HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 965
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 276/07, Urteil v. 26.09.2007, HRRS 2007 Nr. 965
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 10. Januar 2007 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in drei Fällen sowie versuchter schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren aus einem ebenfalls wegen schwerer räuberischer Erpressung ergangenen Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24. Mai 2006 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt.
Die unbeschränkte Revision des Angeklagten ist auf mehrere Verfahrensrügen sowie auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützt. Schwerpunkt der Rügen bilden die Fragen, ob Berichte einer Gerichtshelferin zulässigerweise verlesen werden durften und ob das Landgericht bei Bildung der Gesamtstrafe den Rechtsgedanken des Härteausgleichs anwenden bzw. diese Frage ausdrücklich erörtern musste, weil der Angeklagte wegen mehrerer im November 1995 in Österreich und im September 1997 in Deutschland begangener Straftaten am 2. Juli 2003 durch ein rumänisches Gericht verurteilt worden war. Insoweit wäre nach Auffassung der Revision bei der Bemessung der Gesamtstrafe zu berücksichtigen gewesen, dass hinsichtlich der ersten drei der vier vom Landgericht abgeurteilten Taten eine Gesamtstrafenbildung auch mit der vom rumänischen Gericht ausgeurteilten Strafe nicht möglich war.
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
1. Der unter anderem wegen mehrfachen Diebstählen in besonders schweren Fällen zwischen Oktober 1991 und September 1992 vorbestrafte Angeklagte überfiel am 2. Dezember 1993 zusammen mit einem Mittäter die Raiffeisenbank in O. Die Täter erbeuteten unter Verwendung ungeladener Schreckschusswaffen, mit denen sie die Angestellten bedrohten, ca. 14.500 DM in deutscher und 3.800 DM in ausländischen Währungen.
Am 2. Februar 1995 wollte der Angeklagte erneut die Raiffeisenbank in O. unter Verwendung einer echt aussehenden Spielzeugpistole überfallen. Weil jedoch der Bankangestellte die Türen bereits vorzeitig geschlossen hatte, konnte er sein Vorhaben nicht ausführen und musste unverrichteter Dinge mit einem zuvor entwendeten Pkw wegfahren.
Am 8. November 2001 betrat der Angeklagte, maskiert mit einer Gummimaske und bewaffnet mit einer Soft-Air-Pistole, eine Volksbank-Filiale in Of. und bedrohte mit der echt aussehenden Waffe die Bankangestellten. Er veranlasste sie, die Kassentresore zu öffnen, und entnahm daraus jeweils das darin befindliche Bargeld. Sodann zwang er einen Bankangestellten, den Haupttresor der Bank zu öffnen. Als dieser danach versuchte, dem Angeklagten die Pistole wegzunehmen, schlug er den Bankangestellten nieder, worauf dieser das Bewusstsein verlor. Außerdem wurde ihm ein Schneidezahn komplett mit Wurzel herausgeschlagen. Der Angeklagte entnahm die im Tresor befindlichen Geldscheine und flüchtete mit insgesamt ca. 130.000 DM.
Am 6. Dezember 2005 betrat der Angeklagte kurz vor Schalterschluss gegen 18 Uhr maskiert die Volksbank in A., bedrohte mit einer täuschend echt aussehenden Spielzeugmaschinenpistole die Bankangestellten und ließ sich aus dem Tresorraum sowie einem Kassenautomaten insgesamt 15.000 € aushändigen. Bei seiner anschließenden Flucht entkam er zunächst einer herbeigerufenen Polizeistreife, wurde jedoch einige Stunden später im Rahmen einer Großfahndung in einem Erdloch versteckt verhaftet.
Die gesamte Beute konnte sichergestellt werden.
2. Der bei der Gesamtstrafenbildung einbezogenen Verurteilung zu sechs Jahren Freiheitsstrafe durch das Landgericht Stuttgart vom 24. Mai 2006 lag zugrunde, dass der Angeklagte zusammen mit zwei Mittätern, wobei der eine als Fahrer im Fluchtfahrzeug verblieb, mit Wollmasken maskiert und einer echt aussehenden schwarzen Pistole die Volksbank-Filiale in K. betrat.
Die beiden Täter bedrohten die Bankmitarbeiter sowie die anwesenden Bankkunden mit den mitgeführten Pistolen, zwangen die Angestellten, einen Safe sowie ein Schließfach zu öffnen, und flüchteten unter Mitnahme auch einiger ausländischer Währungen mit einem Gesamtgeldbetrag von 157.893,99 €.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision nahm der Angeklagte während der Hauptverhandlung in der vorliegenden Sache zurück.
3. Am 2. Juli 2003 war der Angeklagte durch das Landgericht Sibiu in Rumänien zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden. Diesem Urteil lagen neben anderen Straftaten ein am 12. November 1995 in Österreich begangener schwerer Raub sowie ein im Bereich R. begangener Diebstahl eines Fahrzeugs zugrunde, welches für einen Banküberfall auf die Volksbank B. am 23. September 1997 benutzt wurde. Für den in Österreich begangenen Raub hat das rumänische Gericht eine Einzelstrafe von vier Jahren und für die in R. begangenen Taten Einzelstrafen von vier Jahren, drei Jahren und drei Monaten sowie einem Jahr und sechs Monaten festgesetzt. Im letztgenannten Fall hat das rumänische Gericht die drei Einzelstrafen wegen schweren Diebstahls des Kfz, Diebstahls eines Kfz-Kennzeichens sowie Fahrens auf öffentlichen Straßen mit einem Fahrzeug mit falschem Kennzeichen ausgesprochen. Hinsichtlich der Strafverbüßung der ausgeurteilten (Gesamt-)Freiheitsstrafe wurden jedoch bereits verbüßte Strafzeiten gerichtlich einbezogener Vorverurteilungen angerechnet. Einen Teil des offenen Strafrests verbüßte der Angeklagte vom 25. Mai 2004 bis zum 7. Dezember 2004 in einem rumänischen Gefängnis.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
Näher auszuführen ist dies nur hinsichtlich der beanstandeten Verlesung der Gerichtshilfeberichte sowie des beanstandeten Gesamtstrafenausspruchs. Im Übrigen wird auf die zutreffenden Erwägungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 11. Juni 2007 verwiesen.
1. Die Revision beanstandet zu Unrecht, dass die von der Gerichtshilfe erstellten Opferberichte in allseitigem Einverständnis verlesen wurden. Dabei waren die Berichte über die körperlichen und psychischen Folgen für die Opfer der von dem Angeklagten begangenen Banküberfälle für diesen Zweck erstellt worden. Die Kammer konnte die Verlesung gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO vornehmen.
Die Gerichtshilfe ist ein - regelmäßig zum Geschäftsbereich der Landesjustizverwaltungen gehörendes (Art. 294 EGStGB) - unselbständiges Ermittlungsorgan zur Unterstützung der Sachverhaltsaufklärung durch die Staatsanwaltschaft und das Gericht. Aus § 160 Abs. 3, § 463d StPO ergibt sich, dass der Gerichtshilfe in erster Linie die Aufgabe zugewiesen ist, Ermittlungen in Bezug auf die persönlichen Verhältnisse und das soziale Umfeld des Beschuldigten oder Verurteilten zu führen. Sie kann jedoch auch - wie hier - zu anderen Aufgaben herangezogen werden, wenn die Staatsanwaltschaft oder das Gericht es für angezeigt hält, auf spezifische berufliche Fähigkeiten in der Sozialarbeit zurückzugreifen. Aufgabe der Gerichtshilfe ist aber nicht die Aufklärung der Tat (vgl. Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 160 Rdn. 79, 81, 87).
Die Gerichtshilfe bleibt freilich primär Ermittlungshilfe und kann allenfalls sekundär Sozialhilfe - wie die Jugendgerichtshilfe - sein (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 27). Die Gerichtshilfe ist auch kein Verfahrensbeteiligter mit eigenen Befugnissen; sie hat insbesondere kein - § 50 Abs. 3 Satz 2 JGG entsprechendes - Äußerungsrecht in der Hauptverhandlung. Daher ist es im Strengbeweisverfahren nicht zulässig, den Gerichtshelfer "formlos" anzuhören. Wenn es das Gericht nach Maßgabe der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) für geboten hält, den Gerichtshilfebericht in die Hauptverhandlung einzuführen, und dies nicht im Wege des Vorhalts etwa an den Angeklagten oder Zeugen aus seinem sozialen Umfeld geschehen kann, kann der Gerichtshelfer zwar persönlich gehört werden; dann ist er aber - ebenso wie ein Bewährungshelfer - regelmäßig als (sachverständiger) Zeuge, ausnahmsweise auch als Sachverständiger zu vernehmen (vgl. Rieß aaO Rdn. 102 f.). Er kann dabei auf den von ihm verfassten schriftlichen Bericht zurückgreifen.
Aus dem Aufgabenbereich und der rechtlichen Stellung der Gerichtshilfe im Strafverfahren ergeben sich die Möglichkeiten der Einführung von Gerichtshilfeberichten im Wege des Urkundenbeweises. Weil der Gerichtshelfer in der Hauptverhandlung Zeuge oder Sachverständiger ist, kann eine Verlesung unter den Voraussetzungen des § 251 Abs. 1 StPO erfolgen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 160 Rdn. 26; Pfeiffer in KK-StPO 5. Aufl. Einl. Rdn. 84; Schlüchter in SK-StPO 52. Lfg. § 256 Rdn. 17). So ist es hier zulässigerweise nach § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO geschehen.
Inwieweit daneben eine Verlesung von Gerichtshilfeberichten nach § 256 Abs. 1 Nr. 1 lit. a oder Nr. 5 StPO möglich ist, braucht der Senat hier nicht abschließend zu klären.
2. Auch die Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren hält sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.
Das Landgericht hat Einzelstrafen von fünf Jahren, drei Jahren sechs Monaten, sechs Jahren und nochmals fünf Jahren verhängt (Tatzeiten: 2. Dezember 1993, 2. Februar 1995, 8. November 2001 und 6. Dezember 2005).
Diese Freiheitsstrafen und die einbezogene Freiheitsstrafe von sechs Jahren aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart (Tatzeit: 4. Dezember 2003) hat es auf die Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren zurückgeführt. Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
Das Landgericht hat sich zu Recht daran gehindert gesehen, die Strafen aus dem Urteil des Landgerichts Sibiu vom 2. Juli 2003 - wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Rechtskraft - in die Gesamtstrafenbildung mit einzubeziehen (BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 8; BGH NStZ-RR 2000, 105). In diesem Urteil, in dem eine (Gesamt-)Freiheitsstrafe von sechs Jahren ausgesprochen wurde, wurden unter anderem auch Straftaten in Deutschland aus dem Jahr 1997 (Freiheitsstrafen von vier Jahren, von drei Jahren drei Monaten und von einem Jahr sechs Monaten) und einem in Österreich am 12. November 1995 begangenen Raub (Freiheitsstrafe von vier Jahren) abgeurteilt, welche der Angeklagte ebenfalls im Zusammenhang mit weiteren 20 Banküberfällen begangen hatte und die zumindest teilweise mit vorliegend abgeurteilten Taten gesamtstrafenfähig gewesen wären, sofern jedenfalls die Verurteilungen durch ein deutsches Gericht erfolgt wären.
Zwar hat das Landgericht, das die Vorverurteilung in Rumänien ausführlich dargelegt hat, diesbezüglich den Rechtsgedanken des Härteausgleichs bei der Bemessung der Gesamtstrafe nicht erörtert. Dies gefährdet den Bestand der Gesamtstrafe jedoch nicht:
Der Nachteil, der dem Angeklagten dadurch entstanden ist, dass im Ausland verhängte Strafen nicht gesamtstrafenfähig sind, ist hier durch eine anderweitige Gesamtstrafenbildung ausgeglichen worden (vgl. BayObLG NJW 1993, 2127; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 55 Rdn. 21). Würde nämlich unterstellt, dass diese Strafen aus der rumänischen Vorverurteilung in die Gesamtstrafenbildung einzubeziehen gewesen wären, so hätte infolge der - fiktiv eintretenden - Zäsurwirkung auf zwei Gesamtfreiheitsstrafen erkannt werden müssen, nämlich auf eine Gesamtfreiheitsstrafe aus den dieser Vorverurteilung zugrunde liegenden Strafen und aus den Strafen für die verfahrensgegenständlichen Taten 1 bis 3 sowie auf eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe aus der Strafe im Urteil des Landgerichts Stuttgart und der Strafe für die verfahrensgegenständliche Tat 4. Nur weil die im Ausland verhängten Strafen nicht gesamtstrafenfähig sind, kann mithin aus den Einzelstrafen für die verfahrensgegenständlichen Taten und der Strafe im Urteil des Landgerichts Stuttgart überhaupt eine einheitliche Gesamtfreiheitsstrafe gebildet werden. Aufgrund der von der Strafkammer im Urteil mitgeteilten, sehr ausführlichen Strafzumessungserwägungen kann der Senat ausschließen, dass bei einer ausdrücklichen Erörterung der fiktiven Gesamtstrafenbildung die Summe der beiden zu bildenden Gesamtstrafen geringer als die nunmehr zu Gunsten des Angeklagten aus allen Einzelstrafen zusammen mit der Strafe des Landgerichts Stuttgart gebildete Gesamtstrafe zuzüglich der in Rumänien verhängten Strafe gewesen wäre.
Auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren neben die in Rumänien verhängte (Gesamt-)Freiheitsstrafe von sechs Jahren tritt und beide Strafen zusammen die gesetzliche Obergrenze nach § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB übersteigen (vgl. zu einem "Gesamtstrafenübel" Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 55 Rdn. 35 m. w. N.), bestehen gegen die Angemessenheit keine Bedenken. Der Angeklagte beging die verfahrensgegenständliche Tat 4 ebenso wie die durch das Landgericht Stuttgart abgeurteilte Tat, nachdem er mehrere Jahre der in Rumänien verhängten Strafe verbüßt hatte, was ihn also nicht von weiteren Banküberfällen abhielt.
Der vorliegende Fall ist nach alledem anders gelagert als der - vom Beschwerdeführer in Bezug genommene - "Extremfall" (so BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 10), der dem Senatsurteil vom 30. April 1997 - 1 StR 105/97 (BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 8) zugrunde lag (vgl. auch BGH NStZ-RR 2000, 105).
3. Schließlich beschwert es den Angeklagten nicht, dass der Tatrichter in nur schwer nachvollziehbarer Weise bei der Prüfung der Voraussetzungen einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung das Vorliegen eines Hanges "nicht sicher" zu bejahen vermochte, obgleich nach den Urteilsfeststellungen der Angeklagte seit 1993 bis zu seiner Verhaftung im Dezember 2005 jeweils von Rumänien aus häufig nach Österreich, Deutschland, Frankreich und die Beneluxstaaten reiste und diese Auslandsaufenthalte "regelmäßig im Zusammenhang mit der Begehung von Straftaten, meist Raubüberfällen", standen - und zwar offenbar unbeeindruckt wieder erneut nach der Verbüßung einer mehrjährigen Haftstrafe in Rumänien.
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 965
Externe Fundstellen: NStZ 2008, 709; StV 2008, 338
Bearbeiter: Karsten Gaede