HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2025
26. Jahrgang
PDF-Download



V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

61. BGH 4 StR 75/24 – Beschluss vom 11. September 2024 (LG Bochum)

Unrichtige Dokumentation einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 (Unrichtige Dokumentation einer überhaupt nicht durchgeführten Impfung; § 74 Abs. 2 IfSG keine Blankettstrafnorm; Konkurrenzen: Verhältnis zum Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, Tateinheit, keine Konsumtion, Klarstellungsfunktion).

§ 74 Abs. 2 IfSG; § 73 Abs. 1a Nr. 8 IfSG; § 22 Abs. 1 IfSG; § 278 Abs. 1 StGB; § 52 StGB

1. Die Strafvorschrift des § 74 Abs. 2 IfSG erfasst auch den Fall der wissentlichen Dokumentation einer tatsächlich überhaupt nicht durchgeführten Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. Die gesetzgeberische Bezugnahme auf § 73 Abs. 1a Nr. 8 IfSG und § 22 Abs. 1 IfSG begründet keine abschließende Umgrenzung der tauglichen Tathandlungen. § 74 Abs. 2 IfSG ist nicht als Blankettstrafnorm konzipiert, sondern umschreibt das unter Strafe gestellte Verhalten selbstständig und abschließend.

2. Gesetzeseinheit in der Form der Konsumtion liegt vor, wenn der Unrechts- und Schuldgehalt eines Delikts durch die Bestrafung wegen eines anderen Delikts deshalb hinreichend ausgeglichen wird, weil der verdrängte Tatbestand sich im Regelbild der typischen Begleittat hält und keinen eigenständigen, über die Haupttat hinausgreifenden Unrechtsgehalt aufweist. Das Unrecht des zurücktretenden Delikts muss bei der Verurteilung wegen des verbleibenden Delikts erschöpfend erfasst werden. Die Konsumtion setzt die Verletzung mehrerer Rechtsgüter desselben Rechtsgutsträgers voraus. Unterschiedliche Schutzrichtungen der in Rede stehenden Tatbestände können hingegen für die Annahme klarstellender Idealkonkurrenz sprechen.

3. Die Tatbestände des § 278 Abs. 1 StGB (in der ab dem 24. November 2021 geltenden Fassung) und des § 74 Abs. 2 IfSG stehen im Verhältnis der Idealkonkurrenz zueinander, wenn sich das Gesundheitszeugnis auf das Coronavirus SARS-CoV-2 bezieht. Zwischen § 74 Abs. 2 IfSG und § 278 Abs. 1 StGB besteht kein Verhältnis der Konsumtion. Beide Delikte unterscheiden sich in ihrer Schutzrichtung und ihrem Anwendungsbereich, sodass aus Klarstellungsgründen Idealkonkurrenz anzunehmen ist.


Entscheidung

23. BGH 2 StR 204/24 – Beschluss vom 31. Juli 2024 (LG Gießen)

Handeltreiben mit Cannabis (Beihilfe; Schusswaffe: Luftdruckpistole); Anbau von Cannabis (Mittäterschaft; Anbau: Vorgänge der Ernte); Herstellen von Cannabis (Mittäterschaft; Herstellen: Verhältnis zu Anbau, Vorgänge der Ernte, Auslegung, Eigenkonsum; Konkurrenzen: Anbau, Tateinheit, natürliche Handlungseinheit, Verklammerung, Beihilfe).

§ 34 KCanG; § 27 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 52 StGB

1. Angesichts des eindeutigen Wortlauts und des aufgezeigten gesetzgeberischen Willens sieht der Senat keinen Ansatz, den Begriff des Anbaus von Cannabis im Hinblick auf den in Grenzen legalisierten Anbau und Besitz von Cannabis aus teleologischen Gründen − unter gleichzeitiger Einengung des Begriffs des Herstellens im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 3 KCanG – dahin auszulegen, dass der Anbau auch Vorgänge nach der Ernte erfasst.

2. Mehrere Handlungen im natürlichen Sinne werden zu einer Handlungseinheit und damit zu einer Tat im Rechtssinne zusammengefasst, wenn zwischen den verschiedenen strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein solcher unmittelbarer Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise (objektiv) auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengefasstes Tun darstellt und die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind.

3. Voraussetzung einer Tateinheit durch Verklammerung ist, dass die Ausführungshandlung zweier oder mehrerer an sich getrennt verwirklichter Delikte zwar

nicht miteinander, wohl aber mit der Ausführungshandlung eines dritten Tatbestandes (teil-)identisch sind. Die Einheit durch Klammerwirkung kommt dabei jedoch nur in Betracht, wenn zwischen wenigstens einem der an sich selbständigen Straftaten und dem sie verbindenden Glied annähernde Wertgleichheit besteht.


Entscheidung

44. BGH 3 StR 386/24 – Beschluss vom 2. Oktober 2024 (LG Düsseldorf)

Strafzumessung im Betäubungsmittelstrafrecht (Freiheitsstrafe für den Besitz einer geringen Menge Betäubungsmittel zum Eigenkonsum); Strafaussetzung zur Bewährung; Anrechnung der im Verfahren erlittenen Untersuchungshaft.

§ 46 StGB; § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB; § 56 StGB

1. Es ist nicht generell ausgeschlossen, den Besitz einer geringen Menge Betäubungsmittel zum Eigenkonsum mit Freiheitsstrafe zu ahnden. Ein solches Vorgehen verstößt nicht ohne Weiteres gegen das Übermaßverbot. Jedoch bedarf es in den Urteilsausführungen dann regelmäßig einer Nennung nachvollziehbarer Gründe, welche die persönliche Schuld des Angeklagten oder das geringe Tatunrecht erhöhen.

2. Es bedarf keiner Prüfung der Strafaussetzung zur Bewährung nach Maßgabe der §§ 56 ff. StGB, wenn eine verhängte Freiheitsstrafe bereits vollständig durch die nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB anzurechnende Untersuchungshaft erledigt ist.


Entscheidung

65. BGH 4 StR 383/24 – Beschluss vom 6. November 2024 (LG Siegen)

Konkludenter Eröffnungsbeschluss (Fehlen eines schriftlichen Eröffnungsbeschlusses: Haftentscheidung).

§ 203 StPO

Zur Eröffnung des Hauptverfahrens genügt die schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zuzulassen. Diese kann sich auch aus einer Haftentscheidung ergeben.