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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2013
14. Jahrgang
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1. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet. In § 62 StGB hat ihn der Gesetzgeber ausdrücklich nochmals einfachgesetzlich geregelt, um seine Bedeutung bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung hervorzuheben. Er beherrscht auch die Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und gebietet, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist.
2. Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 300, 301). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfGE 70, 297, 313). Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Beschuldigten und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken.
Trägt ein Mitangeklagter durch eine Aussage im Ermittlungsverfahren zur Aufdeckung einer Katalogtat im Sinne von § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. n StPO bei und verweigert er als Zeuge in der gegen einen anderen Tatbeteiligten durchgeführten Hauptverhandlung die Aussage, kann das Tatgericht die Strafmilderung nach § 46b Abs. 1 Nr. 1 StGB verweigern. Dies setzt jedoch eine Ermessensausübung auf der Grundlage einer notwendig umfassenden Gesamtwürdigung der in § 46b Abs. 2 StGB genannten und der möglicherweise weiteren relevanten Kriterien voraus.
Der Senat lässt offen, ob die Annahme einer eingeschränkten Schuldfähigkeit in der Fallvariante der Furcht vor gravierenden Entzugserscheinungen bei einer Cannabisabhängigkeit grundsätzlich in Betracht kommt (dazu zuletzt für den Fall der Heroinabhängigkeit BGH HRRS 2012 Nr. 619). Jedenfalls scheidet eine solche Annahme regelmäßig aus, wenn der Täter durchgängig Zugriff auf das Suchtmittel hat und dieses sogar vor Begehung der Taten konsumiert. Das allgemeine Bestreben, ständig einen Vorrat an Betäubungsmitteln bereit zu halten, auch um unangenehme körperliche Folgewirkungen tunlichst zu vermeiden, sowie ein „Suchtdruck“ sind generelle Merkmale zumindest gewichtigerer Formen der Drogenabhängigkeit, die als solche nach ständiger Rechtsprechung die Annahme verminderter Schuldfähigkeit nicht zu begründen vermag.
1. Umstände, die zur allgemeinen Art der Lebensführung des Täters gehören, dürfen ihm bei der Strafzumessung nur dann zur Last gelegt werden, wenn sie eine Beziehung zu der abgeurteilten Tat haben und sich daraus eine höhere Tatschuld ergibt (vgl. BGH NStZ 2001, 87, 88). Zur Anwendung auf eine mangelnde schulische und berufliche Ausbildung sowie eine mangelnde regelmäßige Erwerbstätigkeit bei begangenen Vermögens- und Eigentumsdelikten.
2. Das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes darf dem Angeklagten nicht zur Last gelegt werden (BGH NStZ-RR 2010, 24, 25; StV 1995, 584).
Die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt
1. Wegen der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) rechtfertigen nur schwere Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (vgl. BGHSt 27, 246, 248).
2. Die Anlasstat selbst muss dabei nicht erheblich im Sinne des § 63 StGB sein. Maßgeblich ist vielmehr, welche Taten künftig von dem Täter infolge seines Zustandes zu erwarten sind und ob diese erheblich im Sinne des § 63 StGB sind (vgl. BGH NStZ 2008, 563). Allerdings bedarf die Gefährlichkeitsprognose einer besonders sorgfältigen Darlegung, wenn die Anlasstaten nach ihrem Gewicht dem unteren Bereich strafbaren Verhaltens zuzuordnen sind.
Eine Mitursächlichkeit des Hangs zum Alkoholkonsum im Übermaß für die Tatbegehung genügt zur Bejahung der Maßregelvoraussetzung eines symptomatischen Zusammenhangs (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 54, 55). Die Tatsache, dass auch eine Persönlichkeitsakzentuierung des Angeklagten festgestellt wurde, die ebenfalls für die Tatbegehung von Bedeutung gewesen ist, steht der Maßregelanordnung nicht entgegen.
1. Nach Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB ist die Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, nur zulässig, wenn bei dem Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird.
2. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB erfasst auch die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung.
1. Für die Beurteilung der verminderten Schuldfähigkeit ist es auch bei der Pädophilie unerheblich, dass es über diese hinaus keine weitere Persönlichkeitsstörung pathologischen Ausmaßes gebe. Ein solcher Ansatz ist rechtlich nicht tragfähig, weil es unerheblich ist, ob die Persönlichkeitsveränderung „Krankheitswert“ erreicht; das Merkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit erfasst gerade solche Veränderungen in der Persönlichkeit, die nicht pathologisch bedingt sind, also gerade keine krankhaften seelischen Störungen darstellen (BGH StGB § 21 Seelische Abartigkeit 33).
2. Eine Devianz im Sexualverhalten in Form einer Pädophilie ist zwar nicht ohne weiteres mit einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichzusetzen. Vielmehr kann auch nur eine gestörte sexuelle Entwicklung vorliegen, die als allgemeine Störung der Persönlichkeit, des Sexualverhaltens oder der Anpassung nicht den Schweregrad einer anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB erreicht. Ob eine Persönlichkeitsstörung im sexuellen Bereich das Wesen des Täters so nachhaltig verändert hat, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufbringt, kann nur im Wege einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Täters unter Einbeziehung seiner Entwicklung, seines Charakterbildes sowie der ihm zur Last gelegten Taten einschließlich der ihnen zugrundeliegenden Motive festgestellt werden (BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 37).
1. Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposi-
tion zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr.). Nicht erforderlich ist, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 8). Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits-und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur eine indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 204).
2. Nach ständiger Rechtsprechung ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstat ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat, und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist.