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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 523

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 455/22, Beschluss v. 01.03.2023, HRRS 2023 Nr. 523


BGH 5 StR 455/22 - Beschluss vom 1. März 2023 (LG Berlin)

Zulässigkeit der Verfahrensrüge; Sachkunde von Berufsrichtern bei der Anwendung aussagepsychologischer Kriterien.

§ 261 StPO; § 344 Abs. 2 S. 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die gem. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erforderliche Vorlage von Aktenbestandteilen, auf die im Rahmen einer Verfahrensrüge Bezug genommen wird, ist nicht deshalb entbehrlich, wenn die Unterlagen - ohne dass hierauf im Einzelnen verwiesen wird - in einer Zusammenstellung von Aktenteilen enthalten sind, die einer anderen, mit gesondertem Schriftsatz erhobenen Verfahrensrüge beigefügt ist.

2. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass Berufsrichter - hier zumal die Mitglieder einer Jugendschutzkammer - über die erforderliche Sachkunde bei der Anwendung der maßgeblichen aussagepsychologischen Kriterien verfügen, um auch Aussagen von Zeugen kindlichen oder jugendlichen Alters sachgerecht würdigen zu können.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 5. April 2022 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Die Revision wendet sich mit zwei Verfahrensrügen gegen die Ablehnung von Beweisanträgen auf Einholung eines aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachtens; geltend gemacht wird jeweils ein Verstoß gegen § 244 Abs. 4 StPO. Beide Rügen erweisen sich bereits als unzulässig, weil das Rügevorbringen auf diverse Aktenbestandteile wie Vernehmungsprotokolle Bezug nimmt, welche die Revision aber entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht vorgelegt hat. Dass entsprechende Unterlagen - ohne dass hierauf im Einzelnen verwiesen worden wäre - in einer Zusammenstellung von Aktenteilen enthalten sind, die einer anderen, mit gesondertem Schriftsatz erhobenen Verfahrensrüge beigefügt ist, entlastet den Revisionsführer nicht (vgl. nur BGH, Urteil vom 4. September 2014 - 1 StR 75/14). Soweit eine der Rügen zugleich § 244 Abs. 2 StPO als verletzt ansieht, ist sie aus denselben Gründen nicht zulässig ausgeführt.

Die von einem anderen Verteidiger ebenfalls auf die unterbliebene Einholung eines aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachtens gestützte, aber eigenständig begründete Aufklärungsrüge erweist sich dagegen als unbegründet: Regelmäßig ist davon auszugehen, dass Berufsrichter - hier zumal die Mitglieder einer Jugendschutzkammer - über die erforderliche Sachkunde bei der Anwendung der maßgeblichen aussagepsychologischen Kriterien verfügen, um auch Aussagen von Zeugen kindlichen oder jugendlichen Alters sachgerecht würdigen zu können (vgl. nur BGH, Beschluss vom 5. Juli 2022 - 5 StR 12/22). Besonderheiten, welche die eigene Sachkunde des Tatgerichts als nicht ausreichend erscheinen lassen könnten, zeigt die Revision für den vorliegenden Fall nicht auf; solche sind auch sonst nicht ersichtlich.

Nicht zulässig erhoben ist schließlich die Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen § 244 Abs. 4 StPO durch Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines sexualmedizinischen Gutachtens geltend gemacht wird. Denn entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist der mit der Rüge in Bezug genommene ärztliche Befundbericht der gynäkologischen Untersuchung der Nebenklägerin nicht vorgelegt worden.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 523

Bearbeiter: Christian Becker