HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juni 2008
9. Jahrgang
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Schrifttum

Markus Juppe: Die gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen in Europa, Historische Grundlagen – Aktuelle und zukünftige Problembereiche, Europäische Hochschulschriften, Band 4599, Peter Lang, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-631-56734-0, 164 S., 41,10 EUR

Die hochaktuelle Untersuchung hat eines der zentralen Themen der Zusammenarbeit in Strafsachen in der EU zum Gegenstand. Der Grundsatz gegenseitiger Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen soll nicht nur einen Eckstein der künftigen Zusammenarbeit in Strafsachen bilden, sondern als grundlegendes Strukturprinzip zur Schaffung eines gemeinsamen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, dem zentralen Konzept der EU im Bereich Justiz und Inneres, beitragen.[1] Die von Prof. Dr. Dr. h.c. Friedrich-Christian Schroeder betreute Regensburger Dissertation macht sich dabei zur Aufgabe den historischen Grundlagen sowie den aktuellen und zukünftigen Problembereichen des Grundsatzes nachzugehen. Zur Erreichung dieses Ziel wird die Entwicklung des Grundsatzes gegenseitiger Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen insgesamt in den Blick genommen. Dargestellt werden neben dem Katalog der – zum Zeitpunkt der Untersuchung – existenten und geplanten Instrumente auch historische Vorläufer einer (ungeprüften) Anerkennung ausländischer strafjustizieller Entscheidungen im klassischen Rechtshilferecht, damit Funktionsweise und Wandel gegenseitiger Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen im historischen Längsschnitt bis zur heutigen Rechtslage nachvollzogen werden kann. Auf diese Weise soll die grundstürzende Änderung herausgearbeitet und veranschaulicht werden, die der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung nach der Lesart der EU bewirkt. Auf dieser Basis werden im Anschluss die bestehenden und geplanten Umsetzungen dieses Grundsatzes in der dritten Säule der EU referiert, bevor die Untersuchung mit einer Diskussion der zahlreichen Problembereiche, die sich in der rechtspolitischen und wissenschaftlichen Diskussion zum Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung abzeichnen, schließt.

Der Weg, den Juppe damit beschreiten will, ist viel versprechend. Der Untersuchungsansatz eröffnet den Blick für eine Verbreiterung der Diskussionsbasis und eine vertiefte Auseinandersetzung nicht nur darüber, ob es sich bei dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung um eine Fortentwicklung des Rechtshilferechts oder eine Figur sui generis, die im Herkunftslandprinzip des europäischen Binnenmarkts fußt, handelt, sondern auch welchen normativen Gehalt der Grundsatz gegenseitiger Anerkennung als Rechtsbegriff haben könnte. Leider wird der Ansatz nicht konsequent zu Ende verfolgt, denn

es fehlt an der Herausarbeitung des spezifischen Anerkennungsmoments der aufgeführten Instrumente und einem evolutiv-orientierten Vergleich dieser Elemente in der Gesamtschau. Entwicklung und normative Grundlagen des Gedankens gegenseitiger Anerkennung deuten sich in der Untersuchung nur an. Ein Rätsel bleibt insofern auch, warum gerade Art. 54 SDÜ, der eines der besten Beispiele für eine funktionierende Umsetzung des Gedankens gegenseitiger Anerkennung im Rechtshilferecht ist, keine Erwähnung findet.

Interessant wäre es bei konsequenter Verfolgung des Ansatzes vor allem gewesen, ausgehend von der Entwicklung der Rechtshilfe und der parallelen, durchgreifenden Entwicklungen im Völkerrecht und nationalem Verfassungsrecht (Stichwort: Dreipoligkeit des Rechtshilfeverfahrens[2]) zu ergründen, ob dem Aspekt der gegenseitigen Anerkennung in diesem Evolutionsprozess ein normativer Kern zugewachsen ist, der eine Einstufung als Rechtsprinzip rechtfertigt und dadurch auch in fruchtbarer Weise in die aktuelle Diskussion eingeführt werden könnte. Ein solches normativ aufgeladenes Begriffsverständnis kontrastierte stark mit dem in der Debatte dominanten inhaltsleeren rechtspolitischen Begriff, der aus dem gemeinsamen Binnenmarkt entlehnt zu sein scheint und könnte die Ausgestaltung des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts argumentativ bereichern und nachhaltig beeinflussen.

Über die bloße Einführung in Besonderheiten des Rechtshilferechts, die – begrüßenswert – dem Umstand geschuldet ist, dass einem Leser ohne vertiefte Kenntnisse im Rechtshilferecht Verständlichkeit und Bedeutung der nachfolgenden Ausführungen erst vor diesem Hintergrund wirklich klar werden können, und die deskriptive Vorstellung einzelner Instrumente, die Elemente gegenseitiger Anerkennung aufweisen, gelangt der erste Teil der Arbeit indessen kaum einmal hinaus. Mit der Beschreibung des Übergangs der Handlungsdynamik vom Europarat auf die EU bis hin zum Vertrag von Amsterdam und dessen Bekenntnis zu einem Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts in der EU, der als neues Konzept den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung hervorbringt, beginnt die Arbeit zwar insofern nicht von neuem, doch werden wegen des primär deskriptiven Rahmens konzeptuelle und rechtsprinzipielle Implikationen des Wandels nicht hinreichend trennscharf herausgearbeitet. Vielmehr folgt de facto eine selbstständige Erörterung des Gedankens gegenseitiger Anerkennung als Eckstein strafrechtlicher Kooperation in der EU. Dabei versteht Juppe unter gegenseitiger Anerkennung die Betrachtung einer in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung als gleichwertig zu einer im eigenen Staat ergangenen Entscheidung, auch wenn das zur Entscheidung führende Verfahren nicht identisch ist, S. 36. Aufgrund dieser zugestandenen Gleichwertigkeit wird die Rechtswirkung dieser Entscheidung auch in der heimischen Rechtsordnung anerkannt. Die Integrationsdynamik und die Eigentümlichkeit des Wandels der Konzepte für die strafrechtliche Zusammenarbeit sucht Juppe durch eingehende Beschreibung der Herkunft des Prinzips greifbar zu machen, S. 37-42. Als Grundlagen dieses neuen Verständnisses gegenseitiger Anerkennung identifiziert er den gemeinsamen Rechtsraum, Vertrauen in die Rechtsordnungen der anderen Mitgliedstaaten, das in der Sache ein Vertrauen in Rechtstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte durch andere - schließlich demokratische - Staaten in der EU sein soll, und das Herkunftsstaatprinzip.

Nach Definition dieser Grundlagen wird die konkrete Entwicklung gegenseitiger Anerkennung anhand der aktuellen und geplanten Instrumente nachvollzogen, wobei dem Problem angemessen zwischen strafrechtlichen und strafprozessualen sowie abschließenden Entscheidungen und prozessualen Zwischenentscheidungen differenziert wird. Den Schwerpunkt der weiteren Untersuchung setzt Juppe konsequent – diese Differenzierung widerspiegelnd – bei Europäischem Haftbefehl, Europäischer Beweisanordnung und der Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten, womit im Wesentlichen die Suche nach dem am besten geeigneten Recht und/oder dem legitimsten Ort für die Strafverfolgung verbunden wird. Drängen sich die ersten beiden Unterpunkte geradezu auf, mag die letztgenannte Konstellation auf den ersten Blick überraschen, doch handelt es sich um eine Problematik, die "Rechtshilferechtler" seit langem bewegt und nach wie vor einer befriedigenden Lösung harrt.[3] Wie sich jüngst am Beispiel des Falls "Marco Weiss" andeutete, können die Konsequenzen dieses Regelungsdefizits dramatische Folgen haben. Juppe erkennt klar, welches Potential eine Lösung dieses Problems sowohl für die Erleichterung der Zusammenarbeit als auch den Schutz der Grundrechte birgt, was er im Rahmen der späteren Erörterung der Einzelprobleme präzisiert.[4]

Der Autor verschafft dem Leser in allen drei Bereichen einen guten Einblick in die jeweiligen Besonderheiten der Kooperationsform, ihre Voraussetzungen und Grenzen. Im Einzelnen hätte aber wohl gerade der Grundsatz beiderseitiger Strafbarkeit wegen seiner Bedeutung etwas detailreicher und präziser dargestellt werden können.[5]

Überhaupt wird bezüglich der beiderseitigen Strafbarkeit nicht eingangs der Untersuchung substantiiert klargestellt, was unter diesem Grundsatz eigentlich – differenziert nach seiner Bedeutung für das Auslieferungsrecht und die "kleine" Rechtshilfe – zu verstehen ist und worin dieser rechtlich seine – äußerst strittige[6] – Grundlage findet. Diese Streitfrage wird tatsächlich erst am Ende der Studie als letzter Problempunkt behandelt. Eine Verortung eingangs der Untersuchung hätte das Verständnis der Ausführungen durchaus befördert. Vor allem fehlt es dadurch an einem Referenzpunkt anhand dessen deutlich wird, wie sich Verständnis und Ausgestaltung des Grundsatzes mit der Zeit wandeln und schließlich in dessen weitgehender Aufgabe münden.

Gelungen sind die Passagen zur Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten. Die wesentlichen Vorschläge werden behandelt sowie Schwierigkeit und Dringlichkeit einer Lösung, z B. zur Vermeidung von forum shopping, herausgearbeitet, S. 87 ff. Die abschließende Erörterung eines Verfahrens zur Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten belegt die fehlende Eignung des Grundsatzes ne bis in idem als Lösungsinstrument und erwägt taugliche Anknüpfungspunkte - Ausgangspunkt der Verteilung müsse der Handlungsort sein, da Ausgangspunkt der Sanktionierung die jeweilige Verhaltensnorm ist, S. 105 – sowie Entscheidungsverfahren - Verbindliche supranationale Entscheidungsinstanzen nebst Rechtsmittel seien vorzugswürdig, S. 105 f.

Nach dieser tour d’horizon gegenseitiger Anerkennung mit partiellen wohl gesetzten Vertiefungen wendet sich Juppe im großen Schlussabschnitt seiner Dissertation den rechtlichen Problemen im Rahmen des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung auf dem Gebiet des Strafrechts zu. Bei diesem Kapitel handelt es sich in der Sache um eine Zusammenführung aller Vorbehalte, die gegenüber der Einführung und Verbreitung des Grundsatzes in der Literatur gehegt werden. Die ausgemachten Streitpunkte werden dabei nach meinem Eindruck vollständig erfasst. Aufgegriffen werden die Übertragbarkeit der Grundsätze der Warenverkehrsfreiheit (S. 124), Verletzung des Demokratieprinzips (S. 126), Verkürzung des Rechtsschutzes (S. 127), die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes der Deliktskataloge (S. 130)[7], die potentielle Verletzung von Art. 16 GG (S. 131), die Gefahr eines race to the bottom differenziert nach Sanktionsniveau, tatbestandlichen Voraussetzungen der Strafe und Rechtsschutzniveau (S. 134), Geltung der punitivsten Rechtsordnung (S. 135), Absinken der Grundrechtstandards (S. 138), forum shopping (S. 139), Probleme durch gegenseitige Anerkennung richterlicher Entscheidungen im Ermittlungsverfahren, (S. 144), Störung der innerprozessualen Balance durch gegenseitige Anerkennung (S. 146), Transfer von Beweismitteln nach bisherigem Recht (S. 147). Auf dieser Grundlage gelangt Juppe dann zu seiner Schlussfolgerung. Die Forderung nach grundlegender Modifizierung des Rechtshilferechts anstelle undifferenzierter allumfassender gegenseitiger Anerkennung ist die conclusio seiner Arbeit. Eine allumfassende Einführung des Grundsatzes gegenseitiger Anerkennung sei nicht nur mit den aufgezeigten Risiken behaftet, sondern auch in einer Vielzahl der Fälle gar nicht erforderlich. Die richterliche Entscheidung sei kein Produkt, das überhaupt EU-weit verkehrsfähig sein muss, sondern eben nur erlangbar, durchsetzbar bzw. verwertbar in den spezifischen Verfahrenssituationen, in denen sie benötigt wird, S. 146. Juppe folgert daraus überzeugend, dass der Vergleich mit dem Binnenmarktmodell daher nicht angebracht ist. Bei der Reformierung der Rechtshilfe müsse dann auch besonderes Augenmerk auf die Vermeidung von Jurisdiktionskonflikten gelegt werden. Verzichtet werden könne allerdings auf die beiderseitige Strafbarkeit. Diese Änderung erscheine auch leichter umsetzbar, weil sie die nationale Souveränität nicht antaste und auch nicht in dessen Strafrechtsordnung eingreife, S. 166. Auch gegenseitiges Vertrauen in andere Rechtsordnungen rechtfertige einen Verzicht auf beiderseitige Strafbarkeit.[8]

Die Behandlung der Einzelprobleme und der konkrete Zuschnitt seines Lösungsvorschlags geben nochmals Anlass zu ausführlicherer Auseinandersetzung mit der Argumentation des Autors. Allerdings sind die aufgegriffenen Fragen so vielschichtig, dass im Rahmen einer Rezension eine Konzentration auf drei zentrale Aspekte erfolgen muss, die gleichwohl von der größten Bedeutung für die Fortentwicklung der strafrechtlichen Zusammenarbeit sind. Dies sind die Einzelprobleme des race to the bottom, des forum shopping und der Hybridisierung von inkompatiblen Verfahrensordnungen.

Bei der Beschreibung des race to the bottom wird das Absinken des Rechtschutzniveaus nur gestreift. Gerade an diesem Punkt wäre jedoch eine vertiefte Auseinandersetzung mit den spezifischen Schutzmechanismen in den neuen Instrumenten wie dem Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl oder dem Vorschlag zu einem Rahmenbeschluss zur Europäischen Beweisanordnung geboten gewesen. In ihrer Inkorporierung liegen ein neuer Trend und eine deutliche Fortentwicklung der Rechthilfe. Den vermeintlichen Verlusten an Schutzniveau, die durch Einführung der gegenseitigen Anerkennung verursacht werden, ist womöglich durch zielgerich-

tete Einfügung maßgeschneiderter Schutzmaßnahmen vorgebeugt worden. Insofern wäre aber auch konkret zu fragen gewesen, ob die scheinbar gut abgestimmten Mechanismen wirklich den besonderen Risiken der jeweiligen Kooperationsform Rechnung tragen oder nicht bloß ein besonders wirksames Placebo sind. An dieser Stelle der Studie fällt ein generelles Darstellungsproblem auf. Der gesamte Abschnitt zu den Problemen leidet darunter, dass in den Unterpunkten nicht nach den zuvor dargestellten Instrumenten untergliedert wird. Insbesondere das Problem der Verkürzung des Rechtsschutzes ist aber sehr spezifisch und kann nicht zugleich für alle Instrumente behandelt werden.

Das Risiko, dass eine Partei sich die günstigste Verfahrensordnung für die Verfolgung einer Maßnahme oder des Verfahrens taktisch gezielt wählt (forum shopping), wird differenziert nach nationaler Strafverfolgung und Strafverfolgung durch europäische Institutionen ausführlicher geprüft (S. 139). Das dazu gewählte nationale Beispiel vermag jedoch nur wenig zu überzeugen. Als Exempel dient der Antrag eines deutschen Staatsanwalts auf Anordnung einer Telefonüberwachung in Italien, die in Holland vollstreckt wird. Es ist bereits fraglich, ob diese Konstruktion überhaupt bei irgendeinem künftigen Instrument zulässig würde. Gegenwärtige Instrumente sehen eine solche Möglichkeit jedenfalls nicht vor. Genauso verhält es sich mit der Übertragung des Beispiels auf die europäische Ebene im Rahmen einer hypothetischen Ermittlung durch einen Europäischen Staatsanwalt. Zunächst wird dazu kritisch angemerkt, dass im einschlägigen Grünbuch keine Kriterien festgelegt sind, in welchem Land eine Maßnahme anzuordnen ist. Es bestünde daher die Möglichkeit der Wahl des Landes mit den niedrigsten Standards, S. 141. Auch hier geht Juppe davon aus, dass der europäische Staatsanwalt die Anordnung einer Zwangsmaßnahme, die er zunächst in einem für ihn passenden Mitgliedstaat erwirkt hat, sodann nach Opportunität in jedem (!) anderen Mitgliedstaat vollstrecken könnte, was zur Vollstreckung einer Anordnung führen könnte, die im Vollstreckungsstaat nicht angeordnet worden wäre. Dies erscheint wie schon zuvor angedeutet sehr fraglich, obgleich zuzugeben ist, dass die Ausführungen im einschlägigen Grünbuch in diesem Punkt nicht sehr genau sind. Die gegenseitige Anerkennung dient jedoch nicht der Multiplikation von Vollstreckungstiteln. Es können nicht EU-weit Maßnahmeanordnungen erwirkt werden, um diese je nach Bedarf in diversen Ländern vollstrecken zu lassen. Die bisherigen Instrumente gehen von einem zweistufigen Anordnung-Vollstreckung-Mechanismus in einem 2-Staaten-Verhältnis aus. Will die Europäische Staatsanwaltschaft (oder eine nationale Staatsanwaltschaft) eine Maßnahme im Ausland durchführen lassen, wendet sie sich – je nach gewählter Konzeption – mit einem Antrag oder per Anordnung (warrant) an den Staat, in dem die gewünschte Maßnahme durchgeführt werden soll. Die Anerkennung dieser justiziellen Entscheidung macht die gegenseitige Anerkennung aus. Soweit für die Durchführung nach nationalem Recht eine weitere Anordnung im ersuchten Nationalstaat vonnöten ist – z. B. durch einen juge des libertés, so verwandelt diese Notwendigkeit den Verfahrensablauf nicht in einen dreistufigen Mechanismus der Anordnung des Erlasses einer Anordnung, der Anordnung der Maßnahme, die dann wiederum durch den Staat, der ursprünglich die Anordnung durch seinen Antrag erwirkte, in allen anderen Mitgliedstaaten vollstreckt werden könnte, und der Vollstreckung selbst. Vielmehr fiele eine notwendige innerstaatliche Anordnung im ersuchten Staat rechtshilferechtlich in die Phase der Vollstreckung, die dann eben aus zwei Elementen, namentlich Anordnung und Vollstreckungsakt, bestünde, die nicht trennbar sind.[9]

Ferner wendet sich Juppe ausführlich dem Phänomen der Hybridisierung von Verfahrensordnungen zu, das durch eine kumulierende Kombination verschiedener nationaler Eingriffsmöglichkeiten, die der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ermöglicht, hervorgerufen wird. Hier drohe eine Störung der innerprozessualen Balance. Die Anerkennung im Ausland erlangter Beweismittel bewirkte eine grundlegende Änderung des Rechtshilferechts. Die drohende Gefahr auf die in der deutschen Diskussion vor allem Gleß aufmerksam gemacht hat,[10] wird damit zutreffend erkannt. Gleichwohl wird zunächst nicht konkret erörtert, was denn nun die praktischen Konsequenzen dieser Hybridisierung und ihre konkrete Auswirkungen auf die bedrohten Menschenrechte und allgemeinen Rechtsprinzipien sind. M.E. kann Hybridisierung je nach Kooperationsinstrument verschiedene Formen annehmen und Gefahren zeitigen. Man wird hier wohl wegen der unterschiedlichen Funktionsweise zwischen Europäischer Beweisanordnung und Europäischem Staatsanwalt (aber auch joint investigation teams) differenzieren müssen. Stattdessen wird an diesem Punkt der Untersuchung geprüft, ob eine Störung der innerprozessualen Balance von Rechten des Beschuldigten und öffentlichem Interesse an effektiver Strafverfolgung aus übergeordneten Interessen gerechtfertigt sei, S. 147.

Später, nämlich beim Transfer von Beweismitteln nach bisherigem Recht und den Vorschlägen des Corpus Iuris, wird es dann aber konkreter. Juppe erläutert überzeugend, dass eine Marktfähigkeit bei Beweiserhebungen nicht bestehe, da die nationalen Regelungen oft nicht nur inkompatibel sind, sondern der Beweis selbst das Produkt einer spezifischen nationalen Verfahrenssituation ist, das keine Bedeutung hat, die von dieser unabhängig wäre. Es gäbe in diesem Sinne kein transferierbares Endprodukt, dass "in den freien Markt entlassen werden könnte", S. 152. Die Situation sei insofern anders als bei finalen Entscheidungen wie z. B. Urteilen. Der Autor anerkennt aber zugleich, den Effektivitätsverlust, den die fehlende automatische Anerkennung von im Ausland rechtmäßig gewonnenen Beweismitteln mit sich bringt, S. 154. Er diskutiert daher diverse Lösungsmöglichkeiten, um diesem Interesse Rechnung tragen zu können; dies sind Beweiszulassungsverfahren, Europäische Beweismittel und Modifikation der bisherigen Rechtshilfe, S. 155. Juppe erkennt die Probleme des Beweiszulas-

sungsverfahrens, dem die verbindlichen Standards (aus der EMRK) für ein einheitliches transnationales Prüfungsverfahren fehlen, S. 155. Zumindest die unbedingt notwendigen Voraussetzungen der Tatsachenfeststellung ließen sich der EMRK aber entnehmen, S. 155 (unter Verweis auf Radtke GA 2004, 1, 21). Eine weitere Lösung wären spezielle Europäische Beweismittel wie z. B. ein Europäisches Vernehmungsprotokoll, S. 155. Eine Übertragung dieses Modells, das in Corpus Iuris und Grünbuch zur Europäischen Staatsanwaltschaft angedacht ist, lässt sich auf den "System des Europäischen Beweismittels" gleichwohl nur unzureichend übertragen, S. 155. Vor diesem Hintergrund sieht Juppe eine Modifikation der Rechtshilfe als sinnvollsten Ansatz an, S. 157.

Die Option eines Beweiszulassungsverfahrens könnte allerdings mit der Ratifizierung des Vertrags von Lissabon an Momentum gewinnen. Die Charta der Grundrechte wird nunmehr verbindlich. Ihre Inhalte sind zwar noch in weiten Teilen nach dem Fallrecht des EGMR modelliert, doch wird der Schutzstandard auf lange Sicht deutlich höher liegen als derjenige der EMRK, da es in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nicht mehr allein um die Durchsetzung von Mindeststandards gehen kann, sondern die Ausbildung der maßgeblichen und umfassenden grundrechtlichen Standards für das Zusammenleben in der EU in den Vordergrund rücken. Da auch die Jurisdiktionsgewalt des EuGH stark ausgedehnt wird, dürfte der Gerichtshof bald transnationale Verfahrensrechte weit über die Standards der EMRK hinausgehend herleiten können. Dass der EuGH zur Entwicklung solcher transnationalen Rechte effektiv in der Lage ist, zeigt die Rechtsprechung zu Art. 54 SDÜ eindrucksvoll. Schüfe man einen adäquaten verfahrensrechtlichen Rahmen, z. B. durch Einrichtung einer pre-trial chamber mit strafrechtlicher Kompetenz am EuGH, könnte das Beweiszulassungsverfahren ein Erfolg versprechendes Modell sein.

Zurückkehrend zu den Ausführungen Juppes ist in der Gesamtschau zusätzlich anzumerken, dass die Ausführungen oft nicht hinreichend klar an realen Problemen der Zusammenarbeit ausgerichtet sind. Es fehlen plastische Verfahrensszenarien, um die Wirkung für Individualrechte zu verdeutlichen. Zudem fügen sich die Einzelprobleme und ihre Erörterung trotz der Fülle der aufgeworfenen Kritikpunkte und der vielen richtigen Hinweise auf offene Legitimationsflanken des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung nicht in einen größeren Rahmen ein. Insgesamt fehlt es an einer übergreifenden Konkretisierung, was das besonders Legitimierungsbedürftige des Grundsatzes gegenseitiger Anerkennung ausmacht und mit welchen Mitteln darauf zu reagieren ist. Die aufgedeckten Ansatzpunkte werden aufgegriffen, aber nicht verknüpft, so dass sie letztlich lose nebeneinander stehen. Dies sei an einem Beispiel illustriert. Auf S. 108 ff. stößt man auf Ausführungen zu Vorhaben zur Stärkung des Vertrauens als Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung, insbesondere der Rahmenbeschluss zu den Verfahrensrechten des Beschuldigten, die Grünbücher zur Unschuldsvermutung und Abwesenheitsurteilen.[11] Es erfolgt aber keine Diskussion, ob dieses Vorhaben gelingt oder – gemessen an den später diskutierten Problemen – überhaupt ein tauglicher Ansatz ist. An dieser Stelle wirkt sich mittelbar ebenfalls aus, dass die historische Aufarbeitung nicht den normativen Grund und Grenzen gegenseitiger Anerkennung strafrechtlicher Entscheidung zu tage gefördert hat und auch die Implikationen des EU-Grundsatzes zuvor nicht vertieft wurden.

Den besonderen Reiz der Arbeit macht demgegenüber neben ihrer herausragenden Aktualität das Aufgreifen eines der dynamischsten Bereiche europäischer Integration aus. Wie rasant die Entwicklung fortschreitet kann man schon daran ablesen, dass in der Zwischenzeit der Lissabonner Vertrag geschlossen wurde, der den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung erstmals ausdrücklich primärrechtlich verankert und Rechtsetzungskompetenzen zur Förderung seiner Funktionalität einführt, der Rahmenbeschluss über Verfahrensrechte gescheitert und der Rahmenbeschluss zum Datenschutz kurz nach Vereinbarung einer allgemeinen Ausrichtung unmittelbar vor seiner Annahme steht. Der große Nutzen der Arbeit liegt diesbezüglich darin, sich nicht ausschließlich auf eine bestimmte Ausgestaltung des Prinzips gegenseitiger Anerkennung zu konzentrieren. Bislang hatten in diesem Bereich insbesondere Arbeiten zum Europäischen Haftbefehl dominiert.[12] Die Einbeziehung des gesamten vielgestaltigen Maßnahmekatalogs ist wegen des erhöhten Informationseffekts und der besseren Erfassbarkeit der Vielschichtigkeit des Grundsatzes gegenseitiger Anerkennung verdienstvoll.

Ein weiterer Vorzug ist die leserfreundliche Strukturierung der Darstellung. Sie gliedert sich durchlaufend nach Initiierung, Gegenstand, Verfahren sowie Versagungsgründen und ermöglicht so den schnellen zielgerichteten Zugriff auf die einzelnen Inhalte der Instrumente. Die gestraffte Auflistung der klassischen Instrumente der Rechtshilfe und der Neuausprägungen der gegenseitigen Anerkennung im Recht der EU verschafft dem Leser einen Blick auf das Panorama der Rechtshilfe in Europa. Die angesichts der Stofffülle notwendigen Vertiefungen entsprechen weitestgehend dem Schwerpunkt der Diskussion. Die Wurzeln des Grundsatzes im EU-Recht werden ebenso erörtert wie die derzeit brisantesten Instrumente des Europäischen Haftbefehls und der Europäischen Beweisanordnung. Besonders hervorzuheben ist auch die Betonung des Problems der Jurisdiktionskonflikte. Die Lösung dieses Problems beansprucht äußerste Priorität. Es ist ein Verdienst der Arbeit von Juppe sowohl die schwerwiegenden Konsequenzen des Fehlens einer Regelung als auch den eminenten Nutzen einer solchen Regelung herausgearbeitet zu haben. Auch die Schlussfolgerung, die einer Modifizierung der Rechtshilfe den Vorrang gegenüber umfassender gegenseitiger Aner-

kennung einräumen will, ist nach den Erkenntnissen der Untersuchung plausibel begründet und wird seitens der Wissenschaft zunehmend auch rechtspolitisch begrüßt.

Abschließend muss jedoch nochmals eine Hinwendung zu einigen Facetten der Arbeit erfolgen, die aus Sicht des Rezensenten Anlass zur kritischen Auseinandersetzung geben. Über die bereits oben erhobenen Einwände hinaus bleibt insgesamt anzufügen, dass die Bedeutung der gegenseitigen Anerkennung als Rechtsbegriff nicht geklärt wird. Obgleich Juppe einen viel versprechenden Wege selbst andeutet, indem er den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung in einen Gesamtzusammenhang mit der Rechtshilfe allgemein stellt, wird das m. E. große Potential dieses Ansatzes nicht entscheidend entfaltet.

Selbst wenn man die Einführung des EU-Prinzips gegenseitiger Anerkennung als bewusste Zäsur verstehen wollte, bliebe doch die Frage, welchen rechtlichen Kern dieses "Prinzip" als Rechtsbegriff haben kann und soll. Hier wären dann die bestehenden rechtlichen Bindungen EU-weiter Kooperation aus Menschenrechten, allgemeinen Rechtsgrundsätzen und rein nationalem Recht ebenso einzubeziehen, wie die spezifischen Anforderungen, die sich in den einzelnen Kooperationsszenarien ergeben.[13] Auch die Frage nach dem potentiell funktionalen Zusammenhang gegenseitiger Anerkennung mit der Harmonisierung von Straf- und Strafprozessrecht müsste in diesem Kontext vertiefend aufgeworfen werden. Lediglich als "Einschub" taucht die Harmonisierung von Straf- und Strafprozessrecht auf. Der Zusammenhang mit dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung wird zwar gesehen, vgl. S. 29, 34, aber nicht scharf genug herausgearbeitet, wie die Harmonisierung dem Prinzip Starthilfe geben kann bzw. ob gegenseitige Anerkennung Harmonisierung kategorial ersetzt bzw. überflüssig macht.[14] Dem Manko der Behandlung dieses Zusammenspiels durch die Rechtspolitik hinsichtlich des Ob und Wieweit einer funktionalen, d.h. zur Unterstützung der gegenseitigen Anerkennung dienenden, Harmonisierung wird nicht abgeholfen. Dabei geht es vor allem darum, welche empirische Basis der Grundsatz gegenseitiger Anerkennung braucht, um funktionsfähig zu sein. Blindes Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit der anderen Mitgliedstaaten ist keine Grundlage für ein reibungsloses Funktionieren. Dies belegen auch erste praktische Erfahrungen mit gemeinsamen Ermittlungsgruppen besonders anschaulich.[15]

Überdies wird auch die Alltagspraxis des Grundsatzes von vornherein nicht in größerem Umfang behandelt. Gerade Implementationsstudien, z. B. der EG-Kommission, finden keine Berücksichtigung. Insbesondere beim Europäischen Haftbefehl wäre es jedoch für den Leser interessant gewesen zu erfahren, ob die hohen Erwartungen befriedigt wurden und der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung tatsächlich zum Allheilmittel der Kooperation in der dritten Säule taugt.

Nachdenklich stimmt schließlich der Blick in das Literaturverzeichnis. Dort finden sich lediglich drei englischsprachige Einträge, in zwei Fällen noch dazu von deutschen Autoren. Eine Auswertung der fachlich einschlägigen Literatur ausländischer Rechtswissenschaftler fehlt. Dieser Befund wirft ein Schlaglicht auf den Umgang mit ausländischen Quellen im Bereich des Europäischen Strafrechts. Man kommt nicht umhin die Frage aufzuwerfen, ob man sich diese Abstinenz auf Dauer leisten kann. Gerade im Hinblick auf die Thematik der hier rezensierten Arbeit haben z. B. die wesentlichen Beiträge[16] von de Kerchove/Weyembergh, Vervaele, Walker, Peers oder van den Wyngaert wegen der Verengung des Blicks auf die deutsche Diskussion keine Berücksichtigung gefunden. Die Diskussion um die Europäisierung des Strafrechts muss jedoch europäisch geführt werden. Die Berücksichtigung der oft vorzüglichen ausländischen Fachliteratur ist dabei eine Selbstverständlichkeit.

Es besteht nach alledem ein erheblicher Forschungsbedarf fort, der unter wechselseitig befruchtender Auseinandersetzung mit dem ausländischen Schrifttum in Angriff genommen werden sollte. Angesichts der aufgezeigten Herausforderungen wäre es allerdings wohl auch zuviel verlangt gewesen, von einer Dissertation zu einem rechtlich und politisch derart komplexen Thema, eine kohärente normative Aufarbeitung des Begriffs der gegenseitigen Anerkennung erwarten. Dies gilt umso mehr, wenn man den erratischen Ansatz der Kommission in Rechnung stellt, der ihrerseits nicht recht klar zu sein scheint, mit welchen Mitteln den spezifischen Schwierigkeiten und Legitimationsdefiziten der gegenwärtigen und künftigen Innovationen der Rechtshilfe in der EU abgeholfen werden kann.[17] Wer sich aber einen konzentrierten Überblick über Herkunft, instrumentelle Ausprägungen und Legitimationsprobleme des Grundsatzes gegenseitiger Anerkennung verschaffen will, der wird in der Dissertation Juppes fündig.

Wiss. Ass. Dr. Frank Meyer LL.M. (Yale), Universität Hamburg


[1] Unterstützung soll es dabei künftig vor allem durch den Grundsatz der Verfügbarkeit erfahren, dazu Böse, Der Grundsatz der Verfügbarkeit von Informationen in der strafrechtlichen Zusammenarbeit der Europäischen Union, 2007; Meyer, NStZ 2008, 188 ff.

[2] Dazu grundlegend Lagodny, Die Rechtsstellung des Auszuliefernden in der Bundesrepublik Deutschland, 1987.

[3] Vgl. allg. Vanderbeken/Vermeulen/Lagodny, NStZ 2002, 624, Biehler/Kniebühler/Lelieur-Fischer/Stein, Freiburg Proposal on Concurrent Jurisdictions and the Prohibition of Multiple Prosecutions in the European Union, 2003; Lagodny, Empfiehlt es sich, eine europäische Gerichtskompetenz für Strafgewaltskonflikte vorzusehen? Gutachten im Auftrag des Bundesministerium der Justiz, 2001; Lelieur-Fischer, La règle ne bis in idem. Du principe de l’autorité de la chose jugée au principe d’unicité d’action répressive. Etude à la lumière des droits français, allemand et européen, Thesis Paris I, 2005.

[4] Eine klare Kompetenzzuordnung könnte z. B. das Risiko der Durchsetzung der punitivsten Rechtsordnung reduzieren, S. 139. Eine zwingende Zuständigkeitsregelung mit Kriterien, die an Lokalisierbarkeit der Personen oder Sachen anknüpfen wird auch als tauglicher Lösungsvorschlag im Umgang mit forum shopping gesehen, S. 143.

[5] So wird z. B. hinsichtlich der beiderseitigen Strafbarkeit beim Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl die konkrete Regelung bzw. ihre Systematik nicht hinreichend klar dargestellt, vgl. S. 53. Es wird nur pauschal die Abschaffung dieses traditionellen Rechtshilfehindernisses konstatiert. Tatsächlich wird der Grundsatz im Rahmenbeschluss aber als Grundregel in Artikel 2 Abs. 1 weiterhin aufrechterhalten. Allerdings derogiert Abs. 2 den Grundsatz weitestgehend, wenn für einen Katalog von 32 Delikten auf die Nachprüfung beiderseitiger Strafbarkeit verzichtet wird. Wie weit dieser Verzicht reicht, kann aber sogar für die einzelnen Deliktsgruppen des Katalogs stark variieren; vgl. nur Keijzer, Handbuch European Evidence Warrant, S. 137, 160.

[6] Vgl. nur Schädel, Die Bewilligung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen in der Europäischen Union, 2005, S. 144 ff.; Popp, Grundzüge der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, S. 136 ff.

[7] Der EuGH vermochte jüngst in der Wereld-Entscheidung, C-303/05, Urteil vom 3. Mai 2007 - Advocaten voor de Wereld, jedoch keine Defizite zu erkennen. Vielmehr lasse sich Bestimmtheit durch Rekurs auf die tatbestandlichen Ausgestaltungen der einzelnen Delikte in den nationalen Rechtsordnungen gewährleisten; dazu kritisch Fennelly, ERA Forum 8 (2007), 519, 521

[8] Auf der Basis der Auffassung Juppes zur normativen Grundlage des Grundsatzes beiderseitiger Strafbarkeit ist dieser Vorschlag schlüssig, da er den klassischen Rechtshilfegrundsatz der Gegenseitigkeit als dessen Rechtfertigung ansieht. Es ist allerdings zu bedenken, dass dies nicht der herrschenden Auffassung entspricht, die gerade auf den Schutz von Legalitätsinteressen sowie grundsätzlicher kriminalpolitischer Entscheidungen des Nationalstaates abhebt. Für sie birgt die Aufgabe des Grundsatze die erhebliche Gefahr dessen, was Juppe ausschließt: einen massiven Eingriff in die Souveränität des betroffenen Mitgliedstaats.

[9] Konkret heißt das, dass ein Staatsanwalt, der eine Ermittlungsmaßnahme in Italien durchführen lassen will, sich an die zuständigen italienischen Instanzen wendet. Will er eine Maßnahme in Holland durchführen lassen, muss er sich entsprechend dem Zwei-Staaten-Verhältnis der Rechtshilfe in einem eigenständigen Verfahren an die dortigen Autoritäten wenden. Ein Abrücken von diesen Kautelen ist meines Wissens nicht intendiert.

[10] Gless, ZStW 115 (2003), S. 131 ff.; dies., ZStW 116 (2004), S. 353 ff.

[11] Der wichtige Rahmenbeschluss zum Schutz personenbezogener Daten fehlt an dieser Stelle; dazu eucrim 3-4/2007, S. 101.

[12] Vgl. Rohlff, Der Europäische Haftbefehl, 2003; Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, 2007; Guild (Hrsg.), Constitutional challenges to the European Arrest Warrant, 2006; Lagodny/Wiederin/Winkler (Hrsg.), Probleme des Rahmenbeschlusses am Beispiel des Europäischen Haftbefehls, 2007.

[13] Auch ein vertiefender Vergleich mit der – erstaunlicherweise deutlich restriktiveren – Nutzung der Figur bei zivilrechtlichen Entscheidungen im Bereich der Kooperation in Zivilsachen wäre dann interessant gewesen, vgl. nur EuGH, C-7/98 – Krombach/Bamberski, Slg. 2000, I -1395.

[14] Die Untersuchung gelangt hier nicht über die bekannten Positionen hinaus. Zudem wird nicht differenziert nach Strafrecht und Strafprozessrecht. In punkto Harmonisierung liegen Welten zwischen diesen Feldern.

[15] Rijken , Utrecht Law Review 2 (2006), S. 99, 116 ff.

[16] Vgl. nur De Kerchove/Weyembergh (Hrsg.), La reconnaissance mutuelle des decisions judiciaires, 2001; Vervaele (Hrsg.), European Evidence Warrant, 2005; Walker (Hrsg.), Europe’s area of freedom, security and justice, 2006; Van den Wyngaert, in: Walker (Hrsg.), S. 201 ff.; Peers, 41 Common Market Law Review (2004), S. 5 ff.

[17] Lööf, 12 European Law Journal (2006), pp. 421, 426.

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Ulrich Kamann: Handbuch für die Strafvollstreckung und den Strafvollzug, 2., akt. und erw. Aufl., ZAP-Verlag, Münster 2008, ISBN 978-3-89655-309-6, 928 S., 78,00 EUR.

Die 2. aktualisierte und erweitere Auflage des Handbuchs für Strafvollstreckung und den Strafvollzug von

Ulrich Kamann verfolgt vor allem das Ziel, Anwälten, Betreuungspersonen und Betroffenen sowie deren Angehörigen praktische Hilfe im Umgang mit vollstreckungs- und vollzugsrechtlichen Fragen anzubieten und Wege zur Problemlösung aufzuzeigen. Gerade vor dem Hintergrund der anstehenden Neuregelungen auf Länderebene in Bezug auf den Strafvollzug ist die zum jetzigen Zeitpunkt erschienene Neuauflage hilfreich, um den entstandenen erhöhten Informationsbedarf für Verteidiger, Betroffene, Angehörige und Betreuer zu befriedigen. Die 2. Auflage orientiert sich vor allem am Strafvollzugsgesetz, auf das die künftigen Ländergesetze im Wesentlichen zurückgreifen werden und das bis auf Weiteres in den meisten Bundesländern in Kraft ist, sowie an den Strafvollzugsgesetzen für Bayern, Hamburg und Niedersachsen. Neu eingearbeitet ist der Rechtsschutz für den Jugendstrafvollzug sowie die neuen Gesetze zur Führungsaufsicht, zu den freiheitsentziehenden Maßregeln und zum internationalen Haftbefehl.

Grundsätzlich ist das Werk in zwei Teile untergliedert: Der erste Teil beschäftigt sich mit der Strafvollstreckung, der zweite Teil mit dem Strafvollzug. Innerhalb dieser Abschnitte hat sich der Autor zur besseren Auffindbarkeit für eine alphabetische Gliederung entschieden, die es dem Nutzer ermöglicht, sich schnell und zielführend zu orientieren.

Zu Beginn der Erläuterungen der einzelnen Begriffe finden sich vertiefende sowie aktuelle Literaturhinweise. Sodann stellt der Autor die wesentlichen Grundaussagen zu dem jeweiligen Themengebiet unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung dar. Besonders hilfreich sind die zahlreichen Verweise auf verwandte Themen und Fallgestaltungen, die es dem Leser ermöglichen, einen umfassenden Einblick in das jeweilige vollstreckungs- bzw. vollzugsrechtliche Problem zu erhalten. Für den Praktiker – insbesondere für den im Strafvollstreckungs- und Strafvollzugsrecht tätigen Verteidiger - unentbehrlich sind die umfangreichen Praxishinweise und Antragsmuster. Die übersichtliche Darstellung der wesentlichen Grundlagen zu den einzelnen Stichworten und prägnante Fallbeispiele erleichtern die Lesbarkeit und schnelle Erfassung ungemein.

Gerade aufgrund der derzeitigen Situation nach der Föderalismusreform im Strafvollzug bietet der Ausblick des Autors, welche Änderungen durch die Landesgesetzgeber zu erwarten sind, die notwendige Übersicht für den Leser. Auch die Darstellung des aktuellen Stands der Gesetzgebung in den einzelnen Ländern nach der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Neuregelung des Jugendstrafvollzugs bietet die intendierte schnelle Arbeitshilfe.

Das Buch bietet einen schnellen und kompakten, aber auch umfassenden Zugang zu allen Problemen des Strafvollzugs- und Strafvollstreckungsrechts. Hierbei berücksichtigt Kamann die bereits erfolgten und noch zu erwartenden gesetzlichen Neuerungen durch die Jugendstrafvollstreckungsgesetze der Länder und schärft so den Blick des Nutzers für diese Problemstellung. Das hervorragende Werk ist jedem zu empfehlen, der im Bereich der Strafvollstreckung und des Strafvollzugs tätig ist; zum einen ermöglicht es den schnellen Zugriff auf die benötigte Themenstellung, enthält in gut dargestellter Form die wesentlichen Aspekte unter Zugrundelegung der Rechtsprechung und zum anderen schafft es durch die vertiefenden Literaturhinweise für den interessierten Leser entsprechende weitere Recherchemöglichkeiten.

RA Dr. Michaela Möhlenbeck, Radebeul

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Stefan Rolletschke:, Steuerstrafrecht, Academica Iuris - Lehrbücher der Rechtswissenschaft, Schwerpunktstudium, 2. Aufl., Carl Heymanns Verlag, Köln 2008, ISBN 978-3-452-26723-8, 256 S., 25,00 EUR.

1. Es ist rund 13 Jahre her, als in der FAZ zu lesen stand, dass 43% der Bundesbürger der Aussage beipflichteten: "Wer bei der Steuer nicht mogelt, der verdient nur Mitleid" (FAZ vom 14. Januar 1995). Ganz überraschend konnte Kennern der Materie dieses Ergebnis nicht sein, denn schon 1981 hatte der renommierte Steuerrechtler Tipke darauf aufmerksam gemacht, dass die Hinterziehung von Steuern "den Versuch darstellen (könne), die Belastungsgleichheit herzustellen, die zu schaffen der Gesetzgeber und Steuerbehörden versäumen" (Tipke, Steuergerechtigkeit in Theorie und Praxis, S. 121). Man darf vermuten, dass sich die Situation bis heute nicht geändert hat, denn die wirtschaftlichen Belastungen, denen die Bevölkerung ausgesetzt ist, haben zugenommen. Bei der verbreiteten Hinterziehung von Einkommensteuern aus Kapitaleinkünften spielt neben dem Zweifel an der gerechten Verteilung der Steuerlast offenbar zudem der Gedanke eine Rolle, dass der Staat an den Zinsen aus bereits versteuertem Geld nicht "erneut" partizipieren dürfe – eine Haltung, die sich durch alle Bevölkerungsschichten zieht: die sog. Bankenverfahren (BGHSt 46, 107 mit Bspr.-Aufsätzen Behr BB 2000, 2240; Rolletschke DStZ 2000, 787; Salditt PStR 2000, 197; Samson wistra 2001, 1) oder der jüngst aufgedeckte "Fall Liechtenstein" haben dies eindrucksvoll gezeigt. Demnach wird von weiten Teilen der Bevölkerung Steuerhinterziehung als eine Art Notwehr gegen die als ungerecht empfundenen finanziellen Zugriffe des Staates verstanden, und zwar auch von denen, die genug haben. Die Auswirkungen solcher Geisteshaltung sind fatal: Wenn auch die Schäden, die durch Steuerhinterziehung jährlich entstehen, nicht genau bekannt sind, so geht die Bundesregierung doch nach wie vor von einer sehr hohen Dunkelziffer aus (BT/Drucks. 16/8661 vom 27. März 2008); seriöse Schätzungen sprechen von 30 bis 80 Mrd. Euro (Kummer, in: Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts[3. Aufl. 2007], Kapitel 18, Rn. 1). Träfe das zu, so bedürfte es keiner staatlichen Kreditaufnahme, wenn jedermann seinen steuerlichen Pflichten genügte; mehr noch: Die bedrohliche Staatsverschuldung könnte effektiv zurückgeführt und/oder die Steuern gesenkt werden! So kann es nicht verwundern, dass der Gesetzgeber in den letzten Jahren eine Vielzahl von neuen Regelungen im Sinne einer verstärkten Steueraufsicht erlassen hat, etwa die Umsatzsteuer-Nachschau in § 27b UStG, die Mitteilungsbefugnisse der §§ 31a, 31b und 31c AO oder durch § 100a Abs. 2 Nr. 2 StPO n. F. die Gestattung der Telekommunikationsüberwachung bei Verdacht der Begehung gewisser Steuer-

straftaten (vgl. dazu etwa Nöding StraFo 2007, 456; Klaws StRR 2008, 7). Der Begriff "Nebenstrafrecht", mit dem (auch) das Steuerstrafrecht oft gekennzeichnet wird, wird jedenfalls heute seiner kriminologischen, soziologischen und kriminalpolitischen Bedeutung nicht ansatzweise gerecht. Es liegt nahe, dass der Bedarf nach qualifizierten "Steuerstrafrechtlern" zunehmen wird. Wer sich allerdings beruflich fundiert mit dem Steuerstrafrecht befassen will, der, so hob Rolletschke schon im Vorwort der Erstauflage seines Lehrbuches treffend hervor, muss sowohl über steuerrechtliche als auch über strafrechtliche Kenntnisse verfügen. Dies zwingt allerdings nicht nur dazu, dass der "Steuerrechtler" Strafrecht und der "Strafrechtler" Steuerrecht lernen muss, sondern setzt auch die Kenntnis der zahlreichen Besonderheiten der Rechtsmaterie "Steuerstrafrecht" voraus. Sie zu vermitteln ist Ziel des Buches, das vier Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage nun eine Neuauflage erfahren hat. Es sind zahlreiche Änderungen, die mit ihr einher gehen. Während sich die frühere, noch bei Kohlhammer erschienene Auflage vor allem an Steuerberater ohne strafrechtliche Grundkenntnisse richtete und auch noch "Die Steuerhinterziehung" hieß, wird nunmehr in erster Linie ein anderer Adressatenkreis angesprochen, nämlich Studenten des Schwerpunktstudiums. Das Buch gliedert sich übersichtlich in sechs Teile.

2. Es beginnt mit der Darstellung des materiellen Steuerstrafrechts. Rolletschke legt hier ein enges Begriffsverständnis zu Grunde, schichtet demnach die Zollstraftaten des Bannbruchs (§ 372 AO), des Schmuggels (§ 373 AO) und der Steuerhehlerei (§ 374 AO) ab, und beschränkt sich, einer verbreiteten Praxis der Ausbildungsliteratur entsprechend (vgl. jüngst Wulf JuS 2008, 206 ff. und 2008, 314 ff.; Gaede JA 2008, 88 ff), auf die Darstellung der Steuerhinterziehung nach § 370 AO (S. 1 bis 92). Rolletschke belässt es dabei keinesfalls bei einer nur abstrakt bleibenden Beschreibung der einzelnen Tatbestandsmerkmale. Vielmehr streut er, didaktisch klug, zahlreiche Fallbeispiele ein und verbindet so konzeptionell Elemente eines Kommentars mit denen eines Lehrbuches. Schrifttum und Judikatur befinden sich auf aktuellem Stand. Dabei informiert Rolletschke stets zuverlässig; erstmals wertet er auch die rein elektronische "Fachpresse" aus (etwa BGH, Beschl. vom 24. Mai 2007, 5 StR 72/07, HRRS 2007, 362 zur verdeckten Gewinnausschüttung auf S. 71). Der Rezensent hätte sich allerdings bei dem Thema der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen eine etwas breitere Darstellung der geläufigen Schätzungsmethoden gewünscht. Rolletschke belässt es hier nämlich bei bloßen Schlagworten (Vermögenszuwachsrechnung, Geldverkehrsrechnung, Nachkalkulation, innerer und äußerer Betriebsvergleich, Richtsätze[S. 26]). Zwar zählt die Schätzung zum Festsetzungsverfahren, und damit zum eigentlichen Steuerrecht. Sie ist aber im Steuerstrafverfahren von erheblicher Bedeutung, denn die Finanzverwaltung darf die Besteuerungsgrundlagen dann schätzen, soweit diese nicht zu ermitteln oder zu berechnen sind. Eine Schätzungsbefugnis besteht also insbesondere dann, wenn der Sachverhalt unklar ist, weil der Steuerpflichtige seine Mitwirkungspflichten verletzt hat. Es ist kein Geheimnis und wird von Verteidigern und Steuerberatern immer wieder beklagt, dass die Finanzverwaltung in solchen Fällen allzu oft "offensiv" schätzt und so das Zwangsmittelverbot des § 393 Abs. 1 S. 2 AO faktisch unterläuft. Rolletschke schlägt insoweit vor, dass die Finanzbehörde dem Eindruck, unzulässigen Zwang auf den Beschuldigten ausüben zu wollen, dadurch begegnen solle, dass sie die entsprechende Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO)oder vorläufig (§ 165 AO) vornimmt (S. 226). Im Hinblick auf den studentischen Leserkreis, bei dem man ein entsprechendes Vorwissen nicht unbedingt voraussetzen kann, wäre in der dritten Auflage beim Thema "Schätzung" zudem eine klare Hervorhebung wünschenswert, dass eine objektiv bestehende einfache Wahrscheinlichkeit für den Schuldspruch auch dann nicht genügt, wenn der Tatrichter von der Schuld des Angeklagten überzeugt sein sollte – ein immer wieder anzutreffendes Missverständnis seit BGHSt 10, 208, 210, wo davon die Rede ist, der Tatrichter könne nicht gehindert werden " mögliche " Folgerungen zu ziehen. Indes: Die Überzeugung des Tatrichters trägt zur intersubjektiven Annehmbarkeit seiner Argumentation nichts bei. Zu Recht verlangt der Bundesgerichtshof deshalb das Beweismaß der hohen Wahrscheinlichkeit (grundlegend: BGH NJW 1988, 3273; weiterhin 1992, 921, 923; 1999, 1562, 1564), wonach die aus dem Beweisstoff gezogenen Schlüsse in hohem Maße plausibel sein müssen (ausführlich: Herdegen, in: FS Hanack [1999], S. 311, 324 ff.). Kurz: Die Überzeugung des Tatrichters kann Lücken im Objektiven nicht ausfüllen, sondern ist nur weitere Bedingung für die von ihm ausgesprochene Verurteilung (unscharf Rolletschke, S. 27).

Im Anschluss an die allgemeinen Ausführungen zu § 370 AO erläutert Rolletschke hinterziehungsrelevante Besonderheiten bei der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer (S. 54), der Vermögens- (S. 54), Lohn- (S. 56), Körperschafts- (S. 69) und Grunderwerbsteuer (S. 74) sowie der besonders "betrugsanfälligen" Umsatzsteuer (S. 57). Schwerpunkte bilden hier das materiell wie prozessual strafrechtliche Verhältnis der Umsatzsteuervoranmeldung (§ 18 Abs. 1 UStG) zur Umsatzsteuerjahreserklärung (§ 18 Abs. 3 UStG), des Weiteren die Erörterung der Frage nach der "Hinterziehbarkeit" der in der Praxis immer noch sog. "§ 14 Abs. 3 – Steuer", die denjenigen, der für nicht erbrachte Leistungen Scheinrechnungen schreibt, zum Schuldner des ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrages erklärt (jetzt geregelt in § 14c Abs. 2 S. 1 UStG) und schließlich die Darstellung von Umsatzsteuerkarussellen. Das Kapitel schließt mit der Darstellung der Probleme um die besonders schwere Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 AO), in dessen Nr. 5 der Regelungsgehalt des verfassungsrechtlich umstrittenen und inzwischen abgeschafften § 370a AO teilweise eingegliedert wurde.

In der ersten Auflage war das Recht der Steuerordnungswidrigkeiten nur rudimentär behandelt worden Nunmehr enthält das Buch in seinem 2.Teil eine ausführliche Erörterung auch dieser Rechtsmaterie. Im Anschluss an die gelungene Darstellung des hier wichtigsten Tatbestands, die leichtfertige Steuerverkürzung gem. § 378 AO (S. 93), wendet sich Rolletschke der Steuergefährdung gem. § 379 AO (S. 110) und der Gefährdung von Abzugssteuern (S. 121) zu. Erfreulich ist auch hier, dass er nicht innerhalb der Abgabenordnung "stehen bleibt", sondern einmal mehr Sonderregelungen in seine Betrachtungen einbezieht, hier die ordnungswidrige

Schädigung des Umsatzsteueraufkommens gem. § 26b UStG und den Straftatbestand § 26c UStG (S. 126).

Die Erläuterungen zur Verjährung (3. Teil, S. 133) und zur Selbstanzeige (4. Teil, S. 159) lassen, wie auch schon zur Erstauflage treffend festgestellt wurde (Weyand wistra 2005, 254), keine Wünsche offen. Der 5. Teil befasst sich mit dem formellen Steuerstrafrecht, also dem spezifischen Steuerstrafverfahrensrecht (S. 193; Rolletschke spricht hier vom "formellen Steuerstrafverfahrensrecht", was als Pleonasmus erscheint). Mit Blick auf die vorrangige Zielgruppe, nämlich Studenten des Schwerpunktbereichs und Berufsanfänger, ist in diesem Kapitel aber zu bemängeln, dass Hinweise auf von der herrschenden Ansicht abweichende Auffassungen leider nur spärlich Eingang in die Erläuterungen gefunden haben. So wird die auch praktisch wichtige Frage nach dem Recht auf Einsicht in das Fallheft der Steuerfahndung nur sehr oberflächlich behandelt; Nachweise auf neuere Literatur (etwa Burkhard PStR 2002, 256; Viertelhausen wistra 2003, 409; Teubner PStR 2003, 246) fehlen (S. 213). Unrichtig ist ferner der Hinweis, dass nur derjenige einen Pflichtverteidiger bekommen könne, der nicht in der Lage sei, die Kosten für einen gewählten Verteidiger aufzubringen. Rolletschke übersieht, dass die Regelung in der im Steuerstrafverfahren grundsätzlich anwendbaren StPO an dieser Stelle über das hinausgehen, was Art 6 Abs.3 EMRK gewährleistet (S. 216). Bei § 141 Abs. 3 StPO fehlt ein Hinweis auf die enorm wichtige Entscheidung BGHSt 46, 93 (S. 217). Auch die Erläuterungen zur Mehrfachverteidigung (S. 217 f.) bleiben zu spärlich. Allein die Erwähnung eventueller Interessenkollisionen ist unzureichend. Der Leser erfährt nicht, dass das, was strafprozessual zulässig ist, Parteiverrat iSv § 356 StGB sein kann; solche Konstellationen kommen gerade in Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren gehäuft vor (grundlegend Dahs NStZ 1991, 561; vgl. auch Bayer wistra 2001, 401). Um nicht missverstanden zu werden: Die detaillierte Erörterung all dieser (und anderer) Aspekte gehört originär in ein Lehrbuch zum Strafverfahrensrecht. Eine vertiefte Behandlung der angesprochenen Fragen darf man daher in einem Spezial-Lehrbuch zum Steuerstrafrecht gewiss nicht verlangen; aber zumindest aus dem Fußnotenapparat sollte ersichtlich sein, dass und welche relevanten Streitfragen in Rechtsprechung und Literatur für das Strafverfahren als solches diskutiert werden.

Interessanterweise liefert Rolletschke solche Hinweise an anderer Stelle durchaus, nämlich bei der besonders gelungenen Darstellung des tatsächlich wie rechtlich schwierigen Verhältnisses zwischen dem anhängigen Steuerstrafverfahren und dem gleichzeitig fortlaufenden Besteuerungsverfahren im neu hinzugekommenen 6. Teil des Buches (S. 223). Bei Erörterung der Frage, welche Folgen es nach sich zieht, wenn gegen das Zwangsmittelverbot oder die Belehrungspflichten verstoßen wird, führt Rolletschke die richtungsweisende Entscheidung BGHSt 38, 214 an, mag er sie auch nicht nach der amtlichen Sammlung zitieren (S. 236).

3. Das Fazit fällt eindeutig aus. Zwar wünscht man sich, und zwar gerade mit Blick auf die im Vorwort angesprochenen Leserkreise (Studenten im Schwerpunktstudium und "Berufsanfängern, seien es Juristen oder Steuerberater"), eine etwas tiefere und sorgfältigere Bearbeitung der spezifisch strafverfahrensrechtlichen Fragestellungen im 5. Teil des Lehrbuches. Immerhin müsste dies in einer dritten Auflage problemlos möglich sein, denn erstaunlicherweise sind gerade hier eine ganze Reihe von Randnummern "einstweilen unbesetzt" (Rn. 670, 687, 696 f., 711, 719, 730, 737, 740, 747, 767, 769, 789, 794, 800, 808, 812, 817, 827, 835, 839, 853, 858, 864, 870, 874). Sollte dies ein Zeichen dafür sein, dass das, was hier für die sicherlich zu erwartende Neuauflage vorgeschlagen wird, schon längst geplant ist? Wie dem auch sei: Stefan Rolletschke hat mit seinem "Steuerstrafrecht" ein Lehrbuch vorgelegt, dessen Anschaffung gewiss lohnt. Es sind nicht zuletzt die Beispielsfälle, die den Zugang und das Verständnis zu der nicht einfachen Rechtsmaterie "Steuerstrafrecht" wesentlich erleichtern; und mehr noch: Die Zielsetzung, nur ein "Einstiegslehrbuch zum Steuerstrafrecht" zu sein (Vorwort), ist bei Weitem erreicht. Denn "der Rolletschke" bietet auch dem erfahrenen, das Strafprozessrecht beherrschenden Steuerstrafverteidiger, ein praxistaugliches Kompendium, mit dessen Hilfe mehr als nur eine erste Orientierung möglich ist. Jedenfalls auf dem Schreibtisch des Rezensenten steht es in Zukunft griffbereit.

Dr. Ralf Neuhaus, Fachanwalt für Strafrecht, Dortmund

Lehrbeauftragter an der Universität Bielefeld

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