonderer Begründung, wenn sich diese nicht aus den Feststellungen von selbst ergibt.
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen die Zufälligkeiten, die darüber entscheiden, ob bei gleichzeitiger Aburteilung mehrerer rechtlich selbständiger Taten gemäß § 53 Abs. 1 StGB eine Gesamtstrafe festgesetzt werden kann, oder ob dies wegen der Zäsurwirkung einer früheren Verurteilung ausgeschlossen ist, nicht dazu führen, dass das „Gesamtstrafübel“ dem Unrechts- und Schuldgehalt der Taten nicht mehr gerecht wird. Erfordert die Zäsurwirkung eines früheren Urteils die Bildung mehrerer Gesamtstrafen, so muss das Tatgericht einen sich dadurch möglicherweise für den Angeklagten infolge eines zu hohen Gesamtstrafübels ergebenden Nachteil ausgleichen. Dasselbe gilt auch dann, wenn außer der Gesamtstrafe unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem zäsurbildenden Urteil noch eine gesonderte Einzelstrafe verhängt wird. Wenn dies zu einem dem Unrechts- und Schuldgehalt nicht mehr gerecht werdenden „Gesamtstrafübel“ führt, ist im Urteil ein Härteausgleich zu erörtern. Gegebenenfalls ist die Strafe wegen der Tat, die nicht mehr in die Gesamtstrafe einbezogen werden kann, zu mildern.
Für die Annahme eines Hangs i.S.d. § 64 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Wenngleich erhebliche Beeinträchtigungen der Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs haben und in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hangs aus. Auch stehen das Fehlen ausgeprägter Entzugssyndrome sowie Intervalle der Abstinenz der Annahme eines Hangs nicht entgegen. Er setzt auch nicht voraus, dass die Rauschmittelgewöhnung auf täglichen oder häufig wiederholten Genuss zurückgeht; vielmehr kann es genügen, wenn der Täter von Zeit zu Zeit oder bei passender Gelegenheit seiner Neigung zum Rauschmittelkonsum folgt.
1. Zwar ist eine Beschränkung der Revision auf die Anordnung des Vorwegvollzugs grundsätzlich möglich. Die Rechtswirksamkeit einer Revisionsbeschränkung setzt aber voraus, dass der Beschwerdepunkt nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von dem nicht angefochtenen Teil rechtlich und tatsächlich unabhängig beurteilt werden kann, ohne eine Überprüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen, und die nach dem Teilrechtsmittel stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt. Daran fehlt es, wenn das Tatgericht die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht als Anordnungsvoraussetzung der Maßregel des § 64 StGB maßgeblich auf einen entgegen § 67 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 5 StGB verlängerten Vorwegvollzug stützt.
2. Liegen keine Gründe vor, die gegen eine Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe sprechen, so hat das Tatgericht bei der Bemessung des vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe keinen Beurteilungsspielraum. Der Umstand, dass die gesetzliche Regelung des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe dem Behandlungserfolg dient und daher zu Gunsten des Angeklagten wirkt, rechtfertigt keinen längeren Vorwegvollzug als er sich bei Beachtung des § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB ergibt und lässt auch die Beschwer des Angeklagten durch eine solche Anordnung nicht entfallen.
1. Bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist es nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache oder „bestimmender Auslöser“ für die Anlasstat ist. Vielmehr ist ein solcher Zusammenhang bereits dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat.
2. Eine mangelnde Krankheitseinsicht steht einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht notwendig entgegen. Das Tatgericht hat insoweit zu prüfen, ob eine Behandlungseinsicht für eine erfolgversprechende Therapie geweckt werden kann; denn gerade auch darin kann das Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug bestehen.
1. Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 Satz 1 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss.
2. Für die Annahme, dass ein Täter Rauschmittel im Übermaß zu sich nimmt (§ 64 Satz 1 StGB), genügt die bloße Feststellung, dass er gelegentlich Alkohol oder Betäubungsmittel konsumiert, grundsätzlich nicht.
Bei der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB handelt es sich um eine den Angeklagten belastende Maßregel. Die Anordnung setzt neben den Kriterien des § 64 Satz 1 StGB auch „eine hinreichend konkrete Aussicht“ auf einen Behandlungserfolg voraus (§ 64 Satz 2 StGB). Dafür erforderlich ist, dass sich in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie finden lassen. § 67 Abs. 2 Satz 4 StGB greift – unbeschadet des gesetzgeberischen Motivs, dass bei angedrohter Abschiebung auch die Therapieaussichten zweifelhaft erscheinen können – erst ein, wenn die Voraussetzungen des § 64 StGB für die Maßregelanordnung vorliegen und die Unterbringung geboten ist. Daher muss zunächst, unabhängig von der Frage des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe, eine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg aufgrund einer Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände festgestellt werden.
1. Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ist weder eine physische Abhängigkeit Voraussetzung noch eine generelle Beeinträchtigung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit, die dem Gesetz bei Erwachsenen ohnehin fremd ist (vgl. §§ 20, 21 StGB: „bei Begehung der Tat“). Ausreichend ist vielmehr eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren.
2. Die Frage der Konkurrenz ist grundsätzlich für jeden Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden. Dies gilt wegen der Akzessorietät der Beihilfe aber dann nicht, wenn mehrere an sich selbständige Beihilfehandlungen eine Haupttat fördern. In einem solchen Fall werden die
Beihilfehandlungen zu einer Handlungseinheit und damit zu einer Tat im Rechtssinne zusammengefasst.
In einem Fall, in dem Teilmengen aus zwei verschiedenen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten erworbenen Rauschgiftmengen gleichzeitig verkauft werden, liegt aufgrund der teilweisen Identität der tatbestandlichen Ausführungshandlungen Tateinheit im Sinne des § 52 StGB vor.
1. Die bereits bei der Strafrahmenwahl zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigte alkoholbedingte Enthemmung kann nur dann zu einer anschließenden Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn die zur Bejahung des § 21 StGB herangezogenen Umstände insoweit noch weiter reichen als diejenigen, die zur Annahme des minder schweren Falls geführt haben.
2. Anders als die mit einer langen Verfahrensdauer verbundene Belastung des Angeklagten stellt die konventionswidrig lange Verfahrensdauer keinen selbstständigen Strafmilderungsgrund dar. Sie scheidet sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinn als bedeutsamer Umstand aus; im Rahmen der Prüfung einer Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB) kommt ihr ebenfalls keine Bedeutung zu.