Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
März 2010
11. Jahrgang
PDF-Download
1. Wenn der Tatrichter einen Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens (§ 244 Abs. 4 Satz 2 StPO), der auf substantiiert dargelegte methodische Mängel des (vorbereitenden) Erstgutachtens gestützt ist, allein mit der Begründung zurückweist, er verfüge selbst über die erforderliche Sachkunde (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO), darf er sich in den Urteilsgründen hierzu nicht dadurch in Widerspruch setzen, dass er seiner Entscheidung das Erstgutachten ohne Erörterung der geltend gemachten Mängel zugrunde legt. (BGHSt)
2. Wenn der Tatrichter der Ansicht ist, bereits die (vollzogene) Einholung eines ersten Sachverständigengutachtens sei überflüssig gewesen, da er unabhängig von diesem Gutachten über hinreichende eigene Sachkunde verfüge, kommt es für die Ablehnung eines Antrags auf Einholung eines weiteren Gutachtens auf die Voraussetzungen des § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO unter Umständen nicht an. (Bearbeiter)
3. Das setzt freilich voraus, dass den Bekundungen des ersten, bereits vernommenen Sachverständigen nach Auffassung des Gerichts unabhängig von möglichen qualitativen Mängeln keine Bedeutung für die Beweiswürdigung zukommt, weil das Gericht schon dieses Gutachten wegen ausreichender eigener Sachkunde nicht hätte einholen müssen. In diesem Fall erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der in einem Beweisantrag behaupteten Mangelhaftigkeit des Erstgutachtens oder der Überlegenheit der Forschungsmittel eines anderen Sach-
verständigen. Es handelt sich dann zwar nicht um eine auf den Ablehnungsgrund der - tatsächlichen - Bedeutungslosigkeit gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO gestützte Ablehnung, da das - nach Auffassung des Gerichts überflüssige - Erstgutachten bereits erstattet und das beantragte weitere Gutachten nicht für die Entscheidung ohne Bedeutung ist. Der Sache nach ist die Ablehnung der beantragten Einholung eines Zweitgutachtens aber in der hier vorliegenden besonderen Konstellation dem Ablehnungsgrund der (tatsächlichen) Bedeutungslosigkeit einer Beweisbehauptung verwandt. Wie in jenem Fall in der Ablehnung des Beweisantrags eine konkludente Zusage des Gerichts liegt, den unter Beweis gestellten Tatsachen nicht nachträglich entgegen den Gründen des Ablehnungsbeschlusses doch Bedeutung zuzumessen (vgl. BGH NStZ 1988, 38; 1994, 195; BGH StV 1997, 338), kann die substantiiert geltend gemachte Fehlerhaftigkeit eines Sachverständigengutachtens nur dann dahinstehen, wenn es auf das Ergebnis des Gutachtens für das Beweisergebnis in keiner Richtung ankommt. (Bearbeiter)
1. Die Aufhebung eines tatrichterlichen Urteils durch das Revisionsgericht allein im Strafausspruch erfasst grundsätzlich nicht die Frage der Kompensation einer bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. (BGHSt)
2. Dem neuen Tatrichter ist es in diesem Falle verwehrt, dem Angeklagten allein wegen eines zeitlich vor der Entscheidung des Revisionsgerichts liegenden Verstoßes gegen Art. 6 EMRK eine Entschädigung zuzusprechen. Daneben hat er, sofern hierzu Anlass besteht, jedoch zu prüfen und zu entscheiden, ob nach der Entscheidung des Revisionsgerichts eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung eingetreten und zu kompensieren ist. Denn der Umstand, dass eine Entschädigungspflicht wegen eines bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung gegebenen Verstoßes gegen Art. 6 EMRK nicht besteht, schließt es nicht aus, dass eine Kompensation aufgrund einer erst danach aufgetretenen Verzögerung ausgesprochen werden kann. (Bearbeiter)
3. Der Senat neigt – nicht tragend – dazu, eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung wegen nicht optimaler Arbeit der Ermittlungsbehörden allenfalls bei ganz erheblichen, kaum verständlichen Ermittlungsfehlern in Betracht zu ziehen, ähnlich der Grundsätze zur Kompensation von Verfahrensverzögerungen, die allein durch eine auf die Revision des Angeklagten erfolgte Aufhebung des tatgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache entstehen. (Bearbeiter)
1. Mangelhaft protokolliertes Selbstleseverfahren. (BGHSt)
2. Zum sachlichen Anwendungsbereich des Protokollberichtigungsverfahrens. (Bearbeiter)
3. Die Protokollberichtigung ist auch hinsichtlich der - tatsächlich erfolgten, aber versehentlich nicht protokollierten - Feststellung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung nach § 249 Abs. 2 Satz 3 StPO zulässig, dass die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde oder des Schriftstücks Kenntnis genommen haben (Fortführung von BGH - GS - BGHSt 51, 298; Abgrenzung zu BGH 2 StR 54/09 – Beschluss vom 8. Juli 2009, zur Aufnahme in BGHSt bestimmt). (Bearbeiter)
1. Für einen Beweisantrag ist neben der Benennung eines Beweisthemas nicht nur die Benennung eines Beweismittels erforderlich, sondern es ist regelmäßig auch anzugeben, auf welchem Wege das Beweismittel (der Zeuge) erreicht werden kann. Ist verfahrenskundig, dass ein Zeuge unter seiner letzten bekannten Anschrift nicht mehr erreichbar war, und dass intensive, schon vor der Stellung des Beweisantrags vom Gericht über mehrere Wochen hin entfaltete Bemühungen, seiner habhaft zu werden, erfolglos geblieben waren, so ist allein die Angabe der früheren Anschrift nicht ausreichend. Vielmehr ist erforderlich, in dem Antrag zumindest substantiiert dazu vorzutragen, warum entgegen den bisher angefallenen Erkenntnissen doch Aussicht bestehen soll, den betreffenden Zeugen unter der Anschrift zu finden, oder mit welchen vom Gericht bisher nicht ergriffenen Mitteln realistische Aussichten bestehen, den Aufenthaltsort zu ermitteln.
2. Die Zurückweisung eines Antrags, den das Tatgericht zu Unrecht als Beweisantrag behandelt hat, kann die Revision nur dann begründen, wenn eine Verletzung der Aufklärungspflicht vorliegt (vgl. BGH StV 1996, 581; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 13; BGH, Urt. vom 10. November 1992 - 1 StR 685/92 m.w.N.). Dies kann grundsätzlich der Fall sein, wenn bei der Suche nach einem der Sache nach nicht unbedeutenden Zeugen erkennbar sinnvolle Möglichkeiten nicht ausgeschöpft wurden (BGH, Urt. vom 10. November 1992 - 1 StR 685/92). Allerdings ist, wenn das Gericht nach der Beweisperson schon einige Zeit vergeblich mit Haftbefehl fahndete, auch unter dem Blickwinkel einer Aufklärungsrüge vorzutragen, welche konkreten, vom Gericht bisher
nicht ergriffenen Möglichkeiten dies gewesen wären (vgl. BGH, Urt. vom 14. Juni 2006 - 2 StR 65/06).
3. Das Beruhen eines Urteils auf dem Fehlen eines näher ausgeführten Beschlusses und der Angabe eines unzutreffenden Verlesungsgrundes kann ausgeschlossen werden, wenn die Voraussetzungen für die Verlesung tatsächlich gegeben waren und die Verfahrensbeteiligten durch den Mangel nicht in ihrem Prozessverhalten beeinflusst worden sein können.
4. Von Besonderheiten abgesehen braucht eine Revisionsbegründung den ursächlichen Zusammenhang zwischen (behauptetem) Rechtsfehler und dem angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich darzulegen. Es ist vielmehr grundsätzlich Sache des Revisionsgerichts, die Beruhensfrage von sich aus zu prüfen. Dies sollte jedoch gerade in Fällen, in denen ein Beruhen nicht ohne weiteres nahe liegt, den Beschwerdeführer nicht davon abhalten, konkret darzulegen, warum aus seiner Sicht hier ein Beruhen möglich erscheinen kann. Andernfalls ist nicht auszuschließen, dass das Revisionsgericht trotz seiner umfassenden Überprüfung der Beruhensfrage eine in diesem Zusammenhang (doch) in Betracht zu ziehende Möglichkeit nicht erkennt und dementsprechend nicht in seine Erwägungen einbezieht.
1. Einzelfall der rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung beim Tod eines ausländischen Inhaftierten auf einer Polizeistation nach angeblicher Selbstanzündung des Opfers und mehrfachem Ausstellen des ausgelösten Brandmelders durch den Verantwortlichen.
2. Bei der Würdigung der (Zeugen-)Aussagen ist in einem Fall wie dem hier vorliegenden ein möglicher Gruppendruck im Kollegenkreis und das im Verlauf der Ermittlungen entstandene Interesse, sich selbst zu entlasten, in den Blick zu nehmen.
3. Ein (pflichtwidriges) Unterlassen des Angeklagten ist für den konkreten Todeseintritt nur dann ursächlich geworden, wenn der Erfolg, so wie er konkret eingetreten ist, durch ein sofortiges und sachgerechtes Eingreifen des Angeklagten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre.
4. Löst der in einer Gewahrsamszelle installierte Brandmelder Alarm aus, weist das auf eine unmittelbar drohende Gefahr für Leib und Leben einer in einer verschlossenen und verriegelten Zelle verwahrten Person hin. In einem solchen Fall sind unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Dies gilt umso mehr, wenn – wie hier - zur Verhinderung einer drohenden Selbstschädigung die Fesselung angeordnet und eine berauschte Person an Händen und Füßen angekettet in Rückenlage fixiert worden ist. Hieran ändert auch die Möglichkeit eines Fehlalarms nichts.
1. Einzelfall der Erweiterung der Reichweite der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Revision zulasten des Angeklagten (sog. Trennungsformel).
2. Auch die Übernahme der lediglich mittelbaren Verfügungsgewalt kann als Hehlerei zu erfassen sein.
3. Eine mögliche Teilnahme des Angeklagten an der Vortat steht der Hehlerei nicht entgegen. Eine Hehlereihandlung stellt im Verhältnis zu einer Anstiftung oder Beihilfe zu der vorausgegangen Tat keine mitbestrafte Nachtat dar (BGHSt 7, 134).
4. Ob ein Vermögensverlust großen Ausmaßes iS des § 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu bestimmen; ein solcher ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn der Vermögensverlust einen Wert von 50.000 Euro nicht erreicht (BGHSt 48, 360).
1. Entscheidet das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlusswege, so kann ein Ablehnungsgesuch in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO nur so lange statthaft vorgebracht werden, bis die Entscheidung ergangen ist.
2. Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn die Ablehnung mit einem Antrag nach § 356a StPO verbunden wird, der sich jedoch deswegen als unbegründet erweist, weil die gerügte Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG nicht vorliegt, so dass nicht mehr in eine erneute Sachprüfung einzutreten ist, ob der Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist
1. Für die gemäß § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO gebotene Mitteilung in den Urteilsgründen, dass dem Urteil eine Verständigung (§ 257c StPO) vorausgegangen ist, ist die Angabe des Inhalts der Verständigung nicht erforderlich.
2. Ob das Verfahren zur Verständigung nach § 257c StPO eingehalten worden ist, prüft das Revisionsgericht nicht von Amts wegen, sondern nur aufgrund einer Verfahrensrüge unter erforderlichem Tatsachenvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Gemäß § 231 Abs. 2 StPO darf zwar eine unterbrochene Hauptverhandlung ohne den Angeklagten zu Ende geführt werden, wenn er eigenmächtig ferngeblieben ist, dh ohne Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe wissentlich seiner Anwesenheitspflicht nicht genügt (vgl. BGHSt 37, 249, 251), er über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. Es muss zum Zeitpunkt der Revisionsentscheidung nachgewiesen sein, dass der Angeklagte eigenmächtig ausgeblieben ist, um die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO mit Verweis auf § 231 Abs. 2 StPO verwerfen zu können.
Eine Veränderung des Tatzeitraums hebt die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht zwingend auf (vgl. BGHSt 46, 130, 133; BGH NStZ-RR 2006, 316, 317 jeweils m.w.N.). Dies setzt aber voraus, dass die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individualisiert ist (BGH aaO).
1. Dem Angeklagten ist gemäß § 258 Abs. 2 StPO erneut das letzte Wort zu gewähren, wenn nach dem Schluss der Beweisaufnahme nochmals in die Verhandlung eingetreten worden ist, weil jeder Wiedereintritt den vorausgegangenen Ausführungen des Angeklagten die rechtliche Bedeutung als Schlussvortrag und letztes Wort nimmt und die erneute Beachtung des § 258 StPO erforderlich macht (BGHSt 22, 278, 279/280; BGH NStZ-RR 1998, 15). Wann von einem Wiedereintritt auszugehen ist, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Insbesondere liegt ein Wiedereintritt vor, wenn der Wille des Gerichts zum Ausdruck kommt, im Zusammenwirken mit den Prozessbeteiligten in der Beweisaufnahme fortzufahren oder wenn Anträge mit den Verfahrensbeteiligten erörtert werden (BGH NStZ 2004, 505, 507 m.w.N.).
2. Einzelfall des Ausschlusses des Beruhens nach einem Verstoß gegen § 258 Abs. 2 StPO bei einem geständigen Angeklagten hinsichtlich des Schuldspruches.