HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 816
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 493/19, Beschluss v. 06.05.2020, HRRS 2020 Nr. 816
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 15. Juli 2019 wird das vorbezeichnete Urteil
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des versuchten besonders schweren Raubes schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den Feststellungen begann der zur Tatzeit 33 Jahre alte Angeklagte mit 18 Jahren mit dem Spritzen von Heroin und Kokain, wurde nach Absolvierung einer Entgiftungsbehandlung und einer Drogenentwöhnungstherapie jeweils rückfällig und war zeitweise im Substitutionsprogramm. Bereits kurz nach seiner letzten Haftentlassung konsumierte er regelmäßig Amphetamin und begann, nachdem ihn seine Freundin verlassen hatte, wieder mit dem Konsum von Heroin und Kokain. „In dieser Phase erheblichen Kokain- und Heroinkonsums“ injizierte sich der Angeklagte am 28. Dezember 2018 seit dem Morgen intravenös Kokain und Heroin. Bis zum Mittag hatte er sich ca. 0,75 Gramm Heroin gespritzt, dann war sein Vorrat erschöpft. Über Kokain verfügte er dagegen noch und nahm bis zum Abend insgesamt knapp zwei Gramm davon zu sich. „Wegen der anderenfalls drohenden Entzugserscheinungen wollte sich der Angeklagte dringend wieder Heroin beschaffen. Er beschloss schließlich, das dafür benötigte Geld durch einen Raubüberfall zu erlangen.“ In Umsetzung dieses Plans betrat er am frühen Abend einen Supermarkt in R., wobei er in der Jackentasche ein kleines Messer mit sich führte, um es als Drohmittel zu verwenden. Nach Betreten des Ladens ging er zum Kassentresen. Als die Kassiererin erschien, täuschte er zunächst den Kauf eines Feuerzeugs vor. Dann ging er plötzlich um den Tresen herum, hielt der Kassiererin das mitgeführte Messer drohend vor und verlangte die Öffnung der Kasse. Als diese entgegnete, dass dies nicht ginge, riss er ihr einen kleinen Schlüssel von ihrer Bauchtasche. Da es sich dabei jedoch nicht - wie von ihm vermutet - um den Kassenschlüssel, sondern um den Spindschlüssel handelte, konnte er die Kasse nicht öffnen. Als ihm klar geworden war, dass er mit den von ihm vorgesehenen Mitteln nicht an den Kasseninhalt gelangen konnte, und er das Eingreifen Dritter befürchtete, flüchtete er vom Tatort. „Durch die Wirkung des zuvor von ihm konsumierten Kokains war der Angeklagte bei der Begehung der (..) Tat enthemmt. Seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat zu erkennen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln, wurde hiervon jedoch nicht wesentlich beeinträchtigt.“
1. Die Verfahrensrügen bleiben aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
2. Auf die Sachrüge ist das Urteil im Schuldspruch abzuändern und im Strafausspruch aufzuheben.
a) Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:
„Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte bei dem versuchten Raub das Messer mit wellig geschliffener, ca. 8 cm langer Klinge nicht nur bei sich geführt (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB), sondern es auch verwendet, indem er es der Zeugin M. drohend vorhielt, um sie zur Duldung der Wegnahme des in der Kasse des Marktes befindlichen Bargelds zu nötigen. Er hat sich demnach eines versuchten besonders schweren Raubes gemäß den §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, 22, 23 StGB schuldig gemacht. Hiervon ist auch das Landgericht bei seiner rechtlichen Würdigung zutreffend ausgegangen. Es hat allerdings versäumt, die Qualifikation auch in gebotener Weise im Urteilstenor zum Ausdruck zu bringen, indem es lediglich auf versuchten schweren Raub erkannt hat.“
Dem tritt der Senat bei und ändert den Schuldspruch entsprechend ab. Die Vorschrift des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil dem Angeklagten bereits in der - insoweit unverändert zugelassenen - Anklageschrift ein versuchter besonders schwerer Raub (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) zur Last gelegt worden war.
b) Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB liegt ein sachlich-rechtlicher Erörterungsmangel vor. Obwohl die Strafkammer ausdrücklich festgestellt hat, dass der Angeklagte sich zur Tat motiviert sah, um drohende Entzugserscheinungen zu verhindern, hat sie nicht geprüft, inwiefern das Hemmungsvermögen des Angeklagten aus diesem Grund erheblich beeinträchtigt war.
Da eine Drogenabhängigkeit als solche die Annahme verminderter Schuldfähigkeit nicht zu begründen vermag, sind auch deren generelle Merkmale wie der „Suchtdruck“ und das allgemeine Bestreben eines Drogenabhängigen, zur Vermeidung unangenehmer körperlicher Folgewirkungen ständig einen Betäubungsmittelvorrat bereit zu halten, insofern grundsätzlich ohne Bedeutung (vgl. BGH, Urteil vom 20. August 2013 - 5 StR 36/13; NStZ-RR 2013, 346). Nach ständiger Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass bei Beschaffungstaten eines rauschgiftabhängigen Täters - insbesondere bei Heroinabhängigkeit - dessen Steuerungsfähigkeit ausnahmsweise erheblich vermindert sein kann, wenn er aus Angst vor nahen bevorstehenden Entzugserscheinungen handelt, die er schon in der Vergangenheit als äußerst unangenehm („intensivst“ oder „grausam“) erlitten hat (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Januar 2017 - 2 StR 436/16, NStZ-RR 2017, 167; BGH, Beschluss vom 22. November 2018 - 4 StR 347/18, StV 2019, 242, jeweils mwN). Ob dies im Einzelfall anzunehmen ist, ist eine Frage, die der Tatrichter zu treffen hat. Dabei ist insbesondere auf die konkrete Erscheinungsform der Sucht bei dem zu beurteilenden Täter abzustellen. Auch die Verlaufsform der Sucht und die suchtbedingte Einengung des Denk- und Vorstellungsvermögens sind in die notwendige Gesamtwürdigung des Zustands einzubeziehen (Senat, Urteil vom 2. November 2005 - 2 StR 389/05, NStZ 2006, 151, 152).
3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, insbesondere hat die rechtsfehlerfreie Anordnung der Maßregel mangels Wechselwirkung mit dem Strafausspruch Bestand.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 816
Externe Fundstellen: StV 2021, 358
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner