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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2023
24. Jahrgang
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1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine den Verfahrensgegenstand betreffende Vortätigkeit eines erkennenden Richters, sofern sie nicht den Tatbestand eines gesetzlichen Ausschlussgrundes erfüllt, regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit des Richters im Sinne des § 24 Abs. 2 StPO zu begründen, wenn nicht besondere Umstände hinzukommen, die diese Besorgnis rechtfertigen. Das betrifft nicht nur die Vorbefassung mit Zwischenentscheidungen im selben Verfahren, sondern auch die Mitwirkung eines erkennenden Richters in Verfahren gegen andere Beteiligte derselben Tat.
2. Anders verhält es sich lediglich beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache bloßer Vorbefassung als solcher und die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen hinausgehen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn Äußerungen in einem früheren Urteil unnötige und sachlich unbegründete Werturteile über den jetzigen Angeklagten enthalten oder ein Richter sich in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten geäußert hat.
3. Nach Maßgabe der gebotenen konventionsfreundlichen Auslegung des deutschen Rechts und der insoweit zu berücksichtigenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann eine Besorgnis der Befangenheit eines Richters darüber hinaus auch dann vorliegen, wenn das unter seiner Mitwirkung entstandene frühere Urteil Feststellungen zur Beteiligung des jetzigen Angeklagten trifft, die dort rechtlich nicht geboten waren, weil für sie weder zur Beschreibung des strafrechtlich relevanten Handelns des früheren Angeklagten noch für dessen rechtliche Einordnung oder die Rechtsfolgenentscheidung ein Erfordernis bestand.
4. Das kann etwa der Fall sein, wenn sich das frühere Urteil in Bezug auf die Tatbeteiligung des jetzigen Angeklagten nicht auf eine Darstellung des tatsächlichen Geschehens und dessen für die strafrechtliche Beurteilung des Verhaltens des damaligen Angeklagten relevante rechtliche Einordnung beschränkt, sondern darüber hinaus-
gehend eine rechtliche Würdigung des Verhaltens des jetzigen Angeklagten und Feststellungen zu dessen Schuld enthält. Maßgeblich ist hierbei eine Gesamtabwägung aller Umstände im Einzelfall.
1. Die Verfahrensrüge einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 338 Nr. 8 StPO) kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur durchgreifen, wenn Verteidigungsrechte durch einen Gerichtsbeschluss in der Hauptverhandlung verletzt worden sind.
2. Es kann auch ausreichen, wenn das Gericht es unterlässt, einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag zu bescheiden.
3. Das Recht auf ein faires Verfahren ist erst verletzt, wenn bei einer Gesamtschau rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde. Ein Verstoß gegen den auf die Gesamtheit des Verfahrens abhebenden Fairnessgrundsatz kommt daher bei verweigerter Einsichtnahme in Rohmessdaten nur dann in Betracht, wenn einem rechtzeitig und unter Ausschöpfung aller prozessualen Möglichkeiten angebrachten Zugangsgesuch nicht entsprochen worden ist.
1. Der Anwendungsbereich des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO ist bei einem im Laufe des Verfahrens entstandenen Verfahrenshindernisses nicht auf die vorwerfbare Herbeiführung oder auf das Verschweigen eines solchen durch den Angeklagten beschränkt. Dies ergibt sich nicht nur aus dem weiter gefassten Wortlaut der Norm, sondern auch aus ihrer Entstehungsgeschichte, in deren Zuge insbesondere auf NS-Gewaltverbrechen hingewiesen wurde.
2. Die Feststellung, dass die Revision erfolglos geblieben wäre, ist dem Revisionsgericht, zumal nach Ablauf sämtlicher Stellungnahmefristen, ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK möglich.
1. Die Pflicht, den Inhalt des Verständigungsgesprächs auch nach einer zwischenzeitlichen Aussetzung der Hauptverhandlung mitzuteilen, entfällt nicht dadurch, dass es nach der Neuterminierung zu einer Änderung der Besetzung gekommen ist und der spätere Vorsitzende nicht an den Erörterungen teilgenommen hatte.
2. Der Einziehungsbeteiligte kann sich mit seinem Rechtsmittel nicht bereits deshalb auch gegen den Schuldspruch wenden, weil der Schuldspruch gegen die Angeklagten Grundlage der Einziehungsentscheidung ist. Ein solcher rein mittelbarer Bezug reicht nicht aus, um Einwendungen ohne die einschränkenden Voraussetzungen des § 431 Abs. 1 StPO vorbringen zu können, weil der Schuldspruch stets mittelbare Auswirkungen auf die Einziehungsanordnung entfaltet und § 431 Abs. 1 Nr. 2 StPO ansonsten leerliefe.
1. Die Feststellung des Verhinderungsfalls eines Schöffen durch den Vorsitzenden ist grundsätzlich zurückzustellen, wenn die Hauptverhandlung unter Berücksichtigung der Hemmungsregelung des § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO noch unter Mitwirkung des erkrankten Richters fortgesetzt werden kann. Der Eintritt des Ergänzungsrichters kommt in diesen Fällen erst in Betracht, wenn der erkrankte Richter nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung zu dem ersten notwendigen Fortsetzungstermin weiterhin nicht erscheinen kann.
2. Etwas Anderes kann nur ausnahmsweise etwa dann gelten, wenn schon von vornherein feststeht, dass eine Fortsetzung der Hauptverhandlung mit dem erkrankten Richter auch nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung nicht möglich sein wird, oder wenn andere vorrangige Prozessmaximen beeinträchtigt würden.
1. Die Feststellung des Verhinderungsfalls eines Schöffen durch den Vorsitzenden ist grundsätzlich zurückzustellen, wenn die Hauptverhandlung unter Berücksichtigung der Hemmungsregelung des § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO noch unter Mitwirkung des erkrankten Richters fortgesetzt werden kann. Der Eintritt des Ergänzungsrichters kommt in diesen Fällen erst in Betracht, wenn der erkrankte Richter nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung zu dem ersten notwendigen Fortsetzungstermin weiterhin nicht erscheinen kann.
2. Etwas Anderes kann nur ausnahmsweise etwa dann gelten, wenn schon von vornherein feststeht, dass eine Fortsetzung der Hauptverhandlung mit dem erkrankten Richter auch nach Ablauf der maximalen Fristenhemmung nicht möglich sein wird, oder wenn andere vorrangige Prozessmaximen beeinträchtigt würden.
Sind Zeugen, die über die zu beweisende Tatsache aus eigener Wahrnehmung berichten können, nicht vorhanden, aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erreichbar oder ändern sie in der Hauptverhandlung ihr Aussageverhalten, darf an ihrer Stelle ein Zeuge vom Hörensagen vernommen werden. Da der Zeuge vom Hörensagen nicht aus eigenem Erleben bestätigen kann, ob das ihm Berichtete der Wahrheit entspricht, hat seine Aussage einen geringeren Beweiswert als diejenige eines unmittelbaren Zeugen. Sie muss daher vom Tatrichter besonders sorgfältig und kritisch geprüft werden. Damit sind Bekundungen eines Zeugen vom Hörensagen aber einer Würdigung zugänglich und dürfen einer Verurteilung zugrunde gelegt werden, wenn dessen Angaben durch andere wichtige Beweisanzeichen bestätigt werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt ein Verstoß gegen die Regeln der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung nicht zur Aufhebung des Urteils, wenn ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil „denkgesetzlich“ ausgeschlossen ist. So liegt es auch, wenn Zeugen unzulässigerweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 57 StPO belehrt werden.
1. Ein Angeklagter ist gemäß § 258 Abs. 3 StPO auch dann zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe, wenn ein Verteidiger für ihn gesprochen hat.
2. Die zeitweise Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten nach § 231 Abs. 2 StPO enthebt das Gericht nicht von der Pflicht, den wieder anwesenden Angeklagten das letzte Wort zu erteilen. Kehrt er in die Hauptverhandlung zurück, nimmt er seine Stellung mit allen ihren Rechten wieder ein. Das Recht zur Ausübung des letzten Wortes hat er nicht dadurch verwirkt, dass er während eines Verfahrensabschnittes abwesend war, in dem Mitangeklagte Gelegenheit zum letzten Wort hatten.
3. Nach der alten Fassung des § 31 Abs. 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 1 Nr. 5 ZAG waren Normadressaten nur Unternehmen, nicht aber natürliche Personen. Eine Strafbarkeit als Täter setzt daher eine Zurechnung nach § 14 StGB voraus. Fehlen besondere persönliche Merkmale im Sinne des § 14 Abs. 1 StGB, welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfen), ist dessen Strafe gemäß § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB zu mildern.
4. Geldbeträge, die im Rahmen von erbrachten Zahlungsdiensten erlangt sind und auf die sich die tatbestandliche Tätigkeit nach § 31 Abs. 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 2 Nr. 6 ZAG aF bezieht, stellen Tatobjekte im Sinne des § 74 Abs. 2 StGB dar, so dass insoweit die Einordnung zugleich als Taterträge ausscheidet. Soweit Gelder als Tatobjekte im Zusammenhang mit Straftaten nach dem ZAG einzuordnen sind, scheidet eine Einziehung aus, weil insofern keine sondergesetzliche Regelung gemäß § 74 Abs. 2 StGB gegeben ist.
5. Dagegen sind für das – strafbare – Erbringen von Zahlungsdiensten erzielte Entgelte wie z.B. Provisionen Taterträge nach § 73 Abs. 1 StGB und können daher, ebenso wie ggf. ihr Wert (§ 73c StGB), eingezogen werden.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Abs. 1 StPO). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO). Innerhalb dieser Frist muss der Antragsteller auch Angaben zum Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen, sofern sich die Wahrung der Frist nicht offensichtlich aus den Akten ergibt. Da bei der Nebenklage dem Säumigen ein Verschulden seines Rechtsanwalts zuzurechnen ist und deshalb bereits dessen Kenntnis den Fristlauf auslöst, muss sich der Antragsteller dabei auch dazu verhalten, wann seinem Prozessbevollmächtigten der Wegfall des Hindernisses bekannt geworden ist.
1. Soll ein nicht geständiger Angeklagter zwar nicht allein, aber doch überwiegend durch die Angaben eines selbst tatbeteiligten Zeugen überführt werden, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr.). Dabei kann es geboten sein, die Umstände der Entstehung und den näheren Inhalt der den Angeklagten belastenden Aussage sowie deren Entwicklung darzustellen und zu bewerten, um dem Revisionsgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob die Überzeugungsbildung des Tatgerichts auf rational-nachvollziehbaren Erwägungen beruht.
2. Erhöhte Anforderungen an die Sorgfalt und Vollständigkeit der vorzunehmenden Gesamtwürdigung sind zu stellen, wenn die belastenden Angaben nur mittelbar über Vernehmungspersonen in die Hauptverhandlung eingeführt werden können.
Die „Nämlichkeit“ der Tat als geschichtlicher Vorgang ist anzunehmen, wenn ungeachtet möglicher erst durch die Hauptverhandlung aufgeklärter Einzelheiten bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges unverwechselbares Geschehen kennzeichnen. Auch bei Serienstraftaten wie Missbrauchstaten zu Lasten eines Kindes, die zudem erst nach längerer Zeit aufgedeckt werden, können der Ort und die Zeit des Vorgangs, das Täterverhalten, die ihm innewohnende Richtung, also die Art und Weise der Tatverwirklichung, und das Opfer die Vielzahl der Fälle ausreichend konkretisieren, sodass nicht nur die Umgrenzungsfunktion gewahrt ist, sondern auch die Übereinstimmung von angeklagtem und ausgeurteiltem Sachverhalt überprüft werden kann.
Die Wirksamkeit einer Beschlagnahme und der gerichtlichen Bestätigung der vorläufigen Sicherstellung hängen nicht von der Einhaltung der Sollvorschrift bzw. Drei-Tage-Frist des § 98 Abs. 2 Satz 1 StPO ab.
Beruht der Tatnachweis im Wesentlichen auf einem Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen, gelten für die Urteilsgründe besonderen Darlegungsanforderungen.
1. Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel nicht zu überwinden vermag, ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatgerichts durch seine eigene zu ersetzen. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. In diesem Sinne rechtsfehlerhaft ist es u.a., Indizien lediglich einzeln zu betrachten und isoliert den Zweifelssatz auf sie anzuwenden. Sie sind vielmehr mit vollem Gewicht in die erforderliche Gesamtwürdigung einzustellen und in diesem Rahmen in ihrem Beweiswert zu würdigen. Erst anschließend ist Platz für die Anwendung des Zweifelssatzes, der keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel ist.
2. Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen eines Angeklagten sind auch im Falle eines Freispruchs erforderlich, wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind. Das ist der Fall, wenn vom Tatgericht getroffene Feststellungen zum Tatgeschehen ohne solche zu den persönlichen Verhältnissen nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar und deshalb lückenhaft sind.