HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2007
8. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

932. BGH 3 StR 170/07 - Urteil vom 30. August 2007 (LG Kiel)

Auslieferung (Spezialitätsgrundsatz; Einstellung des Verfahrens); Bankrott (abstraktes Gefährdungsdelikt; Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und der Insolvenz); unrichtige Darstellung.

§ 260 Abs. 3 StPO; § 283 StGB; § 331 Nr. 1 und 4 HGB

1. Der Bankrott nach § 283 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a StGB ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das die Gesamtheit der Gläubiger vor einer potentiellen Schmälerung ihrer Befriedigungsmöglichkeiten schützen soll. Es ist daher nicht notwendig, dass die Befriedigungsinteressen auch nur eines Gläubigers durch die Bankrotthandlung einer konkreten Gefahr ausgesetzt wurden.

2. Zwar kommt eine Strafbarkeit wegen Konkurses nicht in Betracht, wenn die Bankrotthandlung in keiner Beziehung zur Eröffnung eines späteren Konkursverfahrens steht. Es genügt jedoch ein rein äußerlicher Zusammenhang zwischen der Falschbilanzierung und der Konkurseröffnung.

3. Jedenfalls genügt es für den hinreichenden Zusammenhang zwischen Bankrotthandlung und Konkurs, wenn zumindest ein Teil der Gläubiger sowohl von der Bankrotthandlung als auch von der Konkurseröffnung betroffen ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Gläubigerforderungen, die schon zur Zeit der Bankrotthandlung bestehen, bei Konkurseröffnung noch nicht getilgt sind oder Mängel der Buchführung bis zur Konkurseröffnung fortwirken.


Entscheidung

1005. BGH 5 StR 292/07 – Beschluss vom 13. September 2007 (LG Paderborn)

Anforderungen an die Berechnungsdarstellung bei Steuerhinterziehung (Ausnahme bei sachkundigem Angeklagten; Tenorierung; Vortäuschung von Betriebsausgaben durch den faktischen Geschäftsführer; Tatvollendung bei Hinterziehung von Veranlagungssteuern durch Unterlassen); Untreue (Existenzgefährdung bei der GmbH); Abgrenzung von Bankrott und Diebstahl.

§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 AO; § 266 StGB; § 283 StGB; § 242 StGB; § 261 StPO

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen die Urteilsgründe bei einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung erkennen lassen, welches steuerlich erhebliche Verhalten des Angeklagten im Rahmen welcher Abgabenart und in welchem Besteuerungszeitraum zu einer Steuerverkürzung geführt hat und welche Einstellung der Angeklagte dazu hatte. Hierfür ist regelmäßig die Angabe erforderlich, wann der Angeklagte welche Steuererklärungen abgegeben hat und welche Umsätze oder Einkünfte er etwa verschwiegen oder welche unberechtigten Vorsteuerabzüge oder Betriebsausgaben er geltend gemacht hat. Zudem hat der Tatrichter für jede Steuerart und für jeden Besteuerungszeitraum so klare Feststellungen zu treffen, dass sowohl

die dem Schuldspruch zugrunde liegenden Besteuerungsgrundlagen als auch die Berechnung der verkürzten Steuern der Höhe nach erkennbar werden.

2. Eine ins Einzelne gehende Berechnungsdarstellung ist nur dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn der Angeklagte aufgrund eigener Sachkunde die ihm vorgeworfenen Steuerhinterziehungen eingeräumt hat (st. Rspr.; vgl. BGH wistra 2006, 110; 2006, 66; 2005, 307 f.; jeweils m.w.N.). Hierfür muss den Urteilsgründen mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sein, dass der Angeklagte zur Berechnung der verkürzten Steuern in der Lage war (vgl. BGH wistra 2005, 307, 308).


Entscheidung

997. BGH 5 StR 213/07 – Urteil vom 11. September 2007 (LG Berlin)

Steuerhinterziehung (Hinterziehung von Erbschaftssteuer; ungerechtfertigter Steuervorteil: Stundung; Berichtigungspflicht; Beweiswürdigung: Lückenhaftigkeit; Verantwortlichkeit des Steuerberaters und Zusammenwirken des Erben mit diesem); Betrug; Begriff der prozessualen Tat bei der steuerlichen Pflicht zur nachträglichen Berichtigung (innerer Zusammenhang; einheitlicher Lebenssachverhalt); Verfahrensvoraussetzung des wirksamen Strafantrages (Antragsfrist; Anforderungen an die Kenntnis; Beginn des Fristlaufs beim Versuch).

§ 370 AO; § 31 Abs. 5 Satz 1 ErbStG; § 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG; § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG; § 28 ErbStG; § 263 StGB; § 153 Abs. 1 AO; § 261 StPO; § 264 StPO; § 77 StGB; § 77b Abs. 1 StGB

1. Hinsichtlich der Steuerhinterziehung durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) durch Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung und einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) wegen Nichtberichtigung der nachträglich als unrichtig erkannten Steuererklärung kann eine Tat im prozessualen Sinne vorliegen, wenn sich die Taten auf denselben Steueranspruch beziehen.

2. Der Umstand, dass zwei Gesetzverletzungen (tatsächliche Vorgänge) zeitlich weit auseinanderliegen können, steht der Annahme einer einheitlichen Tat im prozessualen Sinn ebenso nicht entgegen (vgl. auch BGHSt 38, 37, 40) wie die Verschiedenheit der tatgegenständlichen Verpflichtungen.

3. Ein revisibler Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung kann auch darin liegen, dass der Tatrichter eine nach den Feststellungen nicht nahe liegende Schlussfolgerung gezogen hat, ohne konkrete Gründe anzuführen, die dieses Ergebnis stützen können. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten eines Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte vorhanden sind (st. Rspr.; BGH NStZ-RR 2003, 371; BGH NStZ 2004, 35, 36; BGH, Urteil vom 21. Juni 2007 – 5 StR 532/06).

4. Die Gründe auch eines freisprechenden Urteils müssen nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt vielmehr von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab; dieser kann so beschaffen sein, dass sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muss es jedoch in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise wesentlichen gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (BGH wistra 2007, 18, 19; 2002, 430 m.w.N.).

5. Nach § 77b Abs. 2 Satz 1 StGB beginnt die Strafantragsfrist mit Ablauf des Tages, an dem der Berechtigte von der Tat und der Person des Täters Kenntnis erlangt. Bei einer versuchten Straftat ist insoweit die Kenntnis von der letzten auf den Tatbestandserfolg gerichteten Handlung maßgebend. Für den Tatversuch kann damit die Antragsfrist schon vor einer Vollendung der Tat abgelaufen sein. Tritt diese noch ein, beginnt mit der Beendigung der Tat eine neue Strafantragsfrist.

6. Die Kenntnis von Tat und Täter erfordert nicht die Gewissheit über sämtliche Einzelheiten des strafrechtlichen Geschehens, sondern lediglich das Wissen von Tatsachen, die einen Schluss auf die wesentlichen Tatumstände und den Täter zulassen (BGHSt 44, 209, 212). Das Ausmaß der erforderlichen Tatsachenkenntnis bestimmt sich danach, ob dem Berechtigten gemäß dem Standpunkt eines besonnenen Menschen der Entschluss zugemutet werden kann, gegen den anderen mit dem Vorwurf einer strafbaren Handlung hervorzutreten und die Strafverfolgung herbeizuführen (BGHSt aaO).


Entscheidung

1013. BGH 5 StR 375/07 – Beschluss vom 25. September 2007 (LG Leipzig)

Anwendung von allgemeinem Strafrecht auf einen Heranwachsenden (Entwicklungsrückstände; Einbeziehung aller Lebensbereiche; Jugendverfehlung bei „Jähtaten“; Anwendung von Jugendstrafrecht im Zweifel).

§ 105 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 JGG

1. Die Prüfung des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG darf sich nicht nur an schulischen Belangen orientieren und andere Bereiche der Lebensführung unberücksichtigt lassen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 187 f.). Sie muss sicht zudem auf die Tatzeit beziehen.

2. Für die Anwendung des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG kommt es nicht allein darauf an, ob der Heranwachsende in seiner Entwicklung zurückgeblieben ist oder ob er sich altersgemäß entwickelt hat, sondern darauf, ob es sich bei ihm um einen noch in der Entwicklung befindlichen, noch prägbaren Menschen handelt (BGHSt 36, 37, 40; BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 1 Entwicklungsstand 2).

3. Eine Jugendverfehlung im Sinne von § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG kann auch bei schweren Gewaltdelikten gegeben sein. Auch diese Taten können nach ihrem äußeren Erscheinungsbild oder nach den Beweggründen des Täters Merkmale jugendlicher Unreife aufweisen (BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 2 Jugendverfehlung 1 und 2). Es stellt einen Erörterungsmangel dar, wenn dies für eine „Jähtat“

des bis dahin nicht durch aggressives Verhalten aufgefallenen Angeklagten zu Lasten des Liebhabers seiner Mutter nicht erörtert wird. Für Jugendliche typisches Verhalten offenbart sich insbesondere in einem Mangel an Ausgeglichenheit, Besonnenheit und Hemmungsvermögen (BGH aaO).

4. Bleiben nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten Zweifel zum Entwicklungsstand nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG oder zu den Voraussetzungen des § 105 Abs.1 Nr. 2 JGG verbleiben, wird Jugendstrafrecht anzuwenden sein (BGHSt 36, 37, 40; BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 2 Jugendverfehlung 1; BGH NStZ-RR 2003, 186, 188).