HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2024
25. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

1580. BGH 3 StR 324/24 - Beschluss vom 1. Oktober 2024 (LG Düsseldorf)

Raub mit Todesfolge (lebenslange Freiheitsstrafe).

§ 249 Abs. 1 StGB; § 251 StGB; § 46 StGB

Die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 251 StGB setzt nicht die vorsätzliche Herbeiführung des Todes voraus.


Entscheidung

1560. BGH 1 StR 197/24 - Urteil vom 18. September 2024 (LG Frankfurt am Main)

Einziehung von „für“ die Tat Erlangtem (Einziehung beim Gesellschafter einer Gesellschaft, wenn nur dieser unmittelbar ein Vermögenswert für die Tat zufließt: Erlangen von Tatlohn durch Veräußerung der Gesellschaftsanteile; Begriff des Erlangens „für“ die Tat: Erlangen von Vermögenswerten bereits vor der Tat; Abgrenzung zu sonstigen Zuwendungen, Erlangen durch Insichgeschäft).

§ 73 Abs. 1 Alt. 2 StGB; § 181 BGB

1. Der Grundsatz der Vermögenstrennung steht der Abschöpfung beim Gesellschafter einer Gesellschaft, die „für“ eine rechtwidrige Tat ein Vermögenswert zufließt, jedenfalls dann nicht mehr entgegen, wenn der Täter die in der Gesellschaft angesammelten Erträge dadurch in sein Vermögen überführt, dass er seine Gesellschaftsanteile mit Gewinn veräußert.

2. Aufgrund des Regelungsgefüges der §§ 73, 73b StGB ist bei Einschalten einer juristischen Person oder rechtsfähigen Personengesellschaft bei der Einziehung von „für“ die Tat Erlangtem nicht auf die Wertsteigerung bei den Gesellschaftsanteilen abzustellen, und zwar offensichtlich auch dann nicht, wenn die Gesellschaft ausschließlich oder – wie hier – zumindest überwiegend Einkünfte aufgrund von Straftaten erwirtschaftet. Regelmäßig ist davon auszugehen, dass eine solche Person über eine eigene Vermögensmasse verfügt, die von dem Privatvermögen des Beauftragten, Vertreters oder Organs zu trennen ist.

3. Zur Begründung einer Einziehung gegen den als Organ handelnden Täter bedarf es einer über die faktische Verfügungsgewalt hinausgehenden Feststellung, ob dieser selbst etwas erlangte, was zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz führte. Eine tatsächliche oder rechtliche Vermutung spricht dafür nicht. Vielmehr bedarf es einer Darlegung der besonderen, den Zugriff auf das Vermögen des Täters rechtfertigenden Umstände.

4. Dies ist der Fall, wenn der Täter die Gesellschaft nur als einen formalen Mantel seiner Tat nutzte, zwischen dem eigenen Vermögen und demjenigen der Gesellschaft aber nicht trennte, oder darin, dass jeder aus der Tat folgende Vermögenszufluss an die Gesellschaft an den Täter weitergeleitet wird.

5. Für ein Erlangen „für“ die Tat ist nicht erforderlich, dass andere natürliche Personen dem Einziehungsbetroffenen den Vermögensvorteil für seine Tatbeteiligung zugewendet haben. Auch juristische Personen oder (teil-)rechtsfähige Personengesellschaften können als Leistende zwischengeschaltet werden. Allein die Eigenmächtigkeit eines Einbehalts unterbricht den Kausal- und Zurechnungszusammenhang. Damit können auch sogenannte Insichgeschäfte im Sinne des § 181 Alternative 1 BGB, bei denen ein Täter für sich selbst und zugleich – etwa nach § 35 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 GmbHG – für die juristische Person bzw. Personengesellschaft handelt, von der Einziehungsalternative des § 73 Abs. 1 Alternative 2 StGB erfasst sein. Auch ist denkbar, dass ein Tatbeteiligter zugleich für zwei juristische Personen auftritt (vgl. § 181 Alternative 2 BGB).

6. „Für die Tat“ sind Vorteile erlangt, die einem Beteiligten als Gegenleistung für sein rechtswidriges Handeln gewährt werden, jedoch nicht auf der Tatbestandsverwirklichung beruhen (st. Rspr.). Allein bei der Tatalternative des § 73 Abs. 1 Alternative 2 StGB unterliegen auch im Vorfeld der Tatbegehung erlangte Vermögensvorteile (Vorkasse) der Abschöpfung. Bei der durch eine tatsächliche Betrachtungsweise geprägten Abschöpfung hat der Gesichtspunkt, ob die Vorauszahlungen später durch die Erträge aus der Straftat refinanziert wurden, außer Betracht zu bleiben. Allein der tatsächliche Zahlungsfluss ist maßgeblich; die Zuflüsse sind in diesem Sinne nicht in finanzieller Hinsicht zu werten.

7. Vom inkriminierten Tatlohn sind Zuwendungen abzugrenzen, die der Tatbeteiligte aus einem anderen, von der Tatbegehung unabhängigen Rechtsgrund erhält. Ob ein solcher Rechtsgrund tatsächlich besteht oder ob der Tatlohn lediglich unter dem Deckmantel eines solchen vorge-

täuschten Anspruchs an ihn weitergeleitet wird, ist Tatfrage und im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.


Entscheidung

1507. BGH 2 StR 44/24 - Beschluss vom 31. Juli 2024 (LG Köln)

Einziehung des Wertes von Taterträgen (Wert einer Sache: Wertsteigerungen); Ablehnung von Beweisanträgen (eigene Sachkunde: psychiatrisches Fachwissen, Vorliegen von Anknüpfungstatsachen, Beurteilung durch das Tatgericht; Beweisermittlungsanträge).

§ 73c StGB; § 244 StPO

1. Als Wert einer Sache im Sinne des § 73c Satz 1 StGB ist hier der Verkehrswert der ursprünglich erlangten Vermögenswerte, mithin der im Inland erzielbare Verkaufspreis bzw. ein gegebenenfalls höherer Verwertungserlös maßgeblich. Wertsteigerungen, die bis zum Eintritt der Unmöglichkeit im Sinne des § 73c Satz 1 StGB eingetreten sind, werden berücksichtigt.

2. Zwar zählt psychiatrisches Fachwissen nicht zu den allgemeinen Kenntnissen eines Richters, so dass die Prüfung, ob eine Person an einer schizophrenen Psychose erkrankt ist, von ihm regelhaft nicht ohne sachverständige Unterstützung erfolgen kann. Das Tatgericht ist aber im Regelfall aus eigener Sachkunde in der Lage zu beurteilen, ob überhaupt Anknüpfungstatsachen vorliegen, die auf das Bestehen einer psychotischen Erkrankung hindeuten.


Entscheidung

1617. BGH 5 StR 503/22 - Beschluss vom 4. Juli 2024 (LG Bremen)

Einziehung von Erträgen aus Betäubungsmittelgeschäften.

§ 73 StGB; § 29 BtMG

1. Nach § 73 Abs. 1 StGB unterliegen solche Vermögensgegenstände der Einziehung, die der Täter durch oder für eine rechtswidrige Tat erlangt hat. „Durch“ die Tat erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB ist ein Vermögenswert, wenn er dem Täter unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des Tatablaufs derart zugeflossen ist, dass er seiner tatsächlichen Verfügungsgewalt unterliegt. Da es sich bei dem Erlangen in diesem Sinne um einen tatsächlichen Vorgang handelt, kommt es auf zivilrechtliche Besitz- oder Eigentumsverhältnisse nicht an.

2. Soll der Ertrag aus Betäubungsmittelgeschäften oder dessen Wert abgeschöpft werden, sind regelmäßig Feststellungen zur Entgegennahme der Verkaufserlöse und zu deren Verbleib erforderlich, die durch Beweiserwägungen tragfähig belegt werden müssen. Eine unmittelbare Beteiligung an der Übergabe der Erlöse aus den Betäubungsmittelgeschäften ist nicht erforderlich; es genügt, dass der Beteiligte anschließend ungehinderten Zugriff auf das übergebene Geld nehmen kann. Bezogen auf den Erlös aus Betäubungsmittelgeschäften sind konkrete, durch eine entsprechende Beweiswürdigung belegte Feststellungen zur Entgegennnahme der Verkaufserlöse und deren Verbleib notwendig.


Entscheidung

1614. BGH 5 StR 449/24 - Beschluss vom 6. November 2024 (LG Berlin I)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Schuldunfähigkeit; Einsichts- und Steuerungsfähigkeit; Ausführungen des Sachverständigen; Darlegungserfordernisse; Feststellungen).

§ 63 StGB; § 20 StGB; § 21 StGB

1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat schuldunfähig oder erheblich vermindert schuldfähig war, und die Tatbegehung hierauf beruht. Dabei muss es sich um einen länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekt handeln, der zumindest eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet.

2. Das Tatgericht hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen. Schließt sich das Gericht bei Beurteilung der Schuldfähigkeit den Ausführungen des Sachverständigen an, müssen dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist. Die Urteilsgründe müssen zudem die notwendige Differenzierung zwischen Einsichts- und Steuerungsfähigkeit und eine eindeutige Bewertung des psychischen Zustands des Beschuldigten erkennen lassen.

3. Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose hat auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu erfolgen. Als prognoseungünstig herangezogene tatsächliche Umstände aus dem Vorleben des Täters müssen dabei rechtsfehlerfrei festgestellt und belegt sein.


Entscheidung

1553. BGH 2 StR 515/23 - Urteil vom 9. Oktober 2024 (LG Aachen)

Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Ermessen: Verhältnis zur Verhältnismäßigkeitsprüfung, Ausnahmecharakter, Wirkung eines langjährigen Strafvollzugs, Fortschreiten des Lebensalters, Haltungsänderung, Absehen von der Anordnung, konkrete Anhaltspunkte, lediglich mögliche Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug).

§ 66 StGB; § 62 StGB

1. Bei der Ausübung des Ermessens ist das Tatgericht strikt an die Wert- und Zweckvorstellungen des Gesetzes gebunden. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll der Tatrichter die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit kann der Tatrichter dem Ausnahmecharakter der

Vorschriften des § 66 Abs. 2 und 3 Satz 2 StGB Rechnung tragen. Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind wichtige Kriterien, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind.

2. Ein Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung bei Ausübung des tatrichterlichen Ermessens nach § 66 Abs. 2 und 3 StGB ist nur dann gerechtfertigt, wenn konkrete Anhaltspunkte erwarten lassen, dass dem Täter aufgrund der Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und diesen begleitender resozialisierender sowie therapeutischer Maßnahmen zum Strafende eine günstige Prognose gestellt werden kann. Zum Zeitpunkt des Urteilserlasses noch ungewisse positive Veränderungen und lediglich mögliche Wirkungen künftiger Maßnahmen im Strafvollzug genügen nicht.


Entscheidung

1538. BGH 4 StR 173/24 - Urteil vom 10. Oktober 2024 (LG Landshut)

Beweiswürdigung (beschränkte Revisibilität; Gutachten eines Sachverständigen: Darstellung in den Urteilsgründen; Steuerungsfähigkeit); Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Alkoholintoxikation: vorübergehende Störung); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; Strafzumessung (vertypter Strafmilderungsgrund: Täter-Opfer-Ausgleich, subjektive Bewertung von Opfer und Täter, verobjektivierender Maßstab, Ausgleich).

§ 261 StPO; § 267 StPO; § 63 StGB; § 64 StGB; § 46 StGB; § 46a StGB

Für die Annahme eines friedensstiftenden Ausgleichs darf nicht allein auf die subjektive Bewertung von Opfer und Täter abgestellt werden. Vorrangig ist vielmehr zu prüfen, ob die konkret erbrachten oder ernsthaft angebotenen Leistungen des Täters nach einem objektivierenden Maßstab als so erheblich anzusehen sind, dass damit das Unrecht der Tat oder deren materielle und immaterielle Folgen als „ausgeglichen“ erachtet werden können. Dies folgt schon daraus, dass überhaupt nur angemessene und nachhaltige Leistungen die erlittenen Schädigungen ausgleichen und zu einer Genugtuung für das Opfer führen können.