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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2017
18. Jahrgang
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1. Aus dem grundrechtsgleichen Recht nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgt, dass Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, im Voraus so eindeutig wie möglich festlegen müssen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welche Richter zur Entscheidung eines Einzelfalls berufen sind.
2. Die Garantie des gesetzlichen Richters steht einer Änderung der Zuständigkeit auch für bereits anhängige Verfahren nicht entgegen, soweit die Neuregelung im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruch-
körper und die Zuweisung der einzelnen Richter regelt und nicht aus sachwidrigen Gründen erfolgt.
3. Die Neuverteilung muss außerdem durch den Geschäftsverteilungsplan selbst vorgenommen werden. Dabei darf nicht von künftigen Entscheidungen einzelner Spruchkörper abhängig gemacht werden, ob es im Einzelfall zu einer Neuverteilung kommt oder ob die bestehende Zuständigkeit beibehalten wird.
4. Betrifft ein Verfahren nicht allein die Auslegung oder Anwendung einer Zuständigkeitsregelung, sondern die Vorfrage, ob die Zuständigkeitsregel eines Geschäftsverteilungsplanes überhaupt als generell-abstrakte Regelung anzusehen ist, nimmt das Bundesverfassungsgericht keine bloße Willkürprüfung vor, sondern überprüft vollumfänglich, ob die angewendete Regelung die Maßgaben des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erfüllt.
5. Es fehlt an der verfassungsrechtlich gebotenen Zuständigkeitsregelung durch den Geschäftsverteilungsplan selbst, wenn dieser die Zuordnung eines Verfahrens zu einer Hilfsstrafkammer davon abhängig macht, ob die ursprünglich zuständige Kammer zu einem bestimmten, noch in der Zukunft liegenden Zeitpunkt über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden hat. Denn damit liegt es in der Hand der zu entlastenden Strafkammer, das Verfahren noch vor dem Stichtag zu eröffnen und es dann selbst zu verhandeln, oder die Eröffnung zu unterlassen und so die Zuständigkeit der Hilfsstrafkammer zu begründen. Unerheblich ist insoweit die Erwartung des Präsidiums, bis zu dem Stichtag werde keine Eröffnungsentscheidung getroffen werden.
1. Aus dem grundrechtsgleichen Recht nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG folgt, dass Regelungen, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, im Voraus so eindeutig wie möglich festlegen müssen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welche Richter zur Entscheidung eines Einzelfalls berufen sind.
2. Die Garantie des gesetzlichen Richters steht einer Änderung der Zuständigkeit auch für bereits anhängige Verfahren nicht entgegen, soweit die Neuregelung im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung der einzelnen Richter regelt und nicht aus sachwidrigen Gründen erfolgt.
3. Die Neuverteilung muss außerdem durch den Geschäftsverteilungsplan selbst vorgenommen werden. Dabei darf nicht von künftigen Entscheidungen einzelner Spruchkörper abhängig gemacht werden, ob es im Einzelfall zu einer Neuverteilung kommt oder ob die bestehende Zuständigkeit beibehalten wird.
4. Betrifft ein Verfahren nicht allein die Auslegung oder Anwendung einer Zuständigkeitsregelung, sondern die Vorfrage, ob die Zuständigkeitsregel eines Geschäftsverteilungsplanes überhaupt als generell-abstrakte Regelung anzusehen ist, nimmt das Bundesverfassungsgericht keine bloße Willkürprüfung vor, sondern überprüft vollumfänglich, ob die angewendete Regelung die Maßgaben des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erfüllt.
5. Es fehlt an der verfassungsrechtlich gebotenen Zuständigkeitsregelung durch den Geschäftsverteilungsplan selbst, wenn dieser die Zuordnung eines Verfahrens zu einer Hilfsstrafkammer davon abhängig macht, ob die ursprünglich zuständige Kammer zu einem bestimmten, noch in der Zukunft liegenden Zeitpunkt über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden hat. Denn damit liegt es in der Hand der zu entlastenden Strafkammer, das Verfahren noch vor dem Stichtag zu eröffnen und es dann selbst zu verhandeln, oder die Eröffnung zu unterlassen und so die Zuständigkeit der Hilfsstrafkammer zu begründen. Unerheblich ist insoweit die Erwartung des Präsidiums, bis zu dem Stichtag werde keine Eröffnungsentscheidung getroffen werden.
1. Wird ein Strafgefangener gegen seinen Willen in eine andere Justizvollzugsanstalt verlegt, so greift dies – insbesondere wegen des damit verbundenen Abbruchs aller in der Anstalt entwickelten sozialen Beziehungen – in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ein und kann auch seinen Resozialisierungsanspruch beeinträchtigen. Eine zusätzliche erhebliche Beeinträchtigung ergibt sich, wenn der Wechsel der Anstalt mit dem Verlust einer Arbeitsmöglichkeit verbunden ist.
2. Verlegungen, die nicht ihrerseits durch Resozialisierungsgründe bestimmt sind, bedürfen einer Rechtfertigung und müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht werden. Das Fehlverhalten eines Dritten kann allenfalls in besonderen Ausnahmefällen und nur dann als Verlegungsgrund herangezogen werden, wenn zuvor auf den Regelbrüchigen eingewirkt worden ist, damit dieser den Verstoß unterlässt.
3. Das Resozialisierungsgebot verbietet die Verlegung eines Strafgefangenen mit der Begründung, das Verhältnis zwischen diesem und dem Anstaltsarzt sei zerrüttet, wenn zuvor gerichtlich festgestellt worden ist, dass der Anstaltsarzt den Strafgefangenen über Jahre hinweg entgegen den Regeln ärztlicher Kunst behandelt hat (Folgeentscheidung zu BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 – 2 BvR 922/11 [= HRRS 2012 Nr. 1003]). Zumindest wäre hier zuvor festzustellen gewesen, ob die schwerwiegende Falschbehandlung des Gefangenen nicht durch eine Einwirkung der Anstaltsleitung auf den Anstaltsarzt als milderes Mittel hätte unterbunden werden können.
4. Zwar kann die Nachprüfung einer strafvollzugsrechtlichen Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 116 Abs. 1 StVollzG) auch bei einer fehlerhaften Rechtsanwendung ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn nicht zu erwarten ist, dass der Rechtsfehler in weiteren Fällen Bedeutung erlangen wird. Allerdings verlangt Art. 19 Abs. 4 GG in derartigen Fällen, dass konkrete tatsächliche Umstände die Prognose rechtfertigen, die Strafvollstreckungskammer werde den Rechtsfehler künftig vermeiden; eine bloße Vermutung genügt insoweit nicht.
5. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde besteht bei tiefgreifenden und folgenschweren Grundrechtseingriffen fort, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt typischerweise auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen kann. Hierunter fällt die Verlegung eines Strafgefangenen in eine andere Anstalt jedenfalls dann, wenn dadurch der Betroffene seinen Arbeitsplatz und seine Kontakte in der Anstalt verliert und die Entscheidung über Vollzugslockerungen wesentlich verzögert und erschwert wird.
Wird gegenüber dem Betreiber eines E-Mail-Dienstes, der seinen Kunden einen anonymen Zugriff auf ihre elektronischen Postfächer ermöglicht, die Herausgabe der Inhalts- und Verkehrsdaten eines inkriminierten E-Mail-Accounts einschließlich der für den Zugriff genutzten IP-Adressen angeordnet und nach Weigerung ein Ordnungsgeld festgesetzt, so rechtfertigt dies nicht den Erlass einer einstweiligen Anordnung, wenn das Ordnungsgeld beizutreiben ist, den Betreiber wirtschaftlich nicht gefährdet und eine Vollstreckung der ersatzweise verhängten Ordnungshaft oder anderer Zwangsmittel nicht im Raum steht.
1. Zu dem vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zu erschöpfenden Rechtsweg gehört es auch, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen, soweit der Beschwerdeführer auf diese Weise fachgerichtlichen Rechtsschutz erlangen kann.
2. Das Grundrecht auf ein faires Verfahren gebietet es, einem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn seine zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegebene Revisionsbegründung aufgrund eines Versäumnisses des Rechtspflegers den förmlichen Anforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht genügt.
3. Über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung ist der Angeklagte zu belehren, soweit der Wiedereinsetzungsgrund in einem der Justiz zuzurechnenden Fehler liegt. Ist die Belehrung unterblieben, kommt auch eine Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist in Betracht.
1. Strafvollzugsrechtliche Eilentscheidungen, mit denen der Antrag eines Gefangenen abgelehnt wird, sind zwar
unanfechtbar, bedürfen jedoch gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i. V. m. § 34 Alt. 2 StPO einer Begründung. Diese muss die rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen erkennen lassen, auf denen die Entscheidung beruht und den Antragsteller in die Lage versetzen, sein weiteres Prozessverhalten auf die Auffassung des Gerichts einzustellen.
2. Eine Strafvollstreckungskammer verstößt in objektiv willkürlicher Weise gegen die Pflicht zur Begründung strafvollzugsrechtlicher Eilentscheidungen, wenn sie sich auf die Feststellung beschränkt, die Voraussetzungen des § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG seien nicht erfüllt und über die Anträge werde im Hauptsacheverfahren entschieden, obwohl der Gefangene Vornahmeanträge i. S. d. § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG auf Bewilligung von Langzeitbesuchen und auf Freistellung von der Arbeit gestellt hatte. Dies legt nahe, dass das Gericht die Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Anordnungen überhaupt nicht geprüft hat.
3. Angesichts der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes darf sich der Rechtsschutz auch im Eilverfahren nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpfen, sondern muss zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führen. Diese hat sich regelmäßig auf die Anwendbarkeit der im konkreten Fall einschlägigen Normen, auf deren Gültigkeit, auf die Bestimmung ihres Regelungsgehalts sowie auf die Tatsachengrundlagen und deren Subsumtion zu erstrecken.
4. Eine strafvollzugsrechtliche Eilentscheidung verletzt die verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie, wenn sie nicht oder nur formelhaft begründet ist und deshalb erhebliche Zweifel bestehen, ob die Strafvollstreckungskammer die gebotene umfassende Prüfung der Anträge des Gefangenen vorgenommen hat.