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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2019
20. Jahrgang
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1. § 46a Nr. 1 StGB, der sich vor allem auf den Ausgleich der immateriellen Folgen der Tat bezieht, setzt voraus, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutmacht oder dieses Ziel jedenfalls ernsthaft erstrebt hat. Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein und das Opfer die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren muss. Die Wiedergutmachung muss auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein.
2. Insoweit ist zwar zu berücksichtigen, dass ein vollständiger Schadensausgleich (im zivilrechtlichen Sinn) keine zwingende Voraussetzung für die Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB ist. So ist zum einen erforderlich, dass der Täter im Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat „ganz oder zum überwiegenden Teil“ wiedergutgemacht hat; ausreichend ist zum anderen aber auch, dass der Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt. Aus diesem Grund gibt eine vergleichende Gegenüberstellung von zivilrechtlich geschuldetem Schadensersatz einerseits und angebotener bzw. geleisteter Ausgleichszahlung andererseits zwar eine gewisse Orientierung über das Ausmaß der Schadensbemühungen des Täters, sie erlaubt aber für den Fall, dass die versprochenen bzw. geleisteten Zahlungen hinter den geschuldeten zurück-
bleiben, nicht ohne nähere Betrachtung den Rückschluss, dass es damit an einer „umfassenden Wiedergutmachung“ fehlt. Ansonsten würde jeder zwischen Täter und Opfer geschlossene Vergleich, der nicht zu einem vollständigen zivilrechtlichen Ausgleich führt, aus dem Anwendungsbereich des § 46a Nr. 1 StGB herausfallen.
3. Allerdings darf für die Annahme eines friedensstiftenden Ausgleichs im Sinne von § 46a StGB nicht ausschließlich auf die – selbst einvernehmliche – subjektive Bewertung von Tatopfer und Täter abgestellt werden, wie sie in einer getroffenen Übereinkunft zum Ausdruck kommt. Erforderlich ist vielmehr vorrangig die Prüfung, ob die konkret erfolgten oder ernsthaft angebotenen Leistungen des Täters nach einem objektivierenden Maßstab als so erheblich anzusehen sind, dass damit das Unrecht der Tat oder deren materiellen und immateriellen Folgen als „ausgeglichen“ erachtet werden können. Dies folgt schon daraus, dass überhaupt nur angemessene und nachhaltige Leistungen die erlittenen Schädigungen ausgleichen und zu einer Genugtuung für das Opfer führen können.
Verzichtet der Angeklagte auf die Rückgabe gepfändeter Gegenstände oder Forderungen, muss das Tatgericht zur Beurteilung der Wirksamkeit des Verzichts mitteilen, ob und gegebenenfalls wie die Staatsanwaltschaft als maßgeblicher Erklärungsempfänger auf das Übereignungsangebot des Angeklagten reagiert hat (näher zu Voraussetzungen und Folgen eines wirksamen Verzichts BGH HRRS 2019 Nr. 109). Insbesondere dort, wo lediglich eine Leistung an Erfüllungs statt oder erfüllungshalber in Betracht kommt, sind Feststellungen dazu erforderlich, ob eine Erfüllungsvereinbarung getroffen wurde und gegebenenfalls welchen Inhalt diese hat.
1. Beim Ausüben des Ermessens des Tatgerichts über die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB sind die Wert- und Zweckvorstellungen des Gesetzes zu beachten. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll das Tatgericht die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass Absatz 2 – im Gegensatz zu Absatz 1 – eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht voraussetzt.
2. Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind deshalb wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen dieser Ermessensentscheidung grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Es besteht zwar keine Vermutung dahingehend, dass langjährige, erstmalige Strafverbüßung stets zu einer Verhaltensänderung führen wird. Je länger die verhängte Freiheitsstrafe und je geringer die bisherige Erfahrung des Täters mit Verurteilung und Strafvollzug sind, desto mehr muss sich das Tatgericht aber mit diesen Umständen auseinandersetzen. Von vornherein offenlassen kann es dies jedenfalls nicht (st. Rspr.). Freilich muss eine günstige Prognoseentscheidung auf konkrete Anhaltspunkte und hinreichende Gründe gestützt werden; nur denkbare positive Veränderung und Wirkung künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus.
1. Der in § 62 StGB für die Maßregeln der Besserung und Sicherung ausdrücklich normierte und als allgemeines Rechtsprinzip von Verfassungs wegen zu beachtende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz steht einer Unterbringung nicht von vornherein entgegen, wenn die voraussichtliche Unterbringungsdauer die ausgeurteilte Freiheitsstrafe – unter Umständen auch deutlich – übersteigt. Die Ablehnung einer Unterbringung allein mit der Erwägung, die Höhe der Begleitstrafe bliebe zeitlich hinter der prognostischen Unterbringungsdauer zurück, ist vielmehr regelmäßig rechtsfehlerhaft.
2. § 64 StGB regelt ein Reaktionsmittel präventiver Natur, das nicht als Antwort auf eine Tat angeordnet wird, sondern aus Anlass einer solchen mit Blick auf die aus ihr hervorgehende Gefahr weiterer Straftaten des Täters, und damit konzeptionell von der individuellen Schuld des Täters unabhängig. Maßgeblicher Ausgangspunkt für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer entsprechenden Maßnahme kann deshalb nicht allein die Höhe der ausgeurteilten – gerade nach der Schuld des Täters bemessenen – Strafe sein.
Bei der Anordnung der unbefristeten Unterbringung nach § 63 StGB ist das Tatgericht neben der sorgfältigen
Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen (hierzu etwa BGH HRRS 2016 Nr. 107) auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen. Das betrifft grundsätzlich auch die inneren Merkmale des durch die Tat verwirklichten Straftatbestandes, insbesondere bei solchen Taten, bei denen die innere Willensrichtung dafür entscheidend ist, ob sie als Versuch eines Verbrechens oder als Vergehen zu werten sind oder wenn ein strafbefreiender Rücktritt in Betracht kommt.
1. Die Einziehung von Wertersatz nach § 74c StGB setzt voraus, dass dem Täter der ursprünglich einziehungsbetroffene Gegenstand zur Zeit der Tat gehörte oder zustand. Feststehen muss daher, dass der Täter diesen Gegenstand im Geltungsbereich einer Rechtsordnung erworben hat, die den Eigentumserwerb nicht verbietet. Dies ist für im Inland erworbene Betäubungsmittel wegen der entgegenstehenden Vorschrift des § 134 BGB nicht der Fall. Einzuziehen ist in entsprechenden Fällen daher regelmäßig gemäß §§ 73 Abs. 1, 73c S. 1 StGB der Wert der tatsächlich erzielten Erlöse aus dem Betäubungsmittelhandel.
2. Mehrere Personen, die auf verschiedenen Stufen einer Handelskette beim Betäubungsmittelhandel mitwirken, haften für die Taterlöse im Rahmen der Einziehung nicht als Gesamtschuldner. Denn Ziel der Einziehung ist nicht die einmalige Abschöpfung höchsten Handelspreises. Vielmehr soll bei jedem Einzelnen, der aus einer rechtswidrigen Tat etwas erlangt hat, dieses weggenommen werden und zwar, da es sich um eine präventive Maßnahme eigener Art handelt, nach dem Bruttoprinzip. Bei einer Handelskette kann deshalb die Summe der Beträge, hinsichtlich derer gegen die verschiedenen Händler die Einziehung angeordnet wurde, den maximalen Handelspreis des umgesetzten Betäubungsmittels um ein Mehrfaches übersteigen. Dies dann über das Rechtsinstitut der Gesamtschuldnerschaft zu begrenzen und auszugleichen, widerspräche dem Zweck der Einziehung.
Die Berücksichtigung weiterer Straftaten bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung zum Nachteil eines Angeklagten ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar zulässig; dies gilt allerdings nur, wenn diese Taten prozessordnungsgemäß und so bestimmt festgestellt sind, dass sie in ihrem wesentlichen Unrechtsgehalt abzuschätzen sind und eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts der Begehung weiterer Straftaten ausgeschlossen werden kann.
Sind durch eine Straftat Rechtsgüter mehrerer Personen verletzt, muss zwar nach ständiger Rechtsprechung hinsichtlich jedes Geschädigten zumindest eine Variante des § 46a StGB erfüllt sein. Jedoch ist Verletzter oder Geschädigter im Sinne dieser Regelung – nur – die Person, die als direkte Folge der strafbaren Handlung oder Unterlassung einen Schaden erlitten hat. Der strafzumessungsrelevante Ausgleich, der nach § 46a StGB zu einer Milderung der Strafe führen kann, knüpft schon nach dem Wortlaut der Norm an die als Folge der Straftat entstandene Beziehung zwischen dem Täter und dem Träger des verletzten Rechtsguts an. So sind etwa auch Hinterbliebene nicht ‚Verletzte‘ im Sinne des Täter-Opfer-Ausgleichs.
1. Das Gesetz eröffnet die fakultative Strafrahmenmilderung nach § 239b Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 4 StGB, wenn der Täter die Geisel unter „Verzicht auf die erstrebte Leistung“ in seinen Lebensbereich zurückgelangen lässt. Für ein Zurückgelangenlassen des Opfers in dessen Lebensbereich genügt es, dass der Täter sein Opfer am Tatort freigibt und dieses seinen Aufenthaltsort wieder frei bestimmen kann. Die entsprechende Geltung des Merkmals des Verzichts auf die erstrebte Leistung aus § 239a Abs. 4 StGB für den Tatbestand der Geiselnahme (§ 239b Abs. 2 StGB) erfordert ein tatbestandsgerechtes Verständnis: Der Täter muss von der Weiterverfolgung seines Nötigungszieles Abstand nehmen, also auf die nach seinem ursprünglichen Tatplan abzunötigende Handlung, Duldung oder Unterlassung verzichten. Die in Rede stehende Regelung kann auch nach der Vollendung der Geiselnahme eingreifen; allerdings muss die Freilassung unter der Abstandnahme von der nötigenden Einwirkung auf das Opfer geschehen.
2. Auf die Frage, ob tätige Reue gemäß § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB erst dann vorliegt, wenn der Täter vollständig von der erhobenen Forderung Abstand nimmt, kommt es für die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift über § 239b Abs. 2 StGB für die Geiselnahme nicht an.
3. Bei der Verlesung eines ärztlichen Attests reicht es aus, wenn der ausstellende Arzt erkennbar ist; lesbar
muss seine Unterschrift nicht sein. Auch darf eine Kopie des Attests verlesen werden.
Der Umstand, dass ein Täter trotz bestehender Grunderkrankungen in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, kann ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten im Sinne des § 63 StGB sein und ist deshalb regelmäßig zu erörtern (st. Rspr.).
1. Hangtäterschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind, wie die begriffliche Differenzierung in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zeigt, keine identischen Merkmale.
2. Der Rechtsbegriff des Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB bezeichnet einen eingeschliffenen inneren Zustand, der den Täter immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Ein Hang liegt bei demjenigen vor, der dauerhaft zur Begehung von Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Hangtäter ist auch derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag.
3. Das Vorliegen eines Hangs im Sinne eines gegenwärtigen Zustands ist vom Tatgericht auf der Grundlage einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung in eigener Verantwortung wertend festzustellen.
4. Demgegenüber ist im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose die Wahrscheinlichkeit dafür einzuschätzen, ob sich der Täter in Zukunft trotz Vorliegen eines Hangs erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht. Der Hang ist dabei nur ein – wenngleich wesentliches – Kriterium, das auf eine Gefährlichkeit des Angeklagten hindeutet und als prognostisch ungünstiger Gesichtspunkt in die Gefährlichkeitsprognose einzustellen ist.
5. Das Tatgericht hat in eigener Verantwortung zunächst das Vorliegen oder die Wahrscheinlichkeit eines Hangs unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und der Anlasstaten maßgeblichen Umstände vergangenheitsbezogen festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen. Prognostische Erwägungen sind erst in einem zweiten Schritt im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose anzustellen.
Bei der Wesentlichkeit der Aufklärungshilfe i.S.v. § 46b Abs. 1 Nr. 1 StGB handelt es sich um einen Rechtsbegriff, der revisionsgerichtlicher Prüfung unterliegt. Sie ist zu bejahen, wenn die Tat ohne den Aufklärungsbeitrag nicht oder nicht im gegebenen Umfang aufgeklärt worden wäre, die Aussage des Angeklagten jedenfalls aber eine sicherere Grundlage für die Aburteilung des Tatbeteiligten schafft, indem sie den Strafverfolgungsbehörden die erforderliche Überzeugung vermittelt, dass ihre bisherigen Erkenntnisse zutreffen.