HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

März 2018
19. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

272. BGH 1 StR 370/17 - Urteil vom 9. Januar 2018 (LG Kaiserslautern)

BGHR; Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift (notwendiger Inhalt bei Anklage wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt und Steuerhinterziehung: keine Berechnung der Abgabenverkürzung erforderlich).

§ 200 StGB; § 266a StGB; § 370 Abs. 1 AO

1. Zum notwendigen Inhalt der Anklageschrift zur Erfüllung der Umgrenzungsfunktion bei einer Anklage betreffend das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt und Steuerhinterziehung. (BGH)

2. Die Anklageschrift hat nach § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs dargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (vgl. BGHSt 57, 88, 91 Rn. 13). Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat. Die begangene konkrete Tat muss durch bestimmte Tatumstände so genau bezeichnet werden, dass keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Angeklagten zur Last gelegt werden. (Bearbeiter)

3. Ein wesentlicher Mangel der Anklageschrift, der als Verfahrenshindernis wirken kann, ist daher nur anzunehmen, wenn die angeklagten Taten anhand der Anklageschrift nicht genügend konkretisierbar sind, so dass unklar bleibt, auf welchen konkreten Sachverhalt sich die Anklage bezieht und welchen Umfang die Rechtskraft eines daraufhin ergehenden Urteils haben würde (vgl. BGH NStZ 2008, 352). Bei der Prüfung, ob die Anklage die gebotene Umgrenzung leistet, dürfen die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Ergänzung und Auslegung des Anklagesatzes herangezogen werden. (Bearbeiter)

4. Diese allgemeinen Anforderungen führen im Bereich der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) und des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) dazu, dass im Anklagesatz das relevante Verhalten und der Taterfolg i.S.v. § 370 AO bzw. § 266a StGB anzuführen sind, einer Berechnungsdarstellung der Steuerverkürzung bzw. der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge bedarf es dort hingegen nicht (vgl. BGH NStZ 2013, 409). Ausführungen zur Schadensberechnung können keinen Beitrag zur Individualisierung der Tat leisten, im Anklagesatz aber mitunter dem Ziel zuwiderlaufen, den Tatvorwurf klar, übersichtlich und verständlich darzustellen (vgl. BGH NStZ 2013, 409). (Bearbeiter)

5. Die für Urteile geltenden Darstellungsmaßstäbe können angesichts der unterschiedlichen Anforderungen

nicht auf Anklageschriften übertragen werden (vgl. BGH NStZ 2013, 409). Eine Anklageschrift erfüllt daher auch dann die für ihre Wirksamkeit erforderliche Individualisierungs- und Umgrenzungsfunktion (vgl. § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO), wenn die dem Angeklagten zur Last liegende Höhe der Steuerverkürzung oder des Vorenthaltens oder Veruntreuens von Arbeitsentgelt bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen auf einer Schätzung beruht, selbst wenn eine genauere Berechnung der Steuerverkürzung bzw. Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen möglich gewesen wäre. (Bearbeiter)

6. Zwar ist es mit Blick auf die Informationsfunktion der Anklageschrift regelmäßig angezeigt, im wesentlichen Ermittlungsergebnis (§ 200 Abs. 2 Satz 1 StPO) die für eine nachvollziehbare Darstellung der Berechnung der Abgabenverkürzung erforderlichen Tatsachenfeststellungen sowie (Steuer-)Berechnungen oder Schätzungen anzuführen. Auch erscheint es zweckmäßig, die Ausführungen bereits an den für das Gericht geltenden Maßstäben auszurichten (vgl. BGH NStZ 2013, 409, 410). Fehlen derartige Angaben oder erweisen sie sich als ungenügend, kann dies für sich allein indes die Wirksamkeit der Anklage nicht in Frage stellen, da Mängel der Informationsfunktion ihre Wirksamkeit nicht berühren. (Bearbeiter)


Entscheidung

287. BGH 4 StR 88/17 - Beschluss vom 13. September 2017 (LG Halle)

Betrug (Irrtum: erforderliche Feststellungen im Urteil bei gleichförmigen, massenhaften Betrugshandlungen); Selbstleseverfahren (revisionsrechtliche Rügbarkeit von Fehlern bei der Durchführung: Erforderlichkeit eines Gerichtsbeschlusses); Strafzumessung (Berücksichtigung von eingestellten Taten).

§ 263 Abs. 1 StGB; § 267 Abs. 1 StPO; § 249 Abs. 2 StPO; § 238 Abs. 2 StPO; § 46 StGB; § 154 StPO; § 154a StPO

1. In den Urteilsgründen ist grundsätzlich festzustellen und darzulegen, welche irrigen Vorstellungen die Person hatte, die die für eine Betrugsstrafbarkeit maßgebliche Verfügung trifft. Zwar ist es danach, insbesondere in komplex gelagerten Fällen, regelmäßig erforderlich, die irrende Person zu ermitteln und in der Hauptverhandlung über ihr tatrelevantes Vorstellungsbild zu vernehmen (vgl. BGH NJW 2003, 1198, 1199 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt dies jedoch vor allem im Bereich gleichförmiger, massenhafter oder routinemäßiger Geschäfte, die von selbstverständlichen Erwartungen geprägt sind, nicht ausnahmslos. Liegen dem Tatvorwurf zahlreiche Einzelfälle zu Grunde, kann die Vernehmung weniger Zeugen ausreichen; wenn deren Angaben das Vorliegen eines Irrtums (in den sie betreffenden Fällen) belegen, kann auf die Erregung eines Irrtums auch bei anderen Verfügenden geschlossen werden (vgl. BGH NJW 2014, 2132, 2133 mwN).

2. Auf etwaige Fehler bei der Durchführung des Selbstleseverfahrens kann – wie auch auf solche bei dessen Anordnung – eine Verfahrensrüge nur dann gestützt werden, wenn zuvor ein Gerichtsbeschluss herbeigeführt wurde. Geht es, wie hier, um die vom Vorsitzenden zu bestimmende Art der Durchführung des Verfahrens nach § 249 Abs. 2 StPO, ist eine solche Entscheidung des erkennenden Gerichts gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeizuführen (vgl. BGH StV 2011, 458).

3. Die Berücksichtigung von nach §§ 154, 154a StPO eingestellten bzw. ausgeschiedenen Taten ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zulässig, wenn diese prozessordnungsgemäß so bestimmt festgestellt sind, dass sie ihrem wesentlichen Unrechtsgehalt nach bewertet werden können und eine Berücksichtigung des bloßen Verdachts weiterer Straftaten ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH StV 2015, 552). Auch Taten, deren Verfolgung ein Verfahrenshindernis entgegensteht, können straferschwerend berücksichtigt werden, wenn auch mit geringerem Gewicht.


Entscheidung

254. BGH 4 StR 305/17 - Beschluss vom 17. Januar 2018 (LG Essen)

Unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels (Tatbestandsmäßigkeit bei Fehlen oder Abweichung von einer Bauartzulassung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt); Computerbetrug (tatbestandsausschließendes Einverständnis; Unmittelbarkeit der Vermögensminderung); Untreue (tatbestandsausschließendes Einverständnis bei juristischen Personen); Urteilsgründe (Anforderungen an die Darstellung der Beweiswürdigung).

§ 263a StGB; § 266 StGB; § 284 StGB; § 261 StPO

1. Der Tatbestand des § 284 StGB ist bereits erfüllt, wenn für das konkret aufgestellte Gerät keine Bauartzulassung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) besteht oder das in Rede stehende Gerät abweichend von dieser Zulassung betrieben wird. Es ist daher ohne Bedeutung, ob ein nicht in seiner Bauart zugelassenes Gerät materiell den Anforderungen der Spieleverordnung entspricht oder ob eine Erlaubnis hätte erteilt werden können.

2. Die – wirksame – Einwilligung des Inhabers des zu betreuenden Vermögens schließt die Tatbestandsmäßigkeit der Untreue aus. Bei juristischen Personen tritt an die Stelle des Vermögensinhabers dessen oberstes Willensorgan für die Regelung der inneren Angelegenheiten.

3. Ein (wirksames) Einverständnis des Vermögensinhabers steht einer Strafbarkeit wegen Computerbetruges entgegen.

4. Bei einem Computerbetrug muss die kausal auf das Verhalten des Täters zurückzuführende Beeinflussung des Datenverarbeitungsvorgangs ihrerseits einen verfügungsähnlichen Vorgang auslösen, der unmittelbar – ohne weitere Handlung des Täters – eine Vermögensminderung begründet, die sich als Vermögensschaden darstellt. An der erforderlichen Unmittelbarkeit kann es insbesondere fehlen, wenn die Manipulation des Datenverarbeitungsvorgangs lediglich der Verschleierung des tatsächlich vermögensmindernden Verhaltens dient.


Entscheidung

229. BGH 5 StR 554/17 - Beschluss vom 23. Januar 2018 (LG Berlin)

„Ins Leere gehende“ Verweisung im Markenrecht (keine Blankettnorm; Aufnahme des vollen Wortlautes der

Bezugsnorm in die Verweisungsnorm; kein Rückgriff auf die Bezugsnorm zur Bestimmung des strafbaren Verhaltens; Gleichlauf mit der unionsrechtlichen Regelung); Einfuhr „unter dem Zeichen“ bei verdecktem Import widerrechtlich gekennzeichneter Waren.

§ 14 MarkenG; § 143a MarkenG; Art. 103 Abs. 2 GG

1. Bei der Strafvorschrift des § 143a MarkenG handelt es sich nicht etwa um eine Blankettnorm, die Sanktionen an Verstöße gegen anderweitig geregelte, lediglich in Bezug genommene Verhaltenspflichten anknüpft. Vielmehr hat der Gesetzgeber den Text der in Bezug genommenen Vorschrift in vollem Wortlaut in die Verweisungsnorm aufgenommen, so dass es zur Bestimmung des strafbaren Verhaltens nicht des Rückgriffs auf die in Bezug genommene Norm bedarf.

2. Die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 143a MarkenG bleibt – jedenfalls mit Blick auf Verletzungshandlungen nach § 143a Abs. 1 Nr. 1 MarkenG – unberührt davon, dass die starre Verweisung in § 143a Abs. 1 MarkenG auf Art. 9 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 nach der mit dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2015/2424 verbundenen Änderung nicht angepasst wurde und seither „ins Leere geht“.

3. Der Verweis auf Art. 9 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 war allerdings aus Sicht des Gesetzgebers gleichwohl nicht verzichtbar. Er erfüllte vielmehr einen gesetzgeberischen Zweck, der bei Auslegung und Anwendung des § 143a Abs. 1 MarkenG zu berücksichtigen ist. Mit dem Verweis sollte nämlich ein Gleichlauf der unmittelbar geltenden Rechtsgewährung durch die Verordnung über die Gemeinschaftsmarke und der Strafbewehrung sichergestellt werden. Dieser Gleichlauf ist indes jedenfalls hinsichtlich der Verletzungshandlungen nach § 143a Abs. 1 Nr. 1 MarkenG mit der unionsrechtlichen Regelung nicht gestört.

4. Eine Einfuhr „unter dem Zeichen“ i.S.d. §§ 14, 143a MarkenG ist grundsätzlich jeder Import widerrechtlich gekennzeichneter Ware, unabhängig davon, ob der Täter heimlich oder offen importiert. Auch eine Grenzbeschlagnahme steht einer in diesem Sinne tatbestandsmäßigen Einfuhr nicht entgegen, da anderenfalls der Grenzbeschlagnahme, die gemäß § 146 Abs. 1 Satz 1 MarkenG „bei der Einfuhr“ erfolgt, diese also voraussetzt, die Grundlage entzogen würde.


Entscheidung

286. BGH 4 StR 66/17 - Beschluss vom 20. Dezember 2017 (LG Arnsberg)

Besonders schwerer Fall des Betrugs (Vermögensschaden: Berechnung bei Betrug im Rahmen eines Leasinggeschäfts; Gewerbsmäßigkeit; Herbeiführen eines Vermögensverlusts großen Ausmaßes: erforderliche tatsächliche Herbeiführung des Vermögensverlusts).

§ 263 Abs. 1 StGB; § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, Nr. 3 StGB; § 22 StGB

1. Bei einem Betrug gegenüber dem Leasinggeber darf sein verbleibendes Eigentum am Leasingfahrzeug bei der Berechnung des Vermögensschadens nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn der Leasingnehmer von Anfang an beabsichtigt, dem Leasinggeber das Fahrzeug gänzlich zu entziehen und das Eigentum dadurch aus ihrem Vermögen herauszunehmen (vgl. BGH wistra 2007, 18, 21).

2. Die Regelwirkung des Vermögensverlusts großen Ausmaßes im Sinne des § 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB wird nach ständiger Rechtsprechung nur dann begründet, wenn der Täter den Vermögensverlust herbeiführt, dieser also tatsächlich eingetreten ist (BGHSt 48, 354, 359).


Entscheidung

240. BGH 2 StR 50/17 - Beschluss vom 25. Oktober 2017 (LG Frankfurt am Main)

Beschäftigung von Ausländern ohne Genehmigung oder ohne Aufenthaltstitel und zu ungünstigen Arbeitsbedingungen (Bestimmung eines auffälligen Missverhältnisses der Arbeitsbedingungen); Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (Arbeitgebereigenschaft; Berechnung der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge: Anwendung der Berechnungsgrundlagen für verkürzte Steuern).

§ 10 Abs. 1 SchwarzArbG; § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III; § 266a Abs. 1 StGB; § 266a Abs. 2 StGB; § 370 AO

1. Ein auffälliges Missverhältnis im Sinne des § 10 Abs. 1 SchwarzArbG liegt vor, wenn die Arbeitsbedingungen des ausländischen Arbeitnehmers oder der ausländischen Arbeitnehmerin so beträchtlich schlechter sind als die Arbeitsbedingungen vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, dass für einen mit den Gepflogenheiten der jeweiligen Branche vertrauten Dritten ein augenfälliger Unterschied besteht. Die Feststellung eines auffälligen Missverhältnisses der Arbeitsbedingungen erfordert in der Regel eine Gesamtschau aller Arbeitsbedingungen wie Lohn, Urlaub, soziale Absicherung, Schutz vor Arbeitsunfällen und Kündigung.

2. Die Feststellung, dass der Arbeitgeber den ausländischen Arbeitnehmer nicht zur Sozialversicherung angemeldet hat, genügt für sich genommen nicht, um die Annahme eines auffälligen Missverhältnisses der Arbeitsbedingungen im Sinne der genannten Vorschrift tragfähig zu belegen.

3. Dem Tatgericht obliegt es, Feststellungen zur Arbeitgebereigenschaft des Angeklagten zu treffen sowie die geschuldeten Beiträge – für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert – nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen.

4. Ob eine Person Arbeitgeber im Sinne von § 266a Abs. 1 oder Abs. 2 StGB ist, richtet sich nach dem Sozialversicherungsrecht, das seinerseits an das Arbeitsrecht anknüpft. Arbeitgeber ist danach derjenige, demgegenüber der Arbeitnehmer zur Erbringung von Arbeitsleistungen verpflichtet ist und zu dem er in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis steht. Grundsätzlich ist der Wille der Vertragsparteien zwar ausschlaggebend, eine nach den maßgeblichen tatsächlichen Gegebenheiten bestehende Sozialversicherungspflicht können die Beteiligten jedoch nicht durch eine abweichende Vertragsgestaltung umgehen. Maßgeblich ist eine abwägende Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände.

5. Die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge werden auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung berechnet. Falls solche Feststellungen im Einzelfall nicht möglich sind, kann die Höhe der vorenthaltenen Beiträge auf Grundlage der tatsächlichen Umstände geschätzt werden. Die Grundsätze, die in der Rechtsprechung bei Taten nach § 370 AO für die Darlegung der Berechnungsgrundlagen der verkürzten Steuern entwickelt wurden, gelten insoweit entsprechend.


Entscheidung

276. BGH 1 StR 464/17 - Beschluss vom 20. Dezember 2017 (LG Stuttgart)

Begriff der prozessualen Tat (Steuerstrafrecht: regelmäßig keine prozessuale Tat bei auf unterschiedliche Veranlagungszeiträume bezogener Steuerhinterziehungen desselben Steuerpflichtigen derselben Steuerart); Steuerhinterziehung (Berechnung des entstandenen Steuerschadens bei verdeckter Gewinnausschüttung).

§ 264 StPO; § 370 Abs. 1 AO

1. Im Steuerstrafverfahren gilt grundsätzlich kein vom allgemeinen Strafverfahren abweichender Verfahrensgegenstandsbegriff.

2. Die Voraussetzungen einer prozessualen Tat liegen bei tatmehrheitlich begangenen, auf unterschiedliche Veranlagungszeiträume bezogenen Steuerhinterziehungen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO desselben Steuerpflichtigen derselben Steuerart regelmäßig schon wegen der in tatsächlicher Hinsicht verschiedenen Tathandlungen durch Abgabe je eigenständiger unrichtiger Steuererklärungen und unterschiedlicher, der Besteuerung unterliegender Lebenssachverhalte nicht vor.

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen bei auf verdeckten Gewinnausschüttungen beruhenden Körperschaft- und Einkommensteuerhinterziehungen durch Gesellschafter einer juristischen Person die Gesellschafter bei der Ausurteilung der korrespondierenden Einkommensteuerhinterziehung – wegen der hier gebotenen Gesamtbetrachtung der Steuerhinterziehungen – strafzumessungsrechtlich so behandelt werden, als ob für die Gesellschaft steuerehrlich gehandelt wurde“. Dementsprechend ist bei der Bemessung des einem angeklagten Gesellschafter strafrechtlich vorzuwerfenden Hinterziehungsbetrags einerseits zwar die verdeckte Gewinnausschüttung unter Einschluss der bei der Gesellschaft anfallenden Körperschaftsteuer in Ansatz zu bringen, andererseits aber – fiktiv – der bei steuerehrlichem Verhalten der Gesellschaft beim Gesellschafter abzuziehende Körperschaftsteuerbetrag anzurechnen, um eine „strafrechtlich nicht hinnehmbare Doppelbelastung“ zu vermeiden (vgl. BGH wistra 2005, 144, 145).


Entscheidung

208. BGH 3 StR 303/17 - Beschluss vom 12. Dezember 2017 (LG Düsseldorf)

Erlangen eines Vermögensvorteils beim Einschleusen von Ausländern (eigener wirtschaftlicher Vorteil; Befreiung von einer Verbindlichkeit; persönliche Verbundenheit); Gewerbsmäßigkeit.

§ 96 AufenthG a.F.; § 97 Abs. 2 AufenthG a.F.

1. Unter einem Vermögensvorteil im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG a.F. ist jede günstigere Gestaltung der Vermögenslage zu verstehen. Mit Blick auf den insoweit eindeutigen Wortlaut der Norm ist es erforderlich, dass der Täter selbst den Vermögensvorteil erlangt, nicht aber eine andere Person. Die Bereicherung eines Dritten erfüllt – außer in bestimmten Fällen in Fällen eines mittelbaren wirtschaftlichen Vorteils für den Täter – den Tatbestand nur dann, wenn der Täter dadurch von Verbindlichkeiten gegenüber dem Empfänger freigestellt wird. Eine bloß persönliche Verpflichtung gegenüber dem Empfänger – hier: aus familiärer Verbundenheit – genügt insoweit nicht.

2. Gewerbsmäßiges Handeln im Sinne des § 97 Abs. 2 AufenthG a.F. erfordert, dass der Täter sich aus wiederholter Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende, nicht ganz unerhebliche Einnahmequelle verschaffen will; es setzt stets Eigennützigkeit voraus. Daher muss der Täter sich von seinem deliktischen Handeln einen eigenen wirtschaftlichen Vorteil versprechen. Insoweit gelten - in den subjektiven Bereich transferiert - dieselben Maßstäbe, die im Rahmen des § 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG a.F. Anwendung finden.


Entscheidung

216. BGH 3 StR 541/17 - Beschluss vom 9. Januar 2018 (LG Verden)

Einschleusen von Ausländern (Einreise mit einem rechtsmissbräuchlich erlangten Visum; Drohung; Bestechung; Kollusion; Wirksamkeit des Titels bis zum Widerruf; Kausalität; Aufklärung im Strafverfahren; Einschränkung der Verwaltungsakzessorietät).

§ 95 AufenthG

Aus § 95 Abs. 6 AufenthG ergibt sich für die strafrechtliche Beurteilung, dass eine Einreise mit einem durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitel einer solchen ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel gleichgestellt wird. Damit wird der im Übrigen im Ausländerstrafrecht geltende Grundsatz der strengen Verwaltungsakzessorietät durchbrochen und ein verwaltungsrechtlich ausdrücklich erlaubtes Verhalten strafrechtlich sanktioniert. Im Strafverfahren ist deshalb jedenfalls aufzuklären, ob die genannten Verhaltensweisen - und welche im konkreten Fall - für die Erteilung des Aufenthaltstitels kausal geworden sind.


Entscheidung

271. BGH 1 StR 239/17 - Urteil vom 9. Januar 2018 (LG München II)

Verhängung von Jugendstrafe (besondere Schwere der Schuld: grundsätzlich subjektive Bestimmung).

§ 17 Abs. 2 JGG

1. Der Schuldgehalt der Tat ist bei der Deliktsbegehung durch jugendliche und heranwachsende Täter jugendspezifisch zu bestimmen (vgl. BGHSt 61, 188, 191). Die „Schwere der Schuld“ im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG wird daher nicht vorrangig anhand des äußeren Unrechtsgehalts der Tat und ihrer Einordnung nach dem allgemeinen Strafrecht bestimmt, sondern es ist in erster Linie auf die innere Tatseite abzustellen (vgl. BGH NStZ 2014, 407, 408).

2. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat und das Tatbild sind jedoch insofern von Belang, als hieraus Schlüsse auf die charakterliche Haltung, die Persönlichkeit und die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden gezogen werden können (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 155, 156). Entscheidend ist, ob und in welchem Umfang sich die charakterliche Haltung, die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Täters vorwerfbar in der Tat manifestiert haben (vgl. BGHSt 15, 224, 226).


Entscheidung

282. BGH 2 StR 460/16 - Urteil vom 29. November 2017 (LG Darmstadt)

Bemessung der Jugendstrafe (Berücksichtigung des Erziehungsgedankens bei inzwischen erwachsenem Angeklagten); einheitliche Anwendung von Jugendstrafrecht bei mehreren angeklagten Straftaten, auf die teilweise allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre (Schwergewicht der Taten).

§ 18 Abs. 2 JGG; § 32 JGG

1. Bei der Bemessung der Jugendstrafe kommt Erziehungsgedanken mit fortschreitendem Alter des Täters ein immer geringeres Gewicht zukomme. Es besteht jedoch keine feste Obergrenze, jenseits der die Berücksichtigung des Erziehungsgedankens unzulässig wäre.

2. Nach § 32 JGG gilt für mehrere Straftaten, die gleichzeitig abgeurteilt werden und auf die teils Jugendstrafrecht und teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, einheitlich das Jugendstrafrecht, wenn das Schwergewicht bei den Straftaten liegt, die nach Jugendstrafrecht zu beurteilen wären; ist dies nicht der Fall, so ist einheitlich das allgemeine Strafrecht anzuwenden. Beurteilung ist im wesentlichen Tatfrage, die der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat und daher der Nachprüfung des Revisionsgerichts grundsätzlich entzogen. Maßgeblich für die Bestimmung des Schwergewichts ist insbesondere, ob sich die späteren Straftaten als in den früheren bereits angelegt darstellen, ob sie bei Betrachtung der Persönlichkeitsentwicklung ihren Ursprung im Jugendalter haben bzw. wo die „Tatwurzeln“ liegen (vgl. BGHSt 6, 6, 7).


Entscheidung

234. BGH AK 75-77/17 - Beschluss vom 11. Januar 2018

Dringender Tatverdacht wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen (Dauerdelikt; Tateinheit; Tatmehrheit; Handlungen vor Versuchsbeginn; Zäsur); Plünderungen; nichtinternationaler bewaffneter Konflikt; Konkurrenzverhältnis zwischen kriegswaffenrechtlichem Dauerdelikt und Kriegsverbrechen gegen das Eigentum; Fortdauer der Untersuchungshaft.

§ 52 StGB; § 53 StGB; § 129a StGB; § 129b StGB; § 22a Abs. 1 Nr. 6 KWKG; § 9 VStGB

Setzt der Täter eine Kriegswaffe als Tatmittel einer allgemeinen Straftat ein, verwirklicht er diese und das Kriegswaffendelikt tateinheitlich (§ 52 StGB). Für die Zeit vor Beginn des Versuchs der allgemeinen Straftat gilt: Fasst der Täter den konkreten Entschluss zu der allgemeinen Straftat bereits bei der ersten Handlung des Kriegswaffendelikts, so besteht bis zur Beendigung der Straftat Tateinheit. Entschließt er sich hierzu erst später, so erfährt das Dauerdelikt eine Zäsur. Die vorausgegangene, (allein) das KWKG verletzende Betätigung sowie die nachfolgende, gegen das KWKG und zugleich ein sonstiges Strafgesetz verstoßende Handlung bilden sachlich-rechtlich (wie auch verfahrensrechtlich) je eine selbständige Tat (§ 53 StGB); der nachfolgende Verstoß gegen das KWKG und derjenige gegen das sonstige Strafgesetz stehen dabei materiellrechtlich in Tateinheit.


Entscheidung

262. BGH 4 StR 522/17 - Beschluss vom 17. Januar 2018 (LG Magdeburg)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Definition); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Zeitpunkt der Beurteilung von Hang und Gefahrenprognose).

§ 29 Abs. 1 Satz. 1 Nr. 1 BtMG; § 64 StGB

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Handeltreiben im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG jede eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit.

2. Maßgebend für die Beurteilung eines Hangs und für die Gefahrprognose ist der Zeitpunkt der tatrichterlichen Hauptverhandlung.