HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2017
18. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

1163. BGH 1 StR 173/17 – Beschluss vom 23. August 2017 (LG Wiesbaden)

BGHR; Steuerhinterziehung (Hinterziehung von Kraftfahrzeugsteuer bei widerrechtlicher Benutzung von Kraftfahrzeugen: Bestehen einer Steuererklärungspflicht, keine Strafbarkeit der bloßen Nichtzahlung von Steuern); Urkundenfälschung (Kraftfahrzeugkennzeichen als zusammengesetzte Urkunde, Tateinheit mit Diebstahls des Fahrzeugs); Kennzeichenmissbrauch.

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; § 1 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG; § 2 Abs. 5 KraftStG; § 6 KraftStG; § 7 Nr. 3 KraftStG; § 15 Abs. 1 KraftStDV; § 267 Abs. 1 StGB; § 242 Abs. 1 StGB; § 52 Abs. 1 StGB; § 22 StVG

1. Zur Kraftfahrzeugsteuerhinterziehung bei widerrechtlicher Benutzung von Kraftfahrzeugen. (BGH)

2. Zwar ist auch eine widerrechtliche Benutzung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 2 Abs. 5 KraftStG steuerbar. Gemäß § 7 Nr. 3 KraftStG ist der Fahrer des Fahrzeugs auch der Steuerschuldner der mit Beginn der Steuerpflicht entstehenden Kraftfahrzeugsteuer. Eine an den Realakt der Benutzung als die Steuerpflicht auslösendes Moment anknüpfende Erklärungspflicht besteht für inländische Fahrzeuge aber erst mit Wirkung zum 20. Juli 2017 durch § 15 Abs. 1 KraftStDV, wonach bei widerrechtlicher Benutzung unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben ist. (Bearbeiter)

3. Eine Tathandlung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begeht nur derjenige, der die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann danach nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (vgl. BGHSt 58, 218, 227, 231). Die bloße Nichtzahlung von Steuern ist tatbestandlich nicht erfasst. (Bearbeiter)

4. Ein Kraftfahrzeugkennzeichen ohne amtliche Stempelplakette stellt keine Urkunde im Sinne des § 267 StGB dar, sondern ist nur ein Kennzeichen im Sinne der Strafvorschrift des § 22 StVG (vgl. BGHSt 18, 66, 70). Zwar handelt es sich bei einem mit einer Stempelplakette der Zulassungsbehörde versehenen, an dem Kraftfahrzeug, für das es zugeteilt ist, angebrachten Kraftfahrzeugkennzeichen um eine (zusammengesetzte) Urkunde im Sinne des § 267 StGB (vgl. BGHSt 45, 197, 200). Nur das mit der Stempelplakette versehene Kennzeichen verkörpert die Erklärung der Zulassungsbehörde als Ausstellerin, dass das Fahrzeug unter diesem Kennzeichen für einen bestimmten, im Fahrzeugregister eingetragenen Halter zum öffentlichen Verkehr zugelassen worden ist (vgl. BGHSt 34, 375, 376 mwN). Fehlt eine solche Stempelplakette, lässt sich dem bloßen Kennzeichen keine beweisbestimmte und beweisgeeignete Erklärung der Zulassungsstelle entnehmen. (Bearbeiter)


Entscheidung

1161. BGH 1 StR 33/17 – Beschluss vom 23. August 2017 (LG Essen)

Umsatzsteuerhinterziehung durch Unterlassen (mögliche Täterstellung und Begriff des Verfügungsberechtigten an der Lieferung; Begriff des leistenden Unternehmers).

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; § 35 AO; § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG; § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG

1. Täter – auch Mittäter – einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) kann nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (vgl. BGHSt 58, 218). Auch einen Verfügungsberechtigten im Sinne des § 35 AO trifft eine Rechtspflicht zur Aufklärung über steuerlich erhebliche Tatsachen.

2. Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO ist jeder, der nach dem Gesamtbild der Verhältnisse rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und als solcher nach außen auftritt. Nicht ausreichend ist eine rein tatsächliche Verfügungsmacht, etwa die Möglichkeit, über wirtschaftlichen Druck auf die Verfügungen des Steuerpflichtigen Einfluss zu nehmen; vielmehr muss die Verfügungsmöglichkeit rechtlich eingeräumt worden sein, sodass der

Verfügungsberechtigte aufgrund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam handeln kann. Entscheidend für die Pflichtenstellung des § 35 AO ist, dass der Verfügungsberechtigte durch die Übertragung der rechtlichen Verfügungsbefugnis in die Lage versetzt worden ist, am Rechtsverkehr wirksam teilzunehmen (vgl. BGHSt 58, 218, 236 mwN).

3. Eine mittelbare rechtliche Verfügungsbefugnis genügt. Verfügungsberechtigt im Sinne des § 35 AO ist daher auch, wer aufgrund seiner Stellung die Pflichten des gesetzlichen Vertreters erfüllen oder durch die Bestellung entsprechender Organe erfüllen lassen kann. Gleiches gilt für denjenigen, der kraft eines Rechtsverhältnisses den Vertretenen steuern und über seine Mittel verfügen kann. Steuerliche Pflichten sind dabei auch dann rechtlich und tatsächlich erfüllbar, wenn zwar keine unmittelbare Vertretungsbefugnis besteht, die rechtliche Stellung jedoch eine verbindliche Weisung an den Vertretenen ermöglicht (vgl. BGHSt 58, 218, 238 mwN). Auch wenn ein Geschäftsherr einem Dritten für einen bestimmten Geschäftsbereich völlig freie Hand lässt, so kann dieser nach den Umständen des Einzelfalls für den Geschäftsbereich, den er übernommen hat, als Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO anzusehen sein (vgl. BGHSt 58, 218, 236 f.).

4. Allerdings kann Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO nur derjenige sein, der auch als solcher nach außen auftritt. Auftreten bedeutet die Teilnahme am Wirtschafts- und Rechtsverkehr, die über die Beziehungen zum Rechtsinhaber hinausgeht. Nicht vorausgesetzt ist ein Auftreten gerade gegenüber den Finanzbehörden oder in steuerlichen Angelegenheiten. Die Teilnahme muss auch nicht in einer Disposition über fremdes Vermögen bestehen. Vielmehr reicht es aus, wenn der Verfügungsberechtigte sich nach außen so geriert, als könne er über fremdes Vermögen verfügen. Nimmt etwa eine Person Geschäftsführungsaufgaben tatsächlich wahr, so reicht es aus, wenn sie lediglich gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“ zu erkennen gibt, dass sie als solche über das Vermögen verfügen kann, das Auftreten gegenüber der „allgemeinen Öffentlichkeit“ aber weisungsabhängigen Personen überlässt. Hält sich der faktisch Leitende selbst im Hintergrund und bedient er sich zur Ausübung seiner Verfügungsbefugnis der Unterstützung weisungsgebundener Personen, wird er nach § 35 AO nur verpflichtet, wenn die Weisungsabhängigkeit auch nach außen – mithin mindestens gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“ – erkennbar wird. Diese Grundsätze gelten für Einzelunternehmen entsprechend (vgl. BGHSt 58, 218, 237 f.).


Entscheidung

1237. BGH 4 StR 572/16 – Beschluss vom 11. Oktober 2017 (LG Halle)

Subventionsbetrug (Begriff der Subventionserheblichkeit vor dem Hintergrund europäischen Rechts).

§ 264 Abs. 8 Nr. 2 StGB

1. Die Subventionserheblichkeit im Sinne des Tatbestandes des Subventionsbetruges wird auch durch den Umstand, dass die Bewilligung der beantragten Förderungen auf der Grundlage einer Verwaltungsvorschrift erfolgte und die Gewährung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach im Ermessen der Verwaltungsbehörde stand, nicht in Frage gestellt. Denn das Nichtvorliegen eines bloßen Scheingeschäfts stellt nach der Regelung des § 4 Abs. 1 Satz 1 SubvG eine zwingende Voraussetzung der Subventionierung dar, die dem Ermessensspielraum der Verwaltungsbehörde vorgelagert ist.

2. Ob sich die Subventionserheblichkeit der Tatsache eines bloßen Scheingeschäfts nach § 264 Abs. 8 Nr. 2 StGB angesichts der teils aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gewährten Förderungen darüber hinaus auch aus Europäischem Recht begründen lässt, kann der Senat offenlassen. Ein mit § 4 Abs. 1 Satz 1 SubvG vergleichbares Verbot der Subventionierung bloßer Scheingeschäfte könnte sich aus der Vorschrift des Artikel 4 Absatz 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (Abl. L 312/1) ergeben, deren Auslegung im Einzelnen aber allein dem Europäischen Gerichtshof obliegt. Der Senat hätte indes Bedenken, ob ein ungeschriebener allgemeiner Rechtsgrundsatz den Anforderungen des in § 264 Abs. 8 StGB normierten formalen Begriffs der Subventionserheblichkeit genügen könnte.


Entscheidung

1164. BGH 1 StR 198/17 – Urteil vom 5. September 2017 (LG Frankfurt am Main)

Steuerhinterziehung (Täterschaft: Voraussetzungen der Täterschaft, kein Sonderdelikt bei aktiver Begehung); Urkundenfälschung (Urkundeneigenschaft eines mit computertechnischen Maßnahmen erstellten veränderten Dokuments; Gebrauchen einer unechten Urkunde durch Übertragung auf elektronischem Weg); tatrichterliche Beweiswürdigung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO; § 25 StGB; § 267 Abs. 1 StGB; § 261 StPO

1. Der Straftatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist kein Sonderdelikt und setzt die Eigenschaft als Steuerpflichtiger nicht voraus. Täter einer Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) kann daher auch derjenige sein, den selbst keine steuerlichen Pflichten treffen (st. Rspr.). Ausreichend ist, dass er durch unrichtige Angaben auf ein steuerliches Verfahren Einfluss nimmt (vgl. BGHSt 51, 356, 359).

2. Nach dem Gesetzeswortlaut des § 25 Abs. 1 StGB („wer die Straftat selbst ... begeht“) ist derjenige, der einen Tatbestand eigenhändig verwirklicht, stets Täter und nicht Gehilfe (vgl. BGHSt 35, 347). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass wer den Tatbestand mit eigener Hand erfüllt, grundsätzlich selbst dann Täter ist, wenn er es unter dem Einfluss und in Gegenwart eines anderen nur in dessen Interesse tut (vgl. BGHSt 8, 393).

3. In der Übertragung auf elektronischem Weg – wie dies auch bei einem Telefax der Fall ist – kann ein Gebrauchmachen einer unechten Urkunde liegen (vgl. BGHSt 24, 140). Dies setzt jedoch voraus, dass die erstellten oder verfälschten Schriftstücke die Merkmale einer Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB aufweisen (vgl. BGH NStZ 1999, 620). Selbst mit computertechnischen Maßnahmen – wie der Veränderung eingescannter Dokumente – erstellten Schriftstücken ist mangels Beweiseignung

kein Urkundencharakter beizumessen, wenn sie nach außen als bloße Reproduktion erscheinen. Sie sind aber dann (unechte) Urkunden, wenn die (veränderten) Reproduktionen Originalurkunden so ähnlich sind, dass die Möglichkeit einer Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH wistra 2011, 307 mwN).


Entscheidung

1170. BGH 1 StR 365/16 – Urteil vom 5. September 2017 (LG Arnsberg)

Besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung (unrichtige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen: Begriff des Scheingeschäfts; Ablehnung eines besonders schweren Falls trotz Vorliegen eines Regelbeispiels: revisionsrechtliche Überprüfbarkeit); tatrichterliche Beweiswürdigung (Anforderungen an die Darstellung eines Freispruchs im Urteil; revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 370 Abs. 1, Abs. 3 AO; § 41 Abs. 2 Satz 1 AO; § 261 StPO; § 267 Abs. 5 StPO

Ein Scheingeschäft liegt vor, wenn die Parteien einverständlich nur den äußeren Schein des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts hervorrufen, aber die mit dem betreffenden Rechtsgeschäft verbundenen Rechtswirkungen nicht eintreten lassen wollen (st. Rspr.). Entscheidend ist dabei, ob die Beteiligten zur Erreichung des angestrebten Erfolges ein Scheingeschäft für genügend oder ein ernst gemeintes Rechtsgeschäft für erforderlich erachtet haben.