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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2024
25. Jahrgang
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Werden Mitbeschuldigte im Rahmen einer Vorführung gemeinsam in einer Gewahrsamszelle untergebracht, für die das Amtsgericht gezielt die akustische Innenraumüberwachung angeordnet hatte und nennen Ermittlungsbeamte als Grund für die gemeinsame Unterbringung wahrheitswidrig, alle anderen Gewahrsamszellen seien belegt, verstößt die Verwertung aufgezeichneter selbstbelastender Äußerungen weder gegen die Selbstbelastungsfreiheit noch gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Maßgeblich ist, dass mit der wahrheitswidrigen Angabe der Ermittlungsbeamten, alle anderen Gewahrsamszellen seien belegt, keine Aussage darüber verbunden war, die Angeklagten könnten sich ungestört und ohne jegliche Überwachung über den Tatvorwurf austauschen. Die Mitteilung diente vielmehr lediglich dazu, die Heimlichkeit der angeordneten Überwachungsmaßnahme zu verdecken.
1. Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters ist gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der oder die abgelehnten Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnehmen, die ihre Unparteilichkeit oder Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgebend sind dabei der Standpunkt eines besonnenen Angeklagten und die Vorstellungen, die er sich bei der ihm zumutbaren ruhigen Prüfung der Sachlage machen. Zur Anwendung auf ein evident absprachewidriges Verhalten in Gestalt einer Fristsetzung nach § 244 Abs. 6 Satz 3 StPO.
2. Das bemakelte Verhalten eines Richters führt gegenüber einem von mehreren Angeklagten nur in besonderen Ausnahmefällen dazu, dass auch aus Sicht des Mitangeklagten eine Befangenheit zu besorgen steht. Derjenige, gegen den sich ein unangemessenes Verhalten nicht richtet, muss in der Regel auch nicht besorgen, dass gegenüber seiner Person eine Voreingenommenheit besteht. Dies kann allerdings ausnahmsweise anders zu beurteilen sein, wenn das zu beanstandende Verhalten gegenüber einem Angeklagten bzw. dessen Verteidigung auch Wirkungen gegenüber anderen Mitangeklagten entfaltet.
3. Im Falle eines Eingehungsbetruges sind der Geldwert des gegen den Täuschenden erworbenen Anspruchs und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen; der Getäuschte ist geschädigt, wenn dieser Vergleich einen Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt. Maßgeblich für den Vergleich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, wobei regelhaft dem Verkehrs- bzw. Marktwert der Leistung Bedeutung zukommt.
4. Für die Beurteilung, ob ein Negativsaldo vorliegt, ist demgegenüber irrelevant, wie hoch der Verfügende den Wert der ihm zugedachten Leistung subjektiv taxiert. Auch liegt ein Vermögensschaden nicht schon dann vor, wenn der Verfügende infolge eines durch Täuschung hervorgerufenen Irrtums eine Vermögensverfügung getroffen hat, die er bei Kenntnis der tatsächlichen Umstände nicht getroffen hätte. Da der Betrugstatbestand das Vermögen und nicht die Dispositionsfreiheit schützt, führen selbst erschlichene Unterschriften nicht ohne Weiteres zum Eintritt eines Vermögensschadens. Insoweit ist es im Hinblick auf die Schadensbestimmung auch ohne Belang, ob die einem Eingehungsbetrug zugrundeliegenden Verträge unwirksam bzw. nach § 123 BGB anfechtbar sind.
5. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine Täuschung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB auch dann anzunehmen sein, wenn sich der Täter – isoliert betrachtet – wahrer Tatsachenbehauptungen bedient; sein Verhalten wird in diesen Fällen dann zur tatbestandlichen Täuschung, wenn er die Eignung der – inhaltlich richtigen – Erklärung, einen Irrtum hervorzurufen, planmäßig einsetzt und damit unter dem Anschein „äußerlich verkehrsgerechten Verhaltens“ gezielt die Schädigung des Adressaten verfolgt, wenn also die Irrtumserregung nicht die bloße Folge, sondern der Zweck der Handlung ist. Dies kann insbesondere auch durch die äußere Gestaltung von Angebotsschreiben geschehen, etwa wenn der Eindruck erweckt werden soll, es handele sich um eine amtliche Kostenforderung bzw. eine Rechnung für eine zuvor erbrachte Leistung. Der Annahme einer Täuschung steht in solchen Fällen nicht entgegen, dass die Adressaten bei sorgfältiger Prüfung den wahren Charakter eines Schreibens als Angebot hätten erkennen können.
1. Das Gesetz sieht in § 143a Abs. 1 Satz 2 StPO zwei abschließende Ausnahmen von der Rechtspflicht zur Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung nach erfolgter Beauftragung eines Wahlverteidigers vor.
2. Zum einen ist die Pflichtverteidigerbestellung aufrechtzuerhalten, wenn zu besorgen steht, dass der neue Verteidiger das Mandat demnächst niederlegen und seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragen wird. Eine Besorgnis der alsbaldigen Niederlegung des Wahlverteidigermandats unter Beantragung der Pflichtverteidigerbeiordnung ist regelmäßig vor allem dann anzunehmen, wenn der Beschuldigte nicht in der Lage ist, die Kosten für einen Wahlverteidiger zu tragen.
3. Zum anderen hat die Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung zu unterbleiben, wenn die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO vorliegen, also ein zusätzlicher (Pflicht-)Verteidiger zur Verfahrenssicherung, insbesondere wegen des Umfangs oder der Schwierigkeit des Verfahrens, erforderlich ist.
1. Insbesondere in Hinblick auf das Beschleunigungsgebot in Haftsachen sind Strafprozesse vorausschauend zu organisieren und straff zu führen. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine Entscheidung über die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten herbeizuführen.
2. Es liegt dabei im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden, die Abfolge der Beweiserhebungen zu bestimmen. Das Beschwerdegericht prüft insoweit, ob der Vorsitzende des Erstgerichts sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Danach ist es grundsätzlich zulässig, mit der Beweisaufnahme zu dem schwersten Anklagevorwurf gegen einen Mitangeklagten zu beginnen.
1. Eine möglicherweise fehlerhafte Wiedergabe des Urteilsdatums, die gegebenenfalls auf offenkundigem Versehen beruht, stellt die Vollständigkeit des Urteils jedenfalls dann nicht in Frage, wenn der Angeklagte und sein Verteidiger in der Hauptverhandlung sowie bei der prozessordnungsgemäßen Verkündung des Urteils zugegen waren und der Fehler in der Urteilsurkunde für alle Beteiligten damit ohne Weiteres ersichtlich ist.
2. Für den Versuch der Verwirklichung des Regelbeispiels der Vergewaltigung ist neben dem vollendeten Grundtatbestand der sexuellen Nötigung im Schuldspruch kein Raum.
1. Ein in erster Instanz erlassener Beschluss über die Anordnung oder Versagung der Strafaussetzung wird durch die Rücknahme der in § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB aufgeführten Zustimmung des Verurteilten nicht gegenstandslos.
2. Das für die Zulässigkeit der Beschwerde erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebung eines Beschlusses über die Versagung einer Strafaussetzung kann entfallen, wenn der Verurteilte seine ursprünglich erteilte
Zustimmung zur Strafaussetzung im Beschwerdeverfahren wirksam zurücknimmt und damit zum Ausdruck bringt, dass er die Fortsetzung seiner Haft begehrt.
1. Bei der Diagnose einer paranoiden und schizoiden Persönlichkeitsstörung gilt, dass der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit entscheidend dafür sind, ob sie die Schwelle des Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Störung nach § 20 StGB erreicht. Dies erfordert eine Gesamtschau auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten und deren Entwicklung, der Vorgeschichte, des unmittelbaren Anlasses und der Ausführung der Tat sowie seines Verhaltens nach der Tat. Für die Schwere der Persönlichkeitsstörung ist maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Delikts zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens des Angeklagten gekommen ist. Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens oder Verhaltens, das gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als Merkmal der schweren anderen seelischen Störung angesehen werden.
2. Das Tatgericht ist nicht gehindert, bei der Beurteilung der faktischen Grundlagen von dem Gutachten eines vernommenen Sachverständigen abzuweichen, weil dieses stets nur Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann. Will es aber eine Frage, für deren Beantwortung es sachverständige Hilfe in Anspruch genommen hat, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muss es die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung ermöglicht, ob das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen wurden. Hierzu bedarf es einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit den Darlegungen des Sachverständigen, insbesondere zu den Gesichtspunkten, auf die das Gericht seine abweichende Auffassung stützt.
Durch ein Indiz wird nicht eine unmittelbar entscheidungserhebliche Tatsache bewiesen, sondern von einer mittelbar bedeutsamen Tatsache auf eine solche geschlossen. Es ist das Wesensmerkmal von Indizien, dass diese keine zwingenden Schlüsse zulassen.