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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 826

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 310/21, Urteil v. 13.04.2022, HRRS 2022 Nr. 826


BGH 2 StR 310/21 - Urteil vom 13. April 2022 (LG Köln)

Verminderte Schuldfähigkeit (vermindertes Hemmungsvermögen: mehrstufige Entscheidung, Sachverständiger; schwere andere seelische Störung: Rauschgiftsüchtiger, „Cravings“, langjähriger Drogenmissbrauch, schwerste Persönlichkeitsveränderung, erhebliche Entzugserscheinungen, Angst vor bevorstehenden Entzugserscheinungen; symptomatischer Zusammenhang: Gesamtbetrachtung, Leistungsverhalten); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (symptomatischer Zusammenhang: Vorliegen, am Fall orientierte Bewertung, auf Erlangen von Rauschmitteln oder deren Finanzierung abzielende Taten); Einziehung (keine Strafe oder strafähnliche Maßnahme).

§ 21 StGB; § 64 StGB; § 73 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Entscheidung, ob das Hemmungsvermögen des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig. Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine Störung im psychiatrischen Sinn vorliegt, die unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Dies ist tatsachengestützt zu begründen und erfordert sowohl konkrete Feststellungen zum Ausmaß der vorhandenen Störung zu treffen als auch ihre konkreten Auswirkungen auf die Tat darzulegen. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB wie bei der Prüfung der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit um Rechtsfragen.

2. Die schwere andere seelische Störung ist bei einem Rauschgiftsüchtigen nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände gegeben, etwa wenn langjähriger Drogenmissbrauch zu schwersten Persönlichkeitsveränderung geführt hat oder der Täter unter erheblichen Entzugserscheinungen leidet. Auch die Angst vor unmittelbar bevorstehenden Entzugserscheinungen, die der Täter schon einmal als äußerst unangenehm („intensivst“ oder „grausam“) erlitten hat, kann zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit führen.

3. Ein symptomatischer Zusammenhang im Sinne des § 64 StGB liegt vor, wenn der Hang alleine oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist; mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Die hangbedingte Gefährlichkeit muss sich in der konkreten Tat äußern. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstaten ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat, und dies bei einem unveränderten Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist. Hierfür bedarf es neben konkreter Feststellungen auch einer am Fall orientierten Bewertung.

4. Ein Symptomwert für den Hang liegt nahe bei Taten, die auf Erlangen von Rauschmitteln zum Eigenkonsum oder deren Finanzierung abzielen.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 18. Februar 2021, soweit es den Angeklagten K. betrifft, im Straf- und Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe nebst Schalldämpfer und Munition sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und wegen der Verabredung zum Verbrechen des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bei einem Vorwegvollzug der Strafe von zwei Jahren und neun Monaten sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet.

Gegen den Straf- und Maßregelausspruch wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg und führt - im Hinblick auf die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt auch zu seinen Gunsten (§ 301 StPO) - zu einer Aufhebung des Urteils in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte befasste sich spätestens seit Anfang August 2019 mit dem gewinnbringenden Verkauf von diversen Betäubungsmitteln in erheblichem Umfang, die er sich von unbekannt gebliebenen Händlern vor allem in den Niederlanden verschaffte. Große Mengen Kokain transportierte er mit seinem PKW Audi SQ5 nach Deutschland, indem er das Rauschgift mit Starkmagneten an dem Unterboden des Fahrzeugs befestigte. Ab Mai 2020 beabsichtigte er, die Einfuhrfahrten mit einem PKW Volvo XC 90 durchzuführen, wozu er zwei Verstecke in das Fahrzeug einbauen ließ. Die zum Verkauf bereit gehaltenen Betäubungsmittel lagerte er in zwei Tiefgaragen-Parzellen, einen kleinen Teil weiterer Drogen bewahrte er in seiner Wohnung auf. Im Einzelnen hat das Landgericht folgende Taten festgestellt:

a) Am 31. Januar 2020 veräußerte der Angeklagte an einen unbekannt gebliebenen Käufer mindestens 1 kg Kokain zu einem Kaufpreis von 32.000 Euro (Fall 1 der Urteilsgründe).

b) Zu einem nicht näher aufklärbaren Zeitpunkt bestellte der Angeklagte bei seinem Lieferanten in den Niederlanden 5 kg Kokain, das er zur Risikominimierung in Teillieferungen am 5. März 2020 (2 kg), 7. April 2020 (2 kg) und 21. April 2020 (1 kg) über jeweils verschiedene Grenzübergänge in die Bundesrepublik einschleuste und in seinen Tiefgaragen-Parzellen vorübergehend einlagerte. Bei einer Wohnungsdurchsuchung am 20. Mai 2020 wurden bei ihm erhebliche Mengen verschiedener - im Urteil näher beschriebene - Betäubungsmittel sichergestellt, die einen einheitlichen, wenn auch vielfältigen Handelsvorrat darstellten. In einer der von ihm genutzten Tiefgaragen-Parzellen hielt der Angeklagte in unmittelbarer Nähe zu den Betäubungsmitteln in einer Handtasche eine Pistole mit einem Schalldämpfer, einem Zielfernrohr und einem Magazin mit 65 passenden Patronen griff- und gebrauchsbereit, um sie erforderlichenfalls bei gewaltsamen Übergriffen im Zusammenhang mit der Abwicklung der Rauschgiftgeschäfte einzusetzen (Fall 2 der Urteilsgründe).

c) Ferner verfügte der Angeklagte am 20. Mai 2020 in seiner Wohnung über ca. 50 Gramm Marihuana und 4,72 Gramm MDMA zum Eigenbedarf sowie 479,16 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoff von 62,3 Gramm THC zum gewinnbringenden Weiterverkauf (Fall 3 der Urteilsgründe).

d) Im Oktober 2019 verabredete der Angeklagte mit den Mitangeklagten M., E. und A. die Errichtung und den Betrieb einer Cannabis-Plantage, mit der ein jährlicher Mindestertrag von 30 kg Marihuana erwirtschaftet worden wäre. Der Angeklagte fungierte dabei als „Kopf“ und Geldgeber im Hintergrund. Kurz vor Inbetriebnahme der Plantage ordnete der Angeklagte, der wegen unvorhergesehener Schwierigkeiten deren Entdeckung durch die Polizei fürchtete, den Abbruch des Betriebs an (Fall 4 der Urteilsgründe).

2. Das sachverständig beratene Landgericht hat nicht auszuschließen vermocht, dass der Angeklagte durchgehend im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit handelte. Während des gesamten Tatzeitraums habe jedenfalls entweder aufgrund einer akuten Mischintoxikation mit Kokain, MDMA, Cannabinoiden, Alkohol und Benzodiazepinen eine krankhafte seelische Störung oder aber eine andere schwere seelische Störung bestanden. Letztere ergebe sich aus dem Umstand, dass der Angeklagte seit rund 20 Jahren unter einer erheblichen Betäubungsmittelabhängigkeit leide, wenn auch diese noch nicht zu einer Persönlichkeitsdepravation geführt habe. Jedoch habe er in den Phasen, in denen er keinen akuten Rausch erlebt habe, unter einem besonders starken Suchtdruck („Craving“) gemischt mit Entzugserscheinungen bzw. Angst vor Entzugserscheinungen gelitten. Dadurch habe sich die Gedankenwelt des Angeklagten auf den Drogenkonsum unter Vernachlässigung anderer Interessen und unter Verlust von Kritik- und Urteilsfähigkeit verengt.

3. Auch im Rahmen der Unterbringungsentscheidung gemäß § 64 StGB ist die Strafkammer davon ausgegangen, der Angeklagte habe alle abgeurteilten Taten im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB begangen.

II.

Die wirksam auf den Straf- und Maßregelausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

1. Die Staatsanwaltschaft hat zwar beantragt, das Urteil „im gesamten Rechtsfolgenausspruch“ aufzuheben. Jedoch ergibt sich aus dem für die Ermittlung des Angriffsziels maßgeblichen Inhalt der Revisionsbegründung (vgl. Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285), dass sie sich alleine gegen den Straf- und Maßregelausspruch und nicht auch gegen die Einziehungsentscheidung wendet. Diese Beschränkung des Rechtsmittels ist wirksam. Bei der Einziehung des Wertes von Taterträgen handelt es sich nicht um eine Strafe oder strafähnliche Maßnahme, so dass sie den Strafausspruch grundsätzlich nicht berührt und daher von dessen Angriff ausgenommen werden kann (vgl. BGH, Urteile vom 8. Februar 2018 - 3 StR 560/17, NJW 2018, 2141; vom 4. April 2019 - 3 StR 31/19 Rn. 12).

2. Straf- und Maßregelausspruch halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Insoweit war das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO).

a) Die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe während des gesamten Tatzeitraums nicht ausschließbar im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) gehandelt, ist nicht hinreichend belegt.

aa) Die Entscheidung, ob das Hemmungsvermögen des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig. Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine Störung im psychiatrischen Sinn vorliegt, die unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Dies ist tatsachengestützt zu begründen und erfordert sowohl konkrete Feststellungen zum Ausmaß der vorhandenen Störung zu treffen als auch ihre konkreten Auswirkungen auf die Tat darzulegen. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB wie bei der Prüfung der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit um Rechtsfragen (vgl. Senat, Urteile vom 22. April 2015 - 2 StR 393/14, NStZ-RR 2015, 306; vom 1. Juli 2015 - 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319, 3320; Beschlüsse vom 5. Februar 2019 - 2 StR 505/18, NStZ-RR 2019, 134, 135; vom 12. Mai 2020 - 2 StR 533/19, StV 2021, 239, 240; BGH, Urteile vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 53; vom 17. April 2012 - 1 StR 15/12, NStZ 2013, 53, 54; vom 30. März 2017 - 4 StR 463/16, NStZ-RR 2017, 165, 166; Beschlüsse vom 12. März 2013 - 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519, 520; vom 3. Dezember 2020 - 4 StR 175/20, NStZ-RR 2021, 41, 42; vom 2. November 2021 - 1 StR 291/21 Rn. 13; BeckOK-StGB/Eschelbach, 52. Edition, § 20 Rn. 63; SSW-StGB/Kaspar, 5. Aufl., § 20 Rn. 113 ff.).

bb) Bereits die - neben dem Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung in Form eines akuten Rauschs - alternative Annahme des vierten Eingangsmerkmals des § 20 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

(1) Die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln begründet für sich allein keine schwere andere seelische Störung im Sinne der Vorschrift. Dies gilt auch beim Vorliegen eines allgemeinen Bestrebens, ständig einen Vorrat an Betäubungsmitteln bereit zu halten - auch um unangenehme körperliche Folgewirkungen tunlichst zu vermeiden -, sowie eines allgemeinen „Suchtdrucks“; denn beides sind wiederum lediglich generelle Merkmale zumindest gewichtigerer Formen der Drogenabhängigkeit.

Das vierte Eingangsmerkmal des § 20 StGB ist bei einem Rauschgiftsüchtigen nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände gegeben, etwa wenn langjähriger Drogenmissbrauch zu schwersten Persönlichkeitsveränderung geführt hat oder der Täter unter erheblichen Entzugserscheinungen leidet. Auch die Angst vor unmittelbar bevorstehenden Entzugserscheinungen, die der Täter schon einmal als äußerst unangenehm („intensivst“ oder „grausam“) erlitten hat, kann zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit führen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. Mai 2020 - 2 StR 493/19, StV 2021, 358; vom 21. Oktober 2020 - 2 StR 362/20, NStZ-RR 2021, 77, 78; vom 17. April 2012 - 1 StR 15/12, NStZ 2013, 53, 54; BGH, Urteile vom 13. Dezember 1995 - 3 StR 276/95, BGHR StGB § 21 BtMAuswirkungen 12; vom 20. August 2013 - 5 StR 36/13, NStZ-RR 2013, 346, 347; vom 20. Mai 2014 - 1 StR 90/14 Rn. 11; MüKo-StGB/Streng, 4. Aufl., § 20 Rn. 105 ff.; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 20 Rn. 11a).

(2) Solche besonderen Umstände, die ausgehend von der Drogenabhängigkeit des Angeklagten die Annahme einer schweren anderen seelischen Störung ausnahmsweise stützen, sind hier nicht ersichtlich. Eine Persönlichkeitsveränderung des Angeklagten hat die Strafkammer ausdrücklich nicht festgestellt. Soweit sie im Rahmen ihrer Wertung davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe in den Phasen, in denen er keinen akuten Rausch erlebt habe, unter einem besonders starken Suchtdruck („Craving“) bzw. der Angst vor einem solchen gelitten, wird dies durch die Feststellungen nicht belegt. Nach diesen machte der Angeklagte nämlich erstmals im Zuge der Untersuchungshaft - und damit nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten - im Mai 2020 Entzugserfahrungen.

(3) Ohnehin hat das Landgericht nicht hinreichend bedacht, dass der Angeklagte nach den Feststellungen sehr große Mengen an unterschiedlichen Rauschmitteln vorhielt. Unter solchen Vorzeichen hätte es eingehender Erörterung bedurft, ob das Handeln des Täters trotzdem durch die Angst vor unmittelbar bevorstehenden körperlichen Entzugserscheinungen in schuldrelevanter Weise bestimmt worden sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 20. August 2013 - 5 StR 36/13, NStZ-RR 2013, 346, 347). Allein die nicht weiter erläuterte Ausführung der Sachverständigen, der sich die Strafkammer angeschlossen hat, die Gedankenwelt des Angeklagten habe sich „unter Vernachlässigung anderer Interessen und unter Verlust von Kritik- und Urteilsfähigkeit“ „auf den Drogenkonsum verengt“, genügt den aufgezeigten Maßstäben nicht.

cc) Daneben hat sich das Landgericht nicht im gebotenen Maße mit dem symptomatischen Zusammenhang zwischen der von ihm angenommenen psychopathologischen Störungen des Angeklagten und dem Tatgeschehen auseinandergesetzt.

(1) Die Strafkammer hat sich darauf beschränkt, sich der - pauschalen - Einschätzung der Sachverständigen anzuschließen, wonach im gesamten Tatzeitraum die Fähigkeit des Angeklagten, sein Verhalten nach der vorhandenen Unrechtseinsicht zu steuern und ein ausreichendes Hemmungsvermögen aufzubringen, nicht ausschließbar erheblich eingeschränkt gewesen sei. Ebenso pauschal hat die Strafkammer zur Stützung dieses Ergebnisses auf die „Wahnvorstellungen“ des Angeklagten und das Vorhalten „gigantischer Mengen verschiedenster Betäubungsmittel“ durch ihn abgestellt. Eine nach dem bereits dargelegten Maßstab erforderliche Auseinandersetzung, wie sich der durch das Landgericht angenommene krankhafte Zustand des Angeklagten jeweils auf die einzelnen Taten konkret auswirkte, lassen die Urteilsgründe indes gänzlich vermissen.

(2) Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung (vgl. Senat, Beschluss vom 27. März 2019 - 2 StR 382/18, NStZ-RR 2019, 170, 171) wäre dabei insbesondere das Leistungsverhalten des Angeklagten in den Blick zu nehmen gewesen. Nach den Feststellungen war dieser in der Lage, über mehrere Tage verteilt verschiedene Einfuhrfahrten über unterschiedliche Grenzübergänge aus den Niederlanden nach Deutschland mit entsprechend vorab präparierten Fahrzeugen durchzuführen; auch bei dem Aufbau und dem Betrieb einer Cannabisplantage war er „Kopf und Geldgeber im Hintergrund“, der „im Wesentlichen den Ablauf bestimmte“.

b) Wegen des engen Zusammenhangs der Beurteilung der Schuldfähigkeit mit der Maßregelfrage ist auch über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neu zu befinden. Die Strafkammer hat die Anordnung nach § 64 StGB jedenfalls auch darauf gestützt, dass der Angeklagte die Taten im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangen habe.

III.

Die nach § 301 StPO gebotene Nachprüfung des Urteils auf Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten führt ebenfalls zur Aufhebung des ihn beschwerenden Maßregelausspruchs (vgl. Senat, Urteil vom 21. März 1979 - 2 StR 743/78, BGHSt 28, 327, 331; BGH, Urteil vom 20. September 2011 - 1 StR 120/11, NStZ-RR 2012, 72, 73) mit den Feststellungen.

Das Landgericht hat das Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen den Taten des Angeklagten und dessen angenommenen Hangs zu einem übermäßigen Betäubungsmittelkonsum mit unzureichenden Erwägungen angenommen.

1. Ein symptomatischer Zusammenhang im Sinne des § 64 StGB liegt vor, wenn der Hang alleine oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist; mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Die hangbedingte Gefährlichkeit muss sich in der konkreten Tat äußern. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstaten ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat, und dies bei einem unveränderten Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist. Hierfür bedarf es neben konkreter Feststellungen auch einer am Fall orientierten Bewertung (vgl. Senat, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 2 StR 331/19, NStZ-RR 2020, 208; BGH, Beschlüsse vom 25. Mai 2011 - 4 StR 27/11, NStZ-RR 2011, 309; vom 28. August 2013 - 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75; vom 15. Juli 2020 - 4 StR 89/20 Rn. 8; vom 8. Juli 2020 - 1 StR 196/20 Rn. 9; MüKo-StGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 64 Rn. 39 ff.; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 64 Rn. 13 ff.).

2. Dem wird die knappe und lediglich allgemein gehaltene Erwägung des Landgerichts, welches auf den Beschaffungs- bzw. Finanzierungscharakter der Taten des Angeklagten abgestellt hat, nicht gerecht. Zwar liegt ein Symptomwert für den Hang nahe bei Taten, die auf Erlangen von Rauschmitteln zum Eigenkonsum oder deren Finanzierung abzielen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2018 - 1 StR 132/18, NStZ-RR 2018, 273, 274 mwN). Indes hat das Landgericht ausgeführt, dass die Taten „jedenfalls zum Teil“ auf den Hang des Angeklagten zurückgingen, ohne - in revisionsrechtlich überprüfbarer Weise - näher darzulegen, welche Taten damit gemeint sind.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 826

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß