HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 902
Bearbeiter: Ulf Buermeyer
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 187/07, Beschluss v. 12.09.2007, HRRS 2007 Nr. 902
1. Auf die Revision des Angeklagten G. wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 14. Juli 2006, soweit es ihn betrifft,
a) im Fall II. 3 im Schuldspruch dahin geändert, dass er der Beihilfe zum versuchten Mord schuldig ist,
b) im Fall II. 3 im Strafausspruch sowie im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten H. wird das vorgenannte Urteil, soweit es ihn betrifft, aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 67 Abs. 2 StGB n. F. unterblieben ist.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen schweren Raubes und wegen Beihilfe zum Mord unter Einbeziehung einer Strafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Den Angeklagten H. hat es der schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Freiheitsberaubung sowie der Beihilfe zum Mord für schuldig befunden und ihn unter Einbeziehung mehrerer Strafen aus verschiedenen Vorverurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten H. in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Der Angeklagte G. hat - soweit es seine Verurteilung wegen schweren Raubes anbelangt - sein Rechtsmittel auf den Strafausspruch beschränkt.
I. Revision des Angeklagten G.
1. Soweit der Angeklagte im Fall II. 3 der Urteilsgründe wegen Beihilfe zum (vollendeten) Mord verurteilt worden ist, hält das Urteil sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
Nach den Feststellungen forderte der Angeklagte G. den Mitangeklagten J. auf, "dieser solle dem Geschädigten das Genick brechen, aber schnell und leise, um die Sache zu Ende zu bringen". Zum Zeitpunkt dieser Aufforderung hatte der Mitangeklagte J. dem Opfer aber schon die Verletzungen zugefügt, die zu dessen späteren Tod führten. Durch das auf die Aufforderung des Angeklagten G. zurückgehende "in den Schwitzkastennehmen und Halsumdrehen" hat der Geschädigte zwar zusätzlich ein HWS-Syndrom erlitten; dieses war aber weder todesursächlich noch hat es den Todeseintritt in irgendeiner Weise begünstigt oder beschleunigt.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen kann, worauf die Revision zu Recht hinweist, die vollendete Tötung des Geschädigten dem Angeklagten G. nicht zugerechnet werden. Vielmehr war dieser - da er annahm, er könne die Tötung des Opfers noch fördern - nur wegen Beihilfe zum versuchten Mord zu verurteilen.
Der Senat kann in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch selbst ändern. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich insoweit nicht anders hätte verteidigen können.
2. Die Änderung des Schuldspruchs im Fall II. 3 der Urteilsgründe führt zur Aufhebung der für diese Tat verhängten Einsatzstrafe. Der Senat kann nicht sicher ausschließen, dass die Kammer - gegebenenfalls unter weiterer Verschiebung des Strafrahmens gemäß § 23 Abs. 2 StGB - bei richtiger rechtlicher Beurteilung insoweit eine niedrigere Strafe verhängt hätte. Die Aufhebung der Einzelstrafe führt auch zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Die bisherigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bleiben aufrechterhalten, ergänzende, dazu nicht in Widerspruch tretende Feststellungen sind möglich.
3. Im Übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Was die Rüge einer Verletzung der §§ 338 Nr. 5, 247 Satz 1, 230 Abs. 1 StPO anbelangt, verweist der Senat ergänzend zu den insoweit zutreffenden Darlegungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts und auf seine nachfolgenden Ausführungen zu der Revision des Angeklagten H.
II. Revision des Angeklagten H.
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Nähere Ausführungen sind lediglich zu dem behaupteten Verstoß gegen §§ 338 Nr. 5, 247 Satz 1, 230 Abs. 1 StPO veranlasst.
a) Der Rüge liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:
Am 16. Hauptverhandlungstag wurde der Zeuge He. zu Geschehnissen vernommen, die nicht die angeklagte Tat, sondern einen Vorfall betrafen, der sich 10 Tage zuvor ereignet hatte. Damals war der Zeuge He. u. a. von dem Angeklagten H., der nach den Urteilsfeststellungen Spaß am Quälen von Menschen hat, über Stunden grausam gefoltert und gedemütigt worden. Der Zeuge He. war nicht bereit, in Anwesenheit des Angeklagten H. und zweier weiterer Angeklagten wahrheitsgemäße Angaben zur Sache zu machen, weil er Angst vor diesen hatte und weil sowohl er als auch seine Familie von diesen bedroht worden waren, weshalb er auch seinen Wohnort gewechselt hatte.
Vor diesem Hintergrund wurden die drei Angeklagten während der Vernehmung des Zeugen He. von der Teilnahme an der Hauptverhandlung ausgeschlossen. Im Rahmen der Vernehmung wurden mit Einverständnis des Zeugen auch dessen als Folge der Folterungen vernarbten Unterarme in Augenschein genommen. Der Augenschein wurde nach Wiederzulassung der Angeklagten nicht wiederholt. Die Kammer hat dem Vorfall mit dem Zeugen He. im Folgenden indizielle Bedeutung beigemessen, insbesondere was die Anführerrolle des Angeklagten H. anbelangt.
b) Der von der Revision behauptete absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 i.V.m. §§ 247 Satz 1, 230 Abs. 1 StPO liegt nicht vor.
Zwar sind, worauf die Revision zutreffend hinweist, während der Abwesenheit des Angeklagten andere Beweisvorgänge, wie z. B. eine Augenscheinseinnahme, untersagt (BGH NStZ 1986, 564; 2001, 262; NJW 2003, 597). Ausnahmsweise erstreckt sich eine Ausschließung des Angeklagten gemäß § 247 Satz 1 StPO jedoch neben der Vernehmung eines Zeugen auch auf eine Augenscheinseinnahme und zwar dann, wenn - wie hier - die Augenscheinseinnahme am Körper des zu vernehmenden Zeugen erfolgt, mit dessen Aussage in untrennbaren Zusammenhang steht und deshalb vom Ausschließungsgrund mitumfasst ist (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 247 Rdn. 19 FN 47; Hanack JR 1989, 255, 257).
Hier war der Angeklagte - worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist - nur in Abwesenheit der ihn bedrohenden Angeklagten bereit, sich als Beweismittel für ein nicht angeklagtes Geschehen zur Verfügung zu stellen. § 247 StPO lässt im Interesse der Sachaufklärung und des Zeugenschutzes Ausnahmen von der Anwesenheitspflicht des Angeklagten zu (Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 247 Rdn. Nr. 1).
aa) Es liegt auf der Hand, dass der Zeuge von vornherein keine wahrheitsgemäße, den Angeklagten belastende Aussage gemacht hätte, wenn er damit hätte rechnen müssen, nach Beendigung seiner Vernehmung - dann wieder in Anwesenheit des Angeklagten - zum Gegenstand eines Augenscheins gemacht zu werden. Das Vorzeigen von Spuren am Körper des vom Angeklagten misshandelten Zeugen besitzt nämlich den gleichen Erklärungswert wie eine belastende Aussage. Zudem wäre der Zeuge bei der Durchführung des Augenscheins noch sehr viel intensiver der Begegnung mit dem Angeklagten ausgesetzt als bei seiner Vernehmung. Denn auch dem Angeklagten stünde als Prozessbeteiligtem das Recht zu, den Augenschein selbst vorzunehmen und sich zu diesem Zweck dem Zeugen unmittelbar zu nähern. Eine derartige Konfrontation mit dem gemäß § 247 Satz 4 StPO über den Inhalt der Aussage informierten Angeklagten wirkt aber auf einen Zeugen nicht weniger einschüchternd als der Druck, eine belastende Aussage in dessen Gegenwart zu leisten. Die Gefahr, dass der Zeuge schon im Hinblick auf diese von ihm als äußerst bedrohlich empfundene Situation keine wahrheitsgemäße Aussage macht, ist deshalb nicht geringer als bei Vernehmung im Beisein des Angeklagten. Der Ausschluss des Angeklagten nur während der Vernehmung würde daran nichts ändern.
Hier war das Gericht auch nicht gehalten, auf ein weniger sachnahes Beweismittel wie z. B. einen Augenscheinsgehilfen auszuweichen, der später - in Anwesenheit des Angeklagten - als Zeuge oder Sachverständiger hätte vernommen werden können. Die Augenscheinseinnahme am Körper des Zeugen erfolgte nämlich im Rahmen seiner Vernehmung dergestalt, dass sie als deren notwendiger Bestandteil anzusehen ist und deshalb zur Sachaufklärung geboten war. So erklärte der Zeuge He. - wie von der Revision G. vorgetragen (RB 8) - den Prozessbeteiligten die in Augenschein genommenen Narben, was einem Augenscheinsgehilfen in dieser Form nicht möglich gewesen wäre.
bb) Damit kann letztlich dahinstehen, ob - wofür einiges spricht - der Ausschluss des Angeklagten während des Augenscheins an dem Zeugen auch aus Gründen des Opferschutzes, wie er in § 247 Satz 2 StPO zum Ausdruck kommt, geboten war (vgl. BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 11 sowie BGH NJW 1985, 1478; Diemer in KK 5. Aufl. § 247 Rdn. 8; Pfeiffer, StPO 4. Aufl. § 247 Rdn. 5). Immerhin liegt es auf der Hand, dass eine zu besorgende gesundheitliche Gefährdung des Folteropfers, die die Abwesenheit des Angeklagten bei der Vernehmung bedingen würde, auch dessen Ausschluss bei der sich anschließenden Augenscheinseinnahme seines Opfers zur Folge haben muss. Anderenfalls würde der Zweck der Maßnahme vereitelt.
2. Auch der Maßregelausspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Gleichwohl ist die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen, weil nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB i.d.F. des Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) das Gericht bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren bestimmen soll, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist.
Eine solche Entscheidung über eine Änderung der gesetzlichen Vollstreckungsreihenfolge war für die Strafkammer noch nicht veranlasst. Der Senat hat jedoch gemäß § 354a StPO, § 2 Abs. 6 StGB die neue Regelung seiner Entscheidung zu Grunde zu legen. Dies führt zur teilweisen Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, das nunmehr Gelegenheit haben wird, unter Zuziehung eines Sachverständigen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2007 - 3 StR 231/07) eine ausdrückliche Entscheidung zur Vollstreckungsreihenfolge zu treffen. Der Angeklagte ist durch eine solche nachträgliche Entscheidung unter keinen Umständen beschwert (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 2007 - 4 StR 283/07).
HRRS-Nummer: HRRS 2007 Nr. 902
Externe Fundstellen: StV 2008, 230
Bearbeiter: Ulf Buermeyer