HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2017
18. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Das neue Verbrechen der Aggression nach § 13 VStGB

Von RA Andreas Arno Glauch, Bautzen

I. Einleitung

In Artikel 26 Abs. 1 S. 2 GG stellt die Verfassung der Rechtsordnung die Aufgabe Handlungen unter Strafe zu stellen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören; die Vorbereitung eines Angriffskrieges wird dort als Tathandlung besonders genannt. Die §§ 80 StGB a. F. und 80a StGB wurden auf Grundlage dieser Verfassungsbestimmung aus dem Jahre 1949 geschaffen.

In Politik und Rechtslehre wurde es stets als problematisch angesehen, dass § 80 StGB a. F. zwar die Vorbereitung eines Angriffskrieges unter Strafe stelle, nicht jedoch das Führen eines Angriffskrieges. Die Kriegsführung selbst wurde nicht als strafbar angesehen.[1]

Das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) trat am 30. Juni 2002 in Kraft.[2] Es hat die Aufgabe, das sogenannte Römische Statut[3] des Internationalen Strafgerichtshofs in das Recht der Bundesrepublik Deutschland umzusetzen. 2010 wurde dann in Kampala (Uganda) eine erste Konferenz zur Überprüfung des Statutes durchgeführt. Diese endete mit Beschluss vom 11. Juni 2010 zur Fortentwicklung des Römischen Statutes, insbesondere zum Tatbestand des Verbrechens der Aggression (Art. 8bis Römisches Statut)[4], welches mit Gesetz vom 03. Juni 2013 in

deutsches Recht umgesetzt wurde.[5] Darüber hinaus wurden auch Verfahrensregeln überarbeitet (Art. 15bis und Art. 15ter Römisches Statut).

Die völkerrechtliche Inkraftsetzung der Neuregelungen des Römischen Statutes bedarf der Ratifikation oder Annahme durch 30 Vertragsstaaten sowie eines Beschlusses der Vertragsstaatenkonferenz. Letztere wird sich voraussichtlich im Herbst 2017 treffen, sodass frühestens dann mit einer Aktivierung der Neuregelungen des Römischen Statutes zu rechnen ist.

Im Hinblick auf diese Entwicklungen wurde mit Gesetz vom 22. Dezember 2016 die deutsche nationale Rechtslage mit Schaffung des neuen § 13 VStGB[6] geändert. § 80 StGB a. F. (Vorbereitung eines Angriffskrieges) wurde in diesem Zusammenhang aufgehoben (Art. 2 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes vom 22. Dezember 2016).

II. Neuer Tatbestand des § 13 VStGB: Verbrechen der Aggression (§ 13 Abs. 1 VStGB)

Das Verbrechen der Aggression unterscheidet einerseits die Führung eines Angriffskrieges und andererseits eine sonstige Angriffshandlung, die ihrer Art, Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt (§ 13 Abs. 1 VStGB). Es wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

1. Angriffskrieg und Angriffshandlungen

Erstmals ist das Führen eines Angriffskrieges strafbar. Dabei ist der Begriff des Angriffskrieges nicht gesetzlich definiert. Allerdings besteht Einigkeit, dass damit eine völkerrechtswidrige bewaffnete Aggression bezeichnet wird.7 Die dagegen wegen mangelnder Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) gegen § 80 StGB a.F. erhobenen Bedenken[7] können nun mit Rückgriff auf Artikel 8 bis Abs. 2 Satz 2 des Römischen Statutes (dazu unten II.2.) nur noch eingeschränkt erhoben werden. Der Tatbestand der pönalisierten Handlung wird damit konkreter beschrieben.[8]

Das Führen eines Angriffskrieges gilt als schwerste Form der Aggression und als Prototyp einer Angriffshandlung.[9] Diese ist durch Art. 8 bis Abs. 2 S. 1 des Römischen Statutes auch für § 13 VStGB definiert. Danach ist das Verbrechen der Aggression eine gegen die Souveränität, territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit gerichtete Angriffshandlung oder eine sonst mit der Charta der Vereinten Nationen unvereinbare Anwendung von Waffengewalt durch einen Staat. Auf die Aufzählung von Begehungsvarianten wird dabei verzichtet.

2. Konkrete Angriffshandlungen gemäß Römischen Statutes

Die Grundsätze des Römischen Statutes sind für die Auslegung des Begriffes der Angriffshandlung zu berücksichtigen. Folgende Handlungen sind nach Art. 8 bis Abs. 2 des Römischen Statutes[10] konkret als Angriffshandlungen definiert:

- die staatliche Invasion des Hoheitsgebietes eines anderen Staates, dessen militärische Besetzung oder die gewaltsame Annexion des Hoheitsgebietes eines anderen Staates

- die Bombardierung, Beschießung oder der Einsatz von Waffen jeder Art durch einen Staat gegen das Hoheitsgebiet eines anderen Staates

- die Blockade von Häfen oder Küsten durch die Streitkräfte eines anderen Staates

- ein Angriff der Streitkräfte eines Staates auf diejenige eines anderen Staates

- bei Einsatz von Streitkräften eines Staates mit Zustimmung eines anderen Staates auf dessen Hoheitsgebiet: der Verstoß gegen die vorgesehenen Bedingungen in der zugrunde liegenden Einwilligung oder Vereinbarung und jede Verlängerung über den Ablauf der Einwilligung oder Vereinbarung hinaus

- die Zurverfügungstellung seines Hoheitsgebietes durch einen Staat an einen anderen Staat zum Zwecke einer Angriffshandlung gegen einen dritten Staat

- das Entsenden bewaffneter Banden, Gruppen irregulärer Kräfte oder Söldner durch einen Staat, die mit Waffengewalt Handlungen vergleichbarer Intensität durchführen.

3. Offenkundigkeit eines Verstoßes gegen die Charta der Vereinten Nationen

Art, Schwere und der Umfang einer Angriffshandlung müssen dabei offenkundig gegen die Charta der Vereinten Nationen verstoßen. Diese sogenannte Schwellenklausel soll als tatbestandliches Korrektiv die Strafbarkeit auf eindeutige Fälle zu beschränken.[11]

Offenkundigkeit bedeutet nach der zugrunde liegenden Gesetzesbegründung, dass der Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nation für jeden Betrachter von außen auf der Hand und jenseits jeden Zweifels liegen muss. Der Tatbestand solle anhand objektiver Merkmale ("Art, Schwere, Umfang") in seiner Reichweite begrenzt werden. Zugleich solle der Beurteilungsmaßstab sowohl qualitative als auch quantitative Elemente umfassen, wobei die Offenkundigkeit immer im Rahmen einer Gesamtabwägung zu ermitteln sei.11

Der Angriffskrieg soll als Prototyp einer Angriffshandlung für einen offensichtlichen Verstoß gelten.11 Bei einer dauerhaften Annektierung fremden Staatsgebietes oder Unterwerfung eines Staates als Ziel des Angriffes handele es sich ebenfalls um eindeutige Fälle.[12] Andererseits

sollen durch die Merkmale der Schwere und des Umfangs kleinere Grenzscharmützel oder kurzfristige Territorialverletzungen als Anwendungsfälle eindeutig ausgeschlossen sein.[13] Das Merkmal "Art" der Verletzung ziele auf den Zweck einer Handlung, weshalb rein humanitäre Interventionen oder die präventive Selbstverteidigung vom Tatbestand nicht erfasst sein sollen. Die Rettung eigener Staatsangehöriger, das Eingreifen auf Einladung, das Handeln mit Ermächtigung des Sicherheitsrates sowie die Reaktion auf nicht-staatliche Angriffe sollen als eindeutige Fälle einer nicht offenkundigen Verletzung gelten.13

Ob der Begriff der "Offenkundigkeit" dabei den Anforderungen an den strafrechtlichen des Bestimmtheitsgrundsatz gem. Art. 103 Abs. 2 GG entspricht, ist zumindest zweifelhaft. Die Gesetzesbegründung verweist auf ähnliche Formulierungen in § 3 VStGB und § 326 Abs. 6 StGB.11

III. Planung, Vorbereitung und Einleitung eines Verbrechens der Aggression (§ 13 Abs. 2 VStGB)

Während das Führen eines Angriffskrieges und die Begehung einer Angriffshandlung in § 13 Abs. 1 VStGB unter Strafe gestellt wird, betrifft § 13 Abs. 2 VStGB die Planung, Vorbereitung und Einleitung dieser Handlungen. Der Strafrahmen liegt zwischen zehn Jahren und lebenslanger Freiheitsstrafe.

Nach der Gesetzesbegründung bedarf eine "Planung" noch keines konkretisierten Angriffsvorhabens. Damit sollen Maßnahmen erfasst sein, die der Täter mit Blick auf ein noch nicht im Einzelnen konkretisiertes Angriffsvorhaben trifft, die jedoch über ein schlichtes inneres Nachdenken über einen Angriffskrieg hinausgehen.13

Die "Vorbereitung" entfalte dagegen schon durch objektiv erkennbare und den späteren Angriff fördernde aktive Tätigkeiten eine gewisse Außenwirkung, als Vorstufe zur operativen Umsetzung des Plans.14

"Einleitung" ist nach der Gesetzesbegründung als unmittelbares Ansetzen im Sinne des § 22 StGB zu verstehen. Gemeint sind Maßnahmen, die dem Ausbruch von Gewalthandlungen unmittelbar vorgelagert sind und ohne Zäsur in den Ausbruch eines Angriffs münden. Damit falle es regelmäßig mit dem Versuch der Ausführung zusammen.14

§ 13 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 VStGB nennt für eine Vorbereitungshandlung als objektive Bedingungen der Strafbarkeit die Ausführung einer Angriffshandlung (Nr. 1) oder die Herbeiführung einer konkreten Gefährdungslage (Nr. 2). Letztere entspricht der "Gefahr eines Krieges" in § 80 StGB a. F.[14]

IV. Täterschaft und Teilnahme

§ 13 Abs. 4 VStGB stellt fest, dass Beteiligter einer Tat nur sein kann, wer tatsächlich in der Lage ist, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken. Diese Regelung entspricht einem absoluten Sonderdelikt. Ziel dieser sogenannten "Führungsklausel" ist entsprechend Art. 8bis des Römischen Statutes und des Völkergewohnheitsrechts "dem einfachen Soldaten die mitunter schwierige Bewertung der Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Waffengewalt zu ersparen und ihn nicht in den Personenkreis möglicher Straftäter einzubeziehen".[15]

Der Täter muss dabei nicht Teil eines Staatsorgans sein. Auch Privatpersonen ohne Regierungsverantwortung können Täter sein. Dabei setzt die Täterschaft eine effektive Kontrolle über das Handeln des Staates voraus. Neben Wirtschaftsführern kommen dafür auch Angehörige ideologischer oder religiöser Eliten in Betracht.[16]

Im Unterschied zur Regelung des § 28 Abs. 1 StGB führt das Nichtvorliegen eines strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmals beim Teilnehmer zur Straffreiheit. Für eine Strafbarkeit von Anstiftern oder Gehilfen bedarf es also deren tatsächlicher Fähigkeit, das politische oder militärische Handeln des Staates zu kontrollieren oder zu lenken.16

V. Auswirkungen auf andere Tatbestände des StGB

1. Aufheben des § 80 StGB a. F. ("Vorbereitung eines Angriffskrieges")

Durch Art. 2 Abs. 4 Nr. 3 Gesetzes vom 22. Dezember 2016 wurde § 80 StGB aufgehoben.

2. Änderungen des § 80a StGB ("Aufstacheln zum Angriffskrieg")

Durch Art. 2 Abs. 4 Nr. 4 des Gesetzes vom 22.Dezember 2016 wurde eine Anpassung des Wortlautes durchgeführt. Der bislang benutzte Begriff "Angriffskrieg" wurde durch "Verbrechen der Aggression" ersetzt. Diese redaktionelle Anpassung war auf Grund des Wegfalls des § 80 StGB a.F. und Einführung des § 13 VStGB geboten. Änderungen in der Anwendung der Vorschrift des Tatbestandes sind nicht zu erwarten.

3. Anwendung des § 111 Abs. 1 StGB ("Öffentliche Aufforderung zu Straftaten")

Mit Schaffung des § 13 VStGB und Wegfall des § 80 StGB a.F. wird nun gemäß §  111 Abs. 1 StGB auch die öffentliche Aufforderung zu einem Verbrechen der Aggression

strafbar.[17] Insoweit ist zur Bestimmung des lex specialis eine begriffliche Abgrenzung zwischen einer Aufforderung im Sinne des § 111 Abs. 1 StGB und einem Aufstacheln im Sinne des § 80 a StGB erforderlich.

VI. Strafanwendung und Strafverfahren

In Abweichung vom Weltrechtsprinzip des § 1 S. 1 VStGB macht die Bundesregierung in ihrer Gesetzbegründung deutlich, dass sie kein umfassendes Weltrechtsprinzip für das Verbrechen der Aggression einführen wolle.[18] Nach dem neu eingefügten § 1 S. 2 VStGB sollen sich nur Deutsche strafbar machen können sowie ausländische Staatsangehörige in den Fällen, in denen sich die Tat gegen die Bundesrepublik Deutschland richtet.[19] Eine uneingeschränkte Weltgeltung würde von deutschen Strafverfolgungsbehörden praktisch nicht zu leisten sein.18 In Fällen ohne jeglichen Bezug zu Deutschland wird danach ausländischen oder internationalen Strafverfolgungsbehörden der Vortritt gelassen.[20]

Auf Grundlage von § 153 f Abs. 1 StPO kann durch die Staatsanwaltschaft von einer Verfolgung in den Fällen des § 153 c Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO absehen. Soweit kein Bezug zu Deutschland besteht ist deshalb mit einer Verfolgung nicht zu rechnen. Die Regelung des § 153 f Abs. 1 Satz 1 StPO wurde durch Artikel 2 Abs. 3 Nr. 5 des Gesetzes vom 22. Dezember 2016 entsprechend ergänzt.

VII. Zusammenfassung und Ausblick

Durch das Gesetz vom 22. Dezember 2016 wurde erstmals das Führen eines Angriffskrieges in § 13 Abs. 1 VStGB unter Strafe gestellt. Dabei wird der im Römischen Statut näher definierte Begriff des Verbrechens der Aggression verwendet und einer Angriffshandlung gleichgestellt. Mit den in Artikel 8bis des Römischen Statutes dargestellten Fällen ergibt sich eine hinreichende Bestimmtheit der Tathandlung. Ein Täter muss in der Lage sein, das politische oder militärische Geschehen zu lenken. Die in § 13 Abs. 2 VStGB genannten Vorbereitungshandlungen sind ebenfalls unter Strafe gestellt, wobei unklar bleibt, wann ein offenkundiger Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen vorliegt. Als absolutem Sonderdelikt gelten Besonderheiten für die Strafbarkeit von Teilnehmern, die auch selbst über Führungseigenschaften verfügen müssen.

Das im Übrigen nach § 1 S. 1 VStGB geltende Weltrechtsprinzip findet keine Anwendung. Gemäß § 153 f Abs. 1 Satz 1 StPO wird die Staatsanwaltschaft von einer Verfolgung absehen, wenn ein Bezug zu Deutschland nicht gegeben ist.

Artikel 26 Abs. 1 Satz 2 GG findet in der Gesetzesänderung ebenso seine Umsetzung wie die Beschlüsse vom Kampala aus dem Jahr 2010. Die praktische Anwendung durch den Generalbundesanwalt (§§ 142 a Abs. 1 S.1 i.V.m. 120 Abs. 1 Nr. 8 GVG) bleibt abzuwarten.

Die Gesetzesänderung an der Schnittstelle zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Strafrecht hat zu einer Stärkung strafrechtlicher Verantwortlichkeit gesellschaftlicher Eliten geführt, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden sollte. Ob sie geeignet sein wird, Angriffshandlungen zu vermeiden und innerstaatlich zu bekämpfen kann nur die Zukunft zeigen.[21]


[1] Vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl. (2017), § 80 Rn. 8.

[2] BGBl. I 2002, S. 2254 ff.

[3] BGBl. II 2000, S. 1394 ff.

[4] Barriga ZIS 2010, 644 ff.; Ambos ZIS 2010, 649 ff.

[5] BGBl. II 2013, S. 139 ff.

[6] BGBl. I 2016, S. 3150 f.

[7] Z.B. Fischer (Anm.1 ) Rn 3.

[8] A.A. Greßmann/Staudigl ZIS 2016, 798, 801.

[9] Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 01.06.2016: BT-DrS 18/8621, S. 16.

[10] BT-DrS 18/8621, S. 18 f.

[11] BT-DrS 18/8621, S. 16.

[12] BT-DrS 18/8621, S. 16 f.

[13] BT-DrS 18/8621, S. 17.

[14] BT-DrS 18/8621, S. 18.

[15] BT-DrS 18/8621, S. 19.

[16] BT-DrS 18/8621, S. 20.

[17] BT-DrS 18/8621, S. 22.

[18] BT-DrS 18/8621, S. 13.

[19] BT-DrS 18/8621, S. 12.

[20] Greßmann/Staudigl ZIS 2016, 798, 801.

[21] Ähnlich aus internationaler Sicht Barriga ZIS 2010, 644, 648; Ambos ZIS 2010, 649, 668.