HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2011
12. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

1074. BGH 4 StR 303/11 - Beschluss vom 27. Juli 2011 (LG Bielefeld)

Rechtsfehlerhaft gebildete Gesamtfreiheitsstrafe; Europäischer Haftbefehl (Verfolgungshindernis der Spezialität; Ausnahme bei ausbleibender Freiheitsstrafe; Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung).

§ 55 StGB; Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens; § 83h IRG; Art. 27 RbEuHb

1. Der das Auslieferungsrecht beherrschende Grundsatz der Spezialität verbietet es grundsätzlich, die mangels Zustimmung der ausländischen Behörden nicht vollstreckbare Strafe aus einem deutschen Urteil in eine neue Gesamtstrafe einzubeziehen.

2. § 83h Abs. 2 IRG sieht zwar im Hinblick auf Personen, die von einem EU-Mitgliedsstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls überstellt worden sind, Ausnahmen vom Grundsatz der Spezialität vors. Diese greifen jedoch nicht durch, wenn die Strafverfolgung im konkreten Fall durch die Einbeziehung in eine Gesamtfreiheitsstrafe zu einer Freiheitsbeschränkung führt.

3. Die Ausnahmen ermöglichen aber einen Widerrufsbeschluss hinsichtlich einer Strafaussetzung zur Bewährung. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 1. Dezember 2008 ist die in Art. 27 Abs. 3 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (= § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG) ist bei einer „anderen Handlung“ als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, nach Art. 27 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses um Zustimmung zu ersuchen. Diese Zustimmung muss spätestens dann eingegangen sein, wenn eine Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßnahme zu vollstrecken ist. Die Ausnahme des Art. 27 Abs. 3 Buchst. c des Rahmenbeschlusses verbietet es jedoch nicht, die übergebene Person einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme zu unterwerfen, bevor die Zustimmung eingegangen ist, wenn diese Beschränkung durch andere Anklagepunkte im Europäischen Haftbefehl gerechtfertigt wird.


Entscheidung

1054. BGH 2 StR 184/11 - Urteil vom 7. Juli 2011 (LG Mainz)

Grenzen der Sicherungverwahrung (verfassungskonforme Änderung; drohende Taten aus dem Umfeld der Hell’s Angels).

§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB; Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; Art. 5 EMRK

1. Der Hang im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB muss sich auf „erhebliche“ Straftaten beziehen. Demgemäß darf ein Täter, dessen Hang sich nur auf die Begehung von Straftaten der leichten oder allenfalls mittleren Kriminalität richtet, nicht in Sicherungsverwahrung genommen werden. Die Annahme, ein Angeklagter sei ein Hangtäter, setzt allerdings nicht voraus, dass die Straftaten, aus denen diese Eigenschaft abgeleitet wird, gleichartig sind oder sich gegen dasselbe Rechtsgut richten. Es ist andererseits selbstverständlich, dass bei Straftaten verschiedener Art der Nachweis ihrer für einen kriminellen Hang und für die Gefährlichkeit des Täters kennzeichnenden Bedeutung einer besonders sorgfältigen Begründung bedarf (vgl. BGHSt 16, 296, 297; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 10).

2. Betäubungsmitteldelikte, deren künftige Begehung durch den Angeklagten im Umfeld der Hell´s Angels möglich erscheinen, sind nach dem im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts zu § 66 StGB geltenden Maßstab kein ausreichender Grund zu der Annahme, der Angeklagte habe einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten. Durch Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, auch in nicht geringer Menge, wird zwar das Rechtsgut der Volksgesundheit verletzt oder gefährdet (vgl. BGHSt 38, 339, 342 f.). Das reicht aber, soweit jedenfalls keine besonderen Umstände hinzutreten, die den Betäubungsmittelhandel für Leib oder Leben Anderer im Einzelfall konkret gefährlich erscheinen lassen, nach dem derzeit geltenden Verhältnismäßigkeitsmaßstab nicht zur Anordnung der Sicherungsverwahrung aus. Gleiches gilt erst recht für ein Fahren ohne Fahrerlaubnis durch den Angeklagten mit seinem Motorrad.


Entscheidung

1071. BGH 4 StR 267/11 – Urteil vom 11. August 2011 (LG Dortmund)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Gefährlichkeitsprognose bei Diebstahlstaten: besonders schwere Fälle); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.

§ 63 StGB; § 64 StGB; § 242 StGB; § 243 StGB

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist auf Grund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Sie kann daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH NStZ-RR 2011, 240, 241; 2011, 202; NStZ-RR 1997, 230).

2. Die schwere Störung des Rechtsfriedens ist nur in Ausnahmefällen zu bejahen, wenn die zu erwartenden Delikte nicht zumindest den Bereich der mittleren Kriminalität erreichen. Wichtige Gesichtspunkte bei der Einzelfallerörterung sind die vermutliche Häufigkeit neuerlicher Delikte und die Intensität der zu erwartenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen.

3. Diebstahlstaten, die Regelbeispiele des besonders schweren Falles gem. § 243 Abs. 1 Satz 2 StGB erfüllen, sind dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen und damit grundsätzlich geeignet, eine Maßregelanordnung nach § 63 StGB zu rechtfertigen (vgl. BGH NJW 1976, 1949). Bei der gebotenen Einzelfallbewertung ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bei drei der vier Anlasstaten gestellt werden konnte und seine Festnahme jeweils widerstandslos duldete. Wenig erfolgversprechend angelegte und deshalb leicht zu vereitelnde Versuche stellen nur eine eingeschränkte Bedrohung für die betroffenen Rechtsgüter dar. Auch ein geringer Schaden ist einzubeziehen.

4. Allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter kann eine weitergehende Gefahrenprognose nicht begründet werden.


Entscheidung

1017. BGH 5 StR 237/11 - Beschluss vom 16. August 2011 (LG Lübeck)

Strafzumessung bei Mittätern (individuelle Schuld; gebotene Differenzierung; Urteilsgründe).

§ 46 StGB; § 267 Abs. 3 StPO; § 25 Abs. 2 StGB

1. Die gegen Mittäter verhängten Strafen sollen in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen.

2. Wenn mehrere Angeklagte in einem Verfahren abgeurteilt werden, ist für jeden von ihnen die Strafe in individueller Würdigung des Maßes der eigenen Schuld zu bestimmen.

3. Erkennt das Tatgericht trotz erheblicher Unterschiede zwischen den für und gegen einzelne Mittäter sprechenden bestimmenden Strafzumessungsumständen gegen sie auf nahezu gleich hohe Strafen, so bedarf dies jeden-

falls einer ausdrücklichen Begründung, die dem Revisionsgericht die Prüfung ermöglicht, ob die Strafzumessung auf rechtsfehlerfreien Erwägungen beruht.


Entscheidung

1050. BGH 2 StR 141/11 - Beschluss vom 30. August 2011 (LG Erfurt)

Gewerbsmäßiger und bandenmäßiger Betrug; Erörterungsmangel zur Kronzeugenregelung (vertypter Strafmilderungsgrund; Wechsel im Aussageverhalten; spätere Geständnisse der Mitangeklagten; Bedeutung für den minder schweren Fall).

§ 263 Abs. 5 StGB; § 46b StGB

1. Ein Wechsel im Aussageverhalten hindert die grundsätzliche Anwendung des § 46b StGB nicht, wenn der Wandel nachvollziehbar bleibt und der tatsächliche Aufklärungseffekt in der Hauptverhandlung festgestellt werden kann (BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 20). Dass die Mitangeklagten bereits bei ihren (nachfolgenden) Beschuldigtenvernehmungen frühzeitig im Ermittlungsverfahren Geständnisse abgelegt und damit die Angaben der Angeklagten bestätigt haben, führt nicht dazu, dass der Angeklagten die Vergünstigung des § 46b StGB zu versagen wäre. Die Vergünstigung des § 46b StGB kommt in der Regel zunächst demjenigen Mittäter zugute, der als erster einen über seinen Tatbeitrag hinausgehenden Aufklärungsbeitrag leistet und damit die Möglichkeit der Strafverfolgung im Hinblick auf begangene Taten nachhaltig verbessert (BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 23).

2. Im Rahmen der Prüfung des minder schweren Falles im Sinne des § 263 Abs. 5 StGB ist auch eine etwaige Aufklärungshilfe in die Gesamtabwägung einzustellen.


Entscheidung

992. BGH 3 StR 175/11 - Urteil vom 4. August 2011 (LG Aurich)

Sicherungsverwahrung (Hang; strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung).

§ 66 StGB

1. Für die Frage, ob beim Täter ein Hang vorliegt, kommt es nicht auf die Ursache für die fest eingewurzelte Neigung zu Straftaten an. Ein Hang zur Begehung von erheblichen, gewalttätigen Sexualdelikten kann vielmehr auch dann vorliegen, wenn der Täter in der Verletzung oder Demütigung seines Opfers nicht die hauptsächliche Quelle der Erregung oder der Befriedigung findet.

2. Der Senat versteht die vom Bundesverfassungsgericht (vgl. HRRS 2011 Nr. 488) geforderte „strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung“ dahin, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit, also der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung, ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist.


Entscheidung

1001. BGH 3 StR 221/11 - Beschluss vom 11. August 2011 (LG Bückeburg)

Sicherungsverwahrung; strenge Verhältnismäßigkeit (schwere Straftat; sexueller Missbrauch eines Kindes); sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person.

§ 66 StGB; § 176a StGB; § 179 StGB

1. Nach Ansicht des Senats ist sexueller Missbrauch eines Kindes nach § 176a Abs. 2 StGB wegen der dafür angedrohten Mindeststrafe von zwei Jahren sowie der für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen erheblichen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als „schwere Sexualstraftat“ im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur zeitlich begrenzten Fortgeltung des Rechts der Sicherungsverwahrung (HRRS 2011 Nr. 488) anzusehen.

2. Sind zum Zeitpunkt der Aburteilung positive Veränderungen durch den nachfolgenden –langjährigen - Strafvollzug zwar denkbar, aber nicht sicher zu erwarten, so muss die Prüfung, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung (noch) erfordert, dem späteren Verfahren nach § 67c Abs. 1 StGB vorbehalten bleiben.


Entscheidung

998. BGH 3 StR 208/11 - Beschluss vom 2. August 2011 (LG Krefeld)

Sicherungsverwahrung (Doppelbestrafungsverbot; Hang; Gesamtwürdigung; Phasen straflosen Verhaltens; obligatorische Ausübung eingeräumten Ermessens); Verhältnismäßigkeit (schwere Straftaten; schwerer sexueller Missbrauch von Kindern).

§ 66 StGB; Art. 103 Abs. 3 GG; § 176a Abs. 2 StGB

1. Das Merkmal des Hanges im Sinne des § 66 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag.

2. Das Vorliegen eines solchen Hangs hat der Tatrichter unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände darzulegen. Diese Würdigung bedarf in den Fällen von § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB, bei denen Vortaten und Vorverbüßungen fehlen, besonderer Sorgfalt. In diese Würdigung ist auch einzubeziehen, wenn sich der Täter über längere Zeiträume straflos verhalten hat.


Entscheidung

1002. BGH 3 StR 235/11 - Beschluss vom 4. August 2011 (LG Hannover)

Sicherungsverwahrung (regelmäßig keine Anordnung gegen sehr jungen Angeklagten); strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung (Gefährlichkeitselemente; Erheblichkeit weiterer Straftaten; Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Straftaten); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Ursachenbündel; Kausalität).

§ 66 StGB; Art. 2 Abs. 2 GG; § 250 StGB; § 249 StGB; § 64 StGB

1. Wegen der derzeit verfassungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung bedarf deren Anordnung einer „strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung“. Sie wird „in der Regel“ nur verhältnismäßig sein, wenn „eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist“.

2. Diese vom Bundesverfassungsgericht geforderte „strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung“ ist dahin zu verstehen, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit - mithin der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung - ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist.

3. Schwere räuberische Erpressungen im Sinne der §§ 249, 250 Abs. 1, §§ 253, 255 StGB sind wegen der dafür angedrohten Mindeststrafe von drei Jahren und den für die Tatopfer damit regelmäßig verbundenen psychischen Auswirkungen grundsätzlich als ausreichend „schwere Straftaten“ in diesem Sinn anzusehen. Dies gilt auch dann, wenn der Täter die Voraussetzungen des § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB dadurch verwirklicht, dass er bei einem Banküberfall mit einer ungeladenen Schreckschusspistole droht. 4. Bei sehr jungen Angeklagten wird die Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung zumindest bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber und Ausgestaltung eines auf eine tatsächliche und wirksame Resozialisierung ausgerichteten Maßregelvollzuges regelmäßig zu verneinen sein, zumal wenn sie allein nach § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB möglich wäre.


Entscheidung

1057. BGH 2 StR 211/11 – Urteil vom 10. August 2011 (LG Bad Kreuznach)

Rechtsfehlerfreie Ablehnung der nachträglichen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (neue Tatsache).

§ 66b Abs. 1 StGB

1. Als „neu“ können im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB nur solche Tatsachen gelten können, die dem im Ausgangsverfahren zuständigen früheren Tatrichter auch bei Wahrnehmung seiner Aufklärungspflicht nicht hätten bekannt werden können. Umstände, die für den ersten Tatrichter hingegen erkennbar waren, die er aber nicht erkannt hat, scheiden demgegenüber als neue Tatsachen in diesem Sinne aus (BGHSt 50, 180, 187; 50, 284, 296; 51, 185, 187; 52, 31, 33; BGH NJW 2006, 3154, 3155; StV 2008, 636, 637).

2. Auch psychiatrische Befundtatsachen können im Einzelfall „neue“ Tatsachen im Sinne des § 66b StGB darstellen. Eine bloße Um- bzw. Neubewertung bereits im Ausgangsverfahren erkannter und gewürdigter Tatsachen und eine hierauf gestützte bloße Änderung der psychiatrischen Bewertung genügen hingegen nicht (BGHSt 50, 275, 278). Ebenso wenig können Tatsachen, die zwar nach der Anlassverurteilung auftreten, durch die sich ein im Ausgangsverfahren bekannter bzw. erkennbarer Zustand aber lediglich bestätigt, als „neu“ gelten (BGH StV 2007, 29, 30).

3. Zwar kann eine Therapieunwilligkeit eines Verurteilten, der im Ausgangsverfahren wahrheitswidrig ausdrücklich seine Therapiebereitschaft bekundet hat, als „neue Tatsache“ im Sinne des § 66b StGB bewertet werden (BGHSt 50, 275, 281). Eine Therapieverweigerung ist jedoch nicht gegeben, wenn die Therapie an der fehlenden Kostenübernahme durch die Krankenkasse scheitert. Dass die Therapiebemühungen letztlich bei dem Verurteilten zu keinem Verhaltenswechsel geführt haben, stellt keine neue Tatsache im Sinne des § 66b StGB dar.


Entscheidung

1065. BGH 2 StR 317/11 - Beschluss vom 3. August 2011 (LG Hanau)

Erörterungsmangel hinsichtlich der unterbliebenen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang; Symptomtat).

§ 64 StGB

Nach ständiger Rechtsprechung ist für eine Symptomtat nicht Voraussetzung, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstat ist. Ein symptomatischer Zusammenhang ist vielmehr auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche Taten begangen hat, und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (BGH NStZ 2010, 83, 84; NStZ-RR 2004, 78, 79 jeweils mwN). Dass außer dem Hang weitere Persönlichkeitsmängel eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen, steht dem erforderlichen symptomatischen Zusammenhang ebenfalls nicht entgegen (BGHR StGB § 64 Zusammenhang symptomatischer 1; BGHR StGB § 64 Abs. 1 - Hang 5).


Entscheidung

999. BGH 3 StR 209/11 - Urteil vom 18. August 2011 (LG Neuruppin)

Sicherungsverfahren (Urteilsgründe); Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Verhältnismäßigkeit; weniger bedeutende Straftaten).

§ 414 StPO; § 267 StPO; § 62 StGB; § 63 StGB

1. Wegen der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) können nur schwere Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigen. Auch muss aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, dass der Täter infolge seines Zustands weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

2. Einer Begründung bedarf es nicht nur bei einem freisprechenden Urteil, sondern analog auch dann, wenn der Tatrichter im Sicherungsverfahren (§ 414 StPO) die für die Unterbringung nach § 63 StGB notwendige rechtswidrige Tat nicht oder nicht in der in der Antragsschrift vorgeworfenen Ausgestaltung festzustellen vermag.


Entscheidung

1049. BGH 2 StR 140/11 - Urteil vom 15. Juni 2011 (LG Erfurt)

Rechtsfehlerhafte Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Symptomtat; Testosteron); Strafzumessung (Erörterungsmangel zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit: Suchterkrankung; Strafrahmenverschiebung bei der Beihilfe); rechtsfehlerhaftes Absehen von der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.

§ 64 StGB; § 46 StGB; § 21 StGB; § 27 Abs. 2 Satz 2 StGB; § 66 StGB

Die begründete Aussicht allein, dass der vom Angeklagten ausgehenden Gefahr schon durch die Anordnung einer Maßnahme nach § 64 StGB und eine erfolgreiche Therapie begegnet werden könne, rechtfertigt auch angesichts des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gemäß § 72 StGB nicht den Verzicht auf eine zusätzliche Maßnahme nach § 66 StGB. Das Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Hinblick auf die Unterbringung in der Entziehungsanstalt verlangt vielmehr ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit, dass allein mit der Maßregel nach § 64 StGB die vom Angeklagten ausgehende Gefahr beseitigt werden kann (vgl. BGH NStZ 2009, 442, 443 mwN). Unsicherheiten über den Erfolg allein der milderen Maßregel führen demnach zur kumulativen Anordnung der Maßregeln (BGH NStZ-RR 2008, 336).


Entscheidung

1021. BGH 5 StR 255/11 - Beschluss vom 17. August 2011 (LG Berlin)

Erheblich verminderte Schuldfähigkeit (Alkoholintoxikation; Ausfallerscheinungen; grobmotorische Fähigkeiten); Zweifelssatz; Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Erfolgsaussicht; Ausländer; Kommunikationsfähigkeit).

§ 21 StGB; § 261 StPO; § 64 StGB

1. Um auszuschließen, dass die Steuerungsfähigkeit eines alkoholisierten Angeklagten erheblich vermindert gewesen ist, bedarf es jedenfalls in Ermangelung von Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration aussagekräftiger psychodiagnostischer Beweisanzeichen. Als solche sind nur Umstände in Betracht zu ziehen, die Hinweise darauf geben können, dass die Steuerungsfähigkeit des Täters trotz erheblicher Alkoholisierung nicht in erheblichem Maße beeinträchtigt gewesen ist.

2. Eine alkoholische Beeinflussung mit der Folge erheblich verminderter Schuldfähigkeit ist weder zwingend noch regelmäßig von schweren ins Auge fallenden Ausfallerscheinungen begleitet. Selbst bei hochgradiger Alkoholisierung des Täters können grobmotorische Fertigkeiten erhalten geblieben sein.

3. Auch nach der Umgestaltung des § 64 StGB zur Sollvorschrift sollte es im Grundsatz dabei verbleiben, dass die Sprachunkundigkeit eines Ausländers nicht ohne weiteres ein Grund für einen Verzicht auf seine Unterbringung sein kann. Indes muss nicht gegen jeden Sprachunkundigen, eine Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet werden, insbesondere wenn eine therapeutisch sinnvolle Kommunikation mit ihm schwer möglich sein wird. Zumindest muss der Tatrichter jedoch aufklären, inwieweit das für den Vollzug einer Unterbringung zuständige Krankenhaus ggf. auch fremdsprachliche Behandlungsmöglichkeiten bietet.


Entscheidung

1078. BGH 4 StR 345/11 - Beschluss vom 10. August 2011 (LG Dortmund)

Rechtsfehlerhaft unterbliebene Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (mangelnder Therapiewille); regelmäßig keine Aufhebung der Schuldfähigkeit bei Betäubungsmittelabhängigkeit.

§ 64 StGB; § 21 StGB; § 20 StGB; § 29 BtMG; § 29a BtMG

1. Das Fehlen von Therapiewilligkeit steht einer Anordnung nach § 64 StGB nicht entgegen. Sie kann lediglich ein gegen die Erfolgsaussicht sprechendes Indiz sein, das den Tatrichter zu der Prüfung verpflichtet, ob die konkrete Aussicht besteht, dass die Therapiebereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung geweckt werden kann.

2. In Zusammenhang mit einer Betäubungsmittelabhängigkeit ist eine Aufhebung der Schuldfähigkeit regelmäßig ausgeschlossen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln für sich allein noch nicht einmal die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB. Derartige Folgen sind bei einem Rauschgiftsüchtigen vielmehr nur ausnahmsweise gegeben, und zwar – unter Umständen – dann, wenn er das Delikt im Zustand eines akuten Rausches verübt oder wenn langjähriger Betäubungsmittelkonsum zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder der Täter unter starken Entzugserscheinungen bzw. der Angst vor solchen leidet und dadurch dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen.


Entscheidung

1028. BGH 5 StR 300/11 - Beschluss vom 16. August 2011 (LG Berlin)

Strafzumessung (Spezialprävention; Stabilisierung der Lebensumstände); nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe.

§ 46 StGB; § 55 StGB

Für die Strafzumessung sind auch Lebensumstände des Angeklagten von Bedeutung, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Tatgeschehen stehen. Das gilt namentlich für eine nach der Tat eingetretene Stabilisierung der Lebensverhältnisse und die soziale Wiedereingliederung des Täters, die sich nicht nur auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung auswirken, sondern auch auf die Strafrahmenwahl und die Strafhöhenbemessung.


Entscheidung

1013. BGH 5 StR 220/11 - Beschluss vom 6. Juli 2011 (LG Kiel)

Strafzumessung; Gesamtstrafenbildung.

§ 46 StGB; § 54 StGB.

Bei Vorliegen eines äußerst engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs hat sich die Gesamtstrafenbildung regelmäßig an der Einsatzstrafe zu orientieren.