HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 999
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 209/11, Urteil v. 18.08.2011, HRRS 2011 Nr. 999
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 17. Januar 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit sachlichrechtlichen Beanstandungen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verübte der Beschuldigte im Frühjahr 2009 sowie in der Zeit von November 2009 bis Januar 2010 eine Vielzahl von telefonischen, schriftlichen und verbalen Belästigungen und Bedrohungen mit dem Ziel, die Lebensqualität der Geschädigten R. und T. zu beeinträchtigen. Dies führte bei dem Geschädigten R. zu Angstzuständen und Schlaflosigkeit sowie einer mehrwöchigen Arbeitsunfähigkeit (Taten zu II. 1 und II. 2 der Urteilsgründe). Darüber hinaus legte der Beschuldigte im Januar 2009 unter dem Heckfenster seines Autos einen Zettel mit auffälliger Aufschrift sowie den Kopf einer Schaufensterpuppe mit einem Filzhut aus, an dem sichtbar ein kleines Hakenkreuz befestigt war, und stellte das Fahrzeug auf öffentlichem Straßenland ab (II. 3 der Urteilsgründe). Im Februar 2009 steckte er Pappen in den Briefkasten der Diakonie-Sozialstation P., auf denen er einen Pfarrer als Teufel bezeichnete. Mit ähnlichem Inhalt schrieb er zeitnah an die evangelische Kirchengemeinde in P. (II. 5 und 6 der Urteilsgründe). Im Januar 2010 forderte der Beschuldigte am Nachtschalter einer Tankstelle "sein Geld" und drohte, er würde andernfalls mit dem Auto in die Tankstelle "rein fahren" und den Mitarbeiterinnen auf dem Nachhauseweg auflauern und herausfinden, wo diese wohnen. Durch die alarmierte Polizei konnte der Beschuldigte "beruhigt werden" und die Mitarbeiterinnen ungestört die Tankstelle verlassen. Eine von ihnen litt danach unter Angst, Alpträumen sowie Schlafstörungen und war über zehn Monate krankgeschrieben (II. 4 der Urteilsgründe).
Das Landgericht hat sachverständig beraten angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer unbehandelten paranoiden Schizophrenie sowie einer Persönlichkeitsstörung mit insbesondere narzisstischen, paranoiden und dissozialen Anteilen bei den Taten jeweils aufgehoben war. Eine Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat es abgelehnt, weil es in den bisherigen Taten des Beschuldigten lediglich "zwar lästige, aber in den Bereich der einfachen Kriminalität gehörende Taten" gesehen, die zukünftige Begehung auch schwererer Taten allenfalls für möglich aber nicht für wahrscheinlich gehalten und deswegen eine Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit verneint hat.
2. Das Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Wegen der Schwere des Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) können nur schwere Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in dem Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 17. August 1977 - 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248; Urteil vom 15. August 2007 - 2 StR 309/07, NStZ 2008, 210, 212). Auch muss aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, dass der Täter infolge seines Zustands weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2004 - 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73).
b) Von diesen Grundsätzen ist das Landgericht zwar ausgegangen, indes entbehrt seine Gefährlichkeitsprognose einer tragfähigen Grundlage, da es die Feststellungen zu den dem Beschuldigten zur Last gelegten Taten teilweise rechtsfehlerhaft getroffen hat.
aa) Im Fall II. 4 der Urteilsgründe ist das Landgericht von einer mit natürlichem Vorsatz begangenen Bedrohung ausgegangen. Die dem Beschuldigten vorgeworfene versuchte räuberische Erpressung hat es nicht festzustellen vermocht, da ihm die Absicht rechtswidrige Bereicherung "nicht nachgewiesen werden konnte". Hierfür fehlt es an jeglicher Begründung. Einer solchen bedarf es indes nicht nur bei einem freisprechenden Urteil in einer Strafsache (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 267 Rn. 33 f. mwN), sondern auch dann, wenn der Tatrichter im Sicherungsverfahren (§ 414 StPO) die für die Unterbringung nach § 63 StGB notwendige rechtswidrige Tat nicht oder nicht in der in der Antragsschrift vorgeworfenen Ausgestaltung festzustellen vermag.
bb) Rechtsfehlerhaft ist auch die Begründung dafür, dass sich das Landgericht nicht von den Vorwürfen unter 4. und 5. der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft hat überzeugen können. Danach soll der Beschuldigte am 25. November 2009 nachmittags in seinem Wohnhaus in P. in der M.straße Nr. an der Fensterscheibe ein von innen beleuchtetes Hakenkreuz mit einer Größe von zehn mal zehn Zentimetern angebracht haben, das von Passanten gesehen werden konnte. Außerdem soll er am 11. Januar 2010 vor diesem Grundstück einen Werbeaufsteller aufgestellt haben, auf dem mehrere Ablichtungen von Personen mit Hakenkreuzarmbinden, Hakenkreuzfahnen sowie die Darstellung des "schlampigen" Hitlergrußes durch ein Kind angebracht waren. Das Landgericht hat sich auf die Feststellung beschränkt, der Beschuldigte habe zu diesen Zeitpunkten seinen Wohnsitz nicht mehr in P. sondern bereits in B. gehabt. Diese Begründung ist lückenhaft. Es hätte der Auseinandersetzung mit dem Umstand bedurft, dass der Beschuldigte in einer Mehrzahl von in der Stellungnahme des Generalbundesanwalts im Einzelnen aufgeführten Fällen zeitnah ebenfalls in oder um P. herum rechtswidrige Taten beging.
cc) Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu einer anderen rechtlichen Einordnung von Fall II. 4 der Urteilsgründe sowie zur Überzeugung von der Täterschaft in den Fällen 4 und 5 der Antragsschrift gekommen wäre und auf dieser Grundlage die Gefährlichkeit des Beschuldigten anders eingeschätzt hätte.
3. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, bei der rechtlichen Würdigung darzulegen, in welcher Handlung des Beschuldigten er welchen Straftatbestand verwirklicht sieht. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich aus einer Fülle erheblicher und unerheblicher Tatsachen diejenigen herauszusuchen, in denen eine Straftat gesehen werden kann (BGH, Beschluss vom 14. Juni 2002 - 3 StR 132/02, NStZ-RR 2002, 262). Bei Fall II. 4 der Urteilsgründe kommt, sofern sich das Landgericht bei gleichen Feststellungen zum objektiven Sachverhalt erneut nicht vom Erpressungsvorsatz überzeugen kann, anstelle der Bedrohung eine versuchte Nötigung in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2005 - 1 StR 455/05, NStZ 2006, 342).
HRRS-Nummer: HRRS 2011 Nr. 999
Bearbeiter: Ulf Buermeyer