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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 405

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BVerfG, 2 BvR 2427/14, Beschluss v. 24.02.2016, HRRS 2016 Nr. 405


BVerfG 2 BvR 2427/14 (2. Kammer des Zweiten Senats) - Beschluss vom 24. Februar 2016 (OLG Hamm / LG Düsseldorf)

Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der landesrechtlichen Regelung in Nordrhein-Westfalen; Pflicht der Fachgerichte zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Amts wegen); Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde (Grundsatz der materiellen Subsidiarität; Erhebung einer Rechtsbeschwerde in zulässiger Weise).

Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG; § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG; § 17 Abs. 3 MaßregelVollzG NW

Leitsätze des Bearbeiters

1. An der Verfassungsmäßigkeit des § 17 Abs. 3 Satz 1 Maßregelvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen bestehen im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Voraussetzungen einer Eingriffsgrundlage für die Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug Zweifel.

2. Jedenfalls nachdem die wesentlichen Anforderungen an die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung verfassungsgerichtlich geklärt sind, ist von den Fachgerichten zu erwarten, dass sie diese Maßstäbe im Auge behalten und die Vereinbarkeit der jeweiligen landesrechtlichen Rechtsgrundlagen mit dem Grundgesetz von Amts wegen und unabhängig von einer Rüge des Betroffenen prüfen.

3. Um dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zu genügen, muss der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht nur formell erschöpfen, sondern alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen. Hieran fehlt es, wenn eine Rechtsbeschwerde nicht in zulässiger Weise erhoben worden ist.

Entscheidungstenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers, die seine Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug betrifft, ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat. Sie ist unzulässig.

1. Es ist nicht dargelegt, dass der Beschwerdeführer den Grundsatz der materiellen Subsidiarität gewahrt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt eine Verfassungsbeschwerde nicht den Anforderungen des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, wenn der Beschwerdeführer den Rechtsweg lediglich formell erschöpft hat. Er muss vielmehr, um dem Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs zu entsprechen, alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 68, 384 <388 f.>; 77, 381 <401>; 81, 97 <102>; 107, 395 <414>; stRspr). Dies folgt aus dem Grundsatz der Subsidiarität, der in § 90 Abs. 2 BVerfGG unter Nutzung der Ermächtigung des Art. 94 Abs. 2 Satz 2 GG seine gesetzliche Ausformung erhalten hat (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>). Der im fachgerichtlichen Verfahren anwaltlich vertretene Beschwerdeführer hat es jedoch versäumt, eine zulässige Rechtsbeschwerde gegen den landgerichtlichen Beschluss zu erheben. Da der Beschwerdeführer die Rechtsbeschwerdeschrift seines Rechtsanwalts nicht vorgelegt oder dessen Inhalt anderweitig wiedergegeben hat, kann nicht überprüft werden, ob die Bewertung des Oberlandesgerichts, eine eigenverantwortlich gestaltende Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten sei nicht erkennbar, verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet.

2. a) Angesichts der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ist dem Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung darüber versagt, ob die angegriffenen Beschlüsse auf einer verfassungsgemäßen Grundlage beruhen. Jedoch bestehen an der Verfassungsmäßigkeit des § 17 Abs. 3 Satz 1 Maßregelvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Voraussetzungen einer Eingriffsgrundlage für die Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug Zweifel (BVerfGE 128, 282; 129, 269; 133, 112; vgl. auch den Bericht der Gesundheitsministerin des Landes Nordrhein-Westfalen vom 8. Januar 2015 an die Präsidentin des Landtages, LTDrucks 16/2568, S. 7).

b) Da das Landgericht die Verfassungsmäßigkeit der Eingriffsgrundlage nicht geprüft hat, weist die Kammer erneut darauf hin, dass es zunächst Sache der Fachgerichte ist, auf Anträge von Untergebrachten hin, die sich gegen eine Zwangsbehandlung richten, auch von Amts wegen - unabhängig von einer entsprechenden Rüge des jeweiligen Klägers oder Antragstellers - die Vereinbarkeit der jeweils herangezogenen landesrechtlichen Rechtsgrundlagen mit dem Grundgesetz zu prüfen (vgl. BVerfGK 19, 286 <287> mit weiteren Nachweisen). Zwar kann den Gerichten nicht angesonnen werden, rügeunabhängig oder unabhängig von näherer Substantiierung ein Gesetz ins Blaue hinein auf nicht offen zutage liegende verfassungsrechtliche Fehler zu prüfen (vgl. BVerfGK a.a.O.). Jedenfalls nachdem durch die Senatsentscheidungen (BVerfGE 128, 282; 129, 269; 133, 112) die wesentlichen Anforderungen an die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung geklärt sind, muss von den Fachgerichten aber erwartet werden, dass sie diese bei Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung von Untergebrachten betreffen, von Amts wegen im Auge behalten und entsprechend verfahren (vgl. BVerfGK 19, 286 <288>).

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 405

Bearbeiter: Holger Mann