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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2024
25. Jahrgang
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Von RA Dr. Wolfgang Staudinger, Weißenburg[*]
Strafverfahren enden unter anderem mit Freiheitsstrafen. Soll eine Strafe bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe als Urteil ausgeworfen werden, muss sich das Gericht auch mit der Frage befassen, ob diese Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. § 56 StGB gibt hierfür vor, dass in der Regel ausgesetzt werden soll, wenn eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als einen Jahr verhängt wird (Absatz 1).[1] Bei mehr als einem Jahr müssen besondere Umstände vorliegen (Absatz 2). Das Gericht muss also eine Kriminalprognose[2] vornehmen, an deren Ende es als Ergebnis festzustellen hat, ob die Aussetzung zur Bewährung reichen wird, dass der Verurteilte keine weiteren Straftaten mehr begehen wird, sondern sich die Verurteilung selbst zur Warnung reichen lässt.
Prognoseentscheidungen an sich sind schwer. Denn tatsächlich braucht es Anhaltspunkte dafür, einen Verlauf in der Zukunft zu bewerten. Diese Prognose ist trotzdem nach logischen Kriterien durchzuführen. Prognosen ohne jeglichen Anhaltspunkt, also nur aus dem Bauch heraus sind unzulässig. Berger führt für eine Kriminalprognose[3] aus, dass es sich um einen empirischen Vorgang handelt.[4]
Die "Erwartung" des § 56 StGB, also eines künftig straffreien Verhaltens, stellt keine Notwendigkeit für eine eigene Interessensabwägung des Gerichts dar.[5] Vielmehr braucht es nur eine Wahrscheinlichkeit von 50 % oder mehr zu gewinnen.[6] Das bedeutet, dass grundsätzlich auch dann zur Bewährung ausgesetzt werden muss, wenn für das Gericht gleichviel für und gegen eine zukünftige Straffreiheit spricht.[7]
Wie allerdings die Grundlagen für die Prognose gefunden werden, ist eine andere Frage. Erfahrungssätze müssen empirisch geprüft sein.[8] Die Anknüpfungstatsachen allerdings brauchen jede für sich nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Das bedeutet, dass auch ungewisse Tatsachen in die Prognose eingestellt werden können. Sie müssen allerdings auch mit dem Faktor "ungewiss" berücksichtigt werden und dürfen nicht – weder zugunsten noch zulasten – dann als feststehend, also sicher in die Prognose einfließen.
Als Merkmale für die Prognose der Bewährungsaussetzung gibt das Gesetz mehrere Punkte vor.[9] Der für die hiesigen Überlegungen wesentliche ist unter den Punkten "Vorleben" und "Verhalten nach der Tat" zu begreifen. Denn unter die beiden Punkte können grundsätzlich auch Straftaten des nun zu Verurteilenden fallen. Klar und unstreitig dabei ist, dass als Prognosegrundlage frühere Verurteilungen heranzuziehen sind.[10] Wenn es in der Vergangenheit bereits – gegebenenfalls einschlägige[11] – andere Taten gegeben hat, die mit einem rechtskräftigen Urteil abgeschlossen wurden, ist dies als negativer Punkt einzustellen. Gleiches gilt natürlich auch in die andere Richtung: gab es vorher keine Verurteilungen, ist dies grundsätzlich als positives Kriterium in die Prognose einzustellen.[12]
Die große Frage ist, wie mit Taten umzugehen ist, deren der aktuell zu Verurteilende verdächtig ist, bei denen aber ein rechtskräftiges Urteil fehlt.[13] Das OLG Oldenburg[14] hat hierbei vertreten, dass es nicht gegen die Unschuldsvermutung aus Artikel 6 Absatz 2 EMRK verstoße, Taten negativ in die Prognose einzustellen, auch wenn bei diesen nur ein Verdacht vorliege. Es müsse das Verhalten des Angeklagten nach der zu verurteilenden Tat umfassend gewürdigt werden. Damit seien andere rechtskräftig abgeurteilte Taten sowie Vorwürfe zu berücksichtigen, die über ein Geständnis eingeräumt seien, aber eben auch solche Taten, bei denen nur ein erheblicher Tatverdacht bestehe. Es gehe insbesondere nicht, dass bei der erstmaligen Frage über die Aussetzung zur Bewährung die Regelungen analog anzuwenden seien, die für einen Bewährungswiderruf entwickelt wurden. Denn wegen des vorrangigen Schutzes der Allgemeinheit gelte der Zweifelssatz für den Angeklagten bei der Prognoseentscheidung nicht. Daher unterscheide sich die erstmalige Entscheidung über die Bewährungsaussetzung auch entscheidend von dem Widerruf, weil dies ein nachträglicher Entzug der zuvor rechtskräftig eingeräumten Rechtsposition sei.
Der Bundesgerichtshof nimmt in ständiger Rechtsprechung[15] an, dass zwar grundsätzlich eine Verwertung im Rahmen der Prognose auch nur tatverdächtigen Verhaltens möglich sei. Hierfür müsse allerdings prozessrechtskonform das Gericht Feststellungen treffen.[16] Nicht ausreichend sei, dass das Gericht auf andere Entscheidungen rekurriere.[17] Insbesondere reiche es nicht aus, dass der zu Verurteilende in anderer Sache in Untersuchungshaft genommen worden sei.[18]
Diese Verwertung von nur verdächtigten Taten im Rahmen der Kriminalprognose halte ich für unzulässig.[19] Denn die Unschuldsvermutung aus Artikel 6 Absatz 2 EMRK[20] führt dazu, dass Straftaten nur dann zu Lasten
verwertet werden dürfen, wenn sie prozessordnungsgemäß festgestellt wurden und zudem in Rechtskraft erwachsen sind. Artikel 6 Absatz 2 EMRK lautet:
"Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig."
Dies bedeutet, dass erst eine nach dem Strafprozessrecht vorgesehene – "gesetzlicher Beweis" – rechtskräftige Verurteilung die Schuldfrage zulässt. Vorher ist es unzulässig, Maßnahmen zu erlassen, die die Feststellung der Schuld voraussetzen. Das ist in der direkten Anwendung leicht nachzuvollziehen: Wer nur verdächtig ist, darf nicht deswegen zu einer Strafe verurteilt werden. Untersuchungshaft ist daher grundsätzlich anders auszugestalten als Strafhaft.[21] Denn sie ist ein Sonderopfer des Verdächtigen zur Sicherung des Strafverfahrens,[22] nicht aber die Vorwegnahme des Schuldspruchs – und zwar selbst dann nicht, wenn der Beschuldigte ein glaubhaftes Geständnis abgelegt haben sollte oder ein noch nicht rechtskräftiges Urteil vorliegt.[23] Aber auch in der mittelbaren oder indirekten Anwendung greift die Unschuldsvermutung. Denn auch strafähnliche Maßnahmen[24] dürfen nicht ergriffen werden und mit dem Vorwurf begründet werden, solange nicht prozessordnungsgemäß und rechtskräftig festgestellt wurde, dass der Verdacht bewiesen ist. Erst dann ist eine Verwertung aufgrund des rechtskräftigen Schuldspruchs – Feststellung der Schuld – möglich und zulässig.
Der EGMR hält auch die öffentliche Verwaltung in ihren Verfahren an die Unschuldsvermutung gebunden.[25] Die deutsche Rechtsprechung und Literatur sehen das grundsätzlich anders und begründen verwaltungsrechtliche Sachverhalte – mit Ausnahme des Ordnungswidrigkeitenrechts – auch mit Tatverdachtslagen.[26] Das ist grundsätzlich richtig und zulässig, wenn es um Gefährlichkeitsprognosen im Sinne des Polizeirechts geht. Für zukünftige prognostizierte Sachverhalte braucht es grundsätzlich keine Schuldfeststellung, so dass die Unschuldsvermutung keinen Anwendungsbereich hat.[27]
Anders liegt es aber dann, wenn der strafrechtliche Vorwurf die einzige oder wesentliche Anknüpfungstatsache für eine belastende und endgültige Maßnahme ist.[28] Daher ist für die Frage nach der Entscheidung, ob die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, die Unschuldsvermutung zu beachten, obwohl es sich im Grunde um eine (auch) polizeirechtliche[29] Prognoseentscheidung handelt. Denn gerade weil diese Entscheidung nicht nachträglich positiv korrigiert werden kann, darf als Anknüpfungspunkt nur eine frühere rechtskräftige Verurteilung Berücksichtigung finden, die im ordnungsgemäßen Verfahren nachgewiesen ist.
Für die Frage des Bewährungswiderrufs hat dies weitgehend auch die deutsche Rechtsprechung anerkannt.[30] Erst dann, wenn die Anlasstat auch tatsächlich und rechtskräftig verurteilt wurde, darf auf sie ein Bewährungswiderruf gestützt werden.[31] Liegt noch keine solche Verurteilung vor, darf es auch keinen Widerruf geben, der sich als Anlasstat auf diesen Vorwurf stützt. Nichts anderes kann aber dann gelten, wenn über die grundsätzliche und erstmalige Frage der Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung zu entscheiden ist. Denn diese Prognoseentscheidung ist aus derselben ratio wie auch die Voraussetzungen eines Widerrufs.
Einstellen darf es aber eben nicht reine Tatverdachtsmomente, die nicht nachgewiesen sind. Das gilt insbesondere auch für einen konkreten Tatverdacht, selbst dann, wenn bereits Anklage erhoben oder ein Untersuchungshaftbefehl gefasst wurde, denn bei ihm bestimmt die gesetzliche Unschuldsvermutung, dass der Verdächtige als unschuldig zu gelten hat. Daher sind Tatverdachtsvorwürfe kein zulässiger Anhaltspunkt für eine negative Prognose.[32]
Dass der Bundesgerichtshof dem entgegenwirken will, indem er den Gerichten aufgibt, entsprechende Feststellungen der Tat vorzunehmen, hilft nicht weiter. Denn das Gericht, das über die Frage der Bewährung zu entscheiden hat, ist nicht berufen, über den Tatverdacht zu verhandeln oder gar zu entscheiden. Dafür ist der jeweilige gesetzliche Richter des ordentlichen Verfahrens nach Anklage durch die Staatsanwaltschaft berufen. Wäre es dasselbe Gericht,
das auch über die Bewährungsfrage zu entscheiden hat, müsste es die beiden Verfahren verbinden (§ 4 StPO), bevor es ein gemeinsames Urteil fällt. Ansonsten hat es keine strafprozessuale Kompetenz, in der Sache Feststellungen zu treffen, die zu Lasten des Angeklagten gehen.[33]
Problematisch ist zudem, dass Feststellungen des Gerichts, das über die Bewährung entscheidet, im Widerspruch stehen können zu den Feststellungen des Gerichts, das über die Tat an sich zu entscheiden hat. Auch hier liegt die Parallele zu den Widerrufsentscheidungen auf der Hand. Widerruft das Gericht aufgrund nur verdächtigter Anlasstat die Bewährung und kommt das andere Gericht zu einer nichtverurteilenden Entscheidung, gibt es keine Möglichkeit, den eigentlich richtigen status quo ante wiederherzustellen.[34] Und damit wird der nur Verdächtige dauerhaft – wenn auch mittelbar – mit einer Vollzugsstrafe belastet, obwohl die Unschuldsvermutung ihn davor schützen soll. Nichts anderes liegt aber vor, wenn die aufgrund der unrichtigen Feststellungen des Gerichts für die Bewährungsfrage die Bewährung versagt und das andere Gericht nichtverurteilend entscheidet. Auch dann war zwar die Prognose in dem Moment ihrer Abgabe zutreffend – aber nachträglich gesehen hat sie sich als grundfalsch erwiesen.
Tatverdachte zu verwerten bleibt für die Frage der Bewährung schon deshalb genauso unzulässig wie sie im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend[35] anzuführen. Beide Male verstößt es gegen die Unschuldsvermutung, weil nicht rechtskräftige Urteile oder Tatverdachtssachverhalte zu Lasten verwertet werden, um eine Strafe zu verschärfen oder in der Vollstreckung härter zu gestalten. Beides ist vom Schutz der Unschuldsvermutung umfasst und damit unzulässig.
Diese Herangehensweise ist allerdings eine grundsätzliche Besonderheit, weil über die Unschuldsvermutung geschützt. Für die übrigen Anknüpfungstatsachen, aufgrund deren das Gericht seine Prognose erstellt, gilt, dass diese mit dem Maß der Sicherheit eingestellt werden müssen, das vorliegt. Dabei sind sowohl für den Verurteilten positive wie auch für ihn negative Umstände gleichermaßen zu berücksichtigen. Bleibt es bei einem Zweifel des Gerichts, ist die Anknüpfungstatsache zwar nicht festgestellt. Allerdings ist sie dennoch in dem Maß relevant für die Prognose, in dem sie wahrscheinlich ist.
Die wohl herrschende Meinung[36] geht davon aus, dass Zweifel hinsichtlich der Anknüpfungstatsachen unter Anwendung der in-dubio-Regel gelöst werden müssen. Es handle sich um tatsächliche Merkmale, bei denen das Gericht eine Überzeugung im Sinne des § 261 StPO bilden müsse.[37] Gleichzeitig kommt die Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass hinsichtlich der Gesamtprognose der Zweifelssatz keine Anwendung finden soll.[38] Dieses Hin-und-her lässt sich aber vermeiden, wenn man ausschließlich ein Wahrscheinlichkeitsurteil finden möchte.[39] Denn hier braucht es keine richterliche Überzeugung, sondern jeweils einen Grad der Wahrscheinlichkeit.[40] Damit sind grundsätzlich auch unsichere Anknüpfungsmerkmale zu berücksichtigen, aber eben nur im Grad ihrer Wahrscheinlichkeit. Auszuscheiden davon sind lediglich normativ gesperrte Anknüpfungsmomente wie der Verdacht einer anderen Straftat. Hier greift die Unschuldsvermutung und verbietet die Verwertung, weil damit eine indirekte Strafe gegen einen als – insoweit – unschuldig Geltenden verhängt würde.
Mit den so abgewogenen Anknüpfungstatsachen muss das Gericht im Anschluss eine fundierte Prognose erstellen. Dabei sind alle Prognosefaktoren, die der Gesetzestext vorgibt, einzustellen und zudem die Regeln der Logik zu beachten sowie Erfahrungssätze zu berücksichtigen. Eine Entscheidung aus dem Bauch heraus ist nicht nur unprofessionell, sondern auch unzulässig. Daher muss die Prognoseentscheidung auch nachvollziehbar begründet werden.[41]
Entscheidungen, eine Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, sind Prognoseentscheidungen. Grundsätzlich darf als Anknüpfungstatsache für eine Prognose alles dasjenige verwertet werden, das mit einer zu benennenden Wahrscheinlichkeit vom Gericht erkannt wird. Ein Tatverdacht ist als solcher zwar ebenfalls feststellbar; er ist aufgrund der Unschuldsvermutung für die Verwertung zu Lasten des Verurteilten aber gesperrt und darf damit nicht verwertet werden.
Die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sollte sich dies bewusst machen. Denn wie auch eine noch nicht rechtskräftig verurteilte Tat nicht als Anlasstat für einen Bewährungswiderruf herhalten kann, ist sie
gleichsam nicht geeignet, die Ausgangsprognose bei der Bewährungsfrage negativ zu beeinflussen. Nur rechtskräftige Vorverurteilungen können (und müssen) als Prognosefaktum eingestellt werden – schwebende Verfahren und reine Verdachtsmomente nicht. Für alle anderen Prognosemerkmale gilt diese Einschränkung gerade nicht.
[*] Der Verfasser ist Fachanwalt für Strafrecht und zudem Lehrbeauftragter an der Universität Regensburg.
[1] Siehe zu Regelfällen und möglichen Ausnahmen nur Fischer § 56 Rn. 3 ff. m. w. N. Vor allem, wenn bereits offene andere Bewährungsstrafen bestehen, ist eine Aussetzung praktisch schwer zu erreichen, auch wenn die Strafe weniger als ein Jahr Freiheitsstrafe lautet (vgl. LK/Hubrach § 56 Rn. 19 m. w. N.).
[2] Fischer § 56 Rn. 3 ff. m. w. N.
[3] Berger In dubio pro reo und Wahrscheinlichkeitsurteile, 2023, S. 6 m. w. N.
[4] Berger (Fn. 3), S. 17 f.
[5] Berger (Fn. 3), S. 60 m. w. N.
[6] Aufgrund des Grundsatzes in dubio pro libertate ist bei Ungewissheit in beide Richtungen der Freiheit der Vorzug zu geben. Siehe hierzu auch Berger (Fn. 3), S. 76 ff. Vgl. T. Walter JZ 2006, 340 (342). Siehe aber LK/Hubrach § 56 Rn. 12 m. w. N., die eine mehr als 50-prozentige Wahrscheinlichkeit für die Erwartung fordert.
[7] Berger (Fn. 3), S. 60 m. w. N. Insofern ist von in dubio pro libertate auszugehen (S. 76 ff. m. w. N). A. A. LK/Hubrach § 56 Rn. 12.
[8] Berger (Fn. 3), S. 83 m. w. N.
[9] Vgl. Fischer § 56 Rn. 4 f. m. w. N. Notwendig ist die begründete Erwartung eines zukünftig straffreien Lebens auch ohne Vollstreckung der Freiheitsstrafe.
[10] Fischer § 56 Rn. 6 m. w. N. Dabei sind sowohl nationale als auch ausländische, insbesondere Vorverurteilungen aus EU-Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen.
[11] Bei Bagatell- oder Fahrlässigkeitstaten ist allerdings auch immer zu prüfen, ob damit wirklich die Erwartung straffreien Lebens ernsthaft widerlegt anzusehen ist. Vgl. hierzu auch MK StGB/Groß/Kett-Straub § 56 Rn. 18 m. w. N.
[12] Fischer § 56 Rn. 6 m. w. N.
[13] MK StGB/Groß/Kett-Straub § 56 Rn. 18 führen aus, dass in "parallel noch laufenden Verfahren" ein Faktor gegeben sei, der zur Verneinung einer günstigen Prognose ausreiche. Solche Verdachtstaten seien verwertbar, wenn sie zur Überzeugung des Gerichts festständen (Rn. 59 m. w. N.). Allerdings sei bei Bestreiten des Beschuldigten in dubio pro reo anzuwenden (a. a. O.).
[14] OLG Oldenburg NStZ-RR 2007, 197 (f.) m. w. N.
[15] BGHR StGB § 56 Abs 1 Sozialprognose 3; BGH StV 2013, 215 (ebd.) = HRRS 2012 Nr. 845; StraFo 2017, 245 (ebd.) = HRRS 2017 Nr. 642; NStZ-RR 2019, 336 (f.) = HRRS 2019 Nr. 942; NStZ-RR 2023, 336 (f.) = HRRS 2023 Nr. 860.
[16] BGH NStZ-RR 2019, 336 (f.) = HRRS 2019 Nr. 942 führt dabei aus, dass die Berücksichtigung des "bloßen Verdachts" allerdings unzulässig sei. So auch LK/Hubrach § 56 Rn. 23 m. w. N.
[17] Erst recht reichen Anklagen in anderen Verfahren nicht, BGH NStZ-RR 2023, 336 (f.) = HRRS 2023 Nr. 860; StV 2013, 215 = HRRS 2012 Nr. 845.
[18] BGH StV 1993, 458 (f.); StraFo 2017, 245 = HRRS 2017 Nr. 642.
[19] Siehe schon OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 60.
[20] Die Unschuldsvermutung gilt durch die EMRK in Deutschland als einfaches Bundesrecht, das allerdings völkerrechtsfreundlich angewendet werden muss (siehe dazu Eisele JR 2004, 12[13]m. w. N.; Esser LR Einf EMRK Rn. 85). Gleichzeitig wird die Unschuldsvermutung sowohl in verschiedenen Landesverfassungen kodifiziert (siehe hierzu Staudinger Welche Folgen hat die Unschuldsvermutung im Strafverfahren?, 2015, S. 47 m. w. N.) als auch insbesondere als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips mit Verfassungsrang ausgestaltet (BVerfGE 22, 254[265]; Meyer-Goßner/Schmitt Art. 6 EMRK Rn. 12 m. w. N.; siehe erneut Staudinger a.a.O., S. 49 ff. m. w. N. sowie S. 56 m. w. N.).
[21] Zu den faktischen Defiziten siehe nur Schlothauer/Nobis/Voigt/Wolf Untersuchungshaft Rn. 6 ff. und 985 ff. jeweils m. w. N. Siehe zudem schon Köberer, in: Deutsche Strafverteidiger e.V. (Hg.), Sinn und Unsinn von Untersuchungshaft – Was leistet sie wirklich?, 1997, S. 43 ff. und allgemein Schöch Der Einfluss der Strafverteidigung auf den Verlauf der Untersuchungshaft, 1997, passim.
[22] Siehe nur Meyer-Goßner/Schmitt §vor § 112 Rn. 3 ff. m. w. N.
[23] V gl. BVerfG StV 2008, 25 = HRRS 2007 Nr. 770.
[24] BVerfGE 74, 358 (371).
[25] EGMR-E 3, Nr. 56 (Lutz gegen Deutschland, Urteil vom 25.08.1987). Siehe auch Staudinger (Fn. 20), S. 94 m. w. N.
[26] Siehe nur BVerwGE 118, 109. Siehe auch Staudinger (Fn. 20), S. 94 m. w. N.
[27] Staudinger (Fn. 20), S. 94 m. w. N.
[28] Staudinger (Fn. 20), S. 95 m. w. N.
[29] Dass es sich bei der Aussetzung zur Bewährung um eine spezialpräventive Frage handelt, versteht sich aus der einfachen Abgrenzung zwischen präventivem und repressiven Handlungen. Während die Strafe an sich als kommunizierte Übelszufügung (Unwerturteil) aufgrund der vorhergegangenen Tat verhängt wird, stellt sich bei der Frage nach der Aussetzung zur Bewährung das prognostisch zukünftige Verhalten in den Mittelpunkt. Dabei ist sowohl positiv Einwirkung auf den Verurteilten in den Blick zu nehmen als auch negativ die Auswirkungen für die Gesellschaft.
[30] Vgl. Fischer § 56f Rn. 6 m. w. N.
[31] Teile der Rechtsprechung und Literatur gehen davon aus, dass unter Umständen auch ein Geständnis für die Verwertung ausreichend sei, siehe nur Fischer § 56f Rn. 7a f. m. w. N. A. A. Seher ZStW 118 (2006), 101 (151); Staudinger StV 2021, 602 (ff.) m. w. N.
[32] Siehe erneut OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 60.
[33] EGMR NJW 2021, 1149 (Rn. 59). A. A. wohl Zimmermann Die Erwartung künftiger Straffreiheit, 2021, S. 201.
[34] Mroszynski JZ 1978, 255 (258); Staudinger (Fn. 20), S. 116. Peglau ZRP 2003,242 (243) hat hierzu vorgeschlagen, eine Art Wiederaufnahme des Widerrufsverfahrens einzuführen. Dies ist bislang allerdings nicht geschehen, so dass es eine solche Revisionsmöglichkeit nicht gibt.
[35] Staudinger StV 2014, 476 (ff.) m. w. N.; StV 2015, 553 (ff.) m. w. N.; Stuckenberg StV 2007, 655 (ff.); Vogler FS Kleinknecht, S. 429. A. A. Fischer § 46 Rn. 40 ff. mit Verweis auf die Rechtsprechung. Diese stellt insbesondere auf den Warnungscharakter ab, den eingestellte Vorwürfe haben sollen. Siehe dagegen Staudinger (Fn. 20) S. 110 ff. m. w. N. Hinsichtlich ausgeschiedener Taten ist die Rechtsprechung des EGMR uneindeutig (EGMR Urteil vom 25.01.2018 – 76607/13; EGMR StV 2019, 440). Kritisch hierzu Esser StV 2019, 492 (ff.) m. w. N.
[36] BGHR StGB § 56 Sozialprognose 24; BGH wistra 2000, 464; LK/Hubrach § 56 Rn. 12
[37] BGH NStZ 1989, 361; MK-StGB/Radtke § 40 Rn. 121; Gräbener ZStW 2022, 218 (236 ff.).
[38] BayObLGSt. 1988, 32 (34); LK/Hubrach § 56 Rn. 12.
[39] Schwabenbauer Der Zweifelssatz im Strafprozessrecht, 2012, S. 31 ff. m. w. N.
[40] Berger (Fn. 3), S. 143 m. w. N.; Dürrer Beweislastverteilung und Schätzung im Steuerstrafrecht, S. 127 f. Siehe erneut Schwabenbauer (Fn. 39) S. 31 ff. m. w. N.
[41] BGH StV 2011, 728 m. w. N. = HRRS 2011 Nr. 870.