HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 507
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 11/17, Beschluss v. 16.03.2017, HRRS 2017 Nr. 507
1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 13. Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Feststellungen zu den äußeren Geschehnissen in der Zeit vom 18. Juli 2014 bis 25. Juli 2014 und am 26. Juli 2014 (Seiten 15 bis 17 der Urteilsgründe) sowie am 6. Januar 2013, 7. und 8. Juli 2013, 14. Februar 2016 und 11. März 2016 (Seiten 18 und 19 der Urteilsgründe) bleiben aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision der Beschuldigten hat mit der Sachrüge Erfolg. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Die Beschuldigte leidet spätestens seit dem Jahr 2003 an einer paranoiden Schizophrenie. Mit Urteil vom 1. Februar 2007 ordnete das Landgericht Nürnberg-Fürth ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an und setzte deren Vollstreckung zur Bewährung aus. Aufgrund der in der Bewährungszeit durchgeführten Maßnahmen (ambulante Therapie, Medikation) kam es bei ihr zu einer Besserung und Stabilisierung des Gesundheitszustands. Nachdem die Beschuldigte mit Ablauf der Bewährungszeit die Einnahme der Medikamente beendet hatte, verschlechterte sich ihre psychische Erkrankung bereits im Laufe des Jahres 2012 wieder. In der Folge kam es zu Auseinandersetzungen mit ihrem geschiedenen Ehemann A. F., mit dem sie einen Streit um das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder D. und L. führte. Mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 25. Juli 2013 wurde A. F. die alleinige elterliche Sorge für beide Kinder übertragen.
Am 18. Juli 2014 fuhr die Beschuldigte ohne die erforderliche Fahrerlaubnis mit dem Auto von Fr. nach N., wo A. F. mit den gemeinsamen Kindern wohnte. Dort nahm sie Kontakt zu ihrer am 19. Juli 2002 geborenen Tochter L. auf und fuhr mit dieser ohne Absprache mit A. F. zurück nach Fr., wo sie ihre Tochter für eine Hospitation an einem Gymnasium angemeldet hatte. Am 25. Juli 2014 begab sich A. F. nach Fr., um L. nach N. zurückzuholen. Nachdem er sie von der Schule abgeholt hatte, fuhr er mit ihr zur Wohnung der Beschuldigten, um dort befindliche persönliche Gegenstände mitzunehmen. Nachdem A. F. die Beschuldigte dort nicht anzutreffen vermochte, verständigte L. ihre Mutter über das Mobiltelefon. In der Folge beging die Beschuldigte „im Zustand einer krankheitsbedingten Einschränkung ihrer Schuldfähigkeit“ die folgenden Taten:
a) Nachdem A. F. das Mobiltelefon seiner Tochter übernommen hatte, drohte ihm die Beschuldigte, ihn umzubringen, falls er nicht verschwinde. Anschließend fuhr sie mit einem Pkw durch das Stadtgebiet von Fr. zu ihrer Wohnung. Die dazu erforderliche Fahrerlaubnis besaß sie, wie sie auch wusste, nicht. Dort ging sie mit einer drohend nach oben gehaltenen Eisenstange (92 cm lang und 2,915 kg schwer) auf A. F. zu und warf diese in Richtung seines Unterkörpers. A. F. vermochte reaktionsschnell auszuweichen, sodass er nicht getroffen wurde. Unmittelbar im Anschluss daran veranlasste die Beschuldigte ihre Tochter L., in ihren Pkw einzusteigen und auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Als die Zeugin B., die das Geschehen beobachtet hatte, hinzutrat und an die Schulter von L. griff, um das sichtlich gezwungene Kind wieder aus dem Pkw zu holen, biss ihr die Beschuldigte ohne rechtfertigenden Grund in die Hand. B. erlitt dadurch, wie von der Beschuldigten billigend in Kauf genommen, Schmerzen und eine kleine Schürfung. Infolgedessen ließ sie von weiteren Versuchen ab, das Wegbringen des Kindes zu verhindern. Die Beschuldigte fuhr sodann mit dem Pkw davon. A. F., der zwischenzeitlich die Beifahrertür offengehalten hatte, lief noch wenige Schritte neben dem langsam fahrenden Auto her, ehe er die Tür zuwarf, um nicht selbst gegen einen Laternenpfahl zu stoßen (Ziffer II - Taten der Antragsschrift - Nr. 1).
b) Am 26. Juli 2014 schrie die Beschuldigte im Hausflur vor ihrer Mietwohnung herum, schlug gegen Wände und warf Gegenstände zu Boden. Außerdem klopfte sie gegen die Wohnungstür ihrer im gleichen Haus wohnenden Vermieter. Als ihr nicht sogleich geöffnet wurde, kehrte sie in ihre Wohnung zurück. Als ihre Vermieterin, die Zeugin M., an ihrer Wohnungstür klopfte oder klingelte, um sie zur Rede zu stellen, öffnete die Beschuldigte die Tür und würgte die Zeugin M. unvermittelt für kurze Zeit am Hals. Die Zeugin M. erlitt dadurch, wie von der Beschuldigten vorhergesehen und billigend in Kauf genommen, Schmerzen am Hals. Für etwa eine Stunde war eine durch das Drücken verursachte Hautrötung am Hals sichtbar (Ziffer II - Taten der Antragsschrift - Nr. 2).
2. Die Strafkammer hat angenommen, dass die Beschuldigte rechtswidrige Taten begangen habe, die als versuchte gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung, Bedrohung, Nötigung und Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie Körperverletzung zu bewerten seien. Bei allen Taten habe sich die Beschuldigte aufgrund einer paranoiden Schizophrenie „zumindest im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB), nicht ausschließbar sogar im Zustand aufgehobener Schuldfähigkeit“, befunden (§ 20 StGB). Bei ihr liege eine paranoide Schizophrenie und damit ein Zustand von Dauer vor. Von ihr seien aufgrund ihres Zustands den Anlasstaten ähnliche rechtswidrige Taten mit einem höheren Wahrscheinlichkeitsgrad zu erwarten.
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass die Beschuldigte eine der Anlasstaten im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB begangen hat.
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Dazu bedarf es einer konkreten Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Handlungsmöglichkeiten des Täters in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76, 77; Beschluss vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75; Beschluss vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; Beschluss vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306).
2. Diesen Anforderungen wird das tatrichterliche Urteil nicht gerecht.
Konkrete Feststellungen dazu, ob und in welcher Weise die paranoide Schizophrenie der Beschuldigten Auswirkungen auf die Begehung der festgestellten Anlasstaten hatte, hat das Landgericht nicht getroffen. Auch wird nicht zwischen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit unterschieden. Allein die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie vermag diese Feststellungen nicht zu ersetzen. Soweit in den Urteilsgründen psychisch auffällige Verhaltensweisen der Beschuldigten in der Hauptverhandlung am 20. April 2016 und 11. Mai 2016 mitgeteilt werden (rasche Stimmungswechsel, aufbrausendes und verbal aggressives Verhalten etc.), handelt es sich um Geschehnisse, die in keinem zeitlichen Zusammenhang zu den Anlasstaten stehen. Gleiches gilt für die Berichte über Befunde und Einschätzungen anderer Sachverständiger aus den Jahren 2006 (labiler Affekt, inhaltliche Denkstörungen mit paranoid getönten Themenbereichen etc.) und 2007 (psychotische Symptome mit Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn). Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass bei der Beschuldigten im Betreuungsverfahren Erlebtes zu Überwachungsempfinden, der Furcht, abgehört zu werden, und zu der Einschätzung geführt habe, dass ihr Ehemann in ein feindlich gesonnenes Netzwerk eingebunden sei, fehlt es an phänomengebundenen Feststellungen, die dies belegen könnten. Die zu den Anlasstaten getroffenen Feststellungen lassen einen konkreten Bezug zu derartigen Wahninhalten nicht erkennen.
3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den äußeren Geschehnissen bei den Anlasstaten und deren Vorgeschichte sowie weiteren im Urteil geschilderten Vorfällen können in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Dies entspricht dem Antrag des Generalbundesanwalts, der zwar im Eingang seiner Antragsschrift eine (umfassende) Aufhebung des Urteils nach § 349 Abs. 4 StPO beantragt, in der Antragsbegründung die Feststellungen zum äußeren Geschehen aber ausdrücklich als rechtsfehlerfrei bezeichnet und die Voraussetzungen für deren Aufrechterhaltung nach § 353 Abs. 2 StPO für gegeben erachtet hat.
Der neue Tatrichter wird sich gegebenenfalls auch mit der Frage zu befassen haben, ob die Beschuldigte von dem Versuch einer gefährlichen Körperverletzung (Wurf mit der Eisenstange) zurückgetreten ist und - soweit dies der Fall sein sollte - welche Auswirkungen dies auf eine zu stellende Gefährlichkeitsprognose haben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2016 - 4 StR 185/16, StV 2016, 719, 720; Kaspar in: SSW-StGB, 3. Aufl., § 63 Rn. 16 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 507
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede