Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2023
24. Jahrgang
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1. Der heimliche Einsatz von Personen, die den Beschuldigten befragen, um ihn zu belastenden Äußerungen zu veranlassen, ist jedenfalls dann zulässig, wenn es sich bei der den Gegenstand der Verfolgung bildenden Tat um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handelt und wenn der Einsatz anderer Ermittlungsmethoden - für deren Auswahl untereinander wiederum der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt - erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre. Für die Beantwortung der Frage, wann eine Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegt, vermitteln die Kataloge in §§ 98a, 100a, 110a StPO Hinweise; die Aufzählung ist nicht abschließen.
2. Dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vom 15. Juli 1992 (OrgKG) für bestimmte Formen besonders gefährlicher und schwer aufklärbarer Kriminalität den Einsatz Verdeckter Ermittler, der bis dahin auf die Generalklauseln der §§ 161, 163 StPO gestützt wurde, durch Einfügung der §§ 110a ff. StPO im Einzelnen geregelt hat, rechtfertigt nicht den Schluss, dass er die traditionell als zulässig anerkannte Inanspruchnahme anderer Personen ausschließen wollte. Die Kontaktaufnahme solcher anderen Personen mit dem Beschuldigten hat der Gesetzgeber in diesem Gesetz bewusst nicht geregelt. Diese sollte weiterhin zulässig sein.
3. Indes sind rechtsstaatliche Grenzen zu beachten, die der vernehmungsähnlichen Befragung von Tatverdächtigen ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht - wegen ihrer Nähe zum nemo-tenetur-Prinzip - gesetzt sind. Aus dieser Nähe sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip, speziell dem Grundsatz des fairen Verfahrens kann sich eine heimliche Befragung im Einzelfall auch unter Berücksichtigung des Gebotes einer effektiven Strafverfolgung als unzulässig erweisen.
4. Eine weitergehende generelle Unverwertbarkeit der Angaben des Beschuldigten gegenüber einer V-Person mit Blick auf §§ 136 Abs. 1, 136a Abs. 1 Satz 1 StPO ist abzulehnen, da gerade keine Vernehmung vorliegt und die Aussagefreiheit des Beschuldigten nicht berührt ist. So hat der EGMR eine Verletzung des Rechts auf Selbstbelastungs-
freiheit in einem Fall verneint, in welchem es dem Beschuldigten, der sich weder in Haft befand noch bis dahin polizeilich vernommen worden war, freistand, sich mit dem Informanten der Polizei, der das verdeckt geführte Gespräch heimlich aufzeichnete, zu unterhalten.
5. Das von Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK garantierte Recht des Angeklagten auf konfrontative Befragung von Belastungszeugen stellt eine besondere Ausformung des Grundsatzes des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK dar. Ob die fehlende Gelegenheit für den Angeklagten beziehungsweise seinen Verteidiger, einen Zeugen selbst zu befragen, eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK begründet, hängt von einer einzelfallbezogenen Gesamtwürdigung ab.
6. Dabei ist nicht nur in Rechnung zu stellen, ob die Nichtgewährung des Konfrontationsrechts im Zurechnungsbereich der Justiz liegt, sondern vor allem auch in den Blick zu nehmen, mit welchem Gewicht die Verurteilung des Angeklagten auf die Bekundungen eines nicht konfrontativ befragten Zeugen gestützt worden ist und ob das Gericht die Unmöglichkeit der Befragung des Zeugen durch den Angeklagten oder seinen Verteidiger kompensiert hat, namentlich durch eine besonders kritische und zurückhaltende Würdigung der Bekundungen des Zeugen.
7. Ein Verwertungsverbot kommt dann in Betracht, wenn das Gespräch zwischen einer Vertrauensperson und dem Tatverdächtigen verbotswidrig fixiert wurde. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass eine Verwertung von Gesprächsaufzeichnungen unter Beteiligung einer Vertrauensperson möglich ist, wenn die Aufzeichnung rechtmäßig angeordnet wurde.
Eine Rüge der unterlassenen Bescheidung eines Beweisantrages entgegen § 244 Abs. 6 Satz 1 StPO ist unbegründet, wenn der Beweisantrag nach dem Eindruck aller Verfahrensbeteiligten durch eine - allerdings nach § 249 Abs. 1 Satz 1 StPO rechtsfehlerhafte - Verlesung von Chatprotokollen seitens der Vertreterin der Staatsanwaltschaft direkt im Anschluss an die Antragstellung erledigt worden ist und eine Ablehnung des Beweisantrags von der Strafkammer ersichtlich nicht beabsichtigt war.
Die Rechtsschutzgarantie aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG umfasst nicht den Anspruch, eine förmliche Entscheidung auch auf Eingaben zu erhalten, die missbräuchlich, offensichtlich wiederholend oder sinnlos vorgebracht werden. Gerichte müssen eindeutig missbräuchliche Anträge ebenso wenig bescheiden wie ganz offensichtlich schlicht wiederholende, den Streit lediglich verlängernde Anträge in derselben Sache. Dies gilt auch dann, wenn die Anträge zwar formal auf neue Entscheidungen gerichtet sind, letztlich aber demselben Muster folgen und dazu dienen, eine andere Entscheidung in der Sache zu erwirken, über die gerichtlich bereits entschieden worden war.
1. § 244 Abs. 2 StPO gebietet es, von Amts wegen Beweis zu erheben, wenn aus den Akten oder aus dem Stoff der Verhandlung Umstände und Möglichkeiten bekannt oder erkennbar sind, die bei verständiger Würdigung der Sachlage begründete Zweifel an der Richtigkeit der - auf Grund der bisherigen Beweisaufnahme erlangten - Überzeugung wecken müssen bzw. geeignet sind, noch vorhandene Zweifel, die einer Überzeugungsbildung entgegenstehen, auszuräumen. Ergibt die Beweisaufnahme weder den Nachweis noch die Widerlegung eines entscheidungserheblichen Umstands, so muss das Gericht, bevor es zu dem fraglichen Punkt zugunsten des Angeklagten entscheidet, von Amts wegen nach eventuellen weiteren Aufklärungsmöglichkeiten forschen und anordnen, dass bekannte oder erkennbare weitere, bisher nicht genutzte Beweismittel, die eine Aufklärung erwarten lassen, herbeigeschafft und gebraucht werden.
2. Die bloße Widerlegung von Entlastungsbehauptungen eines Angeklagten für sich allein ist kein Schuldindiz, weil auch ein Unschuldiger Zuflucht zur Lüge nehmen kann.
1. Das Revisionsgericht kann in die Strafzumessung einschließlich der Strafrahmenwahl nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt. Bei der Darstellung seiner Strafzumessungserwägungen ist das Tatgericht lediglich gehalten, die bestimmenden Zumessungsgründe mitzuteilen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO).
2. Eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden Erwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Daraus, dass ein für die Zumessung bedeutsamer Gesichtspunkt nicht ausdrücklich angeführt worden ist, kann nicht ohne Weiteres geschlossen werden, das Tatgericht habe ihn nicht gesehen oder nicht gewertet. Ein Rechtsfehler liegt dagegen vor, wenn aus den Urteilsgründen erkennbar hervorgeht, dass es einen wesentlichen, die Tat prägenden Umstand nicht bedacht hat.
3. Die Entscheidung über die Anwendung des Regel- oder des Sonderstrafrahmens ist ein Vorgang tatrichterlicher Wertung; dabei kommt es darauf an, ob der Fall insgesamt - nicht allein die Tat - minder schwer wiegt. So ist in der Gesamtabwägung nicht nur Bedacht auf die die Deliktsverwirklichung kennzeichnenden Erschwerungs- und Milderungsgründe zu nehmen, sondern etwa auch auf die der Tatbegehung nachfolgenden je nach dem Einzelfall bedeutsamen Umstände wie Geständnis, Stabilisierung der Lebensverhältnisse, Aufklärungshilfe oder besonders einschneidende Wirkungen von Tatfolgen oder Verfahren.
4. Die Verletzung mehrerer Strafgesetze durch ein und dieselbe Tat im materiellrechtlichen Sinne wirkt grundsätzlich strafschärfend. Dies gilt umso mehr, wenn es sich um die Beteiligung an versuchten Tötungsdelikten handelt.
5. Bei der Bemessung der Strafe wegen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit durch Versklavung mit Todesfolge steht das Verbot der Doppelverwertung gemäß § 46 Abs. 3 StGB der Berücksichtigung menschenverachtender Beweggründe und Ziele nicht entgegen. Eine solche Tatmotivation, wie sie sich für die Angeklagte aufdrängt, gehört nicht zum Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VStGB.
1. Echte, allgemeingültige Erfahrungssätze sind auch bei der Vorsatzfeststellung nur auf Grund allgemeiner Lebenserfahrung oder wissenschaftlicher Erkenntnisse gewonnene Regeln, die keine Ausnahme zulassen und eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit zum Inhalt haben.
2. In subjektiver Hinsicht genügt für eine Strafbarkeit wegen Beihilfe ein bedingter Vorsatz zur Förderung der fremden Haupttat. Der Gehilfe muss seinen eigenen Tatbeitrag, aber nur die wesentlichen Merkmale der Haupttat, insbesondere deren Angriffsrichtung, kennen und wollen oder für möglich halten und billigend in Kauf nehmen. Einzelheiten der Haupttat braucht der Gehilfe nicht zu kennen und auch keine bestimmte Vorstellung von ihr zu haben. Eine andere rechtliche Einordnung der Haupttat durch den Gehilfen ist für die Vorsatzfeststellung nur dann unerheblich, wenn es sich nicht um eine grundsätzlich andere Tat handelt. Zwischen abweichend vorgestellter und tatsächlich begangener Tat muss eine tatbestandliche Verwandtschaft bestehen.
1. Die gem. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erforderliche Vorlage von Aktenbestandteilen, auf die im Rahmen einer Verfahrensrüge Bezug genommen wird, ist nicht deshalb entbehrlich, wenn die Unterlagen - ohne dass hierauf im Einzelnen verwiesen wird - in einer Zusammenstellung von Aktenteilen enthalten sind, die einer anderen, mit gesondertem Schriftsatz erhobenen Verfahrensrüge beigefügt ist.
2. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass Berufsrichter - hier zumal die Mitglieder einer Jugendschutzkammer - über die erforderliche Sachkunde bei der Anwendung der maßgeblichen aussagepsychologischen Kriterien verfügen, um auch Aussagen von Zeugen kindlichen oder jugendlichen Alters sachgerecht würdigen zu können.
1. Den Anforderungen an eine Zustellung an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO ist dadurch genügt, dass diese aus der Übersendungsverfügung in Verbindung mit der aus den Akten zu ersehenden Verfahrenslage erkennen
kann, mit der Übersendung an sie werde die Zustellung nach § 41 StPO bezweckt. Es bedarf keines ausdrücklichen Hinweises auf diese Vorschrift.
2. Für den Zeitpunkt der Zustellung kommt es allein auf den Eingang bei der Behörde, nicht aber auf den bei der zuständigen Abteilung oder gar dem das Verfahren bearbeitenden Staatsanwalt an.
3. Das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung steht einem Zustellungswillen und der Wirksamkeit einer Zustellung an die Staatsanwaltschaft nicht entgegen. Eine Belehrung sieht § 35a Satz 1 StPO nur gegenüber Betroffenen, nicht gegenüber der Staatsanwaltschaft vor.
Werden in einem Verständigungsgespräch außerhalb der Hauptverhandlung durch die Beteiligten Strafmaßvorstellungen geäußert, sind diese in der Hauptverhandlung mitzuteilen. Der Verweis auf einen über das Gespräch gefertigten Vermerk genügt insofern nicht.