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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2024
25. Jahrgang
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1. Die allgemeine Funktionsträgerimmunität gilt bei Spionage und geheimdienstlichen Gewaltakten nicht; § 20 Abs. 2 Satz 2 GVG steht dem nicht entgegen (BGHR).
2. Der Tatbestand in § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst nicht nur die Informationsübermittlung im engen Sinne, sondern schließt alle Vorbereitungshandlungen ein, darunter die Beschaffung von Informationen und hierfür erbrachte
Hilfsdienste. Zudem kommt es nicht darauf an, zu welchem Zweck die erstrebten Erkenntnisse von dem fremden Nachrichtendienst verwendet werden sollen. Der Endzweck der Tathandlungen muss nicht die Informationsvermittlung sein; er kann vielmehr auch in der Vorbereitung nachrichtendienstlicher Operationen liegen.
3. Das Tatbestandsmerkmal „gegen die Bundesrepublik Deutschland“ ist nicht eng im Sinne eines unmittelbar gegen den Bestand der Bundesrepublik oder gegen ihre staatlichen Institutionen gerichteten Handelns zu verstehen; vielmehr genügt eine Tätigkeit gegen die Interessen Deutschlands. Es reicht aus, wenn staatliche Belange zumindest mittelbar berührt sind und die Bundesrepublik Deutschland in ihrer funktionalen Stellung als politische Macht betroffen ist.
1. Zum Antrag auf Übergang in das objektive Verfahren nach § 76a Abs. 1 und 3 StGB nach einer Teileinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO. (BGHR)
2. Der Antrag gemäß § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO kann auch mündlich gestellt werden. Dabei ist den aus § 435 Abs. 2 StPO samt dem dortigen Verweis auf § 200 StPO folgenden Anforderungen Genüge zu tun. Erfolgt die Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO im Hauptverfahren und ist die fragliche Tat somit in der Anklage enthalten und das Verfahren diesbezüglich durch das Gericht eröffnet worden, bedarf es – anders als sonst – im Antrag keiner weitergehenden Angaben zur Bezeichnung der einzuziehenden Gegenstände sowie zu den Tatsachen, welche die Zulässigkeit der selbständigen Einziehung begründen. Denn der notwendige Inhalt ergibt sich in diesem Fall bereits aus der Anklageschrift. Das Antragserfordernis sichert in dieser Verfahrenssituation letztlich allein die Ausübung des der Staatsanwaltschaft nach § 435 Abs. 1 StPO eingeräumten Ermessens. (Bearbeiter)
1. Dass die Verabreichung einer generell tötungstauglichen Kaliumchloridlösung auf einer Intensivstation im konkreten Einzelfall einen beschleunigten Tod ausgelöst hat, kann nicht primär durch die nicht näher unterlegte Schilderung einer entsprechenden Schlussfolgerung des behandelten angeklagten Arztes belegt werden. Liegt es nicht fern, dass der Angeklagte auf der Grundlage unvollständiger Wahrnehmung oder fehlerhafter Bewertung der situativen Umstände einem Fehlschluss erlegen sein könnte, muss dies folgerichtig geprüft, erörtert und nachvollziehbar ausgeschlossen werden.
2. Einen Menschen tötet (§ 212 Abs. 1 StGB), wer seinen Tod durch eine ihm zurechenbare Handlung vorsätzlich verursacht. Bei einem Menschen im Sterbeprozess genügt in objektiver Hinsicht, dass zu der bereits bestehenden, zum Todeseintritt führenden Kausalreihe ein Verhalten des Täters hinzutritt, durch das der Tod früher herbeigeführt wird.
3. Dies ist in tatsächlicher Hinsicht grundsätzlich dann der Fall, wenn das Handeln des Täters unter den gegebenen Umständen auf der Grundlage anerkannter naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten als (notwendige) Bedingung für den (früheren) Todeseintritt beschrieben werden kann. Hiervon ist nach ständiger Rechtsprechung auszugehen, wenn die Handlung nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele (sog. Bedingungstheorie).
4. Dabei ist grundsätzlich gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben. Ein Kausalzusammenhang in diesem Sinne ist erst zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung einer früheren Ursache beseitigt und unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg allein herbeiführt.
1. Ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO kann einem Zeugen bereits dann zustehen, wenn er bestimmte Tatsachen angeben müsste, die lediglich mittelbar den Verdacht einer Straftat begründen. So kann es im Einzelfall selbst dann liegen, wenn die wahrheitsgemäße Beantwortung einer Frage zwar allein eine Strafverfolgung nicht auslösen, jedoch „als Teilstück in einem mosaikartigen Beweisgebäude“ zu einer Belastung des Zeugen beitragen könnte.
2. Im Fall einer rechtskräftigen Verurteilung ist die Verfolgungsgefahr nicht auszuschließen, falls zwischen der abgeurteilten Tat und anderen prozessualen Taten, deretwegen der Zeuge noch verfolgt werden könnte, ein so enger Zusammenhang besteht, dass die Beantwortung von Fragen zu der abgeurteilten Tat das Risiko der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen dieser anderen Taten mit sich bringt.
3. Die Besorgnis, die Aussage des Zeugen könnte einen Angeklagten dazu veranlassen, jenen möglicherweise über die bereits bekannte Tat hinausgehend zu belasten, ist vom Schutzzweck der verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbelastungsfreiheit nicht umfasst.
4. Die Maßnahme gemäß § 70 Abs. 2 StPO steht – anders als diejenigen nach § 70 Abs. 1 StPO – im gerichtlichen Ermessen. Dabei sind die Pflicht zur Sachaufklärung sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
1. Zwar ist eine Verurteilung nur zulässig, wenn das strafbare Verhalten des Angeklagten so konkret bezeichnet werden kann, dass erkennbar wird, welche bestimmten Taten von der Verurteilung erfasst werden. Auch bei einer Vielzahl an Sexualdelikten sind die Urteilsfeststellungen grundsätzlich derart konkret zu treffen, dass sie jeweils in ihrem Unwertgehalt individualisierbare Taten belegen. Eine Verurteilung darf nicht auf nur unbestimmte Feststellungen gestützt werden; je weniger konkrete Tatsachen über den Schuldvorwurf bekannt sind, um so fraglicher kann es sein, ob der Richter von der Tatbestandsverwirklichung durch den Angeklagten überhaupt überzeugt sein kann.
2. Indes dürfen bei erst nach Jahren aufgedeckten Taten sexueller Übergriffe zum Nachteil von Kindern und/oder Schutzbefohlenen, bei denen als Beweismittel allein das seinerzeitige Tatopfer zur Verfügung steht, zur Vermeidung gewichtiger Strafverfolgungslücken an die Individualisierbarkeit der einzelnen Taten im Urteil keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden. Dabei ist auch in den Blick zu nehmen, dass eine Veränderung des Tatzeitpunkts die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht ohne Weiteres aufhebt, vielmehr eine solche Identität trotz veränderter zeitlicher Einordnung bestehen bleiben kann, wenn die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individualisiert und dadurch weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen gekennzeichnet ist.
1. Eine Tat ist beendet im Sinne von § 78a Satz 1 StGB, wenn der Täter das Tatunrecht in vollem Umfang verwirklicht hat (st. Rspr.).
2. Der 6. Strafsenat schließt sich der in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend vertretenen Ansicht an, dass beim Kapitalanlagebetrug (§ 264a StGB) das Tatunrecht in vollem Umfang verwirklicht – also die Tat beendet ist –, wenn die Prospekte einem größeren Kreis von Personen zugänglich gemacht worden sind.
Die prozessuale Handlungsfähigkeit setzt voraus, dass ein Angeklagter oder Beschuldigter bei Abgabe einer Rechtsmittelrücknahmeerklärung in der Lage ist, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung zu erkennen. Dies wird allein durch eine Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit nicht notwendig ausgeschlossen. Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Rechtsmittelführer nicht fähig war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen. Verbleiben Zweifel an seiner prozessualen Handlungsfähigkeit, geht dies zu seinen Lasten.
Zur Versendung der qualifiziert elektronisch signierten Revisionsbegründungsschrift über das besondere elektronische Anwaltspostfach eines anderen Rechtsanwalts.
Die Unerreichbarkeit eines unmittelbaren Zeugen, der ein sogenannter Belastungszeuge ist, steht der Berücksichtigung der Bekundungen eines „Zeugen vom Hörensagen“ nicht stets entgegen.
Bei der Prüfung des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung ist bei einer Unklarheit hinsichtlich des Tatzeitpunktes in Anwendung des Zweifelssatzes zugunsten des Angeklagten vom frühesten Tatzeitpunkt auszugehen.
Den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Revisionsvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) genügt es nicht, wenn die für unterschiedliche Beanstandungen möglicherweise relevanten Verfahrenstatsachen im Sinne einer Nacherzählung referiert werden, um sodann bei den einzelnen Verfahrensrügen durch pauschale Verweise darauf Bezug zu nehmen. Es ist nicht die Aufgabe des Revisionsgerichts, sich aus einem umfangreichen Konvolut von Unterlagen das für die jeweilige Rüge Passende herauszusuchen und dabei den Sachzusammenhang selbst herzustellen. Vielmehr ist es erforderlich, bezogen auf die jeweils konkrete Rüge (lediglich) den insoweit relevanten Verfahrensstoff mitzuteilen.