HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 897
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 63/17, Urteil v. 09.08.2017, HRRS 2017 Nr. 897
Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29. September 2016 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet er sich mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, das Urteil mit Ausnahme der Feststellungen zu den der Maßregelanordnung zugrunde liegenden rechtswidrigen Taten auf die Sachrüge hin aufzuheben. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Der zum Urteilszeitpunkt 44 Jahre alte Beschuldigte erkrankte vor etwa 20 Jahren an paranoider Schizophrenie. Schon vor der ersten Diagnose dieser Krankheit wurde er u.a. wegen eines im November 1991 begangenen vorsätzlichen Vollrauschs zu zwei Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass der alkoholisierte Beschuldigte seinem Vermieter nachts mit einem eigens präparierten Messer einen Stich in die Brust versetzte, nachdem dieser ihm wegen Lärmbelästigung den Strom abgedreht hatte.
Akustische Halluzinationen traten bei ihm erstmals 1996 oder 1997 auf. Im Juli 2000 war bereits einmal die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden. Dem lagen als Diebstahl in zwei Fällen, vorsätzlicher gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gewertete Anlasstaten zu Grunde. Im Oktober 2007 ist diese Maßregel zur Bewährung ausgesetzt und fünf Jahre später für erledigt erklärt worden. Im Rahmen der Unterbringung war der Beschuldigte medikamentös eingestellt worden; während der Bewährungszeit ließ er sich mit Depotpräparaten behandeln. Nach der Erledigung der Unterbringung bezog er 2013 eine eigene Wohnung. Ende des Jahres 2014 begann er, entgegen ärztlichem Rat seine Medikamente nach und nach abzusetzen. Im Verlauf des Jahres 2015 trank er auch wieder verstärkt Alkohol. Er wurde mehrmals von der Polizei betrunken in hilfloser Lage aufgefunden; zudem kam es zu Vorfällen im Zusammenhang mit Eigentumsdelikten. Im August 2015 fiel er nach einem Ladendiebstahl durch unangemessenes Verhalten, u.a. Wein- und Lachanfälle, auf.
1. Erste Anlasstat:
Am 7. November 2015 übergab der Beschuldigte seinem Nachbarn A. einen neu gekauften MP3-Player mit der Bitte, darauf Musikdateien aufzuspielen. Da der Nachbar sich vor dem Beschuldigten fürchtete - er hatte ihn seit seinem Einzug im April 2015 als psychisch auffällig erlebt - und den Beschuldigten nicht zu verärgern wünschte, wollte er dem Anliegen nachkommen. Das Aufspielen gelang ihm jedoch nicht, sodass er den MP3-Player an den Beschuldigten zurückgab und dabei bemerkte, dieser sei kaputt. „Infolge der bestehenden paranoiden Schizophrenie gelangte der Beschuldigte zu der Überzeugung“, sein Nachbar sei für den angeblichen Defekt des MP3-Players verantwortlich und sei ihm deshalb zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet. Er forderte deswegen erfolglos die Erstattung des Kaufpreises in Höhe von 35 € von seinem Nachbarn. Dessen Anregung, gemeinsam zum Verkäufer zu gehen und auf einen Umtausch des Geräts zu bestehen, lehnte der Beschuldigte ab.
Gegen 3.30 Uhr am frühen Morgen des 10. November 2015 klopfte und klingelte der Beschuldigte an der Wohnungstür seines Nachbarn, um von diesem die Zahlung von Schadensersatz zu verlangen. Der Nachbar A. wachte zwar auf, öffnete aber aus Angst vor dem Beschuldigten nicht. Der Beschuldigte trat nun mit zwei kräftigen Tritten die Türe ein, ging zum Bett des Nachbarn und riss den daneben befindlichen WLAN-Router aus der Wand. Sodann zerrte er seinen Nachbarn an der Schulter aus dem Bett, schrie ihn an und forderte Geld für den defekten MP3-Player. Der verängstigte Nachbar bot dem Beschuldigten 30 € in Scheinen an. Der Beschuldigte riss ihm das Geld aus der Hand und äußerte „Willst du mich verarschen?“. Er versetzte seinem Nachbarn, der den Angriff geahnt und sich abgewandt hatte, einen schmerzenden Faustschlag auf den Rücken und verließ die Wohnung. Noch vor dem Eintreffen der Polizei gegen 5.00 Uhr klebte der Beschuldigte ein von ihm mit den Worten „UNEHRENHaFt entlassen! FRC“ beschriebenes DIN A4-Blatt an die Wohnungstür des Nachbarn.
Nach dieser Tat zog der Beschuldigte um. Im Laufe des Jahres 2016 befand er sich mehrmals in psychiatrischer Behandlung. Bei jedem Aufenthalt stellten die Ärzte eine ausgeprägte Verlorenheit bzw. Zerfahrenheit des Denkens fest; Anfang Januar 2016 wurden Verfolgungsgedanken und akustische Halluzinationen diagnostiziert, nachdem der Beschuldigte angegeben hatte, er höre das Herz der aufnehmenden Ärztin schlagen und sein Nachbar breche bei ihm ein und stehle. Am 11. April 2016 begab er sich aus eigenem Antrieb zur ambulanten Behandlung, dort wurde bei ihm das Vorliegen von psychotischen Symptomen festgestellt. Die orale Einnahme eines Medikaments wurde verordnet. Am 26. Mai 2016 wurde der Beschuldigte mit einer Blutalkoholkonzentration von zwei Promille in einer Klinik aufgenommen, zuvor befand er sich vom 12. bis zum 16. Mai 2016 stationär in Behandlung. Bei seiner Aufnahme hatte er angegeben, er sehe „quadratisch in 3D“ und komme allein nicht mehr zurecht. Es wurde eine paranoide Schizophrenie und eine Alkoholabhängigkeit diagnostiziert und ihm ein Neuroleptikum verabreicht.
2. Zweite Anlasstat:
Am 21. Mai 2016 wollte der alkoholisierte Beschuldigte in einem Lebensmittelmarkt eine Literdose Bier stehlen. Dazu nahm er eine solche Bierdose aus dem Regal und steckte sie in die mitgeführte Stofftasche. Eine kleinere und preiswerte Bierdose nahm er ebenfalls aus dem Regal und begab sich damit zur Kasse, um lediglich diese zu bezahlen. Bei dem Einstecken der größeren Dose war er jedoch von einem Angestellten beobachtet worden, der ihn an der Kasse nach weiteren zu bezahlenden Produkten fragte. Das Ansinnen des Angestellten, in die Stofftasche des Beschuldigten sehen zu wollen, lehnte er ab. Daraufhin konfrontierte ihn der Angestellte mit seiner Beobachtung und griff nach der Stofftasche. Der Beschuldigte entschloss sich, nunmehr körperlich gegen den Angestellten vorzugehen, um mit der Bierdose entkommen zu können. Er zog deswegen an der Stofftasche. Als der Angestellte aber nicht losließ, packte er ihn kräftig mit einer Hand seitlich am Hals und versuchte, ihn wegzudrücken. Dennoch ließ der Angestellte die Tasche nicht los. Deswegen schlug ihn der Beschuldigte mit der von ihm als Straßenmusikanten mitgeführten Gitarre mehrmals kräftig auf den rechten Unterarm. Der Angestellte ließ immer noch nicht los. Beide zogen nun an der Stofftasche. Der Beschuldigte trat den Angestellten mit dem beschuhten Fuß kräftig gegen den Bauch, wodurch er selbst das Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte. Den Zug der von beiden gehaltenen Tasche nutzte der Beschuldigte aus, um sogleich wieder aufzustehen und mit zunehmender Intensität viermal mit der Gitarre auf den Arm des Angestellten zu schlagen und dabei zu rufen: „Lass los“. Nunmehr ließ der Angestellte die Stofftasche los und der Beschuldigte flüchtete mit der Beute, konnte aber kurz darauf festgenommen werden.
3. Das Landgericht hat für beide Anlasstaten sicher erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit angenommen, aber auch eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit jeweils nicht ausschließen können. Grundlage für diese Bewertung des Landgerichts ist die unter das Eingangsmerkmal des § 20 StGB krankhafte seelische Störung gefasste paranoide Schizophrenie des Beschuldigten. Auf dieser Grundlage hat es die Voraussetzungen des § 63 StGB bejaht. Beide Anlasstaten seien auf die überdauernde paranoide Schizophrenie zurückzuführen. Die entsprechende Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht auf die Gefahr der Begehung erheblicher Körperverletzungshandlungen unter Verwendung von gefährlichen Werkzeugen gegründet. Es hat ebenfalls geprüft, ob eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB in Betracht kommt, dies aber im Hinblick auf die fehlende Erfolgsaussicht infolge der kognitiven Überforderung des Beschuldigten abgelehnt.
1. Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg.
a) Die Revision macht die Verletzung des § 258 Abs. 2 und 3 StPO geltend. Nach ihrem Vortrag habe der Beschuldigte „im Rahmen des letzten Wortes“ zunächst die umfassende Gelegenheit gehabt, sich abschließend zu äußern. „Noch bevor der Vorsitzende die Beweisaufnahme geschlossen hatte“, habe eine sich im Publikum befindende Person, die sich als „Bezugspfleger“ des Beschuldigten vorgestellt habe, ungefragt Ausführungen gemacht. Der Vorsitzende habe sinngemäß geäußert, dass eine Zeugenvernehmung nicht erforderlich sei, man glaube dieser Person auch so. Erst danach sei die Hauptverhandlung zum Zweck der Urteilsfindung „geschlossen“ worden.
Die Rüge ist bereits unzulässig. Denn der Revisionsvortrag ist unzutreffend. Aus dem Protokoll ergibt sich abweichend zum Revisionsvortrag, dass die Beweisaufnahme vor den Schlussvorträgen und vor der Gelegenheit zum letzten Wort - wie es § 258 StPO vorsieht - geschlossen wurde.
Die Rüge wäre auf dieser Tatsachengrundlage aber auch unbegründet. In die Beweisaufnahme ist nicht erneut eingetreten worden, was auch die Revision nicht behauptet. Von daher bestand keine Veranlassung der erneuten Gewährung des letzten Wortes, da der Beschuldigte als letzter Verfahrensbeteiligter vor Beginn der Beratung das Wort hatte (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 30. März 2016 - 4 StR 63/16; Urteil vom 20. März 1959 - 4 StR 416/58, BGHSt 13, 53, 59 f.). Die im Saal anwesende Person war nicht verfahrensbeteiligt. Verfahrensbeteiligt ist nur derjenige, der nach dem Gesetz eine Prozessrolle ausübt, d.h. durch eigene Willenserklärungen im prozessualen Sinne gestaltend als Prozesssubjekt mitwirken muss oder darf (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., Einl. Rn. 70).
Eine Verfahrensbeteiligung der sich zu Wort meldenden Person wird auch in dem vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zu Recht als unklar eingeordnetem Vortrag der Revision, nicht behauptet. Darin ist zwar vereinzelt vom „Zeugen“ die Rede, an anderer Stelle wird aber ausgeführt, diese Person sei „eigentlich nicht Verfahrensbeteiligter“ und von einer Zeugenvernehmung sei abgesehen worden.
b) Auch unter dem Aspekt § 261 StPO versagt die Rüge. Ihr lässt sich schon nicht mit hinreichender Klarheit die Beanstandung entnehmen, dass die Ausführungen der verfahrensunbeteiligten Person außerhalb der Beweisaufnahme Eingang in die Überzeugungsbildung gefunden hätten. Eine solche Rüge wäre jedenfalls aber unbegründet, da die Angaben dieser Person im Urteil keine Rolle spielen.
2. Die auf die nicht ausgeführte Sachrüge hin veranlasste materiellrechtliche Prüfung zeigt ebenfalls keinen Fehler auf. Das Vorliegen der Voraussetzungen der angeordneten Maßregel ist rechtsfehlerfrei belegt.
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16 Rn. 3, NStZ-RR 2017, 76; vom 13. Oktober 2016 - 1 StR 445/16 Rn. 13 ff., StV 2017, 585 und vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16 Rn. 9).
Diesen Anforderungen wird das Urteil gerecht.
a) Jedenfalls die Voraussetzungen der vom Landgericht angenommenen sicher erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit bei Begehung der beiden Anlasstaten werden in für den Senat nachvollziehbarer Weise dargestellt und beweiswürdigend belegt. Erforderlich ist insoweit auf der Ebene der Darlegungsanforderungen stets eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16 Rn. 5, NStZ-RR 2017, 76; vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16 Rn. 11, NStZ-RR 2017, 74 und vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306). Diese Anforderungen gelten auch in Fällen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. Denn die Diagnose einer solchen Erkrankung führt für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 29. April 2014 - 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305; vom 23. August 2012 - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98 und vom 24. April 2012 - 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239). Das sachverständig beratene Landgericht hat das beim Beschuldigten vorliegende dauerhafte Störungsbild und dessen Symptome sorgfältig aufgeklärt und plausibel dargestellt.
aa) Für die erste Tat begründet das Landgericht den Schluss, dass die psychotische Erkrankung des Beschuldigten seine Schuldfähigkeit bei der Tat sicher erheblich vermindert, nicht ausschließbar sogar aufgehoben habe, damit, dass der Beschuldigte wahnbedingt davon ausgegangen sei, ihm stünde ein Schadensersatzanspruch gegen den Nachbarn zu. Ausreichende Anhaltspunkte für eine solche wahnhafte Realitätsverkennung sieht das Landgericht im Einklang mit dem Sachverständigen in der auch in der Hauptverhandlung geäußerten realitätsfremden Vorstellung des Beschuldigten, sein Nachbar habe sein Unglück auf ihn übertragen, sei auch für andere negative Ereignisse in seinem Leben verantwortlich und sei ein französischer Agent. Die psychotisch bedingte Handlungsintention zeige sich auch in dem der Durchsetzung einer Forderung vollkommen unangemessenen Verhalten des Beschuldigten bei der Tat. Der beschriebene Zettel an der Wohnungstür, der darauf hindeute, dass der Beschuldigte wahnbedingt der Überzeugung gewesen sei, der Geschädigte gehöre dem französischen Geheimdienst an, sei ein weiteres Indiz für eine wahnbedingte Veranlassung der Tat. Die Annahme einer akuten psychotischen Symptomatik werde auch dadurch belegt, dass der Beschuldigte in seiner Vernehmung am Tag nach der Tat sehr verworren im Denken und Verhalten gewesen sei. Dies entspreche seinem Verhalten in den ersten Tagen seines Aufenthalts in der Psychiatrie, für die eine akute psychotische Symptomatik beschrieben werde.
bb) Für die zweite Tat stützt das Landgericht sich vor allem auf die tatzeitnahen psychiatrischen Befunde. So sei der Beschuldigte bis zum 16. Mai 2016 - mithin fünf Tage vor der Tat - in stationärer psychiatrischer Behandlung gewesen. Er habe hierbei schwere psychotische Beeinträchtigungen geschildert. Die anlässlich des Aufenthalts nur kurzfristig verabreichte Medikation sei - im Anschluss an den Sachverständigen - nicht geeignet, auf das psychotische Erleben des Beschuldigten in so kurzer Zeit Einfluss zu nehmen. Nachdem er noch am Tattag festgenommen worden sei, sei er am 2. Juni 2016 in das Justizvollzugskrankenhaus verlegt worden, wo eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden sei. Daher sei trotz zielgerichtet anmutenden Vorgehens des Beschuldigten, nämlich das Einstecken der wertvolleren und das Vorzeigen der günstigeren Ware, davon auszugehen, dass der Beschuldigte die Tat nicht nur aufgrund seiner Alkoholisierung, sondern auch aufgrund seiner paranoiden Schizophrenie begangen habe. Dies werde belegt durch den Umstand, dass der Beschuldigte seine Gitarre als Schlagwerkzeug eingesetzt habe. Auf diese sei er als Straßenmusiker angewiesen, sie habe einen erheblichen Vermögenswert für ihn dargestellt. Dass er sie dennoch als Schlagwerkzeug mit dem Risiko der Beschädigung eingesetzt habe, sei ein Indiz für die krankheitsbedingte Beeinträchtigung seiner Schuldfähigkeit.
cc) Diese Ausführungen belegen für beide Taten noch hinreichend konkret und nachvollziehbar, dass die festgestellte schizophrene Erkrankung des Beschuldigten zu einer jedenfalls sicher erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit bei den Taten geführt hat. Für die erste Tat ist die wahnbedingte Motivation des Beschuldigten festgestellt und tragfähig begründet. Entgegen den Ausführungen des Generalbundesanwalts sind diese Voraussetzungen auch für die zweite Anlasstat noch ausreichend belegt.
Die Feststellungen zu dem gut dokumentierten Verhalten des Beschuldigten wenige Tage vor und nach der Tat und den dabei zu Tage getretenen produktivpsychotischen Symptomen tragen den Schluss, dass auch die inmitten dieser Phase gelegene Tat unter der Wirkung eines akuten Schubs der Erkrankung - die nicht tageweise zwischen akut und nicht akut schwankt, sondern deren akuter Zustand sich über längere Phasen anbahnt - begangen worden ist. Soweit der Generalbundesanwalt die Darstellung der Befindlichkeit des Beschuldigten unmittelbar nach der Festnahme vermisst, ist von der Revision eine zulässige Aufklärungsrüge nicht erhoben. Auch die Auswirkungen dieser akuten Psychose auf die Begehung der Tat sind noch ausreichend dargestellt. Auf der Grundlage, dass der Beschuldigte im Tatzeitraum unter schweren psychotischen Beeinträchtigungen gelitten hat, deren Symptome sich bei ihm vor allem durch verworrenes Denken und Verhalten gezeigt haben und diese auch im Tatbild Ausdruck gefunden haben, ist der Schluss auf eine durch krankheitsbedingte kognitive Einbußen sicher erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit tragfähig (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145 mwN). Dies bringt das Landgericht auch durch die Bezugnahme auf den, aus Sicht des Beschuldigten als unvernünftig beurteilten Einsatz der Gitarre zum Ausdruck. Eine durch kognitive Verzerrungen hervorgerufene relevante Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit setzt auch nicht zwingend wahnhaftes Erleben voraus.
dd) Selbst wenn diese Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit durch Alkohol mitverursacht worden wäre, hinderte dies nicht die Annahme einer dauerhaften Störung im Sinne des § 63 StGB. Denn tragender Grund für den Zustand im Sinne des § 63 StGB ist die Psychose des Beschuldigten. Dann kommt es nicht darauf an, ob die Schwelle zur verminderten Steuerungsfähigkeit durch ein alltägliches Ereignis, nämlich den Alkoholkonsum überschritten wurde (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017 - 4 StR 595/16 Rn. 11, NStZ-RR 2017, 203 mwN; Urteil vom 17. Februar 1999 - 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369, 375). Dies gilt zumal, da der Beschuldigte mit der zunehmenden Symptomatik seiner Psychose vermehrt Alkohol trank.
ee) Soweit das Landgericht zudem eine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit nicht auszuschließen vermochte, wirkt sich dies nicht zum Nachteil des Beschuldigten aus. Hier führt es nur dazu, dass der Beschuldigte keine zusätzliche Freiheitsstrafe erhält. Bleiben aber nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht behebbare tatsächliche Zweifel bestehen, die sich auf die Art und den Grad des psychischen Ausnahmezustandes beziehen, ist zugunsten des Täters zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 19. November 2014 - 4 StR 497/14, NStZ-RR 2015, 71 mwN). Zu Lasten des Beschuldigten wirkende Folgen aus der Annahme der nicht ausschließbar aufgehobenen Einsichtsfähigkeit sind nicht erkennbar.
b) Auch die Gefährlichkeitsprognose ist nicht zu beanstanden. Die für eine Unterbringung nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist nur dann gegeben, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde (vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Januar 2017 - 4 StR 595/16 Rn. 11, NStZ-RR 2017, 203 mwN). Eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung erheblicher Straftaten wird durch die Urteilsgründe auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Beschuldigten, seines Vorlebens und der Anlasstaten belegt (vgl. hierzu nur BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 - 1 StR 445/16 Rn. 13 ff., StV 2017, 585 und vom 3. Juni 2015 - 4 StR 167/15, StV 2016, 724). Diese Prognose erstreckt sich auch darauf, ob und welche Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 - 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31; BGH aaO). Hierzu stellt das Landgericht im Wesentlichen darauf ab, dass bei dem Beschuldigten trotz adäquater und streng überwachter Medikation in der einstweiligen Unterbringung bisher kein vollständiges Abklingen der psychotischen Symptomatik zu verzeichnen sei. Zudem bestehe keine tiefergehende Krankheits- und Behandlungseinsicht. Dies finde Beleg in dem Verhalten des Beschuldigten in der Hauptverhandlung, in der er ersichtlich von Wahnvorstellungen geprägte Schilderungen abgegeben habe. Deswegen sei davon auszugehen, dass der Beschuldigte bei einer Entlassung die Medikamente sofort absetzen und wieder tiefer in ein psychotisches Erleben abgleiten würde. Dies wiederum lasse den Anlasstaten gleichartige Taten erwarten, insbesondere weil er in Situationen, in denen er krankheitsbedingt überfordert sei oder sich im Recht fühle, Gewalt gegen Personen einsetze, um seine Ziele durchzusetzen.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 897
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 316
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede