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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2024
25. Jahrgang
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1. Bei der Beurteilung möglicher Beihilfehandlungen im Zusammenhang mit staatlich organisierten Massenverbrechen sind bestimmte Besonderheiten zu beachten (zum Ganzen BGH HRRS 2016 Nr. 1123). Diese ergeben sich bei einer Tatserie wie dem systematischen Völkermord an den europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland in tatsächlicher Hinsicht daraus, dass an jeder einzelnen bei dessen Verwirklichung begangenen
Mordtat einerseits eine Vielzahl von Personen in politisch, verwaltungstechnisch oder militärisch-hierarchisch verantwortlicher Position ohne eigenhändige Ausführung einer Tötungshandlung beteiligt war, andererseits aber auch eine Mehrzahl von Personen in Befolgung hoheitlicher Anordnungen und im Rahmen einer hierarchischen Befehlskette unmittelbar an der Durchführung der einzelnen Tötungen mitwirkte.
2. Bei Beihilfehandlungen im Zusammenhang mit dem systematischen Völkermord an den europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland kommt es in rechtlicher Hinsicht nicht darauf an, ob die festgestellte Hilfeleistung in einem „Vernichtungslager“, einem Konzentrationslager oder einem anders bezeichneten und ausgestalteten Lager erbracht wurde. Ebenso wenig ist rechtlich für sich genommen von Bedeutung, ob die zu beurteilenden Handlungen von Wachpersonal begangen wurden, oder von einer Zivilangestellten der SS. Vielmehr sind nach allgemeinen Grundsätzen die Haupttaten und die diese gegebenenfalls fördernden Handlungen des Gehilfen in jedem Einzelfall in den Blick zu nehmen, wobei freilich eine nach Tagesereignissen fragmentierte Betrachtungsweise nicht geboten ist.
3. Die Tätigkeit als Stenotypistin in einem KZ und die dabei erbrachte Bearbeitung des Schriftverkehrs kann den Tatbestand der physischen Beihilfe zu den durch die massenhaften Ermordungen begangenen Haupttaten erfüllen. Solche Tätigkeiten waren für die Ermöglichung der Tatausführung relevant, weil die Bearbeitung von Schriftverkehr, welcher zur Organisation und Durchführung der zahlreichen Tötungen – die nicht auf spontanem, zufälligem oder vereinzeltem Handeln, sondern auf zahlreichen administrativen Vorgängen und umfangreicher Kommunikation der Beteiligten beruhten – in der organisierten, behördengleichen Verwaltungsstruktur des KZ-Systems zwingend erforderlich war. Ferner kann eine psychische Beihilfe darin begründet sein, dass jemand der Lagerleitung, zuverlässig und gehorsam zur Verfügung stand und durch die Tätigkeit (als Stenotypistin) fortwährend die Aufrechterhaltung des Betriebs des Konzentrationslagers und das Gefangenhalten der Inhaftierten absicherte.
4. Bei der Verwaltungstätigkeit in einem KZ kommt eine Einschränkung der Beihilfe nach der Rechtsprechung zu sog. „neutralen“ Handlungen (vgl. nur BGH HRRS 2014 Nr. 185 m.w.N.) regelmäßig nicht in Betracht. Das gilt mit Blick auf die bewusste Aufrechterhaltung der menschenunwürdigen und lebensfeindlichen Haftbedingungen unabhängig davon, ob die in Rede stehenden Beihilfehandlungen zu einer Zeit erbracht wurden, in der das Lager noch nicht vollständig in ein „sog. „Vernichtungslager“ umgewandelt wurde.
Die Abgrenzung zwischen einem unbeendeten und einem beendeten Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont. Wenn der Täter bei einem Tötungsdelikt den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht, liegt ein beendeter Versuch vor. Ausreichend kann die Kenntnis der tatsächlichen Umstände sein, die den Erfolgseintritt nahelegen.
1. Von dem Begriff der Vermögensverfügung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB werden nicht nur die Verfügungen des bürgerlichen Rechts umfasst. Vielmehr ist hierunter jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen des Getäuschten zu verstehen, das ‒ unmittelbar ‒ eine Vermögensminderung im wirtschaftlichen Sinne bei dem Geschädigten selbst oder einer dritten Person herbeiführt. Der Verfügende muss dabei nicht in dem Bewusstsein handeln, auf sein Vermögen einzuwirken. An dem Unmittelbarkeitserfordernis der Vermögensverfügung fehlt es, wenn der Getäuschte dem Täter lediglich die tatsächliche Möglichkeit eröffnet, den Vermögensschaden durch weitere selbständige deliktische Schritte herbeizuführen.
2. Untreue setzt sowohl in der Alternative des Missbrauchs- als auch der des Treubruchtatbestands voraus,
dass dem Täter eine Vermögensbetreuungspflicht obliegt. Diese erfordert, dass der Täter in einer Beziehung zu dem (potentiell) Geschädigten steht, die eine besondere Verantwortung für dessen materielle Güter mit sich bringt. Den Täter muss eine inhaltlich herausgehobene Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen treffen, die über die für jedermann geltenden Sorgfalts- und Rücksichtnahmepflichten und insbesondere über die allgemeine Pflicht, auf die Vermögensinteressen eines Vertragspartners Rücksicht zu nehmen, ebenso hinausgeht wie über den bloßen Bezug zu fremden Vermögensinteressen oder eine rein tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf materielle Güter anderer.
3. Eine Strafbarkeit wegen Untreue setzt daher voraus, dass dem Täter die Vermögensbetreuung als Hauptpflicht, also als zumindest mitbestimmende und nicht nur beiläufige Verpflichtung obliegt und die ihm übertragene Tätigkeit nicht durch ins Einzelne gehende Weisungen vorgezeichnet ist, sondern ihm Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen und eine gewisse Selbständigkeit belassen wird. Hierbei ist nicht nur auf die Weite des dem Täter eingeräumten Spielraums abzustellen, sondern auch auf das Fehlen von Kontrolle, also auf seine tatsächlichen Möglichkeiten, ohne gleichzeitige Steuerung und Überwachung durch den Treugeber auf dessen Vermögen zuzugreifen.
4. Ein Vermögenswert ist nach § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB „durch die Tat“ erlangt, wenn er dem Beteiligten in irgendeiner Phase des Tatablaufs aus der Verwirklichung des Tatbestands so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann, und ihm so aus der Tat unmittelbar messbar zugutegekommen ist. Bei mehreren Beteiligten ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass sie zumindest eine faktische bzw. wirtschaftliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand haben. Dies ist der Fall, wenn sie im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf ihn nehmen können. Unerheblich ist dagegen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Täter oder Teilnehmer eine unmittelbar aus der Tat gewonnene (Mit-)Verfügungsmacht später aufgegeben hat und der zunächst erzielte Vermögenszuwachs durch Mittelabflüsse etwa bei Beuteteilung gemindert wurde.
1. Ein Gegenstand rührt aus einer rechtswidrigen Tat im Sinne von § 261 Abs. 1 Satz 1 StGB her, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung zwischen dem Gegenstand und der in Rede stehenden Tat ein Kausalzusammenhang besteht, der Gegenstand seine Ursache also in der rechtswidrigen Tat hat und sich mithin aus dieser ableiten lässt. Zudem darf seine Existenz nicht wesentlich auf der Leistung Dritter beruhen.
2. Auch der Vortäter ist Dritter im Sinne von § 261 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB, wenn die an ihn weitergeleiteten Vermögensgegenstände bei Tatbeginn zum Vermögen eines anderen gehörten.
3. Bei der Geldwäsche nach § 261 StGB nF muss sich der Vorsatz des Täters darauf erstrecken, dass der von der Tathandlung erfasste Gegenstand aus einer rechtswidrigen Tat herrührt. Weder für das Wissens- noch für das Willenselement des Geldwäschevorsatzes muss sich die subjektive Vorstellung des Täters auf Umstände beziehen, die dem tatsächlichen Vortatgeschehen entsprechen. Er muss dieses weder nach Zeit und Ort der Begehung noch nach Tatbild und Beteiligten kennen. Ausreichend ist vielmehr, wenn der Täter um eine „illegale Herkunft“ der betreffenden Gegenstände weiß oder eine solche zumindest für möglich hält und billigt.
Für eine Bandenabrede ist nicht erforderlich ist, dass sich sämtliche Bandenmitglieder untereinander kennen und gemeinsam an der Abrede beteiligt waren. Eine Bandenabrede ist sogar zwischen Personen möglich, die sich sämtlich nicht näher kennen, sondern unter Pseudonymen und Decknamen im virtuellen Raum des Internets miteinander handeln. Übt ein Täter dauerhaft und zuverlässig eine wesentliche Rolle bei konzertierten Betrugstaten aus, in die nach seiner Kenntnis wenigstens zwei weitere Personen fest eingebunden sind, die ihrerseits von ihm wissen, so schließt er sich einer Bande an.
1. Die Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes ist auch noch in der Phase zwischen Vollendung und Beendigung der Raubtat möglich. Danach genügt zur Anwendung von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, dass das gefährliche Werkzeug dem Täter zu irgendeinem Zeitpunkt des Tathergangs zur Verfügung gestanden hat. Unter Tathergang
ist nicht nur die Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale bis zur Vollendung des Raubes zu verstehen, sondern das gesamte Geschehen bis zu dessen tatsächlicher Beendigung. Notwendig ist hierbei allerdings zugleich, dass der Täter das gefährliche Werkzeug zwischen Vollendung und Beendigung des Raubes zur weiteren Verwirklichung seiner Zueignungsabsicht und in diesem Abschnitt der Tat insbesondere zur Beutesicherung eingesetzt hat.
2. Bei der Ausübung seines Ermessens ist das Tatgericht „strikt an die Wert- und Zweckvorstellungen des Gesetzes“ gebunden. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll das Tatgericht die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit kann das Tatgericht dem Ausnahmecharakter der Vorschriften des § 66 Abs. 2 StGB und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB Rechnung tragen, der sich daraus ergibt, dass eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht vorausgesetzt werden. Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind.
Anders als bei Alkohol kann der Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1a) StGB nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf daher neben dem Blutwirkstoffbefund noch weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers so weit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern. Dies hat das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen.