HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2024
25. Jahrgang
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IV. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

1574. BGH 3 StR 109/24 - Beschluss vom 11. September 2024 (LG Kleve)

Hinweispflicht des Gerichts (Feststellung der besonderen Schuldschwere); Anspruch auf rechtliches Gehör; Grundsatz des fairen Verfahrens.

§ 265 StPO; § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB; Art. 6 Abs. 3 EMRK; Art. 103 Abs. 1 GG

Es besteht keine Pflicht des Gerichts, einem Angeklagten einen Hinweis zu erteilen, wonach die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) in Betracht kommt. Eine solche Pflicht folgt weder aus einer direkten noch entsprechenden Anwendung des § 265 StPO, dem Recht des Angeklagten auf rechtliches Gehör oder dem Grundsatz des fairen Verfahrens.


Entscheidung

1551. BGH 2 StR 431/23 - Beschluss vom 9. September 2024 (LG Marburg)

Dolmetschereid (zwingend: Verzicht, Förmlichkeit, Protokoll; relativer Revisionsgrund: Beruhen, Gegenindizien, allgemeine Beeidigung, Wirksamkeit des Eids, besonderes Justizverwaltungsverfahren, öffentliche Bestellung); Revisionsbegründung (Umfang der Darlegungslast: Beruhen, Dolmetscher, Eid, Vortrag zu den jeweils vorhandenen Sprachkenntnissen).

§ 189 GVG; § 337 StPO

1. Nach § 189 GVG ist jeder Dolmetscher in der Hauptverhandlung zwingend („der Dolmetscher hat“) vor seinem Einsatz („übertragen werde“) zu vereidigen. Ein Verzicht auf die Vereidigung ist aufgrund ihrer Bedeutung in Strafsachen nicht statthaft. Die Eidesleistung kann nach § 189 Abs. 1 GVG durch individuellen Eid oder durch Berufung auf den Eid nach § 189 Abs. 2 GVG erfolgen, sofern der Dolmetscher für Übertragungen der betreffenden Art in einem Land nach den landesrechtlichen Vorschriften allgemein beeidigt ist. Die Beachtung dieser Förmlichkeit kann nach § 274 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden.

2. Der Verstoß gegen § 189 GVG ist ein relativer Revisionsgrund. Mit Blick auf den Zweck der Eidesleistung, dem Dolmetscher seine besondere Verantwortung für die Wahrheitsfindung im konkreten Fall zu verdeutlichen und bewusst zu machen, beruht ein Urteil in der Regel auch auf einem Verstoß gegen § 189 GVG. Zumeist kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein vom Gericht einzelfallbezogen vereidigter oder ein allgemein beeidigter Dolmetscher, der sich zudem unmittelbar vor seinem Tätigwerden in der Hauptverhandlung auf die allgemeine Beeidigung berufen und sich damit seine Eidespflicht noch einmal vergegenwärtigt hat, sorgfältiger als ein nicht vereidigter Dolmetscher übersetzt hätte.

3. In Ausnahmefällen kann das Beruhen allerdings ausgeschlossen werden. Ausgehend vom Schutzzweck des § 189 GVG hat die Rechtsprechung insoweit zahlreiche „Gegenindizien“ und Ausnahmefälle benannt.

Kennzeichnend für diese Fallgestaltungen ist, dass die Zuverlässigkeit des Dolmetschers auf andere Weise als durch den in der Hauptverhandlung unterbliebenen Eid sichergestellt werden kann, so dass lediglich ein formaler, den Zweck des § 189 GVG nicht berührender Verstoß vorliegt.

4. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der in der Hauptverhandlung tätig gewordene Dolmetscher allgemein beeidigt worden ist und lediglich die Wirksamkeit des Eides nach Änderung der maßgeblichen landesrechtlichen Vorschriften wegen Fristablaufs erloschen war oder die Berufung auf den allgemein geleisteten Eid für Übertragungen einer bestimmten Art nicht die zusätzlich vorgenommene Übersetzung einer anderen Art erfasste oder ein als zuverlässig bekannter, allgemein vereidigter Dolmetscher sich versehentlich nicht auf den abgeleisteten Eid berufen hatte.

5. Eine zum Beruhensausschluss führende Zuverlässigkeitsgewähr kann unter Umständen auch darauf gestützt werden, dass der – unvereidigt gebliebene – Dolmetscher ein besonderes Justizverwaltungsverfahren zur allgemeinen Anerkennung als Übersetzer durchlaufen hatte und damit zur Sprachübertragung für gerichtliche und behördliche Zwecke als Übersetzer öffentlich bestellt und allgemein beeidigt war.


Entscheidung

1550. BGH 2 StR 205/24 - Beschluss vom 18. Juni 2024 (LG Meiningen)

Beweiswürdigung (Aussage-gegen-Aussage: besonders sorgfältige Würdigung, Darstellung in den Urteilsgründen, Teileinstellung des Verfahrens, Gründe für die Teileinstellung, Glaubhaftigkeit der Bekundungen).

§ 261 StPO; § 267 StPO; § 154 StPO

Beruhen mehrere Tatvorwürfe auf den belastenden Angaben eines Zeugen und stellt das Tatgericht das Verfahren wegen eines Teils dieser Vorwürfe nach § 154 Abs. 2 StPO ein, kann den Gründen für die Teileinstellung des Verfahrens nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Bedeutung für die Beweiswürdigung zu den verbleibenden Vorwürfen, insbesondere hinsichtlich der Frage der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Belastungszeugen zukommen. Ist dies nach der konkret gegebenen Beweissituation der Fall, ist der Tatrichter aus Gründen sachlichen Rechts gehalten, die Gründe für die Teileinstellung im Urteil mitzuteilen und sich mit deren Beweisbedeutung auseinanderzusetzen.


Entscheidung

1600. BGH 5 StR 202/24 - Beschluss vom 30. Juli 2024 (LG Hamburg)

Zulässigkeit der Verfahrensrüge (kein Verweis auf Tatsachenvortrag in anderen Verfahren).

§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

Gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO muss jeder Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen grundsätzlich so vollständig und genau vortragen, dass das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen. Da der zur Beurteilung der Zulässigkeit erforderliche Sachverhalt eigenständig vorzutragen und eine Bezugnahme auf Schriftsätze anderer Verfahrensbeteiligter oder Aktenbestandteile nicht ausreichend ist, genügt den Vortragsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erst recht kein Verweis auf Tatsachenvortrag in gänzlich anderen Verfahren.


Entscheidung

1561. BGH 1 StR 216/24 - Beschluss vom 31. Oktober 2024

Festsetzung des Gegenstandswerts im Adhäsionsverfahren.

§ 23 Abs. 1 Satz 1 RVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG; § 33 Abs. 1 RVG

Bei Festsetzungsanträgen des Vertreters des Adhäsionsklägers im Revisionsverfahren wegen einer Angeklagtenrevision ist – wenn der Angeklagte die Adhäsionsentscheidung nicht ganz oder teilweise von seinem Revisionsangriff ausnimmt – regelmäßig der Betrag der erstinstanzlichen Verurteilung des Angeklagten maßgeblich. Denn die im Auftrag des Adhäsionsklägers erfolgte anwaltliche Tätigkeit umfasst dann die Verteidigung des vom Tatgericht erstinstanzlich zuerkannten Betrags.


Entscheidung

1618. BGH 5 StR 599/23 - Urteil vom 5. November 2024 (LG Leipzig)

Revision (Angriffsziel; Verfahrensrüge; Begründungsanforderungen; Sachrüge; Kognitionspflicht).

§ 344 StPO

1. Die Kognitionspflicht gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen. Fehlt es daran, ist dies schon auf die Sachrüge hin beachtlich.

2. Gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO muss der Revisionsführer die Verfahrenstatsachen in einer Weise angeben, die das Revisionsgericht allein anhand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt, darüber – unter der Voraussetzung der Erweisbarkeit – endgültig zu entscheiden. Dazu muss der Revisionsvortrag aus sich heraus so verständlich sein, dass das Revisionsgericht ohne weiteres daran anknüpfen kann. Es ist nicht Sache des Revisionsgerichts, den Revisionsvortrag aus vorgelegten Unterlagen an jeweils passender Stelle zu ergänzen.

3. Hinsichtlich des Angriffsziels einer Revision ist der Sinn der Rechtsmittelbegründung maßgeblich. Für Revisionen der Staatsanwaltschaft ist hierbei Nr. 156 RiStBV in den Blick zu nehmen. Danach ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, jedes von ihr eingelegte Rechtsmittel zu begründen (Nr. 156 Abs. 1 RiStBV). Darüber hinaus soll sie ihre Revision stets so rechtfertigen, dass klar ersichtlich ist, in welchen Ausführungen des angefochtenen Urteils sie eine Rechtsverletzung erblickt und auf welche Gründe sie ihre Rechtsauffassung stützt (Nr. 156 Abs. 2 RiStBV). Dies entspricht auch dem Zweck der Vorschrift des § 345 Abs. 2 StPO, die der sachkundigen Zusammenfassung der von der Revision erstrebten rechtlichen Angriffe dient.