HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1205
Bearbeiter: Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 305/21, Beschluss v. 22.09.2021, HRRS 2021 Nr. 1205
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 20. Mai 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen versuchter Nötigung in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen mit der Sachrüge geführte Revision der Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
1. Das Landgericht hat hinsichtlich der Anlasstaten Folgendes festgestellt:
Die Angeklagte, die bereits seit vielen Jahren (fast) durchgängig zivilrechtlich untergebracht war, wurde im Sommer 2020 in das I. -Klinikum verlegt. Am 31. August 2020 wurde sie aufgrund einer vorangegangenen Selbstverletzung zur Behandlung in das Klinikum W. gebracht.
Dort schlug die Angeklagte einer Krankenpflegerin, die versuchte, sie durch Festhalten am Verlassen der Notaufnahme zu hindern, mehrfach mit den Fäusten gegen den Oberkörper und trat ihr gegen Beine und Füße (Fall C. I. 2. der Urteilsgründe). Am 19. September 2020 zündete die Angeklagte auf einer Damentoilette des I. -Klinikums auf dem Fußboden unter einem Waschbecken Papiertücher an, um auf diese Weise ihre Unterbringung in der Forensik zu erreichen (Fall C. I. 1. a) der Urteilsgründe). Dabei bestand keine Gefahr der Ausbreitung des Feuers und der Verletzung von Personen. In den darauffolgenden zwei Wochen äußerte sie mehrfach gegenüber dem medizinischen Personal, die Klinik in Brand setzen zu wollen, um eine Verlegung in die Forensik zu erreichen (Fälle C. I. 1. b) bis f) der Urteilsgründe).
2. Der psychiatrischen Sachverständigen folgend hat das Landgericht angenommen, die Einsichtsfähigkeit der Angeklagten sei bei allen Taten erhalten, die Steuerungsfähigkeit jedoch aufgrund einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ erheblich vermindert gewesen (§ 21 StGB). Es hat die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB bejaht und die Gefährlichkeitsprognose vor allem darauf gestützt, dass die Angeklagte sowohl im Rahmen der einstweiligen Unterbringung als auch in der Vergangenheit „immer wieder durch Angriffe auf die körperliche Integrität anderer aufgefallen“ sei (UA S. 29).
1. Der Schuldspruch hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Dahinstehen kann, ob die Feststellungen die Verurteilung der Angeklagten wegen versuchter Nötigung in sechs Fällen tragen. Insoweit hat das Landgericht lediglich festgestellt, dass die Angeklagte mit allen Drohungen das Ziel verfolgte, in die Forensik verlegt zu werden (UA S. 8). Feststellungen zum Vorstellungsbild der Angeklagten fehlen hingegen, sodass offenbleibt, zu welchem erwünschten konkreten Verhalten die Drohungsadressaten veranlasst werden sollten (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2004 - 3 StR 490/03 Rn. 5, 7).
b) Jedenfalls liegt ein durchgreifender Rechtsfehler in den widersprüchlichen Feststellungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit der Angeklagten.
Um die revisionsgerichtliche Überprüfung der Schuldfähigkeit eines Angeklagten zu ermöglichen, hat das Tatgericht die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des psychiatrischen Sachverständigen mitzuteilen und sich erkennbar mit ihnen auseinanderzusetzen. Erforderlich ist insoweit insbesondere eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Urteile vom 4. Juli 2018 - 5 StR 580/17 Rn. 11 und vom 9. August 2017 - 1 StR 63/17 Rn. 21; Beschluss vom 16. März 2017 - 4 StR 11/17 Rn. 9).
Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Es fehlt an einer widerspruchsfreien Darlegung, in welcher Weise das festgestellte Krankheitsbild der Angeklagten ihre Handlungsmöglichkeiten in den konkreten Tatsituationen und damit ihre Einsichts- oder seine Steuerungsfähigkeit beeinflusst hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2020 - 4 StR 12/20 Rn. 4; Urteil vom 30. März 2017 - 4 StR 463/16 Rn. 16).
Unter Berufung auf die Sachverständige führt das Landgericht einerseits im Rahmen der Beweiswürdigung aus, dass die Angeklagte, die unter einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ leidet, dem Tatanreiz jeweils „wenig Widerstand entgegen setzen“ konnte (UA S. 22) und begründet damit die Voraussetzungen für eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB. Andererseits legt das Landgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB - ebenfalls unter Berufung auf die Sachverständige - jedoch dar, dass „der Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeitpunkten keine andere Wahl“ blieb (UA S. 27). Diesen Widerspruch löst das Landgericht in den Urteilsgründen nicht auf.
Zwar ist die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ nicht ohne Weiteres geeignet, eine hinreichende Grundlage für die Annahme einer relevanten Verminderung der Schuldfähigkeit darzustellen, sodass vielmehr erforderlich ist, dass der Täter aufgrund der Störung aus einem „mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang“ heraus gehandelt hat (BGH, Urteil vom 6. Juli 2017 - 4 StR 65/17 Rn. 12; Beschluss vom 16. Februar 2021 - 4 StR 495/20 Rn. 15 jeweils mwN). Das Landgericht verkennt jedoch, dass die Feststellung, die Angeklagte habe „keine andere Wahl“ gehabt, zu einer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit führen müsste. Denn danach wäre die Angeklagte zu den jeweiligen Tatzeitpunkten aufgrund ihrer psychiatrischen Erkrankung nicht mehr in der Lage gewesen, nach der Einsicht in das Unrecht der Tat zu handeln (§ 20 StGB).
2. Auch der Strafausspruch hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Soweit das Landgericht im Fall C. I. 1.) a) der Urteilsgründe im Rahmen der Strafzumessung zulasten der Angeklagten die „hohe Qualität des am 19.09.2020 eingesetzten Nötigungsmittels in Form der Brandlegung“ gewertet und dabei auf die „nicht unerhebliche Gefährlichkeit auch im Hinblick auf die hölzerne Bauweise des Gebäudes und für die Mitbewohner“ (UA S. 24) abgestellt hat, steht dies im Widerspruch zu den Feststellungen. Danach bestand bei dem Entzünden der Papiertücher in der gefliesten Damentoilette „keine Gefahr einer Ausbreitung, eines Übergreifens auf wesentliche Gebäudebestandteile, einer relevanten Beschädigung des Gebäudes oder von ernsthaften Rauchgasvergiftungen“ (UA S. 7).
b) Soweit das Landgericht in den Fällen C. I. 1.) b) bis f) der Urteilsgründe strafschärfend eine „Steigerung der zu Nötigungszwecken eingesetzten Bedrohungsäußerungen“ (UA S. 24) berücksichtigt hat, verkennt es, dass die Angeklagte letztlich in allen Fällen geäußert hat, im Klinikum einen Brand legen zu wollen. Die nach den Feststellungen dazu verwandten unterschiedlichen Formulierungen („Klinik in Brand setzen“; „ganze Station abfackeln“; „Brandanschlag verüben“; etc.) rechtfertigen nicht die Annahme einer Steigerung der Drohungen, zumal das Landgericht in mehreren Fällen die Äußerung der Angeklagten nicht in wörtlicher Rede wiedergibt, da diese lediglich sinngemäß von den Zeugen bekundet wurden.
c) Auch die hohe Rückfallgeschwindigkeit, die das Landgericht bei den Taten zulasten der Angeklagten wertet, lässt befürchten, dass das Landgericht einen falschen Maßstab angelegt hat. Zwar kann die Rückfallgeschwindigkeit einen Strafzumessungsgrund darstellen, dem im Einzelfall bestimmender Charakter zukommen kann (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2019 - 3 StR 31/19 Rn. 16 mwN). Bei einem Angeklagten, der im Zustand verminderter Schuldfähigkeit nach § 21 StGB gehandelt hat, kann die Rückfallgeschwindigkeit jedoch nur nach dem Maß der verminderten Schuld zum Nachteil des Angeklagten herangezogen werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. April 2013 - 5 StR 104/13 Rn. 8 und vom 6. Februar 1997 - 4 StR 672/96 Rn. 5). Hinzu kommt, dass die strafschärfende Berücksichtigung der Rückfallgeschwindigkeit voraussetzt, dass sich der Täter von einer hoheitlichen Maßnahme unbeeindruckt zeigt und ungeachtet dessen weitere Straftaten begeht. Dass sich die - nicht vorbestrafte - Angeklagte über entsprechende Warnungen von staatlicher Seite hinweggesetzt hätte, lässt sich den Urteilsgründen jedoch nicht entnehmen.
3. Der Maßregelausspruch hält - auch unabhängig davon, dass mit der Aufhebung des Schuldspruchs die Grundlage für diesen entfällt - rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die besonders gravierend in die Rechte des Betroffenen eingreift. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Täter bei Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Daneben muss es überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird; dadurch muss eine schwere Störung des Rechtsfriedens zu besorgen sein. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 7. September 2021 - 1 StR 255/21 Rn. 7; vom 9. März 2021 - 1 StR 15/21 Rn. 3; vom 2. September 2020 - 1 StR 273/20 Rn. 11 und vom 6. August 2020 - 1 StR 93/20 Rn. 10; jew. mwN).
b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil weder bezüglich der Erheblichkeit der Anlasstaten noch bezüglich der Gefährlichkeitsprognose gerecht.
aa) Rechtlichen Bedenken begegnet bereits die Bewertung sämtlicher Anlasstaten als erhebliche Taten im Sinne des § 63 Satz 1, 2 StGB.
Das Landgericht geht davon aus, dass es sich bei allen Anlasstaten um Gewalt- und Aggressionsdelikte handelt, bei denen regelmäßig die Erheblichkeit zu bejahen sei. Hinsichtlich der Fälle der versuchten Nötigung stellt es dabei - im Ausgangpunkt zutreffend (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2016 - 4 StR 359/16 Rn. 15; Beschlüsse vom 12. Dezember 2017 - 5 StR 432/17 Rn. 18 und vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08 Rn. 11) - darauf ab, dass die Taten geeignet gewesen seien, „den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen“ (UA S. 33).
Zwar sind Bedrohungen nicht von vornherein als unerhebliche Taten einzustufen. Namentlich Todesdrohungen, die den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen vermögen, können den Rechtsfrieden schwerwiegend stören. Allerdings ist schon im Hinblick auf das Gewicht der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlich, dass die Bedrohung in ihrer konkreten Ausgestaltung aus der Sicht des Betroffenen die naheliegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2016 - 4 StR 359/16 Rn. 15; Beschlüsse vom 12. Dezember 2017 - 5 StR 432/17 Rn. 18 und vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08 Rn. 11).
Dies wird mit den bisher getroffenen Feststellungen und der ihnen zugrundeliegenden Beweiswürdigung nicht hinreichend belegt. Zwar verweist das Landgericht zurecht darauf, dass die Angeklagte am 19. September 2020 im Klinikum bereits einen Haufen Papiertücher angezündet hat. Allerdings nimmt das Landgericht insoweit schon keine (versuchte) Brandstiftung an, sondern stellt lediglich fest, dass die Angeklagte mit der Handlung ihre Verlegung in die Forensik beabsichtigte. Die weiteren Ausführungen, wonach die Menschen „einem Feuer kaum entkommen könnten“ und eine besondere Gefahr aufgrund der zum Teil hölzernen Bauweise des Gebäudes bestünde (UA S. 33), stehen im Widerspruch zu den Feststellungen. Danach bestand bei der Tat - wie bereits unter 2. a) ausgeführt - „keine Gefahr einer Ausbreitung, eines Übergreifens auf wesentliche Gebäudebestandteile, einer relevanten Beschädigung des Gebäudes oder von ernsthaften Rauchgasvergiftungen“ (UA S. 7).
Die über die Drohungen hinausgehenden Äußerungen der Angeklagten, wonach ihr die Gefährlichkeit ihrer Handlungen egal sei und es ihr nicht leidtue, wenn alle tot wären, da sie der Mittelpunkt sei, stehen erkennbar im direkten Zusammenhang mit ihrer psychiatrischen Erkrankung und sind in diesem Licht zu bewerten (vgl. BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08 Rn. 11 f.). Dabei lässt das Landgericht außer Betracht, dass die Angeklagte die Drohungen im Rahmen einer (zivilrechtlichen) Unterbringung gegenüber Pflegepersonal und Ärzten getätigt hat. Anders als in der von dem Landgericht herangezogenen Entscheidung, in der der Beschuldigte massive Todesdrohungen im privaten und beruflichen Umfeld ausgesprochen hatte (vgl. BGH, Urteil vom 21. Mai 2014 - 1 StR 116/14), wussten die Bedrohten hier um die psychiatrische Erkrankung der Angeklagten und deren Unterbringung. Dass ungeachtet dessen bei allen versuchten Nötigungen die Erheblichkeitsschwelle überschritten sei, vermag vor diesem Hintergrund nicht zu überzeugen. Darüber hinaus hat das Landgericht schon keine entsprechenden Feststellungen getroffen, die eine Beeinträchtigung des elementaren Sicherheitsempfindens der Bedrohten rechtfertigen würden.
bb) Die vom Landgericht vorgenommene Gefährlichkeitsprognose gemäß § 63 Satz 1 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Die Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu stellen. Dabei sind etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung (vgl. BGH, Urteile vom 20. Januar 2021 - 5 StR 390/20 Rn. 16 und vom 23. November 2016 - 2 StR 108/16 Rn. 12; Beschlüsse vom 18. August 2020 - 5 StR 318/20 Rn. 9 und vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16 Rn. 9). Auch lange zurückliegenden Taten kann eine indizielle Bedeutung zukommen, wenn sie in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und ihre Ursache nicht in anderen Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. Januar 2021 - 5 StR 390/20 Rn. 16; Beschluss vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16 Rn. 9).
(a) Die Gefahrenprognose begegnet bereits deswegen durchgreifenden Bedenken, weil das Landgericht sie auf fremdaggressive Übergriffe der Angeklagten sowohl vor als auch nach den verfahrensgegenständlichen Taten gestützt hat, ohne diese - prozessordnungsgemäß - festzustellen. So habe die Angeklagte im Januar 2010 einer Mitarbeiterin der Jugendschutzstelle München einen Salzstreuer an den Hinterkopf geworfen, im Oktober 2012 einer Mitarbeiterin eine Schöpfkelle auf den Kopf geschlagen und auch in der einstweiligen Unterbringung im I. -Klinikum T. ab November 2020 mehrfach nach dem Personal geschlagen und getreten. Daher sei zu befürchten, dass die Angeklagte nicht nur weitere, den verfahrensgegenständlichen ähnelnde Taten begehen werde; vielmehr sei mit einer Steigerung zu rechnen (UA S. 27).
Tatsächlich sind diese nicht näher konkretisierten Vorwürfe nicht das Ergebnis einer Beweisaufnahme (§ 261 StPO), sondern offenbar die bloße Wiedergabe der Ausführungen einer Zeugin „über polizeilich erfasste Vorgänge“ (UA S. 17) sowie der Sachverständigen, die sich ihrerseits auf die anamnestische Befundlage bezogen hat. Auf solche unpräzisen Angaben vom „Hörensagen“ kann die außerordentlich belastende Maßnahme des § 63 StGB jedoch nicht gestützt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. November 2020 - 1 StR 420/20 Rn. 7; vom 3. März 2020 - 1 StR 51/20 Rn. 3 und vom 18. August 2020 - 5 StR 318/20 Rn. 9, 11).
(b) Soweit das Landgericht die Gefährlichkeitsprognose zudem auf eine Tat aus November 2012 stützt, bei der die Angeklagte eine Krankenschwester bei dem Versuch der Fixierung mit Faustschlägen gegen den Oberkörper angriff, hat es durch das Verlesen des Urteils und die Beiziehung der Verfahrensakte die Tat zwar ordnungsgemäß festgestellt. Das Landgericht hat insoweit - ebenso wie bei den übrigen nicht ordnungsgemäß festgestellten Vortaten - jedoch nicht erkennbar in den Blick genommen, dass diese (Vor-)Taten bereits bis zu zehn Jahre zurückliegen und in der Zeit von November 2012 bis zu den verfahrensgegenständlichen Taten keinerlei fremdaggressive Übergriffe der Angeklagten festgestellt sind.
Damit verkennt das Landgericht, dass es als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten anzusehen ist, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat (vgl. BGH, Urteile vom 23. November 2016 - 2 StR 108/16 Rn. 12 und vom 10. Dezember 2014 - 2 StR 170/14 Rn. 20; Beschlüsse vom 11. Juli 2019 - 1 StR 253/19 Rn. 5 und vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16 Rn. 9). Der Umstand, dass die letzte - inzwischen im Bundeszentralregister getilgte - Verurteilung der Angeklagten aus August 2013 datiert, hätte daher im Rahmen der individuellen Gefährlichkeitsprognose Berücksichtigung finden müssen. Allein der Verweis des Landgerichts auf den Bundeszentralregisterauszug, der keine Eintragungen enthält, genügt insoweit nicht.
(c) Das Landgericht übersieht zudem, dass nicht verfahrensgegenständliche Taten nur dann im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose berücksichtigt werden dürfen, wenn sie ihrerseits in einem Zusammenhang mit der Erkrankung des Täters stehen (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 7. September 2021 - 1 StR 255/21 Rn. 10; vom 9. März 2021 - 1 StR 15/21 Rn. 7; vom 19. Januar 2021 - 4 StR 449/20 Rn. 20; vom 3. Dezember 2020 - 4 StR 371/20 Rn. 18 und vom 17. November 2020 - 4 StR 390/20 Rn. 34; jew. mwN). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das Landgericht für die von ihm in die Gefährlichkeitsprognose einbezogenen Taten nicht belegt. Der Hinweis, es handele sich insoweit um ein „verfestigtes Muster“ (UA S. 30), ersetzt nicht die Feststellung eines symptomatischen Zusammenhangs.
4. Der Senat hebt die Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Dabei wird das neue Tatgericht auch die Entwicklung der Angeklagten in der einstweiligen Unterbringung insbesondere unter Berücksichtigung der aufgenommenen Behandlung mittels Verabreichung einer Depotspritze näher in den Blick zu nehmen und darzustellen haben.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1205
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2022, 68; StV 2022, 288
Bearbeiter: Christoph Henckel