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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
März 2010
11. Jahrgang
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1. Bei der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe ist ein Härteausgleich für erledigte, an sich gesamtstrafenfähige Vorstrafen im Wege der Vollstreckungslösung zu gewähren. (BGHSt)
2. Grundgedanke des § 55 StGB ist, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren sollen, so dass der Täter im Endergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist, als wenn alle Taten in dem zuerst durchgeführten Verfahren abgeurteilt worden wären (BGHSt 7, 180, 181; 15, 66, 69; 17, 173, 174 f.; 32, 190, 193). Scheitert eine nach § 55 StGB an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung daran, dass die zunächst erkannte Strafe bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, so ist die darin liegende Härte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Bemessung der nunmehr zu verhängenden Strafe auszugleichen (BGHSt 31, 102, 103; 33, 131, 132). (Bearbeiter)
3. Die Frage, ob das Vollstreckungsmodell auch auf andere Fallgestaltungen zu übertragen ist, wird unter den Senaten des Bundesgerichtshofs nicht einhellig beantwortet. Der 5. Strafsenat hat die Kompensation eines Verstoßes gegen Art. 36 Abs. 1 lit. B Satz 3 WÜK (BGHSt 52, 48, 56 f.) im Wege des Vollstreckungsmodells bejaht. Dem ist der 3. Strafsenat ausdrücklich entgegengetreten (Urteil vom 20. Dezember 2007 - 3 StR 318/07 -, BGHSt 52, 110, 118 Rdn. 25 f.). Er hält eine Kompensation von Verfahrensfehlern im Vollstreckungswege generell für unzulässig. Der erkennende Senat teilt diese Auffassung. (Bearbeiter)
1. Härteausgleich für während der Unterbrechung von Untersuchungshaft vollständig vollstreckte Ersatzfreiheitsstrafe bei infolgedessen unterbliebener Gesamtstrafenbildung mit lebenslanger Freiheitsstrafe durch Anrechnung. (BGHSt)
2. Ist bei Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe ein Härteausgleich zu gewähren, so ist dieser durch Anrechnung auf die Mindestverbüßungszeit (§ 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB) unter in zweifacher Hinsicht analoger Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB vorzunehmen. Zwar sieht § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB eine Anrechnung erlittener Haft nur für die zeitige Freiheitsstrafe vor. Gleichwohl ist eine entsprechende Anwendung im Falle erlittener Untersuchungshaft und anderer Freiheitsentziehung auch für die Festsetzung der Mindestverbüßungsdauer der lebenslangen Freiheitsstrafe geboten, da eine Ungleichbehandlung zeitiger und lebenslanger Freiheitsstrafen nicht zu rechtfertigen wäre. (Bearbeiter)
3. Sind aufgrund der Besonderheiten des zeitlichen Ablaufs vor einer (nachträglichen) Gesamtstrafenbildung im Einzelfall grundsätzlich einbeziehungsfähige Freiheitsstrafen bereits vollstreckt worden, die bei gemeinsamer Aburteilung und Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtfreiheitsstrafe im Ergebnis nicht vollstreckt worden wären, so ist entsprechend § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB die volle so erlittene Haftzeit im Wege des Härteausgleichs auf die Mindestverbüßungsdauer als vollstreckt anzurechnen. (Bearbeiter)
1. Eine ausländische Vorverurteilung, die an innerstaatlichen Maßstäben gemessen gesamtstrafenfähig wäre, ist im Rahmen der allgemeinen Strafzumessung mit Blick auf das Gesamtstrafübel zu berücksichtigen. (BGHR)
2. Im Ausland verhängte Strafen sind der nachträglichen Gesamtstrafenbildung über § 55 StGB nicht zugänglich, weil eine Gesamtstrafe mit einer von einem ausländischen Gericht verhängten Strafe schon wegen des damit verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit ausgeschlossen ist. (Bearbeiter)
3. Die Berücksichtigung einer - gemessen an innerstaatlichen Maßstäben gesamtstrafenfähigen - ausländischen Vorverurteilung im Rahmen der tatrichterlichen Strafzumessung nach § 46 StGB ist auch gemeinschaftsrechtlich geboten. (Bearbeiter)
1. Zum Härteausgleich für entgangene Bewährung durch Anwendung des Vollstreckungsmodells. (BGHR)
2. Auch zum Zwecke des Härteausgleichs ist die Erklärung eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe für vollstreckt („Vollstreckungslösung“) gegenüber der Milderung der Gesamtstrafe vorzugswürdig. (Bearbeiter)
218. BGH 5 StR 510/09 - Beschluss vom 13. Januar 2010 (LG Dresden) Erheblich verminderte Schuldfähigkeit (Versagung der Strafrahmenverschiebung); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Hang; körperliche Abhängigkeit). § 21 StGB; § 64 StGB
1. Eine Strafrahmenverschiebung aufgrund verminderter Schuldfähigkeit kann versagt werden, wenn der Täter schon früher unter Alkoholeinfluss straffällig geworden ist und deshalb wusste, dass er in einem solchen Zustand zu Straftaten neigt. An die Vergleichbarkeit der unter Alkoholeinfluss begangenen Straftaten sind dabei keine allzu hohen Anforderungen zu stellen.
2. Die Versagung der Strafrahmenverschiebung kann jedoch nicht mit dem Hinweis auf frühere unter Alkoholeinfluss begangene Straftaten begründet werden, wenn die neue Tat im Hinblick auf ihre andersartige Anlage und Zielrichtung und den ihr zugrunde liegenden strafrechtlich bedeutsamen Antrieb in gänzlich andere Richtung als die bisherigen Taten weist, sodass der Täter nicht mit ihr rechnen konnte. So kann es etwa liegen, wenn der Täter zwar bereits wegen gewalttätiger Straftaten unter Alkoholeinfluss bestraft ist, nunmehr jedoch erstmals eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung in Rede steht.
3. Eine Alkoholabhängigkeit ist keine zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 StGB. Denn hierunter fällt nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit, sondern es genügt eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ohne dass diese den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss.
Ob ein gemäß § 66b StGB Verurteilter von dem Kammerurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17. Dezember 2009 (Beschwerde Nummer 19359/04) betroffen sein könnte, brauchen deutsche Gerichte nicht zu entscheiden, da die vorgenannte Entscheidung noch nicht endgültig ist (Art. 43 Abs. 1, Art. 44 Abs. 2b EMRK).
Nach § 64 Satz 2 StGB ergeht diese Anordnung nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten durch die Behandlung zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen. Die hinreichend konkrete Aussicht der Rückfallfreiheit muss sich demgemäß auf einen „erheblichen“ Zeitraum erstrecken.
§ 66b Abs. 2 StGB eröffnet nicht die Möglichkeit, die bei der Anlassverurteilung gemäß der damaligen und insoweit bis heute unveränderten Rechtslage verwehrte primäre Anordnung der Sicherungsverwahrung (gemäß § 66 Abs. 1 StGB) bei Strafende aufgrund derselben Erkenntnisgrundlage wie zum Zeitpunkt der Anlassverurteilung nachzuholen. § 66b Abs. 1 Satz 2 StGB, der keine neuen Tatsachen voraussetzt, gilt nicht für § 66b Abs. 2 StGB.
Für die Frage der Erledigung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB ist allein der Zeitpunkt des ersten Urteils in dieser Sache maßgeblich, sodass eine erst nach diesem Zeitpunkt erlassene Bewährungsstrafe gleichwohl zu berücksichtigen ist; ihrer Erlassreife kommt jedoch erhebliche die zu bildende Gesamtstrafe mildernde Wirkung zu.