Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2025
26. Jahrgang
PDF-Download
1. Die fehlende Bescheidung von Einwänden gegen die Verwertbarkeit von EncroChat-Daten während der Hauptverhandlung oder in den schriftlichen Urteilsgründen verletzt das Recht des Angeklagten auf rechtliches Gehör bereits deshalb nicht, weil das Tatgericht nach der Strafprozessordnung grundsätzlich nicht verpflichtet ist, die Verwertbarkeit von Beweisen zu begründen. Im Übrigen wäre ein etwaiger Gehörsverstoß in der Revisionsinstanz geheilt worden, weil der Bundesgerichtshof unter umfassender Auseinandersetzung mit dem Vortrag des Angeklagten im Einzelnen dargelegt hat, weshalb ein Beweisverwertungsverbot nicht besteht (Folgeentscheidung zum Beschluss des BGH vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21 – [= HRRS 2022 Nr. 393]).
2. Von einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof kann das Revisionsgericht nicht allein mit der Erwägung absehen, die Frage der Verwertbarkeit von Beweismitteln in einem nationalen Strafverfahren sei nach der Rechtsprechung des EuGH eine solche des nationalen Rechts, wenn bei dessen Anwendung eine Frage des Unionsrechts die zu treffende Entscheidung als Vorfrage beeinflussen kann. Letzteres ist der Fall, wenn das Revisionsgericht ohne Herbeiführung einer Klärung durch den EuGH die Auffassung vertritt, auf eine Europäische Ermittlungsanordnung, die allein auf die Übermittlung von bereits im Besitz der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats befindlichen Beweismitteln gerichtet ist, sei Art. 6 Abs. 1 Buchstabe b RL EEA nicht anwendbar, so dass der Erlass der EEA nicht voraussetze, dass die Datenerhebung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen hätte angeordnet werden können.
3. Wenngleich der EuGH für den genannten Fall zwischenzeitlich eine Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 Buchstabe b RL EEA bejaht hat (Urteil vom 30. April 2024 – C-670/22 – [= HRRS 2024 Nr. 644]), beruht die Revisionsentscheidung nicht auf der unterbliebenen Vorlage, weil der Bundesgerichtshof ebenfalls geprüft hatte, ob die Datenübermittlung in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall unter denselben Bedingungen hätte erfolgen können, wobei er als innerstaatliche Vergleichsmaßnahme in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Online-Durchsuchung nach § 100b StPO herangezogen hatte, deren Erkenntnisse der strafprozessual restriktivsten Verwendungsschranke des § 100e Abs. 6 StPO unterliegen.
4. Als nicht entscheidungserheblich erweist sich das Unterbleiben einer Vorlage an den EuGH auch insoweit, als dieser zwischenzeitlich festgestellt hat, die Pflicht zur Benachrichtigung über die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs (Art. 31 RL EEA), welcher die von den französischen Behörden im EncroChat-Komplex durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen unterfielen, bezwecke – abweichend von der Auffassung des BGH – den Schutz der Zielperson auch hinsichtlich der Verwendung der Daten im unterrichteten Mitgliedstaat. Denn auch für diesen Fall hatte der BGH ein Beweisverwertungsverbot hilfsweise geprüft und verneint.
5. Die Würdigung des BGH, wonach EncroChat-Daten keinem aus einem Verfahrensfehler abgeleiteten Beweisverwertungsverbot unterliegen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung sind im konkreten Fall nicht verwertet worden. Die Erhebung der Informationen im Ausland widerspricht auch nicht den wesentlichen rechtsstaatlichen Grundsätzen im Sinne des deutschen und europäischen ordre public. Indem der BGH die Verwertung der Informationen unter Abwägung der widerstreitenden Interessen davon abhängig macht, ob bei Betrachtung zum Verwertungszeitpunkt die Voraussetzungen der – nicht unmittelbar anwendbaren – § 100e Abs. 6, § 100b Abs. 2 Nr. 5 Buchstabe b StPO erfüllt sind, unterschreitet er das unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit Gebotene jedenfalls nicht.
6. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht seiner aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Verpflichtung, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nachgekommen ist, auch wenn es sich in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich damit befasst. Schweigt eine Entscheidung jedoch zum Kern des Parteivorbringens, der für den Verfahrensausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist, so lässt dies den Schluss zu, dass der Vortrag nicht beachtet worden ist.
7. Art. 267 AEUV gliedert den Europäischen Gerichtshof im Interesse der Einheit der Unionsrechtsordnung funktional in die Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten ein. Die unterbliebene Einleitung eines Vorlageverfahrens an den EuGH kann den Rechtssuchenden daher in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzen.
8. Das Bundesverfassungsgericht überprüft nur, ob das Fachgericht die unionsrechtliche Vorlagepflicht offensichtlich unhaltbar gehandhabt hat. Dies ist der Fall, wenn ein letztinstanzliches Hauptsachegericht trotz Zweifeln an der Rechtsauslegung eine Vorlage nicht in Betracht zieht (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht) oder wenn es ohne Vorlagebereitschaft bewusst von der Rechtsprechung des EuGH abweicht.
9. In den Fällen der Unvollständigkeit der Rechtsprechung des EuGH verletzt das letztinstanzliche Hauptsachegericht mit einer Nichtvorlage das Recht auf den gesetzlichen Richter, wenn es seinen Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschreitet. Dies ist der Fall, wenn es willkürlich davon ausgeht, die Rechtslage sei entweder von vornherein eindeutig („acte clair“) oder durch Rechtsprechung in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt („acte éclairé“).
10. Trotz Verletzung der Vorlagepflicht unterliegt eine letztinstanzliche Hauptsacheentscheidung auch dann nicht der Aufhebung, wenn – auch rückblickend – ausgeschlossen werden kann, dass der EuGH die ihm
vorenthaltene Frage anders als das nationale Gericht in der angefochtenen Entscheidung oder in einer Weise beantwortet hätte, die das nationale Gericht zu einer im Ergebnis anderen Entscheidung veranlasst hätte.
11. Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für den mit einer Beweisverwertung im Strafprozess verbundenen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seinen Ausprägungen als Recht am eigenen Wort, am eigenen Bild und auf informationelle Selbstbestimmung ist § 261 StPO. Von Verfassungs wegen besteht kein Rechtssatz, wonach die Verwertung rechtswidrig erlangter Informationen stets unzulässig wäre. Welche Folgen ein Rechtsverstoß bei der Informationserhebung oder bei der Einführung von Informationen in ein Strafverfahren hat und ob aus dem Verstoß ein Beweisverwertungsverbot folgt, obliegt in erster Linie der Beurteilung durch die zuständigen Fachgerichte.
12. In verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise geht die strafgerichtliche Praxis in gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass die Frage nach dem Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art der verletzten Vorschrift und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist. Die Annahme eines Verwertungsverbots stellt dabei eine Ausnahme dar, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist.
13. Ein Beweisverwertungsverbot ist von Verfassungs wegen allerdings bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, sowie dann anzunehmen, wenn der Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist.
1. Einer Religionsgesellschaft in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist von Verfassungs wegen kein Recht zur Stellung eines Klageerzwingungsantrags einzuräumen.
2. Bei der Umsetzung der aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG folgenden Schutzverpflichtung des Staates kommt dem Gesetzgeber weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu. Das Bundesverfassungsgericht kann insoweit nur eingreifen, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder unzureichend sind oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben.
1. Eine Durchsuchungsanordnung in einem Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehungen in Form eines „Umsatzsteuerkarussells“ ist trotz einer relativ weiten und lediglich gattungsmäßigen Umschreibung der gesuchten beweisgeeigneten Unterlagen und Daten hinreichend konkretisiert, wenn das vorgeworfene Verhalten der Beteiligten und die zugrundeliegenden Indizien in einer Weise dargestellt werden, die erkennen lässt, dass alle Unterlagen über Geschäftsbeziehungen in einem bestimmten Tatzeitraum betreffend eine konkrete Ware und mit konkret benannten Lieferanten erfasst sein sollen.
2. Um den mit einer Durchsuchung verbundenen schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte räumliche Privatsphäre des Einzelnen messbar und kontrollierbar zu gestalten, muss der Durchsuchungsbeschluss den Tatvorwurf und die konkreten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen für die Durchsuchung abgesteckt wird. Das Gericht muss die aufzuklärende Straftat ebenso wie die Art und den vorgestellten Inhalt der gesuchten Beweismittel, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Die Schilderung braucht allerdings nicht so vollständig zu sein wie die Formulierung eines Anklagesatzes oder gar die tatsächlichen Feststellungen eines Urteils.