HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2013
14. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

846. BGH 1 StR 226/13 - Beschluss vom 13. Juni 2013 (LG Augsburg)

Steuerhinterziehung (Schenkungsteuer); Verlängerung der Verjährungsfrist gemäß § 376 AO (Steuerverkürzung in großem Ausmaß; grober Eigennutz und Tatvorsatz); Ablehnung eines Beweisantrages als bedeutungslos.

§ 370 AO n.F.; § 370 Abs. 3 AO a.F. § 376 AO; § 244 Abs. 3 StPO

1. Die zehnjährige Verjährungsfrist gilt auch für Taten, für die bereits eine ursprünglich fünfjährige Strafverfolgungsverjährungsfrist zu laufen begann. Hierfür genügt es, wenn die Tat das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO für einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung (Steuerverkürzung in großem Ausmaß) verwirklicht. Der Umstand, dass dieses Regelbeispiel bis zur Änderung durch Gesetz vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I, 3198, 3209) und damit zum Zeitpunkt der Tatbeendigung enger gefasst war und das einschränkende Merkmal des Handelns aus grobem Eigennutz enthielt, steht der Anwendung der verlängerten Verjährungsfrist des § 376 Abs. 1 AO nicht entgegen. Die zehnjährige Verjährungsfrist des § 376 Abs. 1 AO kommt unabhängig davon zur Anwendung, ob die Tat zum Zeitpunkt der Tatbegehung eines der Regelbeispiele des § 370 Abs. 3 Satz 2 AO erfüllt hat, namentlich, ob der Angeklagte „aus grobem Eigennutz“ i.S.v. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO aF gehandelt hat.

2. Die Ablehnung eines Beweisantrags als bedeutungslos erfordert regelmäßig eine konkretisierte Begründung. Wenn der Beweisantrag auf eine bestimmte beweiswürdigende Schlussfolgerung der Ermittlungsbehörden Bezug nimmt (Vorsatz ergebe sich aus der Verschleierung) und andererseits der Ablehnungsbeschluss die dieser Schlussfolgerung zu Grunde liegende Tatsachenbewertung (Verschleierung) für bedeutungslos erklärt, so bringt dies mit noch hinlänglicher Klarheit zum Ausdruck, dass das Gericht die Auffassung der Ermittlungsbehörden, die durch die Anträge widerlegt werden soll, im Ergebnis nicht teilt, letztlich also der Sache nach dem Antrag folgt.

3. Unabhängig davon kann aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine (möglicherweise) unzulängliche Begründung der Ablehnung eines Beweisantrags dann unschädlich sein, wenn den Urteilsgründen im Ergebnis die Beweisbehauptungen zu Grunde liegen (BGH wistra 2010, 410, 412).

4. Grob eigennützig handelt, wer sich bei seinem Verhalten von dem Streben nach Vorteil in besonders anstößigem Maße leiten lässt. Dabei muss das Gewinnstreben des Täters das bei jedem Steuerstraftäter vorhandene Gewinnstreben deutlich übersteigen (vgl. BGH NJW 1985, 208; wistra 1991, 106). Bei der Beurteilung, ob dies der Fall ist, hat das Tatgericht einen vom Revisionsgericht hinzunehmenden Beurteilungsspielraum (vgl. BGH NJW 1985, 208; wistra 1987, 71). Erforderlich ist jedoch eine vom Tatgericht vorzunehmende Gesamtbetrachtung sämtlicher Tatumstände, namentlich der vom Täter gezogenen Vorteile, der Art, Häufigkeit und Intensität der Tatbegehung und des Verwendungszwecks der erlangten Vorteile. Diese Umstände müssen im Zusammenhang gesehen und daraufhin überprüft werden, ob sie den Schluss auf groben Eigennutz des Täters rechtfertigen (vgl. BGHR AO § 370 Abs. 3 Nr. 1 Eigennutz 3 mwN).

5. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Tatgericht dem sehr großen Ausmaß der hinterzogenen Steuer indizielle Wirkung für die Annahme eines grob eigennützigen Verhaltens des Täters beigemessen hat. Der Umfang der verkürzten Steuern lässt je nach den Umständen des Einzelfalls Rückschlüsse auf das Maß des Gewinnstrebens des Täters zu (vgl. BGHR AO § 370 Abs. 3 Nr. 1 Eigennutz 3; BGH wistra 1993, 109). Es darf die Annahme, der Angeklagte habe aus grobem Eigennutz gehandelt, letztlich aber nicht allein auf die Höhe des dem Angeklagten nach Abzug der geschuldeten Steuer noch verbleibenden Rests der Schenkungen stützen. Der Umstand, dass der Angeklagte in der Lage war, aus legal durch Schenkungen erworbenem Vermögen die Schenkungsteuer ohne Einbußen in seiner Lebensführung zu entrichten, belegt groben Eigennutz für sich allein indes nicht.


Entscheidung

855. BGH 1 StR 374/13 - Beschluss vom 4. September 2013 (LG Hamburg)

Gewerbsmäßiger und bandenmäßiger Schmuggel hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer (Steuerverkürzung bei zugleich entstehender Vorsteuerabzugsberechtigung; unionsrechtskonforme Auslegung; Kompensation; unionsrechtskonforme Auslegung); Beihilfe zur Umsatzsteuerhinterziehung.

§ 373 AO; § 370 AO; § 27 StGB; § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG; Art. 168 Buchst. e, Art. 178 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG (Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie); § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG; § 16 UStG; § 18 Abs. 1 UStG; § 21 Abs. 2 UStG; Art. 59, 217 ff. ZK; § 264 StPO; Art. 103 Abs. 3 GG; Art. 50 GRC

1. Die Möglichkeit eines späteren Vorsteuerabzugs gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG steht einer Strafbarkeit wegen Schmuggels (§ 373 AO) auch hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer nicht entgegen. Die Strafbarkeit wegen Schmuggels und eine solche wegen Beihilfe zur Hinterziehung von Umsatzsteuer (§ 370 Abs. 1 AO, § 27 StGB) können insoweit kumulativ auftreten.

2. Nach Art. 168 Buchst. e Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie entsteht das Recht zum Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer nicht erst dann, wenn die Einfuhrumsatzsteuer entrichtet wird, sondern bereits dann, wenn sie für die Einfuhr geschuldet wird, also noch zu entrichten ist. Das Vorsteuerabzugsrecht ist integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und muss zur Gewährleistung der steuerlichen Neutralität der Mehrwertsteuer für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausübbar sein (EuGH, Véleclair SA, Rn 27, DStR 2012, 697). Unionsrechtlich ist nicht die Entrichtung der Einfuhrumsatzsteuer Voraussetzung für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug.

3. Das Recht, die bei der Einfuhr entstandene Einfuhrumsatzsteuer auch ohne ihre vorherige Entrichtung sofort als Vorsteuer geltend zu machen, steht einer Strafbarkeit wegen Schmuggels nicht entgegen, da das Vorsteuerabzugsrecht die bei der Einfuhr entstandene Einfuhrumsatzsteuer unberührt lässt. Eine Gefährdung für das Umsatzsteueraufkommen tritt bereits mit dem Verstoß gegen die steuer- und zollrechtlichen Erklärungspflichten bei der Einfuhr von Waren in das Bundesgebiet ein. Die Erklärungspflichten bei der Einfuhr von Waren einerseits und bei der Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen andererseits betreffen unterschiedliche wirtschaftliche Sachverhalte.

4. Bei dem Schmuggel und der nachfolgenden Hinterziehung von Umsatzsteuer handelt es sich regelmäßig um unterschiedliche Taten im materiell-rechtlichen Sinn (§ 53 StGB), die durch unterschiedliche Tathandlungen, zu unterschiedlichen Zeitpunkten, in unterschiedlichen Besteuerungsverfahren, bezogen auf unterschiedliche Steuernormen und gegenüber unterschiedlichen Behörden begangen wurden. Es liegen dann keine Taten im prozessualen Sinne vor. Allein der Umstand, dass die Beantwortung der Frage, ob und in welcher Höhe Umsatzsteuer i.S.v. § 370 Abs. 1 AO verkürzt worden ist, auch von der Höhe der Vorsteuer abhängt, führt nicht dazu, dass der Schuldgehalt der Umsatzsteuerhinterziehung und derjenige der vorangehenden Hinterziehung von Einfuhrumsatzsteuer nur gemeinsam gewürdigt werden können. Es bestehen keine sich aus dem materiellen Steuerrecht ergebenden so engen Verzahnungen wie im Verhältnis zwischen den Umsatzsteuervoranmeldungen und der Umsatzsteuerjahreserklärung des nämlichen

Jahres. Auch aus dem Umstand, dass das Institut der Einfuhrumsatzsteuer den Zweck verfolgt, den endgültigen Eingang der Umsatzsteuer sicherzustellen, ergibt sich nicht, dass die Taten der Hinterziehung von Einfuhrumsatzsteuer (bei der Einfuhr) und der nachfolgenden Hinterziehung von Umsatzsteuer (nach Weiterveräußerung der eingeführten Waren) in ihrem Unrechts- und Schuldgehalt nur gemeinsam zutreffend gewürdigt werden könnten.


Entscheidung

945. BGH 4 StR 255/13 - Beschluss vom 14. August 2013 (LG Kaiserslautern)

Untreue (Vermögensbetreuungspflicht: faktische Vermögensbetreuungspflicht nach Erlöschen des begründenden rechtlichen Verhältnisses, Vermögensbetreuungspflicht des Gerichtsvollziehers; Missbrauch der Stellung als Amtsträger).

§ 266 Abs. 1, Abs. 2 StGB; § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 StGB

1. Zwar erlischt grundsätzlich die Vermögensbetreuungspflicht zugleich mit dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis; diese geht nicht von selbst in ein Treueverhältnis tatsächlicher Art über. Anders verhält es sich jedoch, wenn erloschene Rechtsverhältnisse vermögensfürsorglicher Art – auch einseitig – unter Wahrnehmung der eingeräumten Herrschaftsposition fortgesetzt werden und somit ein enger sachlicher Zusammenhang mit der zunächst begründeten Vermögensbetreuungspflicht besteht (vgl. BGHSt 8, 149, 150).

2. Den Gerichtsvollzieher trifft kraft seiner gesetzlichen Stellung als Vollstreckungsorgan im Rahmen des ihm erteilten Vollstreckungsauftrags eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Gläubigern (vgl. BGH NStZ 2011, 281, 282) und den Schuldnern, soweit sich diesen zustehende Überschüsse ergeben.

3. Ein Missbrauch der Stellung als Amtsträger liegt vor, wenn der Amtsträger vorsätzlich rechtswidrig, insbesondere vorsätzlich ermessenswidrig handelt. „Befugnisse“ werden missbraucht, wenn der Amtsträger innerhalb seiner an sich gegebenen Zuständigkeit handelt; Missbrauch der „Stellung“ meint Handlungen außerhalb des Zuständigkeitsbereichs, aber unter Ausnutzung der durch das Amt gegebenen Handlungsmöglichkeiten. In allen Fällen knüpft der Straferschwerungsgrund somit an den Missbrauch des tatsächlich innegehabten Amtes an; die bloße Vorgabe einer Amtsträgereigenschaft genügt – wie bereits der Wortlaut der Vorschrift („als Amtsträger“) nahelegt – nicht.


Entscheidung

897. BGH 5 StR 152/13 - Urteil vom 4. September 2013 (LG Berlin)

Anforderungen an ein freisprechendes Urteil (unzureichende Beweiswürdigung; erforderlicher Umfang der Würdigung von Einlassungen des Angeklagten); Schätzkosten und Kostenrahmen bei Ausschreibungen als Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis.

§ 267 Abs. 5 S. 1 StPO; § 17 Abs. 2 UWG

1. Unter den Begriff des Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses (§ 17 Abs. 2 UWG) fallen solche betriebsbezogene Tatsachen, die nach dem erkennbaren Willen des Betriebsinhabers geheim gehalten werden sollen, die ferner nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und damit nicht offenkundig sind und hinsichtlich derer der Betriebsinhaber deshalb ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse hat, weil die Aufdeckung der Tatsache geeignet wäre, dem Geheimnisträger wirtschaftlichen Schaden zuzufügen.

2. Schätzkosten und Kostenrahmen bei öffentlichen Ausschreibungen sind grundsätzlich geeignet, im Falle ihres Bekanntwerdens den Ausschreibenden wirtschaftlich zu schädigen, weshalb es sich hierbei regelmäßig um Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse handelt.