Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2024
25. Jahrgang
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1. Eine Durchsuchungsanordnung zur Sicherstellung von Datenträgern wegen des Verdachts der Verbreitung und des Besitzes jugendpornographischer Inhalte genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründung eines den Anfangsverdachts, wenn sie sich darauf stützen, dass über ein dem Beschuldigten zuzuordnendes Konto eines Messengerdienstes die Videoaufzeichnung einer männlichen ejakulierenden Person versandt wurde, welche von den Ermittlungsbehörden nachvollziehbar als minderjährig eingestuft wird, weil ihr Gesicht „geradezu kindliche Züge“ aufweise. Allein die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, dass die abgebildete Person tatsächlich volljährig sein könnte, lässt den Anfangsverdacht nicht entfallen.
2. Das Gewicht des mit einer Wohnungsdurchsuchung verbundenen Grundrechtseingriffs verlangt Verdachtsgründe, die über
vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Ein Verfassungsverstoß ist allerdings nur dann anzunehmen, wenn die Auslegung und Anwendung der strafprozessrechtlichen Bestimmungen über die Voraussetzungen des Verdachts objektiv willkürlich sind oder eine grundsätzlich unrichtige Anschauung des (Wohnungs-)Grundrechts erkennen lassen.
1. Ein Oberlandesgericht überspannt die Darlegungsanforderungen an einen Klageerzwingungsantrag betreffend den Vorwurf eines sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses, wenn es beanstandet, die Anzeigenerstatterin habe ein nach formeller Beendigung der Therapie fortbestehendes faktisches Behandlungsverhältnis nicht hinreichend dargelegt und sich nicht genügend mit der bestreitenden Einlassung des Beschuldigten zu einer „Liebesbeziehung auf Augenhöhe“ befasst, obwohl sie zu dem vorausgegangenen Therapieverhältnis, einem Kontaktangebot des Beschuldigten während der Therapie, dem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Behandlung und den behaupteten (einvernehmlichen) sexuellen Handlungen sowie den ausgetauschten Kurznachrichten im Einzelnen vorgetragen hat.
2. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO so auszulegen, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit wiedergeben und eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten muss, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage rechtfertigt.
3. Die Darlegungsanforderungen dürfen allerdings nicht überspannt werden, sondern müssen durch den Gesetzeszweck geboten sein. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung erfordert zwar die Mitteilung des wesentlichen Inhalts der angegriffenen Bescheide sowie der Einlassung des Beschuldigten. Die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen ist aber dann überschritten, wenn sich der Antragsteller mit rechtlich Irrelevantem auseinandersetzen oder die staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen beziehungsweise Einlassungen des Beschuldigten auch in ihren irrelevanten Abschnitten oder gar zur Gänze wiedergeben soll, obwohl sich deren wesentlicher Inhalt aus der Antragsschrift ergibt.
Seit dem 1. August 2024 sind verfahrenseinleitende Anträge, zu denen auch die Verfassungsbeschwerde zählt, durch Rechtsanwälte grundsätzlich als elektronische Dokumente zu übermitteln. Die Einreichung per Telefax genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht.
1. Eine Strafvollstreckungskammer verkennt die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes, wenn sie den Eilantrag eines Strafgefangenen gegen seine Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt ohne Differenzierung zwischen den Voraussetzungen einer Aussetzungsanordnung und einer Vornahmeanordnung unter Verweis auf das Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache zurückweist und dabei verkennt, es sich um eine Anfechtungskonstellation handelt, in welcher das Verbot keine Anwendung findet.
2. Begehrt ein Gefangener Eilrechtsschutz gegen eine Verlegung, so geht es um die vorläufige Aussetzung einer ihn belastenden Maßnahme gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. Dies gilt auch dann, wenn die Verlegung bereits vollzogen wurde und der Gefangene im Eilverfahren zugleich die (vorläufige) Rückgängigmachung des Vollzugs dieser Maßnahme erstrebt.
3. Mit Blick auf das Recht auf effektiven Rechtsschutz ist es nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber im Bereich des Strafvollzugs die sofortige Vollziehung einer Maßnahme als Regel und die Aussetzung des Vollzugs als Ausnahme vorsieht. Dabei muss jedoch gewährleistet sein, dass der Gefangene umgehend eine gerichtliche Entscheidung darüber herbeiführen kann, ob im Einzelfall das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung oder aber sein Interesse an der Aussetzung des Vollzugs überwiegt. Dabei fällt der Rechtsschutzanspruch des Gefangenen umso stärker ins Gewicht, je schwerer die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme Unabänderliches bewirkt.
1. Eine Strafvollstreckungskammer verletzt das Recht eines Strafgefangenen auf rechtliches Gehör, wenn sie in einem strafvollzugsrechtlichen Verfahren betreffend die Verlegung aus einer Sozialtherapeutischen Anstalt in eine Justizvollzugsanstalt ein Schreiben des Gefangenen unberücksichtigt lässt, das zwar (wenige Minuten) nach Ablauf einer gerichtlich gesetzten Äußerungsfrist, jedoch noch vor Erlass der Entscheidung bei Gericht eingegangen ist. Dies gilt auch dann, wenn der Richter von der Geschäftsstelle zuvor die Auskunft erhalten hatte, dass keine Stellungnahme eingegangen sei.
2. Das Rechtsbeschwerdegericht ist gehalten, einen derart offensichtlichen und schwerwiegenden Verfahrensmangel der Versagung rechtlichen Gehörs entsprechend der ständigen fachgerichtlichen Rechtsprechung neben den in § 116 Abs. 1 StVollzG genannten Gründen unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf effektiven Rechtsschutz als weiteren (ungeschriebenen) Zulässigkeitsgrund zu berücksichtigen, selbst wenn das Rügevorbringen des Gefangenen zum Inhalt seiner Stellungnahme und zu deren Entscheidungserheblichkeit hinter den Anforderungen des § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG zurückbleibt.
3. Art. 103 Abs. 1 GG verlangt von den Gerichten, dass sie alle ordnungsgemäß eingegangenen Schriftsätze zur Kenntnis nehmen, soweit das Vorbringen nicht ausnahmsweise aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts außer Betracht bleiben kann. Dabei ist unerheblich, ob die Ursache für eine Nichtberücksichtigung in einem Versehen der Geschäftsstelle oder in anderen Umständen liegt. Das Gericht ist insgesamt dafür verantwortlich, dass das Gebot des rechtlichen Gehörs eingehalten wird. Auf ein Verschulden kommt es insoweit nicht an.