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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1144

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 222/23, Urteil v. 17.07.2024, HRRS 2024 Nr. 1144


BGH 2 StR 222/23 - Urteil vom 17. Juli 2024 (LG Köln)

Sexualdelikte (Freispruch: Beweiswürdigung, konkrete Bezeichnung des strafbaren Verhaltens, unbestimmte Feststellung, sexueller Übergriff zum Nachteil von Kindern, Individualisierbarkeit der Taten).

§ 261 StPO; § 176 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zwar ist eine Verurteilung nur zulässig, wenn das strafbare Verhalten des Angeklagten so konkret bezeichnet werden kann, dass erkennbar wird, welche bestimmten Taten von der Verurteilung erfasst werden. Auch bei einer Vielzahl an Sexualdelikten sind die Urteilsfeststellungen grundsätzlich derart konkret zu treffen, dass sie jeweils in ihrem Unwertgehalt individualisierbare Taten belegen. Eine Verurteilung darf nicht auf nur unbestimmte Feststellungen gestützt werden; je weniger konkrete Tatsachen über den Schuldvorwurf bekannt sind, um so fraglicher kann es sein, ob der Richter von der Tatbestandsverwirklichung durch den Angeklagten überhaupt überzeugt sein kann.

2. Indes dürfen bei erst nach Jahren aufgedeckten Taten sexueller Übergriffe zum Nachteil von Kindern und/oder Schutzbefohlenen, bei denen als Beweismittel allein das seinerzeitige Tatopfer zur Verfügung steht, zur Vermeidung gewichtiger Strafverfolgungslücken an die Individualisierbarkeit der einzelnen Taten im Urteil keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden. Dabei ist auch in den Blick zu nehmen, dass eine Veränderung des Tatzeitpunkts die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht ohne Weiteres aufhebt, vielmehr eine solche Identität trotz veränderter zeitlicher Einordnung bestehen bleiben kann, wenn die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individualisiert und dadurch weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen gekennzeichnet ist.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 28. September 2022 mit den jeweils zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte in den Fällen 2, 7 bis 9 und 15 der Anklage freigesprochen worden ist.

2. Auf die Revision des Nebenklägers M. S. wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 28. September 2022 mit den jeweils zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall 2 der Anklage freigesprochen worden ist.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die den Nebenklägern M. S., P. und N. im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch widerstandsunfähiger Personen und in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen.

Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die Freisprüche in den Fällen 2, 7 bis 9 und 15 der Anklage, in denen dem Angeklagten Taten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zum Nachteil der Nebenkläger M. S., P. und N. zur Last gelegt wurden. Zugleich hat sie gegen die Kostenentscheidung sofortige Beschwerde erhoben.

Der Nebenkläger M. S. wendet sich mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision gegen den ihn betreffenden Freispruch des Angeklagten im Fall 2 der Anklage.

Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.

Mit unverändert zur Hauptverhandlung zugelassener Anklage beschuldigt die Staatsanwaltschaft den Angeklagten, der als Fotograf von Kindermodels international tätig war, in einer Vielzahl von Fällen sexuelle Handlungen an und mit präpubertären männlichen Kindern vorgenommen zu haben. Ihm liegt unter anderem - und soweit für die Revisionen von Bedeutung - Folgendes zur Last:

1. Im Sommer oder Herbst 2002 habe der Angeklagte bei einer gemeinsamen Fahrt zu einem Foto-Shooting auf Sardinien in einem Hotelzimmer an einem nicht näher bestimmbaren Ort in Italien an dem damals elfjährigen M. S. Oralverkehr vollzogen (Fall 2 der Anklage).

2. Etwa im August 2012 und erneut wenige Monate später habe der am 23. Juni 1999 geborene P. in der Wohnung des Angeklagten in K. übernachtet. Dort habe dieser beim ersten Mal den Penis des Kindes ergriffen und bis zum Samenerguss gerieben, während der Junge für einen kurzen Moment den Penis des Angeklagten angefasst habe (Fall 7 der Anklage), beim zweiten Mal sei es „zum gegenseitig ausgeführten Handverkehr“ gekommen (Fall 8 der Anklage). Im Frühjahr 2013 sei es zu zwei weiteren Übernachtungen gekommen, in deren Zuge der Angeklagte den Oralverkehr an dem Jungen vollzogen habe (Fälle 9 und 10 der Anklage).

3. Im Jahr 2014 habe sich der am 25. Dezember 2005 geborene N. in der Wohnung des Angeklagten befunden und dort den Penis des Angeklagten auf dessen Veranlassung bis zum Samenerguss manipuliert (Fall 11 der Anklage). Bei einer weiteren Gelegenheit im gleichen Zeitraum sei es u.a. zu gegenseitigem Oralverkehr gekommen, den der Angeklagte mit seinem Mobiltelefon videografiert habe (Fall 12 der Anklage). Während eines Urlaubs auf Gran Canaria im Oktober 2014 habe der Angeklagte den Jungen in zwei Fällen im Hotelzimmer u.a. veranlasst, an ihm Oralverkehr zu vollziehen, und sodann versucht, analen Geschlechtsverkehr an dem Jungen zu vollziehen (Fälle 13 und 14 der Anklage). Bei zwei Gelegenheiten während eines gemeinsamen Urlaubs auf den Malediven im August 2017 oder im August 2018 sei der Angeklagte im Schlafzimmer des gemeinsam genutzten Bungalows mit seinem Penis anal in das Kind eingedrungen, was diesem Schmerzen bereitet habe, und habe das Kind sodann veranlasst, ihn manuell bis zum Samenerguss zu befriedigen (Fälle 15 und 16 der Anklage).

II.

Das Landgericht hat Feststellungen zur Tätigkeit des Angeklagten als Fotograf, dessen Werdegang, dessen Wohnung, dessen Beziehung zu den Müttern der Nebenkläger P. und N., zu der Fall 2 der Anklage betreffenden Sardinienfahrt sowie zu Urlaubsreisen mit dem Nebenkläger N. und dessen Mutter getroffen, ebenso zum sexuell motivierten Interesse des Angeklagten an präpubertären männlichen Kindern und zu dessen sexuellen Übergriffen auf die Geschädigten V., S. S. und P. .

Es vermochte indes nicht festzustellen, dass der Angeklagte eine Tat zum Nachteil der Nebenkläger M. S., P. oder N. „so, wie sie in der Anklageschrift konkretisiert ist, begangen hat“, und hat ihn daher aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Angaben des Nebenklägers S. bei der Polizei und in der Hauptverhandlung wiesen Unterschiede in „wesentlichen Punkten“ auf und „füg[t]en sich […] in Bezug auf den genauen Tatort“ nicht.

Hinsichtlich der Nebenkläger P. und N. stehe für die Strafkammer zwar „ohne vernünftigen Zweifel“ fest, dass es zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten zu deren Nachteil gekommen sei, andererseits hätten die Taten „zeitlich und örtlich nicht näher ein- und voneinander abgegrenzt werden“ können. Den Aussagen des Nebenklägers P. fehle in „für die Kammer wesentlichen Punkten“ die „erforderliche Übereinstimmung“. Der Nebenkläger N. habe zwar konkrete Angaben gemacht, mit Blick auf dessen psychotherapeutische Behandlung könne die „Hypothese einer (teilweisen) Fremd- und/oder Autosuggestion“ aber nicht widerlegt werden.

III.

Die wirksam auf den Freispruch des Angeklagten in den Fällen 2, 7 bis 9 und 15 der Anklage beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg. Die dem Freispruch zugrundeliegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Auf die Verfahrensbeanstandung kommt es daher nicht an.

1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 12. Februar 2015 - 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN, und vom 1. Februar 2017 - 2 StR 78/16, Rn. 19 f.). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 ? 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die auf die Sachrüge gebotene revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 22. Januar 2014 - 2 StR 314/13, NStZ-RR 2014, 152; vom 1. Juni 2016 - 1 StR 597/15, Rn. 27, und vom 23. Juni 2021 - 2 StR 337/20, Rn. 6 je mwN).

2. Den sich hieraus ergebenden Anforderungen wird die Beweiswürdigung der Strafkammer nicht gerecht.

a) Der Freispruch des Angeklagten im Fall 2 der Anklage weist mehrere durchgreifende Rechtsfehler auf.

aa) Als nicht tragfähig erweist sich die Erwägung der Strafkammer, der Nebenkläger M. S. habe nicht konstant ausgesagt, weil er den bei der polizeilichen Vernehmung noch geschilderten Vorgang beim Duschen ohne nachvollziehbaren Grund bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht mehr erwähnt habe.

Ausweislich der in den Urteilsgründen wiedergegebenen Angaben des Nebenklägers M. S. hat dieser zu einem ebensolchen Vorgang berichtet, welcher sich „am selben Abend“ ereignet habe; vom Angeklagten sei die Nebenbemerkung gekommen, ob er sich gut gewaschen habe. Die Urteilsgründe legen nahe, dass die Strafkammer dies übersehen hat und bei ihrer Würdigung daher rechtsfehlerhaft davon ausgegangen ist, der Nebenkläger habe einen solchen Vorgang in der Hauptverhandlung überhaupt nicht mehr geschildert.

Sollte die Strafkammer allerdings darauf abgestellt haben, der Nebenkläger habe den Vorgang nicht in Zusammenhang mit der angeklagten Tat gebracht, fände dies in den in der Art einer Mitschrift wiedergegebenen Aussagen ebenfalls keine Stütze. Denn es ist auch in der Zusammenschau nicht, jedenfalls nicht hinreichend klar erkennbar, auf welchen Zeitpunkt sich die Aussage des Nebenklägers S. („am selben Abend“) bezieht. Überdies hätte sich die Strafkammer dann damit auseinandersetzen müssen, dass der Nebenkläger die Begebenheit als solche bei seinen Vernehmungen jeweils detailliert und konstant geschildert hat. Insoweit wäre zu erörtern gewesen, ob und inwieweit die angenommene Aussagedivergenz geeignet ist, die Glaubwürdigkeit des Nebenklägers in Frage zu stellen, oder ob für die Divergenz ein nachvollziehbarer Grund - Verwechslung, Zeitablauf seit der Tat - besteht; nicht jede Inkonstanz stellt bereits einen Hinweis auf eine mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar (BGH, Urteile vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172, und vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111 Rn. 17).

bb) Die weitere Erwägung, die Tat zum Nachteil des Nebenklägers S. sei örtlich nicht abgrenzbar, weil aufgrund seiner Zeugenaussage die genaue Lage des Hotels, in dem sich die Tat ereignet haben soll, nicht sicher festzustellen sei, lässt besorgen, dass das Landgericht überzogene Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat.

(1) Zwar ist eine Verurteilung nur zulässig, wenn das strafbare Verhalten des Angeklagten so konkret bezeichnet werden kann, dass erkennbar wird, welche bestimmten Taten von der Verurteilung erfasst werden (BGH, Beschluss vom 28. November 1990 - 2 StR 536/90, BGHR StPO § 267 Abs. 1 S. 1 Mindestfeststellungen 1). Auch bei einer Vielzahl an Sexualdelikten sind die Urteilsfeststellungen grundsätzlich derart konkret zu treffen, dass sie jeweils in ihrem Unwertgehalt individualisierbare Taten belegen (MüKo-StPO/Wenske, 2. Aufl., § 267 Rn. 97 mwN). Eine Verurteilung darf nicht auf nur unbestimmte Feststellungen gestützt werden; je weniger konkrete Tatsachen über den Schuldvorwurf bekannt sind, um so fraglicher kann es sein, ob der Richter von der Tatbestandsverwirklichung durch den Angeklagten überhaupt überzeugt sein kann (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 1994 - 2 StR 411/94, BGHR StGB § 178 Abs. 1 Mindestfeststellungen 1 mwN). Indes dürfen bei - wie hier - erst nach Jahren aufgedeckten Taten sexueller Übergriffe zum Nachteil von Kindern und/oder Schutzbefohlenen, bei denen als Beweismittel allein das seinerzeitige Tatopfer zur Verfügung steht, zur Vermeidung gewichtiger Strafverfolgungslücken an die Individualisierbarkeit der einzelnen Taten im Urteil keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 - 2 StR 431/17, Rn. 34; Beschlüsse vom 10. Mai 1994 - 5 StR 239/94, NStZ 1994, 502; vom 25. März 2010 - 5 StR 83/10, Rn. 8). Dabei ist auch in den Blick zu nehmen, dass eine Veränderung des Tatzeitpunkts die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht ohne Weiteres aufhebt, vielmehr eine solche Identität trotz veränderter zeitlicher Einordnung bestehen bleiben kann, wenn die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individualisiert und dadurch weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen gekennzeichnet ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 17. August 2000 - 4 StR 245/00, BGHSt 46, 130, 133; vom 20. November 2014 - 4 StR 153/14, StraFo 2015, 68, und vom 11. Februar 2016 - 3 StR 454/15, Rn. 13).

(2) Dies hat die Strafkammer nicht erkennbar bedacht. Der seinerzeit elfjährige Nebenkläger hat ausweislich der Urteilsgründe den von ihm geschilderten Oralverkehr durchgehend mit dem Weg zu dem Foto-Shooting auf Sardinien im Sommer/Herbst 2002 und einem in Italien gelegenen, bei einem Zwischenstopp aufgesuchten Hotel gebracht. Warum es dessen ungeachtet für die Individualisierung der Tat darauf ankommt, ob dieses Hotel auf dem Festland oder auf Sardinien lag, ergeben die Urteilsgründe nicht.

b) Hiervon ausgehend ist zu besorgen, dass die Strafkammer in gleicher Weise hinsichtlich der Taten zum Nachteil des Nebenklägers P. von überzogenen Anforderungen bezüglich ihrer Überzeugungsbildung zu einer Tatkonkretisierung ausgegangen ist.

aa) Die Strafkammer hat - für sich genommen rechtsfehlerfrei - dargelegt, dass und warum sie den Angaben des Nebenklägers P. dazu, es sei zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten gekommen, Glauben geschenkt hat. Dessen Schilderungen seien „ohne weiteres nachvollziehbar“ und wiesen „in vielen Aspekten deutliche Parallelen zum Geschehen gegenüber den weiteren Tatopfern“ auf. Sie zeigten keine Belastungstendenz, eine bewusste Falschaussage sei auszuschließen.

bb) Soweit sich die Strafkammer im Folgenden an einer Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 7 bis 9 der Anklage gehindert gesehen hat, weil der Nebenkläger P. „in Bezug auf die jeweilige Örtlichkeit“ und zur „zeitlichen Einordnung“ nicht konstant ausgesagt habe, hat sie die Möglichkeit, bei der Beurteilung von Straftaten der hier zur Überprüfung stehenden Art eine Verurteilung auf Mindestfeststellungen zu stützen, außer Acht gelassen. Damit hat sie sich ihrer hieraus folgenden Verpflichtung entzogen, zur Ausschöpfung einer - wie hier - ordnungsgemäß erhobenen Anklage solcher Taten derartige Mindestfeststellungen auch zu treffen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 2004 - 5 StR 563/03, NStZ 2005, 113).

Dies in Betracht zu ziehen, bestand in mehrfacher Hinsicht Anlass. Zum einen hat die Strafkammer gestützt auf die Aussagen des Nebenklägers P. festgestellt, dass es „im Zeitraum von 2008/2009 bis zum 24.04.2013“ tatsächlich zu sexuellen Übergriffen kam. Zum anderen hat der Nebenkläger P. ausweislich seiner in den Urteilsgründen wiedergegebenen Aussagen hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten konstant angegeben, dass diese - wie angeklagt - bei Übernachtungsbesuchen in der Wohnung des Angeklagten im Uni-Center in K. stattgefunden haben. Des Weiteren hat der Nebenkläger P. bereits bei seinen polizeilichen Vernehmungen und auch in der Hauptverhandlung ausgesagt, die Tatzeiten nur anhand anderer Daten wie dem Zeitpunkt des Kennenlernens des Angeklagten und der Trennung seiner Mutter von diesem sowie dem gemeinsamen Besuch des Disneylands schlussfolgern zu können. Angesichts dessen hätte sich die Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung damit auseinandersetzen müssen, ob die teilweise abweichenden Angaben zu den Tatzeiten damit erklärbar sind, dass der Nebenkläger sich zwischen den Vernehmungen hinsichtlich dieser Daten genauere Kenntnis verschafft hatte, worauf schon seine Aussagen bei der Vernehmung in der Hauptverhandlung hindeuten, er habe seine Mutter gefragt, wann man den Angeklagten kennengelernt habe, und ihm seien Fotos vom Besuch im Disneyland in die Hände gefallen.

c) Soweit die Strafkammer den Angeklagten im Fall 15 der Anklage freigesprochen hat, hat sie auch insoweit die Anforderungen an ihre Überzeugungsbildung überspannt. Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass die Strafkammer dem Nebenkläger N. geglaubt hat, „dass es wiederholt zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten zu seinem Nachteil gekommen“ sei. Zugleich hat sie aber gemeint, nicht ausschließen zu können, dass die für eine Verurteilung nach ihrer Auffassung erforderliche Konkretisierung auf einer „(teilweisen) Fremd- und/oder Autosuggestion“ beruhe. Inwieweit dies Mindestfeststellungen entgegensteht, bleibt unerörtert.

Dabei hat die Strafkammer überdies außer Acht gelassen, dass nach den von ihr getroffenen Feststellungen eine Therapierung des Nebenklägers N. erst zwischen Oktober 2021 und Februar 2022 stattfand, der Nebenkläger allerdings schon im Juni 2021 gegenüber der Polizei von Analverkehr anlässlich eines Urlaubs auf den Malediven berichtete. Diesen Widerspruch löst die Beweiswürdigung der Strafkammer nicht auf.

3. Der auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruhende Freispruch des Angeklagten in den von der Staatsanwaltschaft allein angegriffenen Fällen 2, 7 bis 9 und 15 der Anklage kann daher keinen Bestand haben und bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung der Freisprüche zieht die Aufhebung der zugrundeliegenden Feststellungen nach sich, da der Angeklagte diese nicht mit einem eigenen Rechtsmittel angreifen konnte. Es ist nicht auszuschließen, dass das neue Tatgericht mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung Feststellungen treffen kann, die eine Verurteilung des Angeklagten auch wegen der genannten Anklagepunkte tragen.

4. Mit der Teilaufhebung des angefochtenen Urteils wird die Kostenbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos (BGH, Beschluss vom 8. Juni 2016 - 2 StR 539/15, Rn. 3).

IV.

Die gegen den Freispruch des Angeklagten im Fall 2 der Anklage zulässig (§ 400 Abs. 1 StPO) erhobene Revision des Nebenklägers M. S. ist aus den oben dargelegten Gründen ebenfalls mit der Sachrüge erfolgreich.

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1144

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede