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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
März 2018
19. Jahrgang
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Von Dr. Niels Kaltenhäuser[*]
Mediale Aufmerksamkeit[1] erlangte der Strafausstand wegen Vollzugsuntauglichkeit nach § 455 Abs. 2 StPO jüngst durch die Verurteilung des "Buchhalters von Auschwitz", Oskar Gröning, wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen durch das LG Lüneburg[2] . Während der BGH[3] die Verurteilung des Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe bereits am 20. September 2016 bestätigte, hatte das BVerfG in seiner Entscheidung v. 21. Dezember 2017[4] der Frage nachzugehen, ob der Vollstreckung des Strafausspruchs verfassungsrechtliche Bedenken entgegenstehen. Vor diesem Hintergrund beleuchtet der vorliegende Beitrag, weshalb bei sog. "Altfällen" ein Vorgehen über § 455 Abs. 2 StPO dem Schutz von Opferrechten dient und auch aus kriminalpolitischer Sicht überzeugt.
Das BVerfG betont in seiner Entscheidung v. 21. Dezember 2017 zum einen die Notwendigkeit des Vollzugs einer angeordneten Freiheitsstrafe, verweist aber auf Einschränkungen durch grundgesetzliche Wertungen:
"Zwar ist der Vollzug der Strafe auch im hohen Lebensalter nicht ausgeschlossen. Fallgestaltungen, die den Verurteilten von vornherein zum Versterben in der Haft verurteilen oder seine Chance, der Freiheit wieder teilhaftig zu werden, auf einen von Siechtum und Todesnähe gekennzeichneten Lebensrest reduzieren, sind dem Strafvollzug unter der Herrschaft des Grundgesetzes grundsätzlich fremd"[5].
Damit verweist das BVerfG auf eine lange Traditionslinie. Der Weg hin zum humanen Strafverfahren der StPO wurde einerseits durch christliche Quellen, die Philosophie des 18. und 19. Jahrhunderts sowie den Prozess der Rechtsvereinheitlichung geebnet, der maßgeblich durch den damaligen Bundeskanzler Otto von Bismarck im Norddeutschen Bund vorangetrieben wurde.[6] So sah bereits die Fassung der StPO von 1877[7] die Möglichkeit eines Strafaufschubs in § 487 StPO a.F. vor. Nach § 487 Abs. 2 a.F. StPO konnte die Vollstreckung aufgeschoben werden, "wenn von der Vollstreckung eine nahe Lebensgefahr für den Verurtheilten zu besorgen steht". Die Fassung der StPO von 1924[8] behielt diese Formulierung bei, verschob die Regelung aber auf ihren heutigen Platz in § 455 StPO. Seit der Fassung von 1986[9] weitet § 455 Abs. 4 StPO die Kriterien der Absätze 1-3 zudem auf den Fall der Vollstreckungsunterbrechung aus und lässt diese nach § 455 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 StPO auch bei sonstigen schweren Erkrankungen zu.
Die Entscheidung über die Anordnung, den Aufschub sowie die Unterbrechung des Vollzuges obliegt als Voll-
streckungsbehörde i.S.v. § 455 StPO der Staatsanwaltschaft nach § 451 Abs. 1 StPO.[10] Eine Entscheidung ergeht von Amts wegen oder auf Antrag. Maßgebliches Kriterium für den Strafaufschub nach § 455 Abs. 2 StPO ist die Besorgnis naher Lebensgefahr. Wenigstens bedarf es dafür eines höheren Grades von Wahrscheinlichkeit.[11] Erforderlich ist, dass die Vollstreckung ursächlich für die Lebensgefahr sein muss, weshalb nur Erkrankungen, bei denen der Strafvollzug die Gefährlichkeit der Erkrankung erhöht, unter § 455 Abs. 2 StPO subsumiert werden können.[12] Suizidgefahr rechtfertigt regelmäßig keinen Aufschub.[13] Liegen die Voraussetzungen für den Strafaufschub hingegen vor, ist die Strafvollstreckungsbehörde verpflichtet, den Strafausstand anzuordnen ("Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ist aufzuschieben", § 455 Abs. 1 StPO). Dagegen handelt es sich bei § 455 Abs. 3 StPO um eine Ermessensentscheidung.[14] Wird eine Anordnung nach § 455 Abs. 1-3 StPO getroffen, stellt diese ein Vollstreckungshindernis nach § 449 StPO dar.[15] Während die Vollstreckung aufgeschoben ist, ruht ferner gemäß § 79a Nr. 2 lit. a StGB die Vollstreckungsverjährung.
Besondere Bedeutung erlangt regelmäßig die Frage, ob die Gefahren einer Erkrankung auch im Rahmen des Strafvollzuges effektiv verhütet werden können. Kann die Vollzugseinrichtung die erforderliche Ausstattung vorhalten (z.B. Anstaltskrankenhaus mit entsprechender Ausstattung), steht auch eine prinzipiell lebensbedrohliche Erkrankung der Strafvollstreckung nicht unbedingt entgegen.[16] Daher wird der Strafaufschub auch nur solange angeordnet, bis die Vollzugstauglichkeit wiederhergestellt ist. Insofern wird die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe regelmäßig nur dann auf Dauer aufzuschieben sein, wenn eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt, die im Rahmen des Strafvollzuges nicht ordnungsgemäß behandelt werden kann.
Oskar Gröning wurde wegen Beihilfe zum grausamen und heimtückischen Mord (§§ 211, 49 a.F. StGB) in 300.000 Fällen v. LG Lüneburg am 15. Juli 2015[17] zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Nach den Feststellungen des Gerichts hatte der "Buchhalter von Auschwitz" das NS-Regime dadurch unterstützt, dass er einerseits an der Selektion von Deportierten mitwirkte und durch vornehmlich verwaltende Tätigkeiten Wertgegenstände derselben verwertete. Eine gegen das Urteil gerichtete Revision Grönings verwarf der BGH.[18] Der Angeklagte beantragte Aufschub der Strafvollstreckung bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Lüneburg, die den Antrag ablehnte. Auch der daraufhin gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 458 Abs. 2 StPO[19] und die sofortige Beschwerde[20] gegen die dahingehende Entscheidung des LG Lüneburg wurden verworfen.
Die gegen die ablehnenden Entscheidungen zum Aufschub der Strafvollstreckung gerichtete Verfassungsbeschwerde nahm das BVerfG nicht zur Entscheidung an.[21] Das Gericht sah den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verletzt. Vielmehr teilte es die Einschätzung des OLG Celle[22], dass die Lebensbedrohlichkeit des Strafvollzugs in Abwägung zu bringen sei mit der Schwere der verwirklichten Delikte, weshalb § 455 StPO auch im Einzelfall verhältnismäßig angewendet worden sei.[23] Besondere Berücksichtigung fand dabei, dass der Verurteilte das von 2013 bis 2016 betriebene Strafverfahren gesundheitlich überstand und eine altersgemäße Betreuung in der Justizvollzugsanstalt möglich ist.[24] Insgesamt setzt das BVerfG seine Rechtsprechung zu § 455 StPO fort und erkennt die Norm als eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Abwägungsentscheidung zwischen der Pflicht des Staates zur Durchset-
zung des Strafanspruchs[25] und den Individualrechten des Verurteilten an.[26] Gröning stellte daraufhin zum einen ein Gnadengesuch gemäß § 452 S. 2 StPO bei der Staatsanwaltschaft Lüneburg, das von dieser abgelehnt wurde.[27] Zuletzt richtete er ein weiteres Gnadengesuch an die niedersächsische Justizministerin Havliza. Bevor eine Entscheidung ergehen konnte, starb Oskar Gröning am 9. März 2018.
Abseits des Strafaufschubs nach § 455 Abs. 2 StPO besteht für Staatsanwaltschaft und Gericht die Möglichkeit, bei Vorliegen von Verhandlungsunfähigkeit bereits in einem früheren Stadium das Verfahren zu beenden. Ein solches Verfahrenshindernis der Verhandlungsunfähigkeit kann auch prognostiziert werden[28] , wobei nach Ansicht des BGH bereits das hohe Alter einer Person gewichtiges Indiz für Verhandlungsunfähigkeit sein kann.[29] Die zuständige Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO ein, wenn dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit vorliegt.[30] Wurde hingegen Anklage erhoben, kann das zuständige Gericht bereits von der Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 199 Abs. 1 StPO absehen und einen Beschluss nach § 204 StPO erlassen, wenn Verhandlungsunfähigkeit und somit ein hindernder Rechtsgrund besteht.[31] So hatte das LG Berlin[32] etwa die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Erich Honecker abgelehnt und seine Entscheidung mit der Prognose begründet, der Angeschuldigte werde möglicherweise das Ende des Verfahrens nicht mehr erleben. Ergibt sich die Verhandlungsunfähigkeit hingegen erst im Hauptverfahren, kann das Gericht das Verfahren nach §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO einstellen.[33]
Bei älteren Tätern[34] ist zu berücksichtigen, dass die einmal festgestellte Vollzugsuntauglichkeit im Sinne von § 455 Abs. 2 StPO regelmäßig bestehen bleibt und der Aufschub der Strafvollstreckung faktisch einer Begnadigung nach § 452 S. 2 StPO gleichkommt: Der Schuldspruch bleibt bestehen, wobei von ihm für den Verurteilten aber keine unmittelbaren Rechtsnachteile mehr ausgehen, weil er die Vollstreckung des Strafausspruchs nicht mehr zu befürchten hat.
Zu beachten ist, dass Personen ab einem Alter von 60 Jahren kaum als Straftäter in Erscheinung treten. Im Jahr 2016 waren lediglich 6,6 Prozent aller Tatverdächtigen 60 Jahre alt oder älter.[35] Von allen in diesem Jahr verübten Straftaten wurden nur 7,4 Prozent von Personen begangen, die über 60 Jahre alt waren.[36] Die am häufigsten von dieser Altersgruppe begangenen Straftaten sind Körperverletzung, Nötigung, Bedrohung, Diebstahl und Beleidigung[37] sowie Verkehrsverstöße und -delikte[38] . Dabei ist davon auszugehen, dass nur ca. 5 Prozent älterer Tatverdächtiger bereits vor ihrem 50. Lebensjahr straffällig geworden sind.[39] Zurückzuführen ist die geringe Kriminalitätsbelastung älterer Menschen unter anderem auf abnehmende körperliche Leistungsfähigkeit, eine stärkere Sozialkontrolle durch die Familie sowie den Wegfall potentieller Tatgelegenheiten, wenn keinem Beruf mehr nachgegangen wird.[40] Allerdings besteht hier kaum Anwendungsbereich für § 455 Abs. 2 StPO, weil es sich bei den am häufigsten verwirklichten Delikte der Altersgruppe um Vergehen handelt und somit eher eingestellt bzw. auf eine Geldstrafe oder eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe erkannt wird.
Bei bestimmten Straftatbeständen kann aber auch gegen einen älteren Menschen ein Strafverfahren wegen einer Tat eingeleitet werden, die weit zurückliegt. So lässt sich das gesetzgeberisch gewollte Unwerturteil bezüglich
einer Straftat zum einen aus der angedrohten Strafe ableiten. Einen weiteren Hinweis auf die rechtsstaatliche Pflicht zur Verfolgung von Straftaten geben hingegen die in Abhängigkeit zum Strafrahmen bestehenden Verfolgungsverjährungsfristen. Während Mord gemäß § 78 Abs. 2 StGB nie verjährt, sind in § 78 Abs. 3 StGB für besonders schwere Delikte Verjährungsfristen von bis zu 30 Jahren aufgeführt. Werden die Tatbestände des Ruhens der Fristen nach § 78b StGB einbezogen, können auch lange zurückliegende Taten geahndet werden. Zwar ist nicht anzunehmen, dass viele Fälle, die mehrere Jahrzehnte zurückliegen, tatsächlich aufgeklärt werden können. Sollte die Aufklärung aber jedenfalls für denkbar gehalten werden, muss insbesondere bei Verbrechen des NS-Regimes dem staatlichen Strafanspruch Geltung verliehen werden, um im Sinne der negativen Generalprävention nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass bestimmte Personen von der Reichweite des Strafrechts ausgenommen sind.[41]
Vor diesem Hintergrund sollte nur in solchen Fällen, in denen es höchst wahrscheinlich ist, dass der Angeklagte infolge des Strafverfahrens schwere Gesundheitsschädigungen erleiden bzw. sterben würde oder aus anderen Gründen evident verhandlungsunfähig ist, von der Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, das Strafverfahren vor dem Vollstreckungsverfahren zu beenden. Deshalb sind zunächst unterstützende Maßnahmen während der Hauptverhandlung, wie etwa die permanente Anwesenheit medizinischen Personals, auszuschöpfen.[42] Keinesfalls kann eine Prognose der Gesundheitsverschlechterung aufgrund Alters[43] zu Verhandlungsunfähigkeit führen.[44] Ebenso wenig überzeugt der in diese Richtung weisende Ansatz, allein aufgrund von Altersmerkmalen die Verhandlungsunfähigkeit "widerleglich zu vermuten"[45] .
Außerdem ist in Hinblick auf den Strafanspruch des Staates zu berücksichtigen, dass Dritten nach Ansicht des BVerfG bei schweren Straftaten gegen das Leben sogar ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Strafverfolgung zukommt.[46] Ferner sind Staatsanwaltschaft und Gericht zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet (§§ 160 Abs. 1, 244 Abs. 2 StPO). Gerade bei NS-Verbrechen ist es daher umso mehr geboten, das Hauptverfahren zu eröffnen. Insofern kann das Argument, dass es sinnlos und angesichts einer überlasteten Justiz falsch wäre, ein Strafverfahren zu führen, das letztlich mit einem (dauerhaften) Strafaufschub endet, nicht verfangen. Der Fall Gröning belegt zudem, dass mitunter auch der Angeklagte zur Aufklärung der Tatumstände beitragen kann.[47] Ohne Hauptverhandlung wird den Hinterbliebenen in der Konstellation von § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO ferner die Option der Nebenklage[48] und somit die Gelegenheit genommen, selbst auf die Sachverhaltsaufklärung durch eigenes Fragerecht nach § 397 Abs. 1 S. 3 StPO Einfluss zu nehmen.[49] Eine restriktive Handhabung des Kriteriums der Verhandlungsunfähigkeit steht auch im Einklang mit der Rspr. des BVerfG[50], wonach es für dieses Kriterium einer nicht näher umschriebenen "spezifischen Wahrscheinlichkeit" bedarf.
Gleichfalls ist der Strafausstand wegen Vollzugsuntauglichkeit aus kriminalpolitischer Sicht zu präferieren. Denn im Fall von § 455 Abs. 2 StPO wird durch eine Verurteilung klargestellt, dass es keinen Schutz vor dem Schuldspruch aufgrund altersbedingter Einschränkungen gibt, sondern allenfalls ein Vollstreckungsnguaufschub in Frage kommt.[51] Gerade wenn, wie im Fall Gröning, Straftaten des NS-Regimes beurteilt werden müssen, ist die Judikative angehalten, die Unvereinbarkeit solcher Taten mit der Werteordnung der Bundesrepublik Deutschland und deren Ächtung durch Strafurteil festzustellen.[52] Weil der Strafanspruch im Fall von § 455 Abs. 2 StPO insofern auf den Schuldspruch reduziert wird, kann dessen Durchsetzung auch nicht als "unmenschlich"[53] bezeichnet werden.
Der Strafaufschub nach § 455 Abs. 2 StPO gibt dem Strafvollstreckungsrecht eine praktikable Handhabe, um auf der einen Seite Strafanspruch bzw. Strafvollstreckungsinteresse und andererseits geschützte Rechtsgüter des Täters zu berücksichtigen. So kann der Unwert einer Tat durch Strafausspruch ausgedrückt, andererseits das Recht des Verurteilten nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 GG geschützt werden. Um eine drohende Verkürzung von Opferrechten zu verhindern, sollte genau überprüft werden, ob tatsächlich Verhandlungsunfähigkeit besteht und somit nur im Ausnahmefall angenommen werden. Regelmäßig sind dagegen die Stufen des Strafverfahrens bis hin zum Vollstreckungsverfahren zu durchlaufen.
[*] Rechtsreferendar am LG Leipzig und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzugsrecht (Prof. Dr. Hendrik Schneider) an der Universität Leipzig.
[1] Tagesspiegel v. 7. Juli 2015, http://www.tagesspiegel.de/politik/auschwitz-prozess-staatsanwaltschaft-fordert-3-5-jahre-haft-fuer-oskar-groening/12023904.html (zugegriffen am 11. Januar 2018); Die Zeit v. 21. Juli 2015, http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-07/ns-verbrecher-beihilfe-taeter-strafrecht-justiz-fischer-im-recht (zugegriffen am 11. Januar 2018); Die Welt v. 6. Oktober 2015, https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article147264663/Was-der-11-September-mit-KZ-Verbrechen-zu-tun-hat.html (zugegriffen am 11. Januar 2018).
[2] LG Lüneburg, 15. Juli 2015 – 27 Ks 9/14, 27 Ks 1191 Js 98402/13 (9/14).
[3] BGHSt 61, 252 = HRRS 2016 Nr. 1123. Vgl. zur Diskussion Fahl HRRS 2017, 167 ff.; Roxin JR 2017, 88 ff.; Grünewald NJW 2017, 500 f.; Momsen StV 2017, 546 ff.; Rommel NStZ 2017, 161 f.; Safferling JZ 2017, 258 ff.
[4] BVerfG, 21. Dezember 2017 – 2 BvR 2772/17 =HRRS 2018 Nr. 4.
[5] BVerfG, 21. Dezember 2017 – 2 BvR 2772/17 – juris Rn. 10 =HRRS 2018 Nr. 4.
[6] Heischel, § 455 StPO – Die Haftverschonung aus Gesundheitsgründen in ihren rechtlichen Grundlagen und in der Praxis, 1998, S. 20 ff.
[7] "Strafprozeßordnung" v. 1. Februar 1877 (in Kraft getreten am 1. Oktober 1879).
[8] "Strafprozeßordnung für das Deutsche Reich" v. 4. Januar 1924 (in Kraft getreten am 22. März 1924).
[9] Eingeführt durch das 23. Strafrechtsänderungsgesetz v. 13. April 1986, BGBl. I, S. 393 (in Kraft getreten am 1. Mai 1986).
[10] Funktionell zuständig ist seit dem Ersten Gesetz zur Modernisierung der Justiz v. 24. August 2004, BGBl. I, S. 2207 (in Kraft getreten am 1. September 2004) der Rechtspfleger.
[11] OLG Düsseldorf NJW 1991, 765; zust. Laubenthal/Nestler, Strafvollstreckung, 2010, Rn. 221; Pollähne/Woynar, Verteidigung in Vollstreckung und Vollzug, 2014, Rn. 108; Appl, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. (2013), § 455, Rn. 7; Coen, in: BeckOK StPO, Stand: 1. Juli 2017, § 455, Rn. 3; Pfeiffer, Kommentar zur StPO, 5. Aufl. (2005), § 455, Rn. 3; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. (2017), § 455, Rn. 5. A.A. Paeffgen, in: SK-StPO, 4. Aufl. (2013), § 455, Rn. 9, wonach eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichen soll.
[12] OLG Düsseldorf NJW 1991, 765; zust. Laubenthal/Nestler a.a.O. (Fn. 11); Pollähne/Woynar, a.a.O. (Fn. 11); Appl a.a.O. (Fn.11); Coen a.a.O. (Fn. 11); Pfeiffer a.a.O. (Fn. 11); Paeffgen a.a.O. (Fn.11); Klein, in: Graf StPO, 2. Aufl. (2012), § 455, Rn. 3; Meinen, in: Heghmanns/Scheffler (Hrsg.), Handbuch zum Strafverfahren, 2008, S. 1151 spricht von "Vollzugsbezogenheit".
[13] Vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2010, 191; OLG Koblenz StRR 2015, 387.
[14] § 455 StPO wurde auch analog herangezogen, um über die Fortsetzung der Untersuchungshaft zu entscheiden, vgl. BerlVerfGH NJW 1994, 436, 440 (Erich Mielke).
[15] Appl a.a.O. (Fn. 11), § 455, Rn. 5.
[16] Vgl. etwa OLG Koblenz StRR 2015, 387. Legat, Ältere Menschen und Sterbenskranke im Strafvollzug, 2008, S. 154 verweist zudem auf eine "immer leistungsfähiger werdende Medizin" in Vollzugskrankenhäusern.
[17] LG Lüneburg, 15. Juli 2015 – 27 Ks 9/14, 27 Ks 1191 Js 98402/13 (9/14).
[18] BGHSt 61, 252 = HRRS 2016 Nr. 1123.
[19] LG Lüneburg, 17. August 2017 – 27 Ks 9/14.
[20] OLG Celle, 7. November 2016 – 3 Ws 491/17.
[21] Vgl. BVerfG, 21. Dezember 2017 – 2 BvR 2772/17 – juris Rn. 6 = HRRS 2018 Nr. 4: "Annahmegründe (...) liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (...), da die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Entscheidung über Aufschub und Unterbrechung der Strafvollstreckung nach § 455 StPO in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt sind (...). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist – mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg – auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG bezeichneten Rechte angezeigt (...)."
[22] OLG Celle, 7. November 2016 – 3 Ws 491/17.
[23] Vgl. BVerfG, 21. Dezember 2017 – 2 BvR 2772/17 – juris Rn. 9 = HRRS 2018 Nr. 4.
[24] Vgl. BVerfG, 21. Dezember 2017 – 2 BvR 2772/17 – juris Rn. 23 = HRRS 2018 Nr. 4.
[25] Vgl. umfassend zu Herkunft und Ausformungen dieses Grundsatzes Feltes, Der staatliche Strafanspruch, 2009.
[26] Vgl. BVerfG, 21. Dezember 2017 – 2 BvR 2772/17– juris Rn. 9 = HRRS 2018 Nr. 4. So etwa auch BVerfG NStZ-RR 2003, 345; BVerfG RuP 2010, 219; zust. etwa Paeffgen a.a.O. (Fn. 11), § 455, Rn. 2.
[27] Ntv.de v. 17. Januar 2018, https://www.n-tv.de/der_tag/Mittwoch-17-Januar-2018-article20234973.html (zugegriffen am 17. Januar 2018).
[28] LG Berlin NJW 1993, 1608.
[29] BGH NJW 2004, 2316, 2319 = HRRS 2004 Nr. 601 (Friedrich Engel). Im zugrundeliegenden Fall hob der BGH im Rahmen der Revision das Urteil auf und stellte das Verfahren wegen des Alters des Angeklagten und einer ungewissen Sachverhaltsaufklärung nach § 349 Abs. 4 StPO ein.
[30] Vgl. dazu Moldenhauer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. (2013), § 170, Rn. 15. Bereits mit Blick auf die materielle Rechtslage kann auch eine Einstellung nach § 153b Abs. 1 StPO i.V.m. § 47 MilStGB in Betracht kommen, wenn ein Untergebener auf Befehl gehandelt hat, vgl. dazu Kuchenbauer NJW 2009, 15, 18.
[31] Zu beachten ist hier die Sperrwirkung von § 211 StPO, wonach die Klage nur auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel wiederaufgenommen werden kann.
[32] LG Berlin NJW 1993, 1608.
[33] Gemäß BGHSt 46, 345 kommt dann auch kein Sicherungsverfahren nach §§ 413 ff. StPO in Betracht.
[34] Maschke, in: Bock (Hrsg.), Göppinger Kriminologie, 2008, § 24, Rn. 67 zeigt auf, dass der Begriff des "alten Menschen" nicht genau definiert werden kann. Jedoch scheint es angezeigt, den Terminus ab einem Alter von 60 Jahren zu verwenden.
[35] Vgl. PKS 2016, Bd. 3, 19.
[36] Vgl. PKS 2016, Bd. 3, 21. Allerdings belegt Maschke a.a.O. (Fn. 34), § 24, Rn. 71, dass in dieser Altersgruppe überdurchschnittlich viele Frauen strafrechtlich in Erscheinung treten. Grund dafür scheint aber vornehmlich zu sein, dass der Frauenanteil bei den älteren Menschen höher ist.
[37] Vgl. PKS 2016, Bd. 3, 30.
[38] Vgl. Fahreignungsregister (FAER) 2016, Eintragungen von Verkehrsverstößen im Jahr 2016 nach Lebensalter und Geschlecht, wonach die Gruppe der über 65-Jährigen nicht signifikant weniger Verkehrsverstöße begeht als die Gruppe von Personen im Alter von 18 bis 24 Jahren. Zu beachten ist, dass die PKS diese Delikte nicht berücksichtigt.
[39] Vgl. Maschke a.a.O. (Fn. 34), § 24, Rn. 75.
[40] Vgl. Maschke a.a.O. (Fn.34), § 24, Rn. 82. Als kriminogener Faktor im Alter kann danach allenfalls gewertet werden, dass aufgrund des Ausstiegs aus dem Berufsleben viel Zeit besteht, um Straftaten (z.B. einen Ladendiebstahl) vorzubereiten und dadurch das Minus an körperlicher Eignung zu kompensieren.
[41] Beck HRRS 2010, 159 zweifelt die Notwendigkeit von generalpräventiven Erwägungen bei sehr alten Menschen dagegen an.
[42] Vgl. dazu Beck HRRS 2010, 158.
[43] BGH NJW 2004, 2316, 2319 = HRRS 2004 Nr. 601 (Friedrich Engel). Im zugrundeliegenden Fall hob der BGH im Rahmen der Revision das Urteil auf und stellte das Verfahren wegen des Alters des Angeklagten und einer ungewissen Sachverhaltsaufklärung nach § 349 Abs. 4 StPO ein. Krit. dazu Kuchenbauer NJW 2009, 20.
[44] Krit. auch Kuchenbauer NJW 2009, 16.
[45] So vorgeschlagen von Beck HRRS 2010, 158. Allerdings wird bei NS-Verbrechen zugestanden, dass hier höhere Anforderungen an das Kriterium der Verhandlungsunfähigkeit zu stellen sind.
[46] BVerfG, 26. Juni 2014 – 2 BvR 2699/10 – juris Rn. 8 = HRRS 2014 Nr. 674: "Dem Grundgesetz lässt sich grundsätzlich kein Anspruch auf Strafverfolgung Dritter entnehmen (...). Etwas anderes kann bei erheblichen Straftaten gegen das Leben (...) der Fall sein"; so auch Weigend RW 2010, 57.
[47] Zu berücksichtigen ist aber, dass Grönings Angaben die Sachverhaltsaufklärung nicht maßgeblich vorantrieben und er kein Geständnis ablegte, weshalb seine Angaben auch nicht im Sinne von § 46b StGB gewertet wurden. Allerdings machte er Aussagen im Rahmen der Hauptverhandlung, die von großer Offenheit geprägt waren, vgl. LG Lüneburg, 15. Juli 2015 - 27 Ks 9/14, 27 Ks 1191 Js 98402/13 (9/14) – juris Rn. 61.
[48] Das Interesse der Angehörigen an Sachverhaltsaufklärung wird auch deutlich im Fall Lipschis. So wurde gegen den ehemaligen SS-Wachmann kein Verfahren wegen Verhandlungsunfähigkeit eröffnet, da der 94-Jährige an Demenz gelitten habe (LG Ellwangen, 27. Februar 2014 - 1 Ks 9 Js 94162/12), weshalb die Nebenkläger zunächst Beschwerde gegen den Beschluss einlegten, diese dann aber wieder zurückzogen.
[49] Weigend RW 2010, 56 f. spricht bei der Nebenklage von einer "Zwei-Klassen-Gesellschaft" und fordert für alle Verletzten und somit über den Katalog von § 395 Abs. 1 StPO hinaus die Möglichkeit, an der Aufklärung eines Sachverhalts mitzuwirken.
[51] Kuchenbauer NJW 2009, 20 verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Notwendigkeit einer Bestrafung in Hinblick auf den Gleichheitssatz.
[52] So auch Kuchenbauer NJW 2009, 20. Ferner wird dort zutreffend darauf hingewiesen, dass der bloße Zeitablauf die Schuld der Täter nicht zu mindern vermag. Weigend RW 2010, 57 billigt sogar einen Anspruch auf Genugtuung zu.
[53] Anders Beck HRRS 2010, 166: "Rechtsstaatlichkeit zeigt sich gerade im Umgang mit derartigen Situationen, in denen zwar von Schuld des Angeklagten auszugehen ist, eine Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs aber unmenschlich erscheint".