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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2016
17. Jahrgang
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1. Die Art. 1 bis 3 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, nach der es im Rahmen eines Strafverfahrens dem Beschuldigten, an den ein Strafbefehl gerichtet wird, nicht gestattet ist, gegen den Strafbefehl in einer anderen als der Verfahrenssprache schriftlich Einspruch einzulegen, auch wenn er dieser Sprache nicht mächtig ist, nicht entgegenstehen, sofern die zuständigen Behörden nicht gemäß Art. 3 Abs. 3 dieser Richtlinie der
Auffassung sind, dass der Einspruch im Hinblick auf das betreffende Verfahren und die Umstände des Einzelfalls ein wesentliches Dokument darstellt (EuGH).
2. Art. 2, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c und Art. 6 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren sind dahin auszulegen, dass sie einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, nach der ein im Rahmen eines Strafverfahrens Beschuldigter, der in diesem Mitgliedstaat keinen Wohnsitz hat, für die Zustellung eines an ihn gerichteten Strafbefehls einen Zustellungsbevollmächtigten benennen muss, nicht entgegenstehen, sofern der Beschuldigte tatsächlich über die volle Frist für einen Einspruch gegen den Strafbefehl verfügt (EuGH).
3. Der Einspruch gegen einen noch nicht rechtskräftigen Strafbefehl fällt in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2010/64, so dass der Beschuldigte die Möglichkeit haben muss, das in der Richtlinie garantierte Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Anspruch zu nehmen. (Bearbeiter)
4. Art. 2 RL 2010/64 bezieht sich auf die mündliche Übersetzung mündlicher Ausführungen. Art. 3 der Richtlinie betrifft (nur) die schriftliche Übersetzung bestimmter, von den zuständigen Behörden in der Verfahrenssprache abgefasster Schriftstücke in die Sprache, die die betreffende Person versteht. (Bearbeiter)
5. Von den Mitgliedstaaten zu verlangen, dass sie stets für die Übersetzung jedweden Rechtsbehelfs aufkommen, den die Beschwerten gegen eine an sie gerichtete gerichtliche Entscheidung einlegen, geht über die mit der Richtlinie 2010/64 verfolgten Ziele hinaus. (Bearbeiter)
6. Art. 2 RL 2010/64 gewährleistet die unentgeltliche Hinzuziehung eines Dolmetschers, wenn der durch einen nicht rechtskräftigen Strafbefehl Beschwerte selbst mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle des zuständigen nationalen Gerichts Einspruch gegen den Strafbefehl einlegt oder wenn er schriftlich Einspruch einlegt und dabei einen Rechtsbeistand hinzuzieht, der die Abfassung des entsprechenden Schriftstücks in der Verfahrenssprache übernimmt. Art. 2 RL 2010/64 umgreift nicht den Fall, in dem der Beschwerte selbst gegen einen Strafbefehl schriftlich Einspruch einlegen will, ohne einen Rechtsbestand hinzuzuziehen. (Bearbeiter)
7. Das in Art. 3 Abs. 1 und 2 RL 2010/64 vorgesehene Recht auf Übersetzung umfasst grundsätzlich nicht die schriftliche Übersetzung eines Schriftstücks wie des Einspruchs gegen einen Strafbefehl, den die betreffende Person in einer Sprache verfasst hat, derer sie mächtig, die aber nicht die Verfahrenssprache ist. (Bearbeiter)
8. Es ist Sache des für die Entscheidung über einen Einspruch gegen einen Strafbefehl zuständigen Gerichts, zu entscheiden, ob der schriftlich eingelegte Einspruch gegen einen Strafbefehl als wesentliches, d.h. der Übersetzung bedürftiges Dokument im Sinne der Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 und 2 RL 2010/64 anzusehen ist. (Bearbeiter)
9. Das in Art. 1 RL 2012/13 vorgesehene Recht von Verdächtigen oder von beschuldigten Personen auf Belehrung über ihre Rechte in Strafverfahren und auf Unterrichtung über den gegen sie erhobenen Tatvorwurf umgreift zumindest zwei gesonderte Rechte. Zum einen müssen Verdächtige oder beschuldigte Personen gemäß Art. 3 RL 2012/13 mindestens über die in der RL aufgezählten Verfahrensrechte belehrt werden. Zum anderen müssen sie gem. Art. 6 der RL über den Tatvorwurf unterrichtet werden. (Bearbeiter)
10. Das Strafbefehlsverfahren fällt in den Anwendungsbereich der RL 2012/13. (Bearbeiter)
11. Die Zustellung eines Strafbefehls ist nach Art. 6 RL 2012/13 als eine Form der Unterrichtung über den Tatvorwurf anzusehen, so dass sie den Anforderungen dieses Artikels genügen muss. Art. 6 RL 2012/13 regelt nicht die Modalitäten der Unterrichtung über den Tatvorwurf. Diese Modalitäten dürfen jedoch nicht das u. a. mit Art. 6 RL 2012/13 angestrebte Ziel beeinträchtigen, das darin besteht, Personen, die der Begehung einer Straftat verdächtigt oder beschuldigt werden, die Vorbereitung ihrer Verteidigung zu ermöglichen und ein faires Verfahren zu gewährleisten. (Bearbeiter)
12. Art. 6 RL 2012/13 verlangt, dass der Beschuldigte über die volle zweiwöchige Einspruchsfrist verfügt, wenn ihm ein Strafbefehl zugestellt wird, der die Unterrichtung über den Tatvorwurf enthält. Diese Frist darf nicht durch die Zeitspanne verkürzt werden, die ein Zustellungsbevollmächtigter benötigt, um den Strafbefehl dem Adressaten zukommen zu lassen. (Bearbeiter)
1. Eine Auslieferung (hier: in die USA) darf nicht für zulässig erklärt werden, wenn nicht gewährleistet ist, dass der ersuchende Staat den Grundsatz der Spezialität - sofern nicht auf ihn verzichtet wurde - beachten wird. Diesen Anforderungen genügt es nicht, wenn die Praxis der Behörden oder Gerichte des ersuchenden Staates dahin geht, die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität von einem vorherigen einzelfallbezogenen Protest der Regierung des ersuchten Staates abhängig zu machen. (BVerfG)
2. Im Auslieferungsverfahren haben die deutschen Gerichte zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte des ersuchenden Staates mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen und dem nach Art. 25 GG verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard vereinbar sind. Letzteres gilt insbesondere im Auslieferungsverkehr mit Staaten, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind. (Bearbeiter)
3. Allerdings ist dem ersuchenden Staat im Auslieferungsverkehr grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen. Dies gilt in besonderem Maße gegenüber den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, im Grundsatz jedoch auch im allgemeinen völkerrechtlichen Auslieferungsverkehr. (Bearbeiter)
4. Das Vertrauen kann jedoch durch entgegenstehende konkrete Anhaltspunkte erschüttert werden. In diesem Fall ist das über die Zulässigkeit der Auslieferung entscheidende Gericht verpflichtet, zu prüfen, ob die Grenzen des Auslieferungsverkehrs tatsächlich gewahrt sind. Dafür können auch Ermittlungen zur Rechtslage und Praxis im ersuchenden Staat erforderlich sein. (Bearbeiter)
5. Die Gerichte haben insbesondere zu prüfen, ob die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität, der zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehört und dessen Geltung im Auslieferverkehr mit den USA auch völkervertraglich vereinbart ist, im Einzelfall gewährleistet ist. (Bearbeiter)
6. Angesichts der eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten des Auszuliefernden gegen die Bewilligungsentscheidung der Bundesregierung müssen die Auslieferungsvoraussetzungen – einschließlich des Spezialitätsgrundsatzes – bereits im Rahmen der Zulässigkeitsentscheidung umfänglich geprüft werden. (Bearbeiter)
7. Eine Auslieferungsentscheidung wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht, wenn sie nicht berücksichtigt, dass die Gerichte im Zielstaat angesichts einer dort ergangenen Rechtsprechung (hier: Entscheidung „Suarez“ in den USA) den Grundsatz der Spezialität im Einzelfall nicht mehr ohne Weiteres, sondern nur noch nach entsprechendem Protest des ausliefernden Landes beachten. (Bearbeiter)
8. Insoweit genügt es auch nicht, dass sich bei einem Auslieferungsersuchen der USA, dem der amerikanische Straftatbestand der Verschwörung zu Einkommenssteuerdelikten Dritter zugrunde liegt, die amerikanischen Behörden bewusst sind, dass dem Auszuliefernden nach deutschem Recht nur solche Taten zugerechnet werden können, an denen er mit konkreten Tatbeiträgen beteiligt war, so dass nach dem Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit eine Auslieferung nur für einen Teil der Fälle in Frage kommt, für den ein entsprechender Tatbeitrag dargelegt ist. (Bearbeiter)
1. Die Zusicherung der Spezialität tangiert nur das Verhältnis des ersuchenden und des ersuchten Staates.
2. Verstöße gegen den Spezialitätsgrundsatz nach erfolgter Einlieferung in die USA kann der strafrechtlich Verfolgte in den USA deshalb nur dann geltend machen, wenn der ersuchte Staat zuvor völkerrechtlichen Protest gegenüber den USA eingelegt hat.
3. Dieser Protest ist erst während oder nach dem Strafverfahren gegen den Eingelieferten in den USA möglich.
1. Eine Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte des ersuchenden Staates müssen mit dem nach Art. 25 GG verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen vereinbar sein. Insbesondere darf die dem Auszuliefernden drohende Strafe oder Behandlung nicht grausam, unmenschlich oder erniedrigend sein.
2. Im Auslieferungsverkehr ist dem ersuchenden Staat hinsichtlich der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen. Daher sind völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Garantie nicht eingehalten wird.
3. Etwaige Zweifel an der Einhaltung der Zusicherung können auch dadurch zerstreut werden, dass der ersuchende Staat eine Garantie abgibt, den Mitarbeitern der Deutschen Botschaft werde jederzeit die Möglichkeit gegeben, den Verfolgten nach seiner Auslieferung in der Vollzugsanstalt zu besuchen, um die Einhaltung der abgegebenen Garantien zu kontrollieren.
4. Die Zusicherung der Spezialität der Strafverfolgung ist in der Regel als ausreichende Garantie gegen eine drohende politische Verfolgung des Auszuliefernden anzusehen.
5. Die Gerichte sind in Auslieferungssachen allerdings berechtigt und verpflichtet, die Voraussetzungen politischer Verfolgung eigenständig und unabhängig von der
Entscheidung im Asylverfahren, dessen Ausgang nicht abgewartet werden muss, zu prüfen. Hierzu sind regelmäßig die Akten des Asylverfahrens beizuziehen.
1. Im Auslieferungsverfahren haben die deutschen Gerichte aufzuklären, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte des ersuchenden Staates mit dem nach Art. 25 GG verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen vereinbar sind. Insbesondere darf die dem Auszuliefernden drohende Strafe oder Behandlung nicht grausam, unmenschlich oder erniedrigend sein.
2. Der Umstand, dass einem Auszuliefernden in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union – hier: in Österreich – Schutz vor einer Auslieferung bewilligt worden ist und auch gegenwärtig noch bewilligt wird, ist grundsätzlich ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass ihm eine Behandlung drohen könnte, die seine Auslieferung unzulässig machen würde.
3. Allerdings ist dem ersuchenden Staat im Auslieferungsverkehr hinsichtlich der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich Vertrauen entgegenzubringen. Daher sind völkerrechtlich verbindliche Zusicherungen geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Garantie nicht eingehalten wird. Dies gilt insbesondere auch für die Zusicherung der Spezialität der Strafverfolgung.
4. Etwaige Zweifel an der Einhaltung der Zusicherung können auch dadurch zerstreut werden, dass der ersuchende Staat eine Garantie abgibt, den Mitarbeitern der Deutschen Botschaft werde jederzeit die Möglichkeit gegeben, den Verfolgten nach seiner Auslieferung in der Vollzugsanstalt zu besuchen, um die Einhaltung der abgegebenen Garantien zu kontrollieren.
1. Mit dem grundsätzlichen Auslieferungsverbot des Art. 16 Abs. 2 GG sollen die Rechtssicherheit und das Vertrauen des von einer Auslieferung betroffenen Deutschen in die eigene Rechtsordnung gewahrt werden. Dieses Vertrauen ist vor allem dann in besonderer Weise geschützt, wenn die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Handlung einen maßgeblichen Inlandsbezug aufweist.
2. Ein maßgeblicher Inlandsbezug, der regelmäßig ein Auslieferungshindernis entstehen lässt, ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn Handlungs- und Erfolgsort im Wesentlichen auf deutschem Staatsgebiet liegen. Wer hingegen in einer anderen Rechtsordnung handelt, indem er die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen auf dem Territorium eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union begeht oder dort einen Taterfolg herbeiführt, muss damit rechnen, auch dort zur Verantwortung gezogen zu werden.
3. Einer konkreten Abwägung im Einzelfall bedarf es immer dann, wenn der Beschuldigte ganz oder teilweise in Deutschland gehandelt hat, der Erfolg aber im Ausland eingetreten ist. In diesen Fällen sind insbesondere das Gewicht des Tatvorwurfs und die praktischen Erfordernisse einer effektiven Strafverfolgung mit den grundrechtlich geschützten Interessen des Verfolgten unter Berücksichtigung der mit der Schaffung eines Europäischen Rechtsraums verbundenen Ziele zu gewichten und zueinander ins Verhältnis zu setzen.
4. Bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl hat der Gesetzgeber, soweit er nicht bereits seine Spielräume für eine tatbestandliche Konkretisierung nutzt, dafür Sorge zu tragen, dass die das Gesetz ausführenden Stellen in einem Auslieferungsfall in eine konkrete Abwägung der widerstreitenden Rechtspositionen eintreten.
5. Es liegt nicht fern, dass ein Gericht die Bedeutung des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 GG verkennt, wenn es ohne detaillierte Abwägung im Einzelfall die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen nach Polen zulässt, dem ein dort begangenes vorsätzliches Tötungsdelikt vorgeworfen wird, welches allerdings in Deutschland geplant, vorbereitet und möglicherweise auch bereits begonnen worden ist, indem das Tatopfer in Deutschland betäubt und erst dann mit dem Ziel der Tötung nach Polen verbracht worden ist.
1. Eine Weisung, keine Betäubungsmittel zu konsumieren, beinhaltet für sich genommen keinen Verstoß gegen Grundrechte und bedeutet insbesondere keine unwürdige, die Subjektqualität des Menschen in Frage stellende Behandlung. Dies gilt gleichermaßen für Abstinenzweisungen im Rahmen der Bewährungs- wie auch der Führungsaufsicht.
2. Eine Abstinenzweisung muss im Einzelfall verhältnismäßig sein. Dies setzt eine Abwägung zwischen den betroffenen Gemeinwohlbelangen und den Rechten des Verurteilten voraus. Erhöhte Anforderungen sind dabei an strafbewehrte Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht zu stellen.
3. Ohne Weiteres zulässig sind Abstinenzweisungen regelmäßig gegenüber zum Verzicht auf den Konsum von Alkohol oder anderer Suchtmitteln fähigen Personen, von denen im Falle des erneuten Konsums erhebliche, die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit betreffende Straftaten zu erwarten sind.
4. Hingegen ist bei nicht- oder erfolglos therapierten langjährigen Suchtkranken eine Abwägung erforderlich, bei der insbesondere zu berücksichtigen ist, inwieweit die Aussicht besteht, den mit der Abstinenzweisung verfolgten Zweck zu erreichen, ob und inwieweit der Suchtkranke sich Therapieangeboten geöffnet hat und welche Straftaten im Falle weiteren Suchtmittelkonsums zu erwarten sind.
5. Unverhältnismäßig ist eine Abstinenzweisung bei einem seit seiner Jugendzeit durchgängig Suchtkranken, bei dem zahlreiche Entgiftungen und Langzeitentwöhnungstherapien erfolglos geblieben sind und bei dem nicht erkennbar ist, ob er krankheitsbedingt überhaupt in der Lage ist, sich weisungsgemäß zu verhalten. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Betroffene in jüngerer Zeit ausschließlich wegen Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt worden ist, ohne dass ein konkret drittschädigendes Verhalten ersichtlich geworden ist.
1. Das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG, das Rechtsstaatsprinzip und das jeweils materiell berührte Grundrecht sind verletzt, wenn ein Gericht eine eingreifende Maßnahme im Strafvollzug ohne zureichende Sachverhaltsaufklärung als rechtmäßig bestätigt. Bestreitet ein Gefangener die Sachverhaltsdarstellung der Vollzugsanstalt, so darf das Gericht seiner Entscheidung nicht ohne weiteres die Ausführungen der Anstalt zugrunde legen.
2. Wendet sich ein Strafgefangener gegen seine Unterbringung in einem als „Schlauchzelle“ bezeichneten Haftraum, dessen Größe er mit etwa 4,5 m2 und die Anstalt mit etwa 6 m2 angibt, so verletzt die Strafvollstreckungskammer ihre Sachaufklärungspflicht, wenn sie sich zwar einen Eindruck von einer entsprechende Zelle verschafft, ohne jedoch die genaue – und auch von der Kammer für entscheidungserheblich erachtete – Größe der konkreten Zelle festzustellen.
3. Eine Rechtsbeschwerdeentscheidung wird den verfassungsgerichtlichen Anforderungen nicht gerecht, wenn sie zu dem Ergebnis gelangt, die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer sei bei einer Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls auch dann nicht zu beanstanden, wenn die Haftraumfläche lediglich etwa 4,5 m2 betragen haben sollte, ohne dass ausreichende Feststellungen – insbesondere zu Arbeits- oder Aufschlusszeiten – getroffen sind, die in eine solche Gesamtbetrachtung einzufließen hätten.
4. Die Auffassung, hinsichtlich der Mindestgröße für Einzelhafträume sei von einem Orientierungswert von 4 m2 auszugehen, begegnet gewichtigen verfassungsrechtlichen Bedenken. Soweit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein solcher Wert genannt wird, dürfte sich dies lediglich auf Gemeinschafts- und nicht auf Einzelhafträume beziehen.
5. Mit Blick auf die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes, die durch weniger strenge konventionsrechtliche Vorgaben ohnehin nicht beschränkt werden könnte, liegt die Unterbringung eines Gefangenen in einem Haftraum mit nur wenig über 6 m2 Grundfläche an der unteren Grenze des Hinnehmbaren. Die dauerhafte Unterbringung in einem Haftraum mit einer Größe von etwa 4,5 m2 ist mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar; bei einer Unterbringung von mehreren Wochen liegt ein Verfassungsverstoß jedenfalls nahe, weshalb eine umfassende Aufklärung der weiteren Haftbedingungen in besonderem Maße geboten ist.
1. Die gesetzlichen Vorschriften über die regelmäßige Überprüfung der weiteren Vollstreckung der Sicherungsverwahrung dienen der Wahrung des Übermaßverbots bei der Beschränkung des Freiheitsgrundrechts. Das Vollstreckungsgericht muss eine rechtzeitige Entscheidung vor Ablauf der Überprüfungsfrist sicherstellen und dabei berücksichtigen, dass der Betroffene in aller Regel persönlich anzuhören und gegebenenfalls sachverständig zu begutachten ist.
2. Im Falle einer Überschreitung der – vom Beginn der Unterbringung an laufenden – Überprüfungsfrist hat das Vollstreckungsgericht die Gründe der Fristüberschreitung in der Fortdauerentscheidung darzulegen. Dies dient der verfahrensrechtlichen Absicherung des Freiheitsgrundrechts und soll eine Überprüfung ermöglichen, ob die Fristüberschreitung trotz sorgfältiger Führung des Verfahrens zustande kam oder ob sie auf einer Fehlhaltung gegenüber dem das Grundrecht sichernden Verfahrensrecht beruhte.
1. An der Verfassungsmäßigkeit des § 17 Abs. 3 Satz 1 Maßregelvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen bestehen im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Voraussetzungen einer Eingriffsgrundlage für die Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug Zweifel.
2. Jedenfalls nachdem die wesentlichen Anforderungen an die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung verfassungsgerichtlich geklärt sind, ist von den Fachgerichten zu erwarten, dass sie diese Maßstäbe im Auge behalten und die Vereinbarkeit der jeweiligen landesrechtlichen Rechtsgrundlagen mit dem Grundgesetz von Amts wegen und unabhängig von einer Rüge des Betroffenen prüfen.
3. Um dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zu genügen, muss der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht nur formell erschöpfen, sondern alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen. Hieran fehlt es, wenn eine Rechtsbeschwerde nicht in zulässiger Weise erhoben worden ist.