Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Juni 2008
9. Jahrgang
PDF-Download
Die nach deutschem Recht eingetretene Verfolgungsverjährung einer Tat, für die auch die deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist, steht der Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen auf Grund eines Europäischen Haftbefehls an die Republik Polen entgegen, selbst wenn nach polnischem Recht die Strafverfolgung noch nicht verjährt ist. (BGHSt)
Ein Beschwerdeführer kann nicht in der Instanz erfolgreich die Entpflichtung eines Hauptschöffen als willkürlich rügen und sich später in der Revision auf die Willkürfreiheit der früheren Entpflichtungsentscheidung berufen. Dies gilt auch dann, wenn der Generalbundesanwalt die erhobene Besetzungsrüge nicht als willkürlich beanstandet, sondern für durchgreifend erachtet.
1. Die Vorschrift des § 26a StPO gestattet nur ausnahmsweise, dass ein abgelehnter Richter selbst über einen gegen ihn gestellten Befangenheitsantrag entscheidet. Voraussetzung für diese Ausnahme von dem in § 27 StPO erfassten Regelfall der Entscheidung ohne die Mitwirkung des abgelehnten Richters ist, dass keine Entscheidung in der Sache getroffen wird, vielmehr die Beteiligung des abgelehnten Richters auf eine echte Formalentscheidung oder die Verhinderung eines offensichtlichen Missbrauchs des Ablehnungsrechts beschränkt bleibt (BVerfGK 5, 269, 281 f.; BGH NStZ 2008, 46, 47). Die Anwendung des § 26a StPO darf nicht dazu führen, dass der ablehnende Richter sein eigenes Verhalten beurteilt und damit „Richter in eigener Sache“ wird. Jedenfalls bei einer willkürlichen oder die Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erheblich missachtenden Überschreitung des durch § 26a StPO abgesteckten Rahmens begründet bereits dies den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO (BGHSt 50, 216, 219; BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 15).
2. Der gesetzliche Richter darf auch nicht durch eine überspannte Anwendung des § 26 Abs. 1 Nr. 3 StPO umgangen werden.
Tritt eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils ein, so kann das Revisionsgericht über die hierfür angemessene Kompensation jedenfalls dann selbst entscheiden, wenn die Generalbundesanwaltschaft einen entsprechenden Antrag stellt und der Angeklagte im Rahmen der Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht Gelegenheit hatte vorzutragen, wie sich die Verfahrensverzögerung für ihn ausgewirkt hat. Denn es handelt sich bei der Entscheidung um eine Zumessung der Rechtsfolgen im Sinne des § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO, auch wenn die Kompensation nach der „Vollstreckungslösung“ nunmehr losgelöst von der eigentlichen Strafzumessung unter Entschädigungsgesichtspunkten erfolgt.
Einzelfall der Versagung einer Rechtsfolgenkompensation bei einer geringen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung.
1. Das Tatgericht in Kapitalstrafsachen ist nicht stets aus Gründen der Aufklärungspflicht zur Hinzuziehung eines Schuldfähigkeitsgutachters verpflichtet ist (vgl. den zur Veröffentlichung in BGHR bestimmten Beschluss des 1. Strafsenats vom 5. März 2008 – 1 StR 648/07). Dies ändert freilich nichts daran, dass namentlich in Schwurgerichtssachen, beispielsweise aber auch bei Brandstiftungsdelikten, in der Mehrzahl der Fälle besonders gelagerte Tatbilder und Persönlichkeitskonflikte zu beurteilen sind, die den Tatgerichten – und bereits der Staatsanwaltschaft – schon frühzeitig im Verfahren begründeten Anlass geben, einen psychiatrischen Sachverständigen zur Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten heranzuziehen; nicht selten gebietet dies die Aufklärungspflicht.
2. Auch jenseits davon wird mit der frühzeitigen Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Schuldfähigkeit in Fällen dieser Art der zeitgerechten Sacherledigung optimal Rechnung getragen. Es wird so vermieden, dass sich das Tatgericht erst in der Hauptverhandlung – mehr oder weniger deutlich vorhersehbar – mit gewichtigen seelischen Konfliktsituationen des Angeklagten bei Begehung der Tat konfrontiert sieht, ohne dass es sich noch selbst zutrauen dürfte, deren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit beurteilen zu können.
Auf Grund einer nach § 100a StPO gerechtfertigten Überwachung und Aufzeichnung eines Telephonats kann das gesamte während des Telephonats aufgezeichnete Gespräch einschließlich der Hintergrundgeräusche und -gespräche verwertet werden (BGH NStZ 2003, 668, 669). Ein solcher Sachverhalt unterscheidet sich von der Aufzeichnung eines Raumgesprächs nach Abschluss eines Telefonats, weil danach kein zu überwachender Telekommunikationsvorgang mehr stattfindet (vgl. hierzu BGHSt 31, 296, 297).
Eine entsprechende Anwendung des § 149 Abs. 2 StPO auf den Betreuer ist nicht geboten; denn das Strafverfahrensrecht legt die Wahrnehmung der Interessen des Beschuldigten im Strafverfahren, gerade auch wenn eine Unterbringung in Betracht kommt, in die Hände des (notwendigen) Verteidigers.
1. Der Tatrichter darf eine Tatsache nur dann als für die Entscheidung bedeutungslos ansehen, wenn zwischen ihr und dem Gegenstand der Urteilsfindung keinerlei Sachzusammenhang besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen kann, weil sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zulässt, und das Gericht den möglichen Schluss nicht ziehen will.
2. Die Bedeutung der unter Beweis gestellten Tatsache ist vom Tatrichter in freier Beweiswürdigung auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses zu beurteilen. Allerdings darf er dabei die unter Beweis gestellte Tatsache nicht in Zweifel ziehen oder Abstriche an ihr
vornehmen. Er hat sie vielmehr seiner antizipierenden Beweiswürdigung so zu Grunde zu legen, als sei sie voll erwiesen.
Es ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass auf Freispruch und nicht auf Einstellung des Verfahrens zu erkennen ist, wenn bei rechtlichem Zusammentreffen eines schwereren und eines leichteren Vorwurfs der schwerere nicht nachweisbar, der leichtere aber wegen eines Prozesshindernisses nicht verfolgbar ist (vgl. BGHSt 36, 340).
Auf die Aufklärungsrüge, einem Sachverständigen sei in der Hauptverhandlung eine bestimmte Frage nicht gestellt worden, kann die Revision nur dann erfolgreich gestützt werden, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt, dass es sich dem Tatrichter aufdrängen musste, die vermisste Frage an die Beweisperson zu stellen.
Ein Angeklagter verhält sich grob fahrlässig im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG, wenn er ein Aussageverhalten an den Tag legt, das durch die Haft- und Vernehmungssituation allein nicht zu erklären ist und in ungewöhnlichem Maße die Sorgfalt außer Acht lässt, die ein verständiger Mensch in seiner Lage anwenden würde, um sich vor Schaden durch die Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen.