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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
März 2010
11. Jahrgang
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1. Zur Beurteilung der Kausalität bei den (unechten) Unterlassungsdelikten ist auf die hypothetische Kausalität, die so genannte "Quasi-Kausalität" abzustellen. Danach ist ein Unterlassen dann mit dem tatbestandsmäßigen Erfolg als "quasi-ursächlich" in Zurechnungsverbindung zu setzen, wenn dieser beim Hinzudenken der gebotenen Handlung entfiele, wenn also die gebotene Handlung den Erfolg verhindert hätte (st. Rspr.). Als ursächlich für einen schädlichen Erfolg darf ein verkehrswidriges Verhalten nur dann angenommen werden, wenn davon auszugehen ist, dass es bei verkehrsgerechtem Verhalten nicht dazu gekommen wäre, wenn also der Erfolg nicht unabhängig davon eingetreten wäre.
2. Dabei streitet für einen Angeklagten der Grundsatz in dubio pro reo. Allerdings steht der Bejahung der Ursächlichkeit die bloße gedankliche Möglichkeit eines gleichen Erfolgs auch bei Vornahme der gebotenen Handlung nicht entgegen. Vielmehr muss sich dies aufgrund bestimmter Tatsachen so verdichten, dass die Überzeugung vom Gegenteil mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vernünftigerweise ausgeschlossen ist.
3. Der Senat lässt offen, ob Ursächlichkeit angenommen werden kann, wenn bei Vornahme der Handlung der Erfolg zwar nicht vermieden, aber mit Sicherheit die dem Erfolg zugrunde liegende Gefahrensituation durch Beeinflussung des Kausalverlaufs verändert worden wäre (so Roxin GA 2009, 73, 76 f.).
4. Nacheinander erfolgende Unterlassungen sind nicht mit der auf gleicher Ebene angesiedelten Entscheidung von Kollektivorganen vergleichbar, nichts zu veranlassen, bzw. mit kollektivem Untätigbleiben der Mitglieder entsprechender Gremien (Abgrenzung von BGHSt 37, 106, 129).
5. Fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung sind Erfolgsdelikte. Strafbarkeit liegt bei diesen nur dann vor, wenn das tatbestandsrelevante Verhalten den Erfolg verursacht, wenn der Erfolg auf der Fahrlässigkeit beruht. Folgenlose Fahrlässigkeit ist nur bei fahrlässigen Tätigkeitsdelikten strafbar und kann gegebenenfalls als Gefährdungsdelikt erfasst werden. „Fahrlässiger Versuch“ ist straflos.
6. Die Formulierung, „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ müsse die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Taterfolg feststehen, besagt nicht, dass höhere Anforderungen an das erforderliche Maß an Gewissheit von der Kausalität als sonst gestellt werden müssen. „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ist nichts anderes als die überkommene Beschreibung des für die richterliche Überzeugung erforderlichen Beweismaßes. Da es sich nicht um die Feststellung realer Kausalzusammenhänge handelt, muss das Gericht eine hypothetische Erwägung anstellen und sich auf deren Grundlage eine Überzeugung bilden.
7. Die Zurechnung eines Erfolgs kann bei fahrlässigem Verhalten mehrerer Personen nicht allein auf ein bloßes objektives Ineinandergreifen jeweils individuell fahrlässigen Verhaltens gestützt werden, weil bei fahrlässigen Delikten die bei Vorsatztaten begrenzende Funktion der Zurechnung des Tatplans entfällt. Zu den Voraussetzungen einer fahrlässigen Unterstützung fremder Fahrlässigkeit (hier: Beitrag zu einem fahrlässigen Betrieb einer gefährlichen Eissporthalle durch die Erstattung eines die Sicherheit feststellenden Gutachtens) durch eine sog. Nebentäterschaft und eine sog. fahrlässige Mittäterschaft. Wenn sich in der Pflichtwidrigkeit des einen auch die Pflichtwidrigkeit des anderen verwirklicht, kann Nebentäterschaft gegeben sein. Mittäterschaftliche Verursachung läge vor, wenn zwischen den fahrlässig Handelnden - ausdrücklich oder stillschweigend - bewusstes Zusammenwirken festzustellen wäre.
8. Bei den unechten Unterlassungsdelikten muss ein besonderer Rechtsgrund nachgewiesen werden, wenn jemand ausnahmsweise dafür verantwortlich gemacht werden soll, dass er es unterlassen hat, zum Schutz fremder Rechtsgüter positiv tätig zu werden. Ob eine solche Garantenstellung besteht, die es rechtfertigt, das Unterlassen der Schadensabwendung dem Herbeiführen des Schadens gleichzustellen, ist nicht nach abstrakten Maßstäben zu bestimmen. Vielmehr hängt die Entscheidung letztlich von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab; dabei bedarf es einer Abwägung der Interessenlage und des Verantwortungsbereichs der Beteiligten. Vertragliche Pflichten aus gegenseitigen Rechtsgeschäften reichen demgemäß nicht ohne weiteres zur Begründung einer strafbewehrten Garantenpflicht aus.
1. Die „alkohol- und drogenbedingte Enthemmung des Angeklagten“ zur Tatzeit ergibt nicht ohne Weiteres einen Anhalt dafür, dass ihm das Ausmaß der Gefährlichkeit seines Handelns nicht bewusst gewesen sein könnte. Nur in Fällen außergewöhnlich hoher Alkohol- und Drogenintoxikation liegt es auf der Hand, dass es neben der Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens auch zu einer Einschränkung der Wahrnehmungsfähigkeit kommen kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann jedenfalls bei schweren und lang andauernden Gewalthandlungen die Erkenntnisfähigkeit trotz alkoholbedingter Bewusstseinstrübung kaum fraglich sein (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 296).
2. Will das Tatgericht unter Rekurs auf eine dissoziale Entwicklung des Angeklagten den Vorsatz über das Wissenselement ausschließen, muss es für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen, ob der beschriebenen Persönlichkeitsentwicklung überhaupt Einfluss auf das Wissenselement beim Vorsatz zukommen kann.
1. Zum Bestimmen im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB bei freiwilliger Ausübung der Straßenprostitution. (BGHR)
2. Regelungen der Prostitutionsausübung, die auch hinsichtlich der Erbringung anderer Dienstleistungen wirksam zu vereinbaren gewesen wären, sind zu einer strafrechtlich relevanten Beeinträchtigung des Selbstbestimmungsrechts ungeeignet. Daher scheidet die Festlegung von Zeit, Ort und Mindestentgelten als „Bestimmen“ grundsätzlich aus. Für die Festsetzung von Mieten und sonstigen Zahlungspflichten gilt gleiches, sofern deren Erfüllung in einem angemessenen Zusammenhang mit Leistungen der Organisatoren der Prostitution stehen. (Bearbeiter)
1. Der Senat ist der Ansicht, dass zwischen einer Katalogtat des § 138 StGB und ihrer Nichtanzeige ein normatives Stufenverhältnis bestehe, das eine Verurteilung gemäß § 138 StGB im Wege einfacher Anwendung des Zweifelssatzes bei nicht erwiesener Katalogtat eröffne, da dessen Unrechtsgehalt vollständig in dem der Katalogtat aufgehe.
2. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden, dass ein nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung fortbestehender Verdacht der Beteiligung an einer Katalogtat des § 138 StGB einer Bestrafung wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten auch mit Rücksicht auf den Zweifelssatz nicht entgegensteht.
1. Nach Auffassung des Senats erfüllt das bloße Auslesen von auf dem Magnetstreifen einer Zahlungskarte gespeicherten Daten, um mit diesen Daten Kartendubletten herzustellen, nicht den Tatbestand des Ausspähens von Daten. § 202a Abs. 1 StGB setzt u.a. voraus, dass der Täter sich oder einem anderen den Zugang zu Daten, die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, unter Überwindung der Zugangssicherung verschafft. Der Überwindung einer solchen Zugangssicherung bedarf es aber nicht, wenn diese lediglich ausgelesen werden sollen. Dies ist ohne Weiteres mittels eines handelsüblichen Lesegeräts und der ebenfalls im Handel erhältlichen Software möglich.
2. Dass Daten magnetisch und damit nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind, stellt keine besondere Sicherung gegen unberechtigten Zugang dar. Vielmehr handelt es sich gemäß § 202a Abs. 2 StGB nur bei Daten, die auf diese Weise gespeichert sind, um Daten im Sinne des Abs. 1 dieser Vorschrift. Schon daraus ergibt sich, dass nicht schon diese Art der Speicherung eine besondere Sicherung im Sinne des § 202a Abs. 1 StGB darstellt, sondern dass darüber hinaus Vorkehrungen getroffen sein müssen, die den unbefugten Zugriff auf Daten ausschließen oder zumindest erheblich erschweren.
3. Der Senat sieht sich an einer Änderung des Schuldspruchs durch das Urteil des 3. Strafsenats vom 10. Mai 2005 - 3 StR 425/04 (NStZ 2005, 566) gehindert.
Eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB liegt nur vor, wenn die Art der Behandlung des Geschädigten durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls (generell) geeignet wäre, das Leben zu gefährden (st. Rspr.). Diese Gefahr muss bereits der Handlung eigen sein. Wird eine Person auf die Fahrbahn geworfen und kommt es in der Folge zu einem Unfall, tritt die Lebensgefahr nicht „mittels“ der Art der Behandlung durch den Angeklagten ein.
1. Das ausgedruckte Exemplar eines eingescannten Schriftstücks erfüllt den Urkundenbegriff nach § 267 Abs. 1 StGB nur dann, wenn es einer Originalurkunde so ähnlich ist, dass die Möglichkeit einer Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann. Dies ist jedenfalls bei einer eingescannten und sodann am Computer manipulierten notariellen Urkunde nicht der Fall, weil der bloße Ausdruck einer Computerdatei nicht die typischen Authentizitätsmerkmale aufweist, die einen notariellen Kaufvertrag bzw. eine Ausfertigung eines solchen prägen.
2. Die Kurzbezeichnung des Absenders auf einem Telefax ist nicht einer Beglaubigung gleichzusetzen, denn der Rechtsverkehr misst ihr eine solche Bedeutung nicht zu. Der Empfängeraufdruck bestätigt auch nicht die inhaltliche Richtigkeit des versandten Schriftstücks, sondern allenfalls, dass das eingegangene Telefax vom Absender gemäß Aufdruck in das Telekopiergerät eingelegt und versandt worden ist.
1. In den Fällen des Selbstbedienungstankens setzt die Annahme eines vollendeten Betruges voraus, dass der Täter durch (konkludentes) Vortäuschen von Zahlungsbereitschaft bei dem Kassenpersonal einen entsprechenden Irrtum hervorruft, der anschließend zu der schädigenden Vermögensverfügung (Einverständnis mit dem Tankvorgang) führt. An der erforderlichen Irrtumserregung fehlt es, wenn das Betanken des Fahrzeugs vom Kassenpersonal überhaupt nicht bemerkt wird. Ist dies der Fall, kommt jedoch regelmäßig ein Betrugsversuch in Betracht (vgl. Senat, Urteil vom 5. Mai 1983 - 4 StR 121/83, NJW 1983, 2827; Senatsbeschlüsse vom 28. Juli 2009 - 4 StR 254 u. 255/09, NStZ 2009, 694).
2. Der Mittäter der Vortat kann hinsichtlich dieser Tat nicht wegen Hehlerei strafbar sein (BGHSt 7, 134, 137; 33, 50, 52).
Das Verbrechen der Geiselnahme und das Vergehen der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs, die bei isolierter Betrachtungsweise in Tatmehrheit zueinander stehen, werden durch das Vergehen der Entziehung Minderjähriger zur Tateinheit verbunden werden, wenn dieses seinerseits mit jedem der anderen Delikte tateinheitlich zusammentrifft. Diese Wirkung tritt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch dann ein, wenn eines der betroffenen Delikte schwerer wiegt als dasjenige, das die Verbindung begründet (vgl. BGHSt 31, 29, BGHR StGB § 52 Abs. 1 Klammerwirkung 7 m.w.N.).