HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2007
8. Jahrgang
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IV. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

900. BGH 1 StR 273/07 - Beschluss vom 11. September 2007 (LG Regensburg)

BGHSt; Recht auf ein faires Verfahren (Recht auf konsularischen Beistand: Belehrung bei der ersten polizeilichen Vernehmung; „fortentwickelte Widerspruchslösung“: spezifischer und genereller Widerspruch, Angriffsrichtung; Schlechtverteidigung; Recht auf konkrete und wirksame Verteidigung); Anforderung an die Darlegung bei der Verfahrensrüge; Mord (Heimtücke); redaktioneller Hinweis.

§ 257 StPO; Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK; Art. 6 EMRK; § 211 Abs. 2 StGB; § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO; § 163a Abs. 4 StPO; § 344 Abs. 2 Satz StPO

1. Die Widerspruchslösung findet auch bei einer zu spät erteilten Belehrung über das Recht auf konsularischen Beistand nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 des Wiener Konsularrechtsübereinkommens (WÜK) Anwendung. (BGHSt)

2. Zu den Anforderungen an einen solchen Widerspruch. (BGHSt)

3. Der Widerspruch des verteidigten Angeklagten bedarf regelmäßig einer Begründung, in der - zumindest in groben Zügen - anzugeben ist, unter welchem Gesichtspunkt der Angeklagte den zu erhebenden oder bereits erhobenen Beweis für unverwertbar hält. Die Begründung muss die Angriffsrichtung erkennen lassen, die den Prüfungsumfang durch das Tatgericht begrenzt. (Bearbeiter)

4. Es kann dahinstehen, ob aus dem Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK ein Beweisverwertungsverbot zu folgern gewesen wäre. (Bearbeiter)

5. Auch das Recht auf konsularischen Beistand gemäß Art. 36 WÜK konkretisiert den Grundsatz des fairen Verfahrens (vgl. BVerfG [Kammer] NJW 2007, 499, 501). (Bearbeiter)

6. Heimtückisch im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Das Opfer muss gerade auf Grund seiner Arglosigkeit wehrlos sein, wobei für die Beurteilung die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs maßgebend ist. An dieser Ursächlichkeit der Arglosigkeit für die Wehrlosigkeit fehlt es, wenn sich das Opfer vom Täter verteidigungsunfähig machen ließ, bevor dieser den Entschluss zu dem Angriff fasste (vgl. BGHSt 32, 382). (Bearbeiter)


Entscheidung

901. BGH 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02 – Beschluss vom 25. September 2007 (LG Hamburg, LG Braunschweig)

BGHSt; Belehrung eines Festgenommenen mit fremder Staatsangehörigkeit gemäß Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 des Wiener Konsularrechtsübereinkommens (konsularischer Beistand; Beweisverwertungsverbot; Kompensation durch Anrechnungslösung; Widerspruchslösung und spezifischer Widerspruch; Recht auf ein faires Verfahren und Recht auf Verfahrensbeschleunigung: rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen durch BGH und BVerfG; Rechtskreistheorie; ausländerspezifische Hilflosigkeit); Entscheidung im Beschlussverfahren; redaktioneller Hinweis.

Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; § 349 Abs. 2 und 4 StPO; § 136 Abs. 1 StPO

1. Zur Belehrung eines Festgenommenen mit fremder Staatsangehörigkeit gemäß Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 des Wiener Konsularrechtsübereinkommens (WÜK) über sein subjektives Recht, die unverzügliche Benachrichtigung seiner konsularischen Vertretung zu verlangen, sind bereits die Polizeibeamten nach Festnahme verpflichtet (BVerfG – Kammer – NJW 2007, 499 unter Aufhebung von BGHR WÜK Art. 36 Unterrichtung 1). (BGHSt)

2. Das Unterbleiben der gebotenen Belehrung über das Recht auf konsularischen Beistand nach Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot. (BGHSt)

3. Die Rechtsverletzung kann jedoch zu einer Kompensation derart führen, dass ein bestimmter Teil der verhängten Freiheitsstrafe als verbüßt anzurechnen ist. (BGHSt)

4. Die Belehrungspflicht knüpft – standardisiert – an die fremde Staatsangehörigkeit des Beschuldigten und an seine Festnahmesituation an. Sie gilt also auch für den Fall, dass der Beschuldigte seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat. Eine darüber hinausgehende ausländerspezifische oder situationsbedingte Hilflosigkeit ist nicht Voraussetzung für die sich aus Völkervertragsrecht im Range eines Bundesgesetzes ergebende Belehrungspflicht. Ebenso führt bei einem Beschuldigten, der nicht ausländischer Angehöriger eines Vertragsstaats des Wiener Übereinkommens ist, eine gleichgeartete besondere Hilflosigkeit in der Festnahmesituation nicht zu hieraus abzuleitenden entsprechenden Unterstützungspflichten. (Bearbeiter)

5. Die Verschärfung der Widerspruchslösung durch den 1. Strafsenat kann im Fall der unterbliebenen Belehrung gemäß Art. 36 Abs. 1 lit. b Satz 3 WÜK nur eingreifen, wenn die unterbliebene Belehrung im Verfahren noch nachgeholt worden ist. (Bearbeiter)

6. Eine Kompensation erscheint jedenfalls dann angezeigt und gar geboten, wenn der betroffene Angeklagte eine erhebliche Bestrafung erfährt und der Verstoß nicht nur kurzfristig fortgewirkt hat. (Bearbeiter)

7. Der 5. Strafsenat folgt der vom 3. Strafsenat vorgeschlagenen „Vollstreckungslösung“. (Bearbeiter)

8. Der Senat neigt zu der Ansicht, dass einem Gericht grundsätzlich nicht die Möglichkeit eröffnet ist, einen durch ein höherrangiges Gericht begangenen Verstoß der genannten Art gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK festzustellen und zu berücksichtigen, wenn nicht etwa dieses Gericht entsprechende Hinweise gegeben hat.

9. Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung findet sich auch nicht darin, dass das Bundesverfassungsgericht hier zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs wegen Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Recht auf ein faires Verfahren aufgehoben hat, wodurch ein weiterer fast ein Jahr währender Verfahrensgang vor dem Bundesgerichtshof notwendig geworden ist. Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung liegt nicht allein deshalb vor, weil das Revisionsgericht zur Korrektur eines dem Tatrichter unterlaufenen – nicht eklatanten – Rechtsfehlers dessen Urteil aufheben und die Sache zu neuer

– zeitaufwändiger – Bearbeitung an die Vorinstanz zurückverweisen muss (BGH NJW 2006, 1529). (Bearbeiter)

10. Als eklatante Gesetzesverletzung, die eine abweichende Beurteilung erfordern könnte, wertet der Senat seine erste, nunmehr freilich nach Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts zu revidierende Entscheidung in diesem Verfahren nicht. (Bearbeiter)


Entscheidung

936. BGH 3 StR 96/07 - Urteil vom 9. August 2007 (LG Kleve)

BGHSt; Abgrenzung von Aussetzung und Unterbrechung; gesetzlicher Richter (Bestimmung durch richterliche Entscheidung; Willkür).

Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG; § 222b StPO; § 228 StPO; § 229 Abs. 1 StPO; § 243 Abs. 1 StPO

1. Sind in einer Hauptverhandlung noch keine Erträge erzielt worden, die bei einer Unterbrechung fortwirkten, bei einer Aussetzung aber erneut gewonnen werden müssten, ist das Gericht in der Entscheidung, ob es die Hauptverhandlung unterbricht oder sie aussetzt, grundsätzlich frei. (BGHSt)

2. Eine solche Unterbrechungs- oder Aussetzungsentscheidung verstößt nicht gegen Art. 101 Abs. 1 GG, es sei denn, sie wäre willkürlich getroffen. (BGHSt)

3. Soweit die Besetzung der Richterbank von richterlichen Entscheidungen abhängt, ist das Recht auf den gesetzlichen Richter nur dann verletzt, wenn die Grenze zur Willkür überschritten wird. (Bearbeiter)


Entscheidung

967. BGH 1 StR 341/07 - Beschluss vom 15. August 2007 (LG Freiburg)

Recht auf konkrete und wirksame Verteidigung (Rüge mangelhafter Verteidigung; Recht auf ein faires Verfahren; Vorauswahl des Verteidigers durch die Staatsanwaltschaft; Bestellung eines Pflichtverteidigers bei bevorstehendem Urlaub des Verteidigers; Fachanwalt für Strafrecht; Fürsorgepflicht; keine Überwachung der Verteidigung der ausreichenden Sprachkenntnisse des Angeklagten bezüglich seiner Verteidigung; ausnahmsweise Entpflichtung des Verteidigers; Auswahl des Verteidigers und Stellung der Staatsanwaltschaft); redaktioneller Hinweis.

Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 lit. c EMRK; § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO

1. Ordnet das Gericht dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger bei, den die Staatsanwaltschaft zuvor ausgewählt hat, ist der Beschuldigte hieraufhin nicht nochmals zu hören, soweit er zuvor die Auswahl des Verteidigers in die Hände des Gerichts gelegt hat.

2. Das Gericht (vor allem im Ermittlungsverfahren auch die Staatsanwaltschaft) hat grundsätzlich nicht zu überwachen, ob ein - sei es gewählter, sei es bestellter - Verteidiger seine Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. Gleichwohl kann die Fürsorgepflicht gebieten, den bestellten Verteidiger abzulösen, wenn klar erkennbar ist, dass er nicht fähig ist, den Angeklagten sachgerecht zu verteidigen.

3. Wenn ein Angeklagter in gewissem Umfang der deutschen Sprache mächtig ist, entscheidet der Verteidiger nach seinem einer Überprüfung nur begrenzt zugänglichen pflichtgemäßen Ermessen, ob für Verteidigungsgespräche ein Dolmetscher notwendig ist oder nicht. Es liegt nicht nahe, dass ein Verteidiger nicht sachgerecht beurteilen könnte, ob er mit seinem Mandanten kommunizieren kann oder nicht (vgl. BGH, Beschl. vom 27. Juli 2006 - 1 StR 147/06). Allein der Umstand, dass das Gericht und sonstige für eine Vernehmung oder Anhörung des Beschuldigten Verantwortliche (Polizei, Sachverständiger) hier ihr Ermessen letztlich anders ausgeübt haben, belegt in unter den gegebenen Umständen keinen offensichtlichen Ermessensfehlgebrauch des Verteidigers.

4. Es gibt keinen Rechtssatz, wonach grundsätzlich oder zumindest bei einer Fallgestaltung wie hier nur ein Fachanwalt für Strafrecht als Verteidiger bestellt werden könnte. Im Übrigen besteht auch keine forensische Erfahrung, wonach deshalb, weil ein Rechtsanwalt kein Fachanwalt für Strafrecht ist, regelmäßig zu erwarten sei, dass eine von ihm geführte Verteidigung weniger sachgerecht wäre.

5. Es wäre mit der allgemeinen Fürsorgepflicht des Vorsitzenden unvereinbar, bestellte er einen Rechtsanwalt, der keine Gewähr für eine sachgerechte und ordnungsgemäße Verteidigung des Angeklagten bietet oder bei dem zu befürchten ist, dass er verfahrensfremde Zwecke verfolgen wird.


Entscheidung

944. BGH 3 StR 266/07 - Beschluss vom 14. August 2007 (LG Hannover)

Besorgnis der Befangenheit (Strafobergrenze; Sanktionsschere; Drohung; verbotene Vernehmungsmethoden; freie Verteidigung; Selbstbelastungsfreiheit und Schweigerecht; Recht auf ein faires Verfahren; Verfahrensabsprachen; Deal).

Art. 6 EMRK; § 24 StPO; § 136a StPO; § 338 Nr. 3 StPO

1. In der Mitteilung einer durch die strafmildernde Bedeutung eines Geständnisses nicht mehr zu begründenden Differenz zwischen den mit und ohne Geständnis zu erwartenden Strafen – einer so genannten „Sanktionsschere“ – liegt eine Drohung im Sinne von und damit zugleich ein Verstoß gegen § 136a StPO. Dies begründet zugleich die Besorgnis der Befangenheit.

2. Zwar ist es dem Gericht erlaubt, dem Angeklagten seine vorläufige Einschätzung zur Straferwartung bei einem Geständnis und bei einer Überführung nach durchgeführter Beweisaufnahme mitzuteilen. Es ist darüber hinaus zulässig, dem Angeklagten für den Fall seines Geständnisses eine Strafobergrenze zuzusichern, an die das Gericht im Grundsatz - vgl. aber BGHSt 50, 40, 50 - gebunden ist.

3. Indes bestehen bei der Mitteilung vorläufiger Einschätzungen zur Straferwartung durch das Gericht eindeutige Grenzen, denn die Freiheit der Willensentschließung des Angeklagten muss gewahrt bleiben. Er darf weder durch Drohung mit einer höheren Strafe noch

durch Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils – wozu auch eine schuldunangemessen milde Strafe gehört – zu einem Geständnis gedrängt werden.

4. Zwar kann eine nach Sachlage noch verständliche Unmutsäußerung des Vorsitzenden die Besorgnis der Befangenheit nicht auslösen. Die Verweigerung eines angekündigten Geständnisses kann eine solche Unmutsäußerung jedoch grundsätzlich nicht rechtfertigen, da der Angeklagte in der Entscheidung über die Art seiner Verteidigung frei ist.


Entscheidung

999. BGH 5 StR 227/07 – Urteil vom 12. September 2007 (LG Berlin)

Unbegründete Befangenheitsrüge im Zusammenhang mit Absprachenangeboten des Gerichts (Anforderungen an die Darlegung einer entsprechenden Verfahrensrüge; keine Zusicherung einer Strafobergrenze gegenüber dem Verteidiger ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft: dahingehendes Missverständnis des Verteidigers, einseitige Kontaktaufnahmen des Vorsitzenden).

Vor § 1 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 338 Nr. 3 StPO; Art. 6 EMRK

1. Sichert der Vorsitzende dem Verteidiger ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft eine verbindliche Strafobergrenze zu, kann dies eine Besorgnis der Befangenheit nahe legen (vgl. BGHSt 45, 312, 316; BGHR StPO vor § 1/faires Verfahren – Vereinbarung 16).

2. Einzelfall einer vom Verteidiger als Zusicherung missverstandenen Strafprognose des Vorsitzenden.

3. Ein Vorsitzender ist berechtigt, auch einseitig mit der Verteidigung zwecks Förderung des Verfahrens Kontakt aufzunehmen (vgl. BGHSt 42, 46, 47; BGHR StPO vor § 1/faires Verfahren – Vereinbarung 15), und erst in der Hauptverhandlung verpflichtet, dies offenzulegen (vgl. BGHSt 42, 46, 50; 43, 195, 206).


Entscheidung

1001. BGH 5 StR 257/07 – Beschluss vom 12. September 2007 (LG Hamburg)

Behinderung der Verteidigung (Anträge auf Vernehmung des Pflichtverteidigers; Anforderungen an die Darstellung des absoluten Revisionsgrundes bei der Verfahrensrüge: konkreter Zusammenhang zwischen dem geltend gemachten Verfahrensverstoß und dem Urteil).

§ 338 Nr. 8 StPO; § 140 StPO; § 244 Abs. 3 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

1. Mitteilungen des Angeklagten an seinen amtierenden Verteidiger gehören vor der Hauptverhandlung grundsätzlich nicht zum Gegenstand der Beweisaufnahme. Der Inhalt solcher Besprechungen zwischen einem Angeklagten und seinem Verteidiger dient der Vorbereitung der Verteidigung, die der Angeklagte durch Sacheinlassung oder Schweigen gestaltet (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO). Die Umstände, die zur Entscheidung über Art und Inhalt der Verteidigungsstrategie geführt haben, sind aber regelmäßig einer Kognition durch das Gericht entzogen. Sie gehören zum Kernbereich der Verteidigung (vgl. BGHSt 36, 44, 48; BGH, Beschluss vom 5. Juni 2007 – 5 StR 383/06).

2. Soweit ein Angeklagter das Gewicht seiner Einlassung etwa durch Darlegung von „Aussagekonstanz“ gegenüber seinem Verteidiger zu stärken bestrebt sein sollte, neigt der Senat zu der Ansicht, dass insoweit eine Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung des Verteidigers ebenfalls nicht in Betracht kommt. Sofern solchen Tatsachen überhaupt Beweisrelevanz zuzuerkennen wäre, könnten sie allenfalls durch eine eigene Einlassung des Angeklagten, gegebenenfalls vorbereitet durch eine – auch der einseitigen Verpflichtung des Verteidigers Rechnung tragende (vgl. BGHSt 46, 1, 4) – Erklärung des Verteidigers in die Hauptverhandlung eingeführt werden.


Entscheidung

1007. BGH 5 StR 344/07 – Beschluss vom 9. Oktober 2007 (LG Potsdam)

Beweisantrag auf Vernehmung der wesentlichen Tatzeugin (Wiedererkennenszeugin) bei der Vergewaltigung (Recht auf Vernehmung einer Entlastungszeugin; Konfrontationsrecht; kommissarische Vernehmung; Bild-Ton-Vernehmung; Unerreichbarkeit; Aufklärungsrüge; Behauptung einer bestimmten Beweistatsache); Beweiswert bei Wahlgegenüberstellung und Lichtbildvorlage; audiovisuelle Vernehmung einer Zeugin in Österreich.

§ 261 StPO; § 244 Abs. 2, Abs. 3 StPO; Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK; § 247a Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz StPO; Art. 10 Abs. 1 und 2 EuRhÜbK; § 247a Abs. 2 StPO

1. Die Aufklärungspflicht ist auch verletzt, wenn bei verständiger Würdigung der Sachlage durch den abwägenden Richter die Verwendung einer Aufklärungsmöglichkeit den Schuldvorwurf möglicherweise in Frage gestellt hätte (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 2 Umfang 1; BGH StV 2005, 253, 254).

2. Bei der Prüfung, ob ein Antragsteller eine bestimmte Beweisbehauptung aufstellt, ist zu berücksichtigen, dass es in der Natur der Sache liegt, dass ein Antragsteller die Aussagen der Zeugin im Vorhinein regelmäßig nicht kennt, sondern den behaupteten Inhalt lediglich für möglich hält (vgl. BGHSt 21, 118, 121, 125; BGH NStZ 2006, 585, 586).

3. Der Senat neigt zu der Auffassung, dass es einem ausdrücklich zu formulierenden Begehren eines Beweisantragstellers obliegt, ob er sich nach Feststellung der Unerreichbarkeit eines Zeugen für dessen von ihm begehrte Vernehmung in der Hauptverhandlung mit dem bei einer Bild-Ton-Übertragung gegebenen Defizit an Unmittelbarkeit (vgl. BGHSt 45, 188, 196) im Vergleich zur konfrontativen Vernehmung im Gerichtssaal begnügen möchte (vgl. BGHSt 22, 118, 122 zur Pflicht zur Befragung des Antragstellers, ob er sich mit einer kommissarischen Vernehmung begnügt; vgl. ferner BGHSt 46, 73, 78).

4. Zur Zulässigkeit einer audiovisuellen Vernehmung einer Zeugin in Österreich im Wege der Rechtshilfe.


Entscheidung

954. BGH StB 17/07 - Beschluss vom 7. August 2007 (OLG Düsseldorf)

Haftbeschwerde während der Hauptverhandlung (Prüfungsmaßstab); Beschleunigungsgebot in Haftsachen (Anforderungen an die Terminierung); Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft (Betrug; Schadenssumme; besonders schwerer Fall).

§ 117 Abs. 2 StPO; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK; § 263 StGB; § 213 StPO

Die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, unterliegt im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Denn allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme.


Entscheidung

968. BGH 1 StR 350/07 - Beschluss vom 25. September 2007 (LG Kempten)

Reichweite des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (Verlesung von Urkunden und anderen als Beweismittel dienenden Schriftstücken; ergänzende Verlesung).

§ 250 StPO; § 251 Abs. 1 StPO; § 244 Abs. 2 StPO

1. Die Strafprozessordnung sieht zur Beweiserhebung über den Inhalt von Urkunden und anderen als Beweismittel dienenden Schriftstücken grundsätzlich die Verlesung gemäß § 249 Abs. 1 StPO vor. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit, der in § 250 StPO zur Geltung kommt, liegt darin nicht. § 250 StPO untersagt nämlich nur die Ersetzung der Zeugenaussage durch die Verwertung einer berichtenden, zu Beweiszwecken erstellten Urkunde, mag es sich dabei nun um ein Protokoll oder um eine schriftliche Erklärung des Zeugen handeln. Dass neben der Vernehmung der in Betracht kommenden Person als Zeuge eine frühere protokollarisch oder in einer schriftlichen Erklärung festgehaltene Äußerung dieser Person im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird, verbietet die Vorschrift nicht. Es ist vielmehr von dem der Systematik des Gesetzes zu entnehmenden allgemeinen Grundsatz auszugehen, dass das Gesetz den Urkundenbeweis zulässt, wo es ihn nicht ausdrücklich untersagt (BGHSt 20, 160, 161 f.; 49, 68, 70).

2. Letztlich ist es eine Frage der Aufklärungspflicht und der Beweiswürdigung, ob das Gericht nach der Vernehmung von Zeugen zur Erlangung ergänzender Erkenntnisse - insbesondere Fragen der Glaubwürdigkeit - den Inhalt der polizeilichen Vernehmung verliest.


Entscheidung

965. BGH 1 StR 276/07 – Urteil vom 26. September 2007 (LG Tübingen)

Einführung von Erkenntnissen der Gerichtshilfe in die Hauptverhandlung (Verlesung der Berichte einer Gerichtshelferin; Stellung der Gerichtshilfe).

§ 250 StPO; § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO; § 160 Abs. 3 StPO; § 256 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Nr. 5 StPO

1. Aus dem Aufgabenbereich und der rechtlichen Stellung der Gerichtshilfe im Strafverfahren ergeben sich die Möglichkeiten der Einführung von Gerichtshilfeberichten im Wege des Urkundenbeweises. Weil der Gerichtshelfer in der Hauptverhandlung Zeuge oder Sachverständiger ist, kann eine Verlesung unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 StPO erfolgen.

2. Inwieweit daneben eine Verlesung von Gerichtshilfeberichten nach § 256 Abs. 1 Nr. 1 lit. a oder Nr. 5 StPO möglich ist, braucht der Senat hier nicht abschließend zu klären.

3. Die Gerichtshilfe ist ein unselbständiges Ermittlungsorgan zur Unterstützung der Sachverhaltsaufklärung durch die Staatsanwaltschaft und das Gericht. Ihr ist in erster Linie die Aufgabe zugewiesen, Ermittlungen in Bezug auf die persönlichen Verhältnisse und das soziale Umfeld des Beschuldigten oder Verurteilten zu führen. Sie kann jedoch auch zu anderen Aufgaben herangezogen werden, wenn die Staatsanwaltschaft oder das Gericht es für angezeigt hält, auf spezifische berufliche Fähigkeiten in der Sozialarbeit zurückzugreifen. Aufgabe der Gerichtshilfe ist aber nicht die Aufklärung der Tat.

4. Die Gerichtshilfe bleibt primär Ermittlungshilfe und kann allenfalls sekundär Sozialhilfe - wie die Jugendgerichtshilfe - sein (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 27). Die Gerichtshilfe ist auch kein Verfahrensbeteiligter mit eigenen Befugnissen; sie hat insbesondere kein Äußerungsrecht in der Hauptverhandlung. Daher ist es im Strengbeweisverfahren nicht zulässig, den Gerichtshelfer „formlos“ anzuhören. Wenn es das Gericht nach Maßgabe der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) für geboten hält, den Gerichtshilfebericht in die Hauptverhandlung einzuführen, und dies nicht im Wege des Vorhalts etwa an den Angeklagten oder Zeugen aus seinem sozialen Umfeld geschehen kann, kann der Gerichtshelfer zwar persönlich gehört werden; dann ist er aber regelmäßig als (sachverständiger) Zeuge, ausnahmsweise auch als Sachverständiger zu vernehmen. Er kann dabei auf den von ihm verfassten schriftlichen Bericht zurückgreifen.


Entscheidung

940. BGH 3 StR 238/07 - Beschluss vom 21. August 2007 (LG Kleve)

Aufklärungspflicht (Auslandszeuge; unmittelbarer Tatzeuge; antizipierte Beweiswürdigung); faires Verfahren (Konfrontationsrecht); Rechtsmissbrauch durch die Verteidigung (Konfliktverteidigung); redaktioneller Hinweis.

§ 244 StPO; § 245 StPO; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 lit. d EMRK

1.. Bei der im Rahmen der Entscheidung über Vernehmung eines Auslandszeugen (§ 244 Abs. 5 Satz 2 StPO) zulässigen antizipierenden Würdigung der Beweislage kann die Annahme zulässig sein, dass dem Zeugen kein Glauben zu schenken wäre, falls er den Angeklagten durch Widerruf belastender Angaben im Ermittlungsverfahren entlasten sollte.

2. Dies gilt jedoch nur dann, wenn sich eine solche Beweiswürdigung im Hinblick auf die sonstige Beweislage

- namentlich das Vorliegen von Sachbeweisen - derart aufdrängt, dass eine abweichende Würdigung kaum tragfähig zu begründen wäre.

3. Die Verletzung des Grundrechts auf ein faires Verfahren in Form des Konfrontationsrechts setzt voraus, dass die fehlende Konfrontationsmöglichkeit auf einem Verschulden der Strafverfolgungsbehörden beruhte und das Verfahren als ganzes sich als unfair darstellt.

4. Der Senat sieht Anlass zu der Bemerkung, dass es auf die Dauer zu einer Erschöpfung der Ressourcen der Strafjustiz führen muss, wenn diese selbst in einfachst gelagerten Sachen mehrere Hauptverhandlungstage aufwenden muss, nur um Anträge der Verteidigung zu verbescheiden, die allenfalls nach ihrer äußeren Gestalt, nicht aber nach ihrem tatsächlichen inhaltlichen Anliegen der Aufklärung des wahren Sachverhalts dienen. Bei einer weiteren Zunahme dieses nach Beobachtung des Senats immer mehr um sich greifenden Phänomens wird sich letztlich auch der Gesetzgeber zum Einschreiten veranlasst sehen müssen.


Entscheidung

931. BGH 3 StR 163/07 - Beschluss vom 19. Juli 2007 (LG Osnabrück)

Beweiserhebung in Abwesenheit des Angeklagten (absoluter Revisionsgrund; denkgesetzlich ausgeschlossenes Beruhen).

§ 247 StPO; § 338 Nr. 5 StPO

1. Ist eine Sachbeweiserhebung in Abwesenheit des Angeklagten durch einen Beschluss über seine vorübergehende Ausschließung nach § 247 StPO nicht gedeckt und wird die Beweiserhebung auch nicht später in Anwesenheit des Angeklagten wiederholt, so ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben.

2. Auch wenn ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 StPO gegeben ist, gefährdet dies den Bestand des Urteils nicht, soweit ein Einfluss des Verfahrensfehlers auf das Urteil zum Nachteil des Angeklagten denkgesetzlich ausgeschlossen ist. So kann es liegen, wenn die Beweiserhebung ausschließlich für die Strafzumessung bedeutsam ist und jeder Einfluss auf die Überzeugungsbildung zur Schuldfrage ausgeschlossen werden kann.


Entscheidung

902. BGH 2 StR 187/07 - Beschluss vom 12. September 2007 (LG Erfurt)

Abwesenheit des Angeklagten (Ausschluss); Augenscheinseinnahme; Inbegriff der Hauptverhandlung; Konfrontationsrecht.

§ 247 Satz 1 StPO; § 261 StPO; § 338 Nr. 5 StPO

1. Ist gemäß § 247 Satz 1 StPO angeordnet, dass sich der Angeklagte während einer Vernehmung aus dem Sitzungszimmer entfernt, so sind während seiner Abwesenheit andere Beweisvorgänge, wie z. B. eine Augenscheinseinnahme, grundsätzlich untersagt. Sie müssen daher, wenn sie trotzdem stattgefunden haben, nach Wiedereintritt des Angeklagten wiederholt werden.

2. Ausnahmsweise erstreckt sich eine Ausschließung des Angeklagten gemäß § 247 Satz 1 StPO jedoch neben der Vernehmung eines Zeugen auch auf eine Augenscheinseinnahme. Dies gilt dann, wenn die Augenscheinseinnahme am Körper des zu vernehmenden Zeugen erfolgt, mit dessen Aussage in untrennbaren Zusammenhang steht und deshalb vom Ausschließungsgrund mitumfasst ist.


Entscheidung

956. BGH StB 5/07 - Beschluss vom 12. Juli 2007 (Ermittlungsrichter des BGH)

Beschlagnahme zur Sicherung einer etwaigen Einziehung (Anfangsverdacht; Verhältnismäßigkeit).

§ 111b StPO; § 74 StGB

1. Gründe, die im Sinne des § 111b Abs. 1 StPO die Beschlagnahme einer Sache zur Sicherung der Einziehung rechtfertigen, liegen vor, wenn gegen den Beschuldigten der Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 1 StPO) strafbaren Handelns gegeben ist und auf dieser Grundlage eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass die zu beschlagnahmende Sache nach den Vorschriften der §§ 74 ff. StGB der Einziehung unterliegen.

2. Die Sechs-Monats-Frist des § 111b Abs. 3 Satz 1 StPO wird nicht durch jede Ingewahrsamnahme eines Gegenstandes seitens der Strafverfolgungsbehörden in Gang gesetzt, insbesondere nicht schon durch dessen Sicherstellung zu Beweiszwecken gemäß § 94 Abs. 1 StPO. Sie läuft vielmehr erst ab Anordnung der Beschlagnahme nach § 111b Abs. 1 StPO.


Entscheidung

955. BGH StB 34/07 - Beschluss vom 18. Oktober 2007 (Ermittlungsrichter des BGH)

Fall Andrej Holm; Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung; dringender Tatverdacht (Tatsachen; Vermutungen); militante gruppe; mg.

§ 112 StPO; § 129a StGB

Ein dringender Tatverdacht ist nur gegeben, wenn den ermittelten Tatsachen entnommen werden kann, dass sich der Beschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit der ihm angelasteten Tat schuldig gemacht hat. Bloße Vermutungen genügen dagegen nicht.


Entscheidung

904. BGH 2 StR 224/07 - Beschluss vom 8. August 2007 (LG Mainz)

Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt (Zulässigkeit der Verfahrensrüge; Vortrag fehlender Heilung: Negativtatsachen).

§ 338 Nr. 5 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 247 STPO

1. Zur ordnungsgemäßen Erhebung der Verfahrensrüge wegen Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, bei einer bestimmten Beweiserhebung ist auch der Vortrag der Tatsachen erforderlich, die den Verfahrensfehler belegen. Hierzu gehört bei einer Inaugenscheinnahme auch deren wesentlicher Inhalt, sofern er sich nicht aus dem Sitzungsprotokoll ergibt.

2. Dass der gerügte Verfahrensfehler im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung nicht geheilt worden ist, muss hingegen nicht eigens dargelegt werden, wenn dies tatsächlich nicht geschehen ist.


Entscheidung

917. BGH 2 StR 306/07 - Urteil vom

5. September 2007 (LG Kassel)

Zustellung des Urteils (fehlende Urteilsformel; Berichtigungsbeschluss); Revisionsbegründungsfrist; Anschlussberechtigung des Nebenklägers (Jugendlicher; Heranwachsender; Zweifelssatz); Tötungsvorsatz (Überzeugungsbildung; lückenhafte Beweiswürdigung); Mord (niedriger Beweggrund; Gesamtwürdigung; ausländische Wertvorstellungen; Erfassung der inländischen Wertvorstellungen; Steuerungsfähigkeit).

§ 35 Abs. 2 StPO; § 260 Abs. 4 StPO; § 267 Abs. 3 StPO; § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO; § 80 Abs. 2 JGG; § 109 JGG; § 211 StGB; § 212 StGB; § 261 StPO

1. Fehlt sowohl in der Urschrift des Urteils als auch in den Ausfertigungen die verkündete Urteilsformel, so steht dies der Wirksamkeit der Zustellung nicht entgegen, sofern Urschrift und Ausfertigungen übereinstimmen.

2. Zwar kann das Urteil in diesem Falle durch Beschluss berichtigt werden. Zur Ingangsetzung der Revisionsbegründungsfrist bedarf es jedoch nicht der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses. Die Frist beginnt vielmehr bereits mit Zustellung des unvollständigen Urteils.

3. Steht nicht fest, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt tatsächlich Jugendlicher war, sind der Anschluss des Nebenklägers und sein Rechtsmittel gegen das Jugendrecht anwendende Urteil statthaft. Dem steht auch nicht entgegen, dass ein Urteil zu Gunsten des Angeklagten annimmt, er sei zur Tatzeit noch Jugendlicher gewesen. Denn die Anwendung des Zweifelssatzes im Bereich der Strafzumessung gebietet es nicht, auch bezüglich der Anschlussberechtigung des Nebenklägers und der Statthaftigkeit eines von ihm eingelegten Rechtsmittels dasselbe zu unterstellen.

4. Ein Beweggrund zur Tötung ist als „niedrig“ im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB anzusehen, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Dies beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Bei einer Tötung aus Wut oder Verärgerung kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen. Beruhen die Gefühlsregungen hingegen auf dem berechtigten Gefühl, schweres Unrecht erlitten zu haben, so spricht dies gegen eine Bewertung als „niedrig“ im Sinne der Mordqualifikation (sic).

5. Ein Beweggrund, bei dem das Tatopfer zum Objekt der Rache an einem Dritten für eine zudem vom Täter selbst verschuldete Situation gemacht wird, ist als auf sittlich niedrigster Stufe stehend anzusehen.

6. Für die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die ein Motiv zu einem niedrigen Beweggrund im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB machen, kommt es nicht darauf an, ob der Angeklagte selbst seinen Beweggrund als niedrig bewertet; er muss dazu nur fähig sein. Bei einem ausländischen, noch intensiv den Wertvorstellungen seiner Heimat verhafteten Täter kann zwar die Fähigkeit fehlen, die in Deutschland gültigen abweichenden sozialethischen Bewertungen seiner Motive zu erfassen. Diese Feststellung erfordert jedoch nähere Ausführungen im Urteil.

7. Ein niedriger Beweggrund kann dem Täter nur dann angelastet werden, wenn er seine gefühlsmäßigen oder triebhaften Regungen, die als Handlungsantrieb in Betracht kommen, gedanklich beherrschen und mit seinem Willen steuern kann.


Entscheidung

906. BGH 2 StR 248/07 - Urteil vom 19. September 2007 (LG Trier)

Ablehnung eines Beweisantrages (Indiztatsache; Bedeutungslosigkeit; Widerspruch zu den Urteilsgründen); Beruhen.

§ 244 Abs. 3 StPO; § 338 Nr. 8 StPO; § 337 StPO

1. Aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos sind Indiztatsachen, wenn zwischen ihnen und dem Gegenstand der Urteilsfindung keinerlei Sachzusammenhang besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Falle ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen könnten, weil sie nur mögliche, nicht zwingende Schlüsse zulassen und das Gericht den möglichen Schluss nicht ziehen will.

2. Die Bedeutung von Indiztatsachen beurteilt das Gericht auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses. Es darf aber die Beweiswürdigung nicht in der Weise vorwegnehmen, dass es die Beweiserheblichkeit der Indiztatsache mit der Begründung verneint, das Gegenteil sei bereits erwiesen oder erklärt, auch wenn der Zeuge die Behauptung bestätige, müsse dies nicht richtig sein.

3. Im Urteil darf sich das Gericht mit der Ablehnungsbegründung nicht in Widerspruch setzen, insbesondere die Urteilsgründe nicht auf das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache stützen.


Entscheidung

920. BGH 2 StR 322/07 - Beschluss vom 24. August 2007 (LG Bonn)

Zurückweisung eines Beweisantrages (völlig ungeeignetes Beweismittel; absolute Untauglichkeit); Beruhen (alternativer Ablehnungsgrund).

§ 244 Abs. 3 StPO; § 338 Nr. 8 StPO

1. Als völlig ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist ein Beweismittel nur dann einzustufen, wenn das Gericht ohne jede Rücksicht auf das bisher gewonnene Beweisergebnis feststellen kann, dass sich mit diesem Beweismittel das im Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nach sicherer Lebenserfahrung nicht erzielen lässt.

2. Die absolute Untauglichkeit muss sich aus dem Beweismittel im Zusammenhang mit der Beweisbehauptung selbst ergeben. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Ein geminderter, geringer oder zweifelhafter Beweiswert darf nicht mit völliger Ungeeignetheit gleichgesetzt werden.

3. Ein Sachverständiger ist nur dann ein ungeeignetes Beweismittel, wenn auszuschließen ist, dass er sich zur

vorgelegten Beweisfrage sachlich überhaupt äußern kann. Geeignetes Beweismittel ist er auch dann, wenn die vorhandenen Anknüpfungstatsachen ihm die Darlegung solcher Erfahrungssätze oder Schlussfolgerungen erlauben, die für sich allein die unter Beweis gestellte Behauptung lediglich wahrscheinlicher machen.

4. Wenn ein Hilfsbeweisantrag in zulässiger Weise erst in den Urteilsgründen beschieden worden ist, kann das Revisionsgericht zwar die Ursächlichkeit eines Verstoßes gegen § 244 Abs. 3 StPO grundsätzlich mit der Begründung verneinen, der Antrag habe mit anderer Begründung rechtsfehlerfrei abgelehnt werden können. Hierfür reicht aber nicht die bloß abstrakte Möglichkeit eines tragfähigen anderen Ablehnungsgrunds. Ein solcher muss sich vielmehr, wenn er nicht offenkundig ist, aus den Urteilsgründen selbst ergeben.


Entscheidung

976. BGH 4 StR 62/07 - Beschluss vom 16. Oktober 2007 (-)

Pauschvergütung für den Wahlverteidiger (Unzumutbarkeit wegen der besonderen Schwierigkeit der Sache).

§ 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 RVG

Einzelfall der Bewilligung einer Pauschvergütung für den Wahlverteidiger infolge unzumutbarer gesetzlicher Gebühren, allein wegen der besonderen Schwierigkeit der Sache.


Entscheidung

903. BGH 2 StR 204/07 - Beschluss vom 10. August 2007 (LG Bonn)

Lückenhafte Beweiswürdigung (fehlende Würdigung der Einlassung des Angeklagten); Beweiskraft des Sitzungsprotokolls; Adhäsionsverfahren (Prozesskostenhilfe; Darlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse).

§ 261 StPO; § 274 StPO; § 404 Abs. 5 Satz 1 StPO

Da die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten erfolgt (§ 404 Abs. 5 Satz 1 StPO), ist hierfür auch die Darlegung der wirtschaftlichen Voraussetzungen erforderlich.