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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Aug./Sept. 2009
10. Jahrgang
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Von Rechtsanwalt Dr. Carsten Wegner, Berlin *
Das Urteil des BGH vom 13.11.2008 dokumentiert in anschaulicher Weise, wie sehr wirtschaftsstrafrechtliche Sachverhalte – zu denen auch das Baustrafrecht gehört (Greve/Leipold, Baustrafrecht, 2004, S. V.) – durch das Zusammentreffen unterschiedlichster rechtlicher Materien gekennzeichnet sind, die im jeweiligen Einzelfall aufbereitet werden müssen, um sodann die Frage zu beantworten, ob ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten gegeben ist und falls ja, durch wen. Die Entscheidung des 4. Strafsenats gewinnt ihr Interesse daher nur vordergründig aus der umfangreichen Herleitung einer Verkehrssicherungspflicht aus "anerkannten Rechtsgrundsätzen", die der Senat der zivilgerichtlichen Rechtsprechung entnimmt und sodann auf den konkret von ihm zu entscheidenden Sachverhalt anwendet. Sie wirft vor allem die allgemeine Frage nach der straf- und buß-
geldrechtlichen Verantwortung der an einem Bauvorhaben beteiligten Personen bzw. Unternehmen auf.
Primär verantwortlich ist zunächst einmal stets der Bauherr, d.h. derjenige, der auf seine Verantwortung eine bauliche Anlage vorbereitet oder ausführt oder vorbereiten oder ausführen lässt. Die Verantwortlichkeit des Bauherrn gründet darin, dass er mit dem von ihm in Auftrag gegeben Bauvorhaben eine Gefahrenquelle geschaffen hat. Diese verpflichtet ihn, alles Erforderlich zu tun, Gefahren von Dritten (z.B. Passanten, aber auch auf der Baustelle tätigen Arbeitern) fernzuhalten. Da das Strafrecht regelmäßig an die Verantwortlichkeit natürlicher Personen anknüpft (vgl. §§ 222, 229, 319 StGB), sind die § 14 StGB bzw. § 9 OWiG zu beachten, wenn ein Unternehmen als Bauherr auftritt und die Frage zu klären ist, wer individuell für bestimmte Abläufe verantwortlich zeichnet, die an sich das Unternehmen verpflichteten. Eine Sanktionierung des Unternehmens ermöglicht allein § 30 OWiG, der dann an die Straftat oder Ordnungswidrigkeit einer für das Unternehmen verantwortlich handelnden Leistungsperson anknüpft.
In der Praxis wird es das Ziel eines jeden Bauherrn sein, die ihn treffende Pflicht zur Verkehrssicherung zu übertragen auf Dritte. Dies kann z.B. geschehen durch die Bestellung eines Bauleiters oder indem die Ausführung der Baumaßnahme auf einen Generalunternehmer übertragen wird. Den Vorwurf eines pflichtwidrigen Fehlverhaltens wird sich der Bauherr daher nur dann entgegen halten lassen müssen, wenn ihn bei der Auswahl der von ihm hinzugezogenen Spezialisten – wozu auch Architekten und Bauunternehmen gehören – ein Auswahlverschulden trifft. Da dem Bauherr regelmäßig bereits aus eigenem Interesse daran gelegen sein wird, nur mit qualifiziertem Personal zusammen zu arbeiten und er seine Auswahl – soweit er dies überhaupt selbst bewerten kann – anhand sachgerechter Kriterien getroffen hat, sollte einem Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Bauherrn in der Praxis nichts entgegenstehen, denn Sinn und Zweck entsprechender Verträge ist es gerade, dass sämtliche Pflichten, die sich aus einem Bauvorhaben ergeben, auf einen fachlich kompetenteren Dritten zu übertragen (für einen "gesteigerten Koordinierungsbedarf" des Bauherrn jedenfalls bei Bauvorhaben größeren Ausmaßes spricht sich Duttge HRRS 2009, 145, 147 aus). Anderes gilt nur dann, wenn der Bauherr im Rahmen der Bauausführung erkennt, dass es zu sich auch einem Laien aufdrängende Pflichtverletzungen kommt oder der Bauherr in Eigenregie Arbeiten ausführt und hierbei selbst gegen Sicherheitsvorschriften verstößt.
Neben die kernstrafrechtlichen Risiken, die sich aus der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten ergeben, treten – bußgeldrechtlich relevante – Verantwortlichkeiten nach den Bauordnungen der Länder. Entsprechende, nach dem klassischen Modell der Verweisungsketten aufgebaute Tatbestände ermöglichen die Festsetzung von Geldbußen bis zu 500.000 EUR (vgl. § 83 Abs. 3 BauO Bln).
Praxisrelevant ist in sanktionsrechtlicher Hinsicht ferner die Baustellenverordnung (BaustellenV). Sie zielt auf die Verbesserung der Sicherheit und Ordnung der Beschäftigten auf Baustellen ab (§ 1 Abs. 1). So sind z.B. b ei der Planung der Ausführung eines Bauvorhabens, insbesondere bei der Einteilung der Arbeiten, die gleichzeitig oder nacheinander durchgeführt werden, und bei der Bemessung der Ausführungszeiten für diese Arbeiten, die allgemeinen Grundsätze nach § 4 ArbSchG zu berücksichtigen (§ 2 Abs. 1). Für jede Baustelle, bei der die voraussichtliche Dauer der Arbeiten mehr als 30 Arbeitstage beträgt und auf der mehr als 20 Beschäftigte gleichzeitig tätig werden (Abs. 2 Nr. 1), oder der Umfang der Arbeiten voraussichtlich 500 Personentage überschreitet (Abs. 2 Nr. 2) ist der zuständigen Behörde spätestens zwei Wochen vor Einrichtung der Baustelle eine Vorankündigung zu übermitteln. Verstöße können gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 BaustellenV i.V.m. § 25 Abs. 1 Nr. 1 ArbSchG als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Wer durch eine im § 2 Abs. 1 bezeichnete vorsätzliche Handlung Leben oder Gesundheit eines Beschäftigten gefährdet, ist sogar nach § 26 Nr. 2 ArbSchG strafbar. Die Strafbarkeit ist damit in das Vorfeld der Erfolgsdelikte der §§ 222, 229 StGB verlagert; es bestehen insoweit Parallelen zur Baugefährdung in § 319 StGB. Auffällig an der BaustellenV ist, dass die Verpflichtung nach § 3, unter bestimmten Voraussetzungen einen Koordinator (SiGe-Koordinator) zu bestellen, nicht als Ordnungswidrigkeit geahndet wird.
Schließlich treffen den Bauherrn die sanktionsrechtlich unterlegten Pflichten nach dem BauGB (vgl. § 213) sowie die – mit jedem Bauvorhaben einhergehenden – Risiken nach den umweltschutzrechtlichen Bestimmungen, die über §§ 324 ff. StGB sanktionsrechtlich abgesichert sind. Praxisrelevant – und nicht unmittelbar im Fokus eines jeden Bauherrn – sind darüber hinaus auch die sich aus dem SGB VII ergebenden sowie von den Berufsgenossenschaften erlassenen Unfallverhütungsvorschriften.
In den Fokus der Ermittlungsbehörden treten – wie die Entscheidung des BGH vom 13.11.2008 zeigt – darüber hinaus vor allem die bauausführenden Unternehmen selbst. Ihr Pflichtenkreis richtet sich nach den vertraglichen Regelungen; auch konkludent übernommene Pflichten sich jedoch denkbar. Da sich der Bauherr – anknüpfend an § 4 BaustellenV (Beauftragung) – regelmäßig der ihn primär treffenden Pflichten entledigen will, treffen Bauunternehmen und die für sie verantwortlichen Handelnden Personen aufgrund dieser Überwälzung des Pflichtenkreises in der Praxis die größten sanktionsrechtlichen Risiken. Beschränkt werden diese Pflichten nur durch die eigenverantwortliche Selbstgefährdung Dritter auf der Baustelle oder durch die weitere Pflichtendelegation auf andere Bauunternehmer (Nachunternehmer).
Praxisrelevant sind für Unternehmen neben den sich aus dem Bauvorhaben selbst ergebenden Aufgaben und deren Umsetzung insbesondere solche Pflichten, die sich aus dem Arbeitsschutz ergeben. Der Schutz der Gesundheit und der Sicherheit für Beschäftigte hat höchste Relevanz und wird etwa in Berlin durch das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (LAGetSi) mehr und mehr kontrolliert, aber auch geahndet. Sanktionsrechtliche Risiken entstehen in diesem Zusammenhang nicht erst durch das o.a. Kernstrafrecht. In den kaum überschaubaren Regelungen zum Arbeitsschutzrecht finden sich selbst zahllose eigene Sanktionsvorschriften bzw. Regelungen, die auf solche verweisen. Allein aus Gründen des Selbstschutzes sollte jeder Unternehmer bzw. verantwortlich handelnde Betriebsinhaber darauf achten, dass die arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen auf der Baustelle eingehalten und beschäftigte Mitarbeiter regelmäßig über entsprechenden Vorschriften unterrichtet werden, um sich so im Unglücksfall selbst exkulpieren zu können, indem er nachweisen kann, dass er seinen persönlichen Pflichten nachgekommen ist.
Nichts anders gilt im Ergebnis auch für Bauleiter und SiGe-Koordinatoren. Ihnen werden in ihrem Aufgabenbereich (erhebliche) Teile der Verkehrssicherungspflichten übertragen. Unglücksfälle, die auf die von ihnen zu verantwortende Gefahrenquelle zurückgehen, können eine Garantenverantwortlichkeit nach § 13 StGB begründen. Sie sollten daher nicht erst dann aktiv werden, wenn sie konkrete Gefahren bzw. Fehlverhaltensweisen erkennen; auch ihnen sollte an einer präventiv ausgerichteten Ausübung ihres Aufgabenbereichs gelegen sein. Sie würden hierdurch sich und anderen helfen.
* Der Autor ist für die Kanzlei Krause – Lammer – Wattenberg tätig und Lehrbeauftragter der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.