HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2023
24. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

1321. BGH 3 StR 462/22 - Urteil vom 10. August 2023 (LG Kleve)

BGHR; Festlegung der nicht geringen Menge von Betäubungsmitteln (Levometamfetamin).

§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG

Für Levometamfetamin - (R)-(Methyl)(1-phenylpropan-2-yl)azan - beginnt die nicht geringe Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG bei 50 g der wirkungsbestimmenden Base. (BGHR)


Entscheidung

1350. BGH 5 StR 205/23 (alt: 5 StR 115/21) - Beschluss vom 13. September 2023

Erziehungsbedürftigkeit und -fähigkeit keine kumulative Voraussetzung der Anordnung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld; Anfrageverfahren.

§ 17 Abs. 2 JGG; § 2 Abs. 1 JGG; § 18 Abs. 2 JGG; § 132 Abs. 3 GVG

1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden, dass die Verhängung einer Jugendstrafe nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG, bei der wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist, nicht kumulativ voraussetzt, dass bei dem Angeklagten eine Erziehungsbedürftigkeit oder -fähigkeit festgestellt werden kann. Er fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob an gegebenenfalls entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.

2. Ein Erfordernis der Erziehungsbedürftigkeit bei der wegen der Schwere der Schuld erforderlichen Jugendstrafe sieht der Wortlaut des § 17 Abs. 2 JGG nicht vor. Die Vorschrift unterscheidet vielmehr deutlich zwischen der Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen des Jugendlichen, der sog. „Erziehungsstrafe“, und der in § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG als selbständige Alternative dazu geregelten sog. „Schuldstrafe“.

3. Auch aus dem in § 2 Abs. 1 JGG normierten Leitprinzip, nach dem vorrangig alle Rechtsfolgen am Erziehungsgedanken auszurichten sind, sowie aus der Regelung des § 18 Abs. 2 JGG lässt sich eine andere wortgetreue Auslegung des § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG nicht herleiten. Durch die Einführung von § 2 Abs. 1 JGG sollte an der Selbständigkeit der beiden Alternativen in § 17 Abs. 2 JGG – Erziehungsstrafe einerseits und Schuldstrafe andererseits – nichts geändert werden. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass bei der Bemessung der Jugendstrafe „die erforderliche erzieherische Einwirkung“ zu ermöglichen ist. Denn daraus kann angesichts des Wortlauts des § 17 Abs. 2 JGG gerade nicht der Schluss gezogen werden, ein Erziehungsbedürfnis und eine -fähigkeit würden auch schon bei der Verhängung vorausgesetzt.

4. Soweit in der Rechtsprechung des BGH teilweise hervorgehoben wird, ohne nähere Prüfung der Erziehungsbedürftigkeit und -fähigkeit könne jedenfalls in Fällen von „Kapitaldelikten oder anderen besonders schweren Taten“, namentlich „schweren Gewaltdelikten“ und „gravierenden Sexualdelikten“ eine Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld verhängt werden, kann daraus im Umkehrschluss nicht entnommen werden, bei Straftaten, die keiner der genannten Kategorien zuzurechnen sind, bei denen das Merkmal der Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG aber gleichwohl verwirklicht ist, komme die Verhängung einer Jugendstrafe nur in Betracht, wenn kumulativ eine Erziehungsbedürftigkeit und -fähigkeit des Täters festgestellt werden könne. Denn eine Fallgruppe der „Kapitaldelikte“, der „schweren Gewaltdelikte“ oder der „gravierenden Sexualdelikte“ sieht das Gesetz nicht vor.


Entscheidung

1266. BGH 2 StR 200/23 - Beschluss vom 17. August 2023 (LG Kassel)

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Konkurrenzen: wiederholtes Auffüllen eines Betäubungsmittelvorrats, keine Verklammerung der Erwerbsakte, gleichzeitiger Besitz mehrerer Drogenmengen, einheitlicher Verkaufsvorrat, Tateinheit, Tatmehrheit, Überschneiden der tatbestandlichen Ausführungshandlungen, Vorhalten einer Handelsmenge zum Vertrieb, bloße Gleichzeitigkeit der Besitzausübung, enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang, Mitbesitz, Kommission, bestehende Lieferbeziehung, Anlass der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge, Schuldentilgung); Strafmilderung oder Absehen von Strafe.

§ 29a BtMG; § 31 BtMG; § 52 StGB; § 53 StGB

1. Grundsätzlich führt weder das wiederholte Auffüllen eines Betäubungsmittelvorrats zu einer Verklammerung der Erwerbsakte zu einer Bewertungseinheit noch verbindet allein der gleichzeitige Besitz mehrerer Drogenmengen die hierauf bezogenen Handlungen zu einer Tat des Handeltreibens. Eine Bewertungseinheit kommt allerdings dann in Betracht, wenn die Betäubungsmittel aus verschiedenen Erwerbsvorgängen zu einem einheitlichen Verkaufsvorrat vereint werden.

2. Zudem stehen mehrere Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zueinander in Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB, wenn ihre tatbestandlichen Ausführungshandlungen sich (teilweise) überschneiden. Da das Vorhalten einer Handelsmenge zum Vertrieb als Teilakt des Handeltreibens anzusehen ist, kann der gleichzeitige Besitz zweier für den Verkauf bestimmter Vorräte dann Tateinheit in diesem Sinne begründen, wenn die Art und Weise der Besitzausübung über eine bloße Gleichzeitigkeit hinausgeht und die Wertung rechtfertigt, dass – etwa wegen eines engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs – die tatsächliche Ausübung des Besitzes über die eine Menge zugleich die Ausübung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die andere darstellt.

3. Die Bezahlung einer zuvor „auf Kommission“ erhaltenen Betäubungsmittelmenge aus Anlass der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung verbindet die beiden Umsatzgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit.


Entscheidung

1334. BGH 6 StR 295/23 - Beschluss vom 19. September 2023 (LG Würzburg)

Strafzumessung (Stufenverhältnis von sogenannten harten Drogen, Amphetamin; Besitz von Betäubungsmitteln: erfolgte Sicherstellung von Betäubungsmitteln, strafmildernde Berücksichtigung).

§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG; § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 46 StGB

1. Mit Blick auf das Stufenverhältnis von sogenannten harten Drogen wie Heroin oder Kokain über Amphetamin, das auf der Gefährlichkeitsskala einen mittleren Platz einnimmt, bis hin zu sogenannten weichen Drogen wie Cannabis ist es verfehlt, dem Umstand, dass es sich bei Amphetamin nicht um eine weiche Droge handelt, strafschärfendes Gewicht beizumessen (st. Rspr.).

2. Entfällt die auch beim Besitz von Betäubungsmitteln stets bestehende abstrakte Gefahr für die Allgemeinheit

durch eine Weitergabe, ist dies regelmäßig zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen.


Entscheidung

1335. BGH 6 StR 311/23 - Beschluss vom 4. Oktober 2023 (LG Verden)

Unerlaubtes Führen einer Schusswaffe, unerlaubter Besitz einer Schusswaffe (konkurrenzrechtliche Beurteilung).

§ 52 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b) WaffG; § 52 StGB

Übt der Täter die tatsächliche Gewalt über eine Schusswaffe außerhalb der eigenen Wohnung, Geschäftsräume, des eigenen befriedeten Besitztums oder einer Schießstätte aus, so führt er sie. Das Führen verdrängt in diesem Fall die Umgangsform des Besitzes. Eine Verurteilung wegen tateinheitlich verwirklichten Besitzes kommt nur in Betracht, wenn festgestellt ist, dass der Täter die tatsächliche Gewalt über die Schusswaffe auch innerhalb der vorbezeichneten Örtlichkeiten ausgeübt hat.